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Art. 16 VO (EG) Nr. 883/2004: Ausnahmen von den Artikeln 11 bis 15

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Dokumentdaten
Stand13.07.2015
Version001.01

Inhalt der Regelung

Absatz 1 ermöglicht es, im Interesse einzelner Personen oder Personengruppen Ausnahmen von der Rechtszuweisung der Art. 11 bis 15 VO (EG) Nr. 883/2004 zuzulassen.

Absatz 2 regelt, dass eine Person, die Rente(n) aus einem oder mehreren Mitgliedstaaten, aber nicht vom Wohnstaat erhält, von der Anwendung der Rechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats freigestellt werden kann, sofern sie diesen Rechtsvorschriften nicht (vorrangig) aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit unterliegt.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

Allgemeines

Die Art. 11 bis 15 VO (EG) Nr. 883/2004 (die so genannten Kollisionsnormen) regeln, die Rechtsvorschriften welchen Mitgliedstaats der EU, des EWR beziehungsweise der Schweiz auf eine Person anzuwenden sind.

Die starre Rechtszuweisung der Kollisionsnormen kann im Einzelfall zu ungünstigen Ergebnissen führen, zu Ungleichbehandlung innerhalb einer bestimmten Personengruppe oder auch zu überflüssigen Versicherungszugehörigkeiten.

Siehe Beispiele 1 bis 3

Um dem zu begegnen, ermöglicht Art. 16 VO (EG) Nr. 883/2004 Ausnahmen von der durch die Kollisionsnormen festgelegten Rechtszuweisung zuzulassen und im Interesse einer Person (abhängig Beschäftigter, Selbständiger, Rentner) oder auch Personengruppe die anzuwendenden Rechtsvorschriften einvernehmlich festzulegen.

Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1

Grundvoraussetzung für eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ist zunächst das zu begründende Interesse einer Person oder Personengruppe, nicht den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats zu unterliegen, die nach den Art. 11 bis 15 VO (EG) Nr. 883/2004 gelten.

Darüber hinaus ist es erforderlich, dass sich die jeweils zuständigen Stellen der betroffenen Mitgliedstaaten in Verbindung setzen und der Ausnahmevereinbarung einvernehmlich zustimmen.

Dabei soll nach dem Wortlaut des Art. 18 VO (EG) Nr. 987/2009 die Antragstellung durch den Arbeitgeber oder die betreffende Person soweit möglich im Voraus erfolgen. Eine nachträgliche Antragstellung beziehungsweise eine Rückwirkung der Ausnahmevereinbarung für die Vergangenheit ist damit nicht ausgeschlossen.

Nach Sinn und Zweck des Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ist eine Ausnahmevereinbarung, die im Einzelfall für einen nicht mehr überschaubaren Zeitraum von mehreren Jahren oder auf Dauer abgeschlossen werden soll, generell ausgeschlossen. Aus diesem Grund wird in der Praxis Ausnahmevereinbarungen für langjährige Dauerbeschäftigungen nicht zugestimmt.

Eine Zuordnung in die Rechtsvorschriften eines bestimmten Mitgliedstaats im Rahmen einer Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 setzt zudem in der Regel voraus, dass die betreffende Person einen engen Bezug zum Arbeitsleben und Erwerbsleben des betreffenden Mitgliedstaats hat, dessen Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen sollen.

Grundlage einer Ausnahmevereinbarung könnten im Falle der beantragten Weitergeltung deutscher Rechtsvorschriften beispielsweise folgende Sachverhalte sein:

  • Die deutschen Rechtsvorschriften können allein deshalb nicht (weiterhin) angewandt werden, weil die voraussichtliche Dauer der Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in anderen Mitgliedstaaten 24 Monate überschreiten wird (siehe GRA zu Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004. Eine Ausnahmevereinbarung zugunsten der Anwendung deutscher Rechtsvorschriften kommt allerdings grundsätzlich nicht in Betracht, wenn die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit im anderen Mitgliedstaat nicht im Voraus zeitlich befristet ist.
  • Die deutschen Rechtsvorschriften können nicht (weiterhin) angewandt werden, weil der Arbeitsvertrag mit dem entsendenden Unternehmen ruhend gestellt wurde und der Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen im Beschäftigungsstaat geschlossen hat.

Das Interesse an der Weitergeltung der deutschen Rechtsvorschriften könnte sich für die vorstehend genannten Sachverhalte daraus ergeben, dass möglicherweise bisher ausschließlich Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland gezahlt wurden, eine ergänzende Altersvorsorge auf das deutsche Rentenversicherungssystem abgestellt wurde und/oder keine weiteren Beschäftigungen oder selbstständige Erwerbstätigkeiten im Ausland vorgesehen sind.

Verfahren

Nach Art. 18 VO (EG) Nr. 987/2009 ist der Antrag auf Ausnahmevereinbarung nach Möglichkeit im Voraus vom Arbeitgeber oder der betroffenen Person bei der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats zu stellen, dessen Rechtsvorschriften gelten sollen (siehe GRA zu Art. 18 VO (EG) Nr. 987/2009).

Sind dies die deutschen Rechtsvorschriften, ist der Antrag beim Spitzenverband der Krankenkassen (DVKA) in Bonn als der in Deutschland zentral zuständigen Stelle für den Abschluss von Ausnahmevereinbarungen zu stellen (GMBl. 2011 Nr. 1 S. 11 Nr. 1 Buchst. c). Anträge, die beim Rentenversicherungsträger eingehen, sind daher zuständigkeitshalber an die DVKA abzugeben.

Sofern die zuständigen Stellen der beteiligten Mitgliedstaaten einvernehmlich dem Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zugestimmt haben, stellt anschließend der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, der betreffenden Person nach Art. 19 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 eine Bescheinigung über die anzuwendenden Rechtsvorschriften aus (Bescheinigung A1). Sind die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden, ist die DVKA in Bonn auch für die Ausstellung der Bescheinigung A1 zuständig (GMBl. 2011 Nr. 1 S. 11 Nr. 1 Buchst. c).

Wirkung der Ausnahmevereinbarung

Eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 gilt einheitlich für alle Zweige der sozialen Sicherheit. Es ist also beispielsweise nicht möglich, nur in Bezug auf die Rentenversicherung eine Ausnahme von der Zuordnung nach den Art. 11 bis 15 VO (EG) Nr. 883/2004 zu vereinbaren, für die anderen Zweige der sozialen Sicherheit jedoch nicht.

Freistellung für Rentner nach Art. 16 Abs. 2

Rentner unterliegen nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. e VO (EG) Nr. 883/2004 den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie wohnen, wenn sich nach den Buchstaben a bis d dieser Bestimmung keine andere Zuordnung ergibt.

Sofern nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats bereits der Wohnsitz zur Versicherungspflicht in den verschiedenen Zweigen der dortigen Sozialversicherung führt (beispielsweise Rentenversicherung, Krankenversicherung und Familienleistungen), kann eine über das bei einem Rentenbezieher bereits erreichte soziale Sicherungsziel hinausgehende Absicherung überflüssig sein.

Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 ermöglicht es in dieser Situation, Rentner auf Antrag von der Anwendung der Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats freizustellen.

Voraussetzung ist, dass Rente(n) aus einem oder auch mehreren anderen Mitgliedstaaten, nicht jedoch vom Wohnstaat bezogen werden. Eine Freistellung ist nicht möglich, sofern Rentner den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit unterliegen.

Da es sich bei dieser Befreiungsmöglichkeit einschließlich ihrer Voraussetzungen um eine „Kann-Bestimmung“ für den Wohnstaat handelt, hat dieser die hierfür erforderliche Ermessensausübung zu prüfen und festzulegen.

Verfahren

Die Freistellung von den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 ist von dem betreffenden Rentner bei der zuständigen Stelle seines Wohnmitgliedstaats zu beantragen.

Diese entscheidet im Rahmen ihrer Ermessensausübung, ob sie dem Antrag stattgibt und die betreffende Person von der Anwendung der Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats befreit.

Wirkung der Freistellung

Die Freistellung gilt einheitlich für alle Bereiche der sozialen Sicherheit. Es ist also beispielsweise nicht möglich, Rentner nur in Bezug auf die Rentenversicherung von der Anwendung der Rechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats freizustellen, in Bezug auf andere Zweige der sozialen Sicherheit jedoch nicht.

Beispiel 1: Begründetes Interesse im Einzelfall

(Beispiel zu Abschnitt 2)

Ein Versicherter hat sein gesamtes Arbeitsleben in Deutschland zurückgelegt und seine Altersversorgung entsprechend abgestimmt. Für die letzten 25 Monate vor dem Altersrentenbeginn versetzt ihn sein Arbeitgeber in einen anderen EU-Mitgliedstaat. Da die höchstmögliche Entsendedauer von 24 Monaten (Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004) von vornherein überschritten ist, wären ab dem ersten Tag der Beschäftigung in dem anderen EU-Mitgliedstaat die dortigen Rechtsvorschriften anzuwenden (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004).

Lösung:

Die Anwendung der Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats könnte zu einer Verringerung der bisher erwarteten Gesamtaltersversorgung führen. In diesem Fall bestünde ein begründetes Interesse des Versicherten, sich im Rahmen einer Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 während der letzten 25 Monate seines Arbeitslebens abweichend von der Zuordnung nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 weiterhin den deutschen Rechtsvorschriften unterstellen zu lassen. Ein entsprechender Antrag wäre an die DVKA in Bonn zu richten.

Beispiel 2: Begründetes Interesse für eine Personengruppe

(Beispiel zu Abschnitt 2)

Auf einem Rheinschiff, das von einer luxemburgischen Firma betrieben wird, sind die Mitarbeiter A und B beschäftigt. A wohnt in Deutschland, B in der Schweiz. Beide üben mindestens 25 % ihrer Beschäftigung in ihrem jeweiligen Wohnstaat aus. Ihr Bruttoentgelt beträgt 2.000,00 EUR. Nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 würden A und B den Rechtsvorschriften ihres jeweiligen Wohnstaats unterliegen. Auf Arbeitnehmer A wären also die deutschen und auf Arbeitnehmer B die schweizerischen Rechtsvorschriften anzuwenden. Aufgrund der unterschiedlichen Beitragsbemessung ist das Nettogehalt von A bei gleichem Bruttogehalt und gleicher Arbeit deutlich niedriger als das von B.

Lösung:

Um sicherzustellen, dass alle Rheinschiffer, die auf demselben Rheinschiff arbeiten, denselben Rechtsvorschriften unterliegen und insoweit gleich behandelt werden, haben die Rhein-Anrainerstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande und Schweiz eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 für den gesamten Personenkreis der Rheinschiffer geschlossen. Danach unterliegen Rheinschiffer abweichend von der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich der Sitz des Unternehmens befindet, dem das Schiff gehört, an Bord dessen die Beschäftigung ausgeübt wird. Die Mitarbeiter A und B unterliegen demnach einheitlich den luxemburgischen Rechtsvorschriften.

Beispiel 3: Freistellung von den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats für Rentner

(Beispiel zu Abschnitt 2)

Der Bezieher einer deutschen Erwerbsminderungsrente, der ausschließlich Versicherungszeiten in Deutschland zurückgelegt hat, verlegt seinen Wohnsitz von Deutschland in die Niederlande. Für ihn gelten nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. e VO (EG) Nr. 883/2004 ab dem Zeitpunkt des Verzugs in die Niederlande die dortigen Rechtsvorschriften. Dies führt in den Versicherungszweigen der niederländischen Volksversicherung zur Versicherungspflicht, obwohl das soziale Sicherungsziel für die betreffende Person bereits erreicht ist.

Lösung:

Da eine weitere soziale Absicherung insbesondere in einem Rentenversicherungssystem beim Bezieher einer deutschen Erwerbsminderungsrente nicht in jedem Fall erforderlich ist, kann der Rentenbezieher nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 die Befreiung von der Anwendung der niederländischen Rechtsvorschriften beantragen. Der Antrag ist an die zuständige niederländische Stelle zu richten.

VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004

Inkrafttreten: 20.05.2004

Quelle: Amtsblatt (EU) Nr. L 200/1 vom 07.06.2004 (berichtigte Fassung)

Anzuwenden ab: 01.05.2010

Art. 16 VO (EG) Nr. 883/2004 ist mit der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 am 20.05.2004 in Kraft getreten und ab 01.05.2010 anwendbar (Art. 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004).

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