§ 52 SGB X: Hemmung der Verjährung durch Verwaltungsakt
veröffentlicht am |
17.05.2025 |
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Änderung | Überarbeitung der gesamten GRA im Hinblick auf das BSG-Urteil vom 04.03.2021 (B 11 AL 5/20 R) |
Stand | 30.04.2025 |
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Rechtsgrundlage | |
Version | 003.00 |
- Inhalt der Regelung
- Verjährungshemmung durch Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheide
- Feststellungs- und Durchsetzungsbescheide
- Wirkung der Hemmung
- Beginn und Ende der Hemmung
- 30-jährige Verjährungsfrist
Inhalt der Regelung
Absatz 1 regelt, dass ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs hemmt.
Absatz 2 regelt, dass ein unanfechtbar gewordener Feststellung- oder Durchsetzungsverwaltungsakt eine 30-jährige Verjährungsfrist auslöst
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
§ 52 Abs. 1 SGB X enthält keine eigenständige Regelung über die Verjährung von Ansprüchen, sondern regelt innerhalb von bereits laufenden Verjährungsfristen lediglich die Hemmung der Verjährung von Ansprüchen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers durch den Erlass eines Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides.
Eigenständige Vorschriften über die Verjährung von Ansprüchen (die dann gegebenenfalls durch Erlass eines Verwaltungsaktes gehemmt werden) finden sich insbesondere in
- § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV (4-jährige Verjährungsfrist für nicht vorsätzlich vorenthaltene Beitragsansprüche),
- § 50 Abs. 4 SGB X (grundsätzlich 4-jährige Verjährungsfrist bei Erstattungsansprüchen wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen) sowie in
- § 118 Abs. 4a S. 1 SGB VI (4-jährige Verjährungsfrist bei Erstattungsansprüchen nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI).
Verjährungshemmung durch Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheide
Nach § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X hemmt ein Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheid die Verjährung des Anspruchs.
Der Erlass eines Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt voraus, dass die Verjährungsfrist bereits zu laufen begonnen hat. Denn gehemmt werden kann nur, was bereits zu laufen begonnen hat. Mit anderen Worten: Der Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheid muss nach Beginn der Verjährungsfrist erlassen worden sein, damit die Rechtsfolge der Hemmung bewirkt wird.
Der Verjährungsbeginn kann kraft Gesetzes (also ohne Erteilung eines Bescheides) beginnen oder an die Erteilung eines Bescheides geknüpft sein.
Hinsichtlich des Verjährungsbeginns
- ohne dass es der Erteilung eines Bescheides bedarf, siehe Abschnitt 2.1.
- erst durch Erteilung eines Bescheides, siehe Abschnitt 2.2.
Verjährungsbeginn ohne Bescheiderteilung
Bei folgenden Ansprüchen zum Beispiel bedarf es keines die Verjährung auslösenden Bescheides:
- Beitragsansprüche (§ 22 SGB IV) wegen § 23 SGB IV (Fälligkeit) und § 25 SGB IV (Verjährung),
- Erstattungsansprüche nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI wegen § 118 Abs. 4a S. 1 SGB VI (zu Ansprüchen nach § 118 Abs. 4 S. 4 SGB VI siehe Abschnitt 2.2),
- Ansprüche auf rückständige KV/PV-Beiträge aus der Rente (§ 255 Abs. 2 SGB V/§ 60 SGB XI) wegen § 255 Abs. 3 SGB V (Fälligkeit) und § 25 SGB IV (Verjährung).
Verjährungsbeginn erst durch Bescheiderteilung
Bei folgenden Ansprüchen zum Beispiel bedarf es - mangels einer jeweiligen speziellen Verjährungsregelung - eines die Verjährung auslösenden Bescheides:
Erstattungsansprüche nach
- § 50 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 45, 48 SGB X,
- § 50 Abs. 2 SGB X,
- § 34 Abs. 3f S. 1 und 2 SGB VI (für Zeiten bis 31.12.2022, siehe § 302 Abs. 6 SGB VI in der Fassung ab dem 01.01.2023)
- § 96a Abs. 5 SGB VI in Verbindung mit § 34 Abs. 3f SGB VI,
- § 97a Abs. 6 S. 7 SGB VI
- § 101 Abs. 3 bis 5 SGB VI,
- § 108 Abs. 2 S. 1 SGB VI,
- § 118 Abs. 4 S. 4 SGB VI in Verbindung mit § 50 Abs. 2 SGB X,
- § 42 Abs. 2 SGB I,
- § 53 Abs. 6 SGB I,
- § 54 Abs. 6 SGB I in Verbindung mit § 53 Abs. 6 SGB I,
jeweils in Verbindung mit § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X und § 50 Abs. 4 SGB X.
Feststellungs- und Durchsetzungsbescheide
Die Verjährung wird sowohl durch einen Feststellungsbescheid als auch durch einen Durchsetzungsbescheid gehemmt.
Beachte:
Die bisherige Auffassung, wonach dann, wenn mit dem Verwaltungsakt über die Feststellung des Erstattungsanspruchs gleichzeitig der Verwaltungsakt über das Zahlungsgebot ergeht, dieser Zahlungsgebots-Verwaltungsakt zugleich ein Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Anspruchs im Sinne des § 52 SGB X ist und nach Unanfechtbarkeit zu einer 30-jährigen Verjährungsfrist führt, wird mit Blick auf das Urteil des BSG vom 04.03.2021, AZ: B 11 AL 5/20 R, aufgegeben (AGVR 2/2022, TOP 4).
Insbesondere bei einer drohenden Verjährung des Anspruchs stellt der Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheid ein Mittel dar, um der Verwaltung für die Realisierung des Anspruchs mehr Zeit einzuräumen.
Der Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheid muss, damit er die Hemmung herbeiführen kann, nach Beginn der Verjährungsfrist bekannt gegeben werden. Es ist aber nicht Voraussetzung, dass er rechtmäßig ist. Auch ein rechtswidriger Bescheid kann die Verjährung hemmen, soweit er nicht aufgehoben wird. Ein nichtiger Verwaltungsakt (§ 39 Abs. 3 SGB X) ist hingegen von vornherein unwirksam und kann daher die Verjährung nicht hemmen.
Hinsichtlich der einzelnen Arten von
Keine Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheide sind:
- Mahnungen im Sinne des § 3 Abs. 3 VwVG,
- Stundungsbescheide,
- bloße Zahlungsaufforderungen.
Feststellungsbescheide
Feststellungsbescheide sind zum Beispiel
- Bescheide, mit denen das Bestehen des Anspruchs des Rentenversicherungsträgers (nochmals [AGVR 2/2022, TOP 4]) ausdrücklich gegenüber dem Schuldner festgestellt wird (zum Beispiel Erstattungsbescheide nach § 118 Abs. 4 S. 2 SGB VI),
- Bescheide über die Feststellung rückständiger Pflichtbeiträge von selbständig Tätigen.
Durchsetzungsbescheide
Durchsetzungsbescheide sind zum Beispiel
- Bescheide mit einer ausdrücklichen, unmissverständlichen Zahlungsaufforderung (solche Bescheide entsprechen inhaltlich dem Zahlungsgebot des Ausgangsbescheides) (AGVR 2/2022, TOP 4),
- Aufrechnungsbescheide (§ 51 SGB I) oder Verrechnungsbescheide (§ 52 SGB I).
Wirkung der Hemmung
Hemmung der Verjährung bedeutet, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird (§ 209 BGB).
Der Tag, an dem der Hemmungsgrund entsteht, der Tag, an dem er entfällt und die Tage dazwischen werden nicht in die Verjährung eingerechnet (tagegenaue Bestimmung).
Beginn und Ende der Hemmung
Die Hemmung der Verjährung beginnt mit der Bekanntgabe des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides, weil dieser erst von diesem Zeitpunkt an Rechtswirkung erzielt (§ 39 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 37 Abs. 2 SGB X).
An der Wirksamkeit eines Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides und damit am Eintritt der Hemmung ändert die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage (§ 86a SGG) nichts.
Die Hemmung der Verjährung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides oder sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.
Ein Bescheid ist unanfechtbar, wenn
- die Widerspruchs- oder Klagefrist abgelaufen ist, ohne dass die betroffene Person Widerspruch oder Klage erhoben hat, oder wenn auf die Einlegung von Rechtsbehelfen verzichtet wurde,
- der Widerspruchsbescheid bestandskräftig geworden ist,
- die Klage durch rechtskräftiges Urteil abgewiesen worden ist.
Der Bescheid erledigt sich anderweitig zum Beispiel durch Aufhebung des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides oder durch Vergleichsvertrag (§ 54 SGB X).
30-jährige Verjährungsfrist
Nach § 52 Abs. 2 SGB X beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, wenn der Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheid unanfechtbar geworden ist (vergleiche Abschnitt 5).
Auch die 30-jährige Verjährungsfrist kann nach § 52 Abs. 1 SGB X gehemmt werden.
- Beispiel 1: Hemmung der Verjährung bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
- Beispiel 2: Hemmung der Verjährung bei Erstattungsbescheid nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI
Beispiel 1: Hemmung der Verjährung bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
(Beispiel zu Abschnitt 3)
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (§§ 48, 50 SGB X) | 10.01.2022 |
Unanfechtbarkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens | 15.09.2022 |
a) Erlass/Bekanntgabe des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides | 09.12.2022 |
b) Erlass/Bekanntgabe des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides | 28.04.2023 |
Lösung zu a) |
Da die Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X bei Erlass/Bekanntgabe des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides noch nicht lief (Beginn der Verjährungsfrist am 01.01.2023 = Beginn des Kalenderjahres nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids), bewirkt dieser nicht die Rechtsfolgen des § 52 SGB X. |
Lösung zu b) |
Da die Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X bei Erlass/Bekanntgabe des Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheides bereits lief (Beginn der Verjährungsfrist am 01.01.2023 = Beginn des Kalenderjahres nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids), bewirkt dieser die Rechtsfolgen des § 52 SGB X. |
Beispiel 2: Hemmung der Verjährung bei Erstattungsbescheid nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI
(Beispiel zu Abschnitt 3)
Kenntnis von der Überzahlung einer über den Todesmonat hinaus gezahlten Rente | 28.11.2022 |
Kenntnis vom erstattungspflichtigen Vermieter (§ 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI) | 08.12.2022 |
a) Erlass/Bekanntgabe des Rückforderungsbescheides (Feststellungsbescheides) | 14.12.2022 |
b) Erlass/Bekanntgabe des Rückforderungsbescheides (Feststellungsbescheides) | 04.01.2023 |
Lösung zu a) |
Da die Verjährungsfrist des § 118 Abs. 4a S. 1 SGB VI bei Erlass/Bekanntgabe des Feststellungsbescheides noch nicht lief (Beginn der Verjährungsfrist am 01.01.2023 = Beginn des Kalenderjahres nach Kenntnis vom Erstattungspflichtigen), bewirkt dieser nicht die Rechtsfolgen des § 52 SGB X. |
Lösung zu b) |
Da die Verjährungsfrist des § 118 Abs. 4a S. 1 SGB VI bei Erlass/Bekanntgabe des Feststellungsbescheides bereits lief (Beginn der Verjährungsfrist am 01.01.2023 = Beginn des Kalenderjahres nach Kenntnis vom Erstattungspflichtigen), bewirkt dieser die Rechtsfolgen des § 52 SGB X. |
HZvNG vom 21.06.2002 (BGBl. I S. 2167) |
Inkrafttreten: 01.01.2002 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 14/9442 |
Durch das „Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze“ vom 21.06.2002 wurde § 52 SGB X im Hinblick auf die Neufassung der Verjährungsregelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz geändert.
SGB X vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469, 2218) |
Inkrafttreten: 01.01.1981 Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 7/910, 8/2034 |
Durch das Gesetz “Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -“ vom 18.08.1980 wurde § 52 SGB X eingeführt.