Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004: Doppelleistungsbestimmungen - Zusammentreffen von Leistungen - Leistungen gleicher Art
veröffentlicht am |
12.11.2019 |
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Änderung | redaktionelle Überarbeitung im Rahmen des Abgleichs mit dem Regionalträger |
Stand | 26.08.2015 |
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Version | 001.01 |
- Inhalt der Regelung
- Allgemeines
- Anrechnung auf anteilige Leistungen
- Anrechnung auf autonome Leistungen
- Anwendung auf deutsche Anrechnungsbestimmungen
Inhalt der Regelung
Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 stellt eine vorrangige Sonderregelung zu Art. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 dar.
Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 regelt die Folgen des Zusammentreffens von Leistungen gleicher Art, wie sie in Art. 53 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 definiert sind.
Absatz 1 schließt aus, dass nationale Doppelleistungsbestimmungen auf anteilige (zwischenstaatliche) Leistungen angewandt werden.
Absatz 2 erlaubt die Anwendung nationaler Doppelleistungsbestimmungen (wenn sie ausländische Sachverhalte ausdrücklich erfassen) auf autonome (innerstaatliche) Leistungen gleicher Art nur in besonderen Fällen.
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
- Art. 53 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004
Die Vorschrift definiert gleichartige Leistungen. Die Folgen für das Zusammentreffen mehrerer solcher Leistungen ergeben sich aus Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004. - Art. 53 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004
In Art. 53 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 werden die Grundvoraussetzungen für die Anwendung der nationalen Doppelleistungsbestimmungen und von Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 vorgegeben. - Anhang IX Teil I, Teil II und Teil III VO (EG) Nr. 883/2004
Dieser Anhang führt die Leistungen auf, für die eine Anrechnung nach Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 zugelassen ist:- Leistungen der Mitgliedstaaten, deren Höhe von der Versicherungsdauer unabhängig ist (Teil I) oder
- Leistungen der Mitgliedstaaten, die eine fiktive Zeit (Zurechnungszeit) enthalten (Teil II).
- Art. 10 VO (EG) Nr. 987/2009
Diese Vorschrift gilt anstelle von Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 in Fällen des Zusammentreffens sich gegenseitig beeinflussender Renten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten. - Art. 47 Abs. 6 VO (EG) Nr. 987/2009
Für die Durchführung der Art. 53, 54 und 55 VO (EG) Nr. 883/2004 erteilen die zuständigen Träger einander die erforderlichen Auskünfte. - § 97 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI
Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 schränkt die Anrechnung von Leistungen gleicher Art auf Hinterbliebenenrenten ein.
Allgemeines
Arbeitnehmer, die in mehreren Mitgliedstaaten versichert waren, erhalten im Leistungsfall mehrere Renten. Die Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten sehen die Gewährung von Invaliditätsrenten unabhängig von der Versicherungsdauer vor, andere kennen Leistungen, die sich nach der Dauer und der Höhe der Versicherung richten. Durch die unterschiedliche Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme in den Mitgliedstaaten können auch an die Stelle von Renten Leistungen anderer Systeme treten. Diese Leistungshäufung ist systembedingt, führt aber wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Systeme und der nationalen Vorschriften über Anrechnungen in den Mitgliedstaaten zu Problemen. Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 soll die Grenzen festlegen, innerhalb derer die nationalen Doppelleistungsbestimmungen beim Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art angewendet werden dürfen.
Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 beeinflusst zusammen mit Art. 53 VO (EG) Nr. 883/2004 und Art. 55 VO (EG) Nr. 883/2004 die nationalen Doppelleistungsbestimmungen (Bestimmungen über das Anrechnen, Kürzen, Ruhen oder Entziehen von Leistungen beim Zusammentreffen mit anderen Leistungen oder Einkünften).
Alle drei Normen beinhalten selbst keine Regelungen im Sinne von Doppelleistungsbestimmungen, sondern geben den Rahmen für das nationale Recht beim Zusammentreffen von Leistungen vor.
Die Art. 53, 54 und 55 VO (EG) Nr. 883/2004 sind vorrangige Sonderregelungen zu Art. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004. Danach gilt, dass die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Leistungen und erzielten Einkünfte bei Anwendung von Doppelleistungsbestimmungen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn deren Anrechnung im nationalen Recht vorgesehen ist (Art. 53 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004). Die auf Art. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 basierende generelle Gleichstellung ausländischer Leistungen oder Einkünfte wird also durch Art. 53 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 wieder eingeschränkt.
Sind die jeweiligen nationalen Doppelleistungsvorschriften gebietsneutral oder ausdrücklich extern ausgestaltet, werden auch entsprechende Einkünfte oder Leistungen, die in einem anderen Mitgliedstaat erzielt oder nach dessen Rechtsvorschriften gewährt werden, berücksichtigt (vergleiche auch GRA zu Art. 53 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 6.1).
Artikel 54 VO (EG) Nr. 883/2004 beschränkt die nationalen Doppelleistungsbestimmungen beim Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten. Er unterscheidet in seinen Auswirkungen für eine nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 autonom (innerstaatlich) und eine nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. b VO (EG) Nr. 883/2004 anteilig (zwischenstaatlich) berechnete Rente.
Artikel 54 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 lässt es einerseits nicht zu, dass nationale Doppelleistungsbestimmungen auf anteilig berechnete Renten einwirken dürfen (vergleiche Abschnitt 3). Andererseits erlaubt Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 die Anwendung nationaler Doppelleistungsbestimmungen (wenn sie ausländische Sachverhalte ausdrücklich erfassen) auf autonome Renten gleicher Art nur in besonderen Fällen (vergleiche Abschnitt 4).
Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 gilt für alle Rentenarten.
Anrechnung auf anteilige Leistungen
Artikel 54 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 verhindert es, dass Mitgliedstaaten ihre nationalen Doppelleistungsbestimmungen, die das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art (vergleiche Art. 53 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004) regeln, auf anteilige (zwischenstaatliche) Leistungen nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. b Ziffer ii VO (EG) Nr. 883/2004 anwenden. Anteilige Leistungen können daher wegen des Zusammentreffens mit einer gleichartigen Leistung nicht gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden. Einem Berechtigten steht daher, unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004, mindestens die als anteilige Leistung berechnete Rente zu.
Diese Regelung berücksichtigt den Rechtsgedanken, dass erst die Teilrenten aus allen Mitgliedstaaten die Gesamtversorgung darstellen, die nicht deshalb gekürzt werden darf, weil es mehr als einen Leistungserbringer gibt. Die anteilige Rente ist zudem wegen der Anwendung der Verdrängungsregeln des Art. 12 Abs. 3 bis 6 VO (EG) Nr. 987/2009 oder der Gewährung einer gleichzeitigen fiktiven Zeit (Zurechnungszeit) im pro-rata-Verhältnis um mehrfach angerechnete Zeiten bereinigt (vergleiche auch Abschnitt 4).
Anrechnung auf autonome Leistungen
Artikel 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 stellt die Anwendung nationaler Doppelleistungsbestimmungen über die Anrechnung gleichartiger Leistungen auf die autonome (innerstaatliche) Rente unter besondere Voraussetzungen. Zugelassen ist die Anrechnung nur auf eine Leistung, die
- unabhängig von der Versicherungsdauer ist oder
- eine angerechnete fiktive Zeit (Zurechnungszeit) beinhaltet, wenn sie entweder
- mit einer gleichen Leistung, die auch eine fiktive Zeit enthält, oder
- mit einer von der Versicherungsdauer unabhängigen Leistung
Nur in diesen beiden Fallkonstellationen dürfen nationale Doppelleistungsbestimmungen angewendet werden.
Leistungen im Sinne von Art. 54 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004, die von der Versicherungsdauer unabhängig sind, sind im Anhang IX Teil I VO (EG) Nr. 883/2004 eingetragen. Typische Beispiele sind die nach Titel III Kapitel 4 VO (EG) Nr. 883/2004 festzustellenden Invaliditätsleistungen oder Renten aus Wohnrentensystemen.
Leistungen im Sinne von Art. 54 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 883/2004, die eine fiktive Zeit beinhalten, sind im Anhang IX Teil II VO (EG) Nr. 883/2004 aufgeführt.
Eine nach Art. 54 Abs. 2 Buchst. b Ziffer i VO (EG) Nr. 883/2004 dem Grunde nach zugelassene Anrechnung beim Zusammentreffen zweier Leistungen, die beide eine fiktive Zeit beinhalten, soll nicht erfolgen, wenn ein Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten das zweifache oder mehrfache Entstehen der gleichen fiktiven Zeit bereits verhindert. Der Anhang IX Teil III VO (EG) Nr. 883/2004 benennt als ein solches Abkommen das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Finnland über soziale Sicherheit vom 28.04.1997.
Art. 7 Abs. 1 des SVA-Finnland sieht für Finnland vor, dass die fiktive Zeit in einer Rente nach finnischem Recht nur im pro-rata-Verhältnis der finnischen Versicherungszeiten zu den Gesamtversicherungszeiten berücksichtigt werden darf. Für Deutschland ist eine solche Regelung nicht enthalten, weil die Zurechnungszeit in einer autonomen deutschen Rente schon durch die Gesamtleistungsbewertung nur im Verhältnis der in Deutschland entrichteten Beiträge bewertet ist. Für Deutschland hat der Eintrag im Anhang IX Teil III VO (EG) Nr. 883/2004 daher keine Bedeutung. Dem finnischen Versicherungsträger wird auf Anfrage bestätigt, ob die deutsche Rente eine Zurechnungszeit enthält oder nicht.
Anwendung auf deutsche Anrechnungsbestimmungen
Anwendungsfälle des Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 auf Doppelleistungsbestimmungen im deutschen Recht sind nicht sehr vielfältig:
- Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI auf Erziehungsrenten (siehe Abschnitt 5.1),
- Anrechnung nach § 31 Abs. 1 FRG (siehe Abschnitt 5.2) und
- Anrechnung nach § 55 BeamtVG bei der Beamtenversorgung (siehe Abschnitt 5.3).
Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI auf Erziehungsrenten
Auswirkungen durch Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 können sich nur ergeben bei der Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI auf eine Erziehungsrente, die mit einer in Anhang IX aufgeführten ausländischen Leistung gleicher Art (siehe GRA zu Art. 53 VO (EG) Nr. 883/2004, Abschnitt 3) zusammentrifft. Bei Bezug einer Erziehungsrente können als Leistungen gleicher Art Invaliditätsrenten und Altersrenten anderer Mitgliedstaaten in Betracht kommen, sofern sie auf der Grundlage der von ein und derselben Person zurückgelegten Versicherungszeiten und/oder Wohnzeiten gewährt oder berechnet werden.
Eine Anrechnung der ausländischen Leistung gleicher Art auf die als anteilige (zwischenstaatliche) Leistung berechnete Erziehungsrente ist nach Art. 54 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ausgeschlossen. Die Anwendung von § 97 SGB VI auf eine Erziehungsrente, auf die ein autonomer (innerstaatlicher) Anspruch besteht, ist nach Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 zulässig, wenn sie mit einer ausländischen Leistung gleicher Art, die in Anhang IX aufgeführt ist, zusammentrifft.
Anrechnung nach § 31 Abs. 1 FRG
Eine weitere Doppelleistungsbestimmung ist § 31 Abs. 1 FRG. Der Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 wird auf diese Anrechnungsvorschrift jedoch nicht angewendet, weil das Integrationsprinzip des FRG und die Koordination grenzüberschreitender Ansprüche durch die VO (EG) Nr. 883/2004 miteinander unvereinbar sind und insofern eine Regelungslücke bei der Anwendung von Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 vorliegt.
Gesetzgeberischer Wille für die Anwendung des FRG ist die (rentenrechtliche) Eingliederung von Personen, die durch Kriegsereignisse und Kriegsfolgeereignisse gehindert waren, den für sie eigentlich zuständigen Versicherungsträger in Anspruch zu nehmen. Die Berechtigten werden so gestellt, als ob sie im Bundesgebiet beschäftigt gewesen wären, so dass das FRG die Versicherungsbiographie von ihrem Ursprungsland abtrennt. Wegen der historischen Entwicklung sind nunmehr aber parallele Ansprüche aus den Herkunftsländern aus den gleichen Versicherungszeiten möglich.
Das Europarecht hingegen lässt durch die Kollisionsnormen der Art. 11 ff. VO (EG) Nr. 883/2004 und die Verdrängungsregeln in Art. 12 VO (EG) Nr. 987/2009 identische Versicherungszeiten nicht entstehen und vermindert gleichzeitige fiktive Zeiten (Zurechnungszeiten) im pro-rata-Verhältnis. Dadurch kann ein Versicherungszeitraum nur in einer Teilleistung enthalten sein und die Teilleistungen der Mitgliedstaaten stellen die Versorgung aus einer gesamteuropäischen Versicherungsbiographie dar. Die gleichzeitige Berücksichtigung von Versicherungszeiten führt zu einer Leistungserhöhung, die durch § 31 Abs. 1 FRG im Wege der Anrechnung der Leistung eines anderen Mitgliedstaates wieder ausgeglichen werden soll. Aus demselben Grund lässt bei der gleichzeitigen Berücksichtigung fiktiver Zeiten Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 die Anrechnung auf die autonom (innerstaatlich) berechnete Rente im nationalen Recht ausdrücklich zu (bei der anteilig berechneten Rente kommt es wegen der Gewährung der fiktiven Zeit im pro-rata-Verhältnis zu keiner Häufung von Zeiten).
Anrechnung nach § 55 BeamtVG bei der Beamtenversorgung
Einen weiteren Anwendungsfall des Art. 54 VO (EG) Nr. 883/2004 ergibt sich für Deutschland bei der Umsetzung des § 55 BeamtVG im Bereich der deutschen Beamtenversorgung. Hierbei können Renten - nach § 55 Abs. 8 BeamtVG ausdrücklich auch ausländische - beim Zusammentreffen mit Versorgungsbezügen nur in den von Art. 54 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 883/2004 vorgegebenen Grenzen angerechnet werden, wenn die Höchstgrenze aus § 55 Abs. 2 BeamtVG überschritten wird.
VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 |
Inkrafttreten: 20.05.2004 Quelle: Amtsblatt (EU) Nr. L 200/1 vom 07.06.2004 Anzuwenden ab: 01.05.2010 |
Artikel 54 VO (EG) Nr. 883/2004 ist mit der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 am 20.05.2004 in Kraft getreten und ab 01.05.2010 anwendbar (Art. 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004).
Artikel 54 VO (EG) Nr. 883/2004 entspricht - abgesehen von redaktionellen Änderungen - inhaltlich Art. 46b VO (EWG) Nr. 1408/71. Im Gegensatz zum bisherigen Recht ist er auf alle Rentenarten anzuwenden - auch auf Waisenrenten, weil diese über Art. 69 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 ausnahmslos in das Kapitel 5 der VO (EG) Nr. 883/2004 verwiesen werden.