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§ 47 SGB X: Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes

Änderungsdienst
veröffentlicht am

20.08.2019

Änderung

Berichtigung von Schreibfehlern; nach telefonischer Rücksprache mit der DRV Westfalen kann die korrigierte GRA ohne weiteres Abstimmungsverfahren publiziert werden.

Dokumentdaten
Stand19.07.2016
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 02.05.1996 in Kraft getreten am 02.05.1996
Rechtsgrundlage

§ 47 SGB X

Version001.00
Schlüsselwörter
  • 0805

  • 1805

Inhalt der Regelung

§ 47 SGB X regelt den Widerruf rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte. Damit knüpft er an § 39 Abs. 2 SGB X an, nach welchem ein Verwaltungsakt wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

Als Widerruf wird die vollständige oder teilweise Aufhebung (oder Änderung) eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes durch eine Behörde bezeichnet.

Grundsätzlich ist ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt nicht widerrufbar. Das Vertrauen des Versicherten ist hier in besonderem Maße schutzwürdig. Daher kann ein Verwaltungsakt nur unter den besonderen Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 des § 47 SGB X widerrufen werden.

Der Widerruf darf unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Wirkung für die Zukunft, gerechnet ab Bekanntgabe der neuen Entscheidung, und unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 auch für die Vergangenheit erfolgen.

Über den Widerruf entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (siehe § 39 SGB I sowie GRA zu § 45 SGB X, Abschnitt 8).

Voraussetzungen für den Widerruf für die Zukunft

Der Widerruf mit Wirkung für die Zukunft nach § 47 Abs. 1 SGB X kann erfolgen, wenn

  • ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt vorliegt (siehe Abschnitt 2.1), soweit
  • der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist (siehe Abschnitt 2.2) oder
  • mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (siehe Abschnitt 2.3).

Rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt

Es muss ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X vorliegen. Hierzu zählen sämtliche Bescheide der Rentenversicherungsträger. Es ist unerheblich, ob der Verwaltungsakt unanfechtbar ist oder nicht.

Rechtmäßig ist ein Verwaltungsakt, wenn er im Einklang mit dem geltenden Recht erlassen wurde. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes sowohl ein korrekter Sachverhalt zugrunde gelegt wie auch die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen richtig angewandt wurden.

Nach der Definition des § 45 Abs. 1 SGB X ist ein "begünstigender" Verwaltungsakt ein solcher, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt.

Durch Rechtsvorschrift zugelassener oder vorbehaltener Widerruf

Ein Widerruf ist zulässig, wenn er durch Rechtsvorschrift zugelassen ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB X, siehe Abschnitt 2.2.1) oder in dem zu widerrufenden Verwaltungsakt selbst vorbehalten ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, siehe Abschnitt 2.2.2).

Widerruf durch Rechtsvorschriften zugelassen

Für bestimmte rechtmäßige begünstigende Verwaltungsakte kann die Befugnis zum Widerruf spezialgesetzlich bestimmt sein.

Widerrufsvorbehalt

Der Widerruf ist auch zulässig, wenn der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten war. Bei dem Widerrufsvorbehalt handelt es sich um eine Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, die Bestandteil des Verwaltungsaktes ist.

Mit dem Widerrufsvorbehalt behält sich der Rentenversicherungsträger von vornherein den Widerruf der Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt vor, wenn die im Widerrufsvorbehalt angegebenen Voraussetzungen eingetreten sind.

Die Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts ist nur begrenzt zulässig (siehe GRA zu § 32 SGB X).

Nichterfüllung einer Auflage

Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X darf ein Widerruf auch erfolgen, wenn der Begünstigte eine mit dem Verwaltungsakt verbundene Auflage nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.

Bei der Auflage handelt es sich um eine Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X, die Bestandteil des Verwaltungsaktes ist. Die Auflage ist eine Nebenbestimmung, durch die dem Versicherten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Sie ist eine mit dem Verwaltungsakt verbundene, selbständig vollstreckbare hoheitliche Anordnung.

Wird die Auflage nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, kann der mit ihr verbundene Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Zunächst ist jedoch zu versuchen, die Auflage durchzusetzen. Hierbei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Voraussetzungen für den Widerruf auch für die Vergangenheit

Der Widerruf für die Vergangenheit nach § 47 Abs. 2 SGB X kann erfolgen, wenn

  • ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt (siehe Abschnitt 2.1),
  • der zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks eine Geld- oder Sachleistung zuerkennt (siehe Abschnitt 3.1), vorliegt, wenn
  • die Geld- oder Sachleistung zweckwidrig verwendet (siehe Abschnitt 3.2) oder
  • eine Auflage nicht erfüllt wurde (siehe Abschnitt 3.3).

Zweckbestimmte Geld- oder Sachleistung

Geldleistungen sind in Geld bezifferte oder jedenfalls ohne weiteres in Geld bezifferbare Leistungen. Sachleistungen spielen im Recht der Rentenversicherung eine untergeordnete Rolle.

Geld- oder Sachleistungen müssen dem Empfänger zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks zuerkannt worden oder der Verwaltungsakt muss Voraussetzung für die Zuerkennung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks sein.

Wegen der besonderen Bedeutung des Zwecks der Leistung für den Widerrufstatbestand ist zu verlangen, dass die Zweckbindung im Bescheid selbst mit hinreichender Bestimmtheit und Deutlichkeit zum Ausdruck kommt. Der Zweck muss im Verwaltungsakt ausdrücklich genannt sowie konkret und bestimmt bezeichnet sein.

Zweckwidrige Verwendung der Geld- oder Sachleistung

Als Widerrufsgründe kommen in Betracht die unterlassene, verzögerte oder die zweckfremde Verwendung der Geld- oder Sachleistung.

Unterlassene Verwendung bedeutet, dass die bewilligte Leistung überhaupt nicht verwendet wurde.

Verzögerte Verwendung bezeichnet die im Gesetz vorgenommene Formulierung "nicht alsbald nach der Erbringung". Alsbald bedeutet, dass die Verwendung innerhalb einer zumutbaren, an der Art der Verwendung zu messenden Zeit nach Auszahlung der Leistung erfolgen muss.

Unter zweckfremder Verwendung versteht man die Verwendung der Geld- oder Sachleistung zu anderen als im Bescheid festgelegten Zwecken. Für die Frage, ob die Leistung zweckwidrig bewilligt wurde, ist nur der im Bewilligungsbescheid bestimmte Zweck maßgeblich. Eventuelle andere Zweckerwartungen oder Vorstellungen der Behörde berechtigen nicht zum Widerruf des Bescheides.

Nichterfüllung einer Auflage

Als weiterer Widerrufsgrund kommt, wie bereits im § 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, auch die Nichterfüllung von Auflagen in Betracht (siehe Abschnitt 2.3).

Nichtvorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens

Nach § 47 Abs. 2 S. 2 SGB X darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt über eine Geld- oder Sachleistung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht widerrufen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist.

Vertrauen und Ausschluss des Vertrauens

Der Betroffene muss auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut haben. Liegt ein derartiges Vertrauen nicht vor, weil es nach § 47 Abs. 2 S. 4 SGB X ausgeschlossen ist, stellt sich die Frage der Schutzwürdigkeit nicht.

Das Vertrauen ist ausgeschlossen, wenn der Begünstigte die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die zum Widerruf des Verwaltungsaktes geführt haben.

Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Definition des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn der Begünstigte die Umstände aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können beziehungsweise wenn er dasjenige unbeachtet gelassen hat, was jedem hätte einleuchten müssen.

Es gilt dabei ein subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab. Das heißt, dass auf die Erkenntnismöglichkeiten des Betroffenen abzustellen ist. Diese sind abhängig von den Umständen des Einzelfalles, wie zum Beispiel bei vorherigen Informationen durch den Rentenversicherungsträger in einem Beratungsgespräch, bei der Antragsaufnahme, durch vorausgegangenen Schriftwechsel oder durch Aushändigung eines Merkblatts.

Hinsichtlich des fehlenden Vertrauens trägt die Behörde die objektive Beweislast. Das bedeutet, dass die Nichtaufklärbarkeit des Sachverhaltes zulasten des Leistungsträgers geht.

Schutzwürdigkeit des Vertrauens/Interessenabwägung

Ist von einem Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsaktes auszugehen, stellt sich die Frage der Schutzwürdigkeit dieses Vertrauens. Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Bescheides abzuwägen mit dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf des Verwaltungsaktes.

Wenn nach erfolgter Abwägung die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten hinter dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf des Verwaltungsaktes zurücktritt, sind die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 47 Abs. 2 SGB X erfüllt.

Sofern die Schutzwürdigkeitsvermutung des § 47 Abs. 2 S. 3 SGB X greift, muss das öffentliche Interesse in der Regel gegenüber dem Vertrauen des Begünstigten zurückstehen.

Schutzwürdigkeitsvermutung

Gemäß § 47 Abs. 2 S. 3 SGB X ist das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsaktes in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Ein Verbrauch erbrachter Leistungen setzt voraus, dass die Leistung tatsächlich geflossen ist.

Eine schutzwürdige Vermögensdisposition kann jedoch sowohl vor als auch nach Erhalt der Leistung getroffen worden sein. Die Unzumutbarkeit der Rückgängigmachung einer Vermögensdisposition ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Zu beachten ist, dass eine Disposition nur dann die Schutzwürdigkeitsvermutung begründet, wenn sie nach Erlass des Verwaltungsaktes erfolgte. Eine Disposition "im Vorgriff" auf einen Bescheid erfolgt nicht im Vertrauen auf seinen "Bestand".

Ermessensentscheidung

An die Erfüllung der Voraussetzungen des § 47 SGB X knüpft Absatz 1 die Rechtsfolge, dass der rechtmäßige begünstigende Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann.

Dass der Bescheid nicht etwa zu widerrufen ist, sondern widerrufen werden kann, bedeutet, dass der Widerruf im Ermessen der Behörde liegt. Das Ermessen gibt einen Spielraum, ob und in welchem Umfang (ganz oder teilweise) der Verwaltungsakt widerrufen wird. Dabei sind jedoch keine willkürlichen Entscheidungen zulässig, denn nach dem Rechtsgedanken des § 39 SGB I ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen auszuüben (zur Ermessensausübung siehe GRA zu § 45 SGB X, Abschnitt 8).

Einjahresfrist

Nach § 47 Abs. 2 S. 5 SGB X gilt die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X entsprechend. Das bedeutet, dass die Behörde den Widerruf des Verwaltungsaktes mit Vergangenheitswirkung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen vornehmen muss, welche den Widerruf für die Vergangenheit rechtfertigen.

Zuständigkeit

Nach § 47 Abs. 3 SGB X gilt die Zuständigkeitsregelung des § 44 Abs. 3 SGB X entsprechend. Das bedeutet, dass nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde über dessen Widerruf entscheidet, und zwar selbst dann, wenn der Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Im Umkehrschluss gilt, dass vor Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die Kompetenz zum Widerruf bei der erlassenden Behörde liegt.

Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 02.05.1996 (BGBl. I S. 656)

Inkrafttreten: 21.05.1996

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 13/1534, 13/3868

Durch das „Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften“ vom 02.05.1996 (BGBl. I S. 656) wurde § 47 SGB X um einen neuen Absatz 2 ergänzt; der bisherige Absatz 2 wurde zum Absatz 3.

Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885)
Inkrafttreten: 03.10.1990 beziehungsweise 01.01.1991

Im Beitrittsgebiet gilt § 47 SGB X ab dem 03.10.1990 (Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23.09.1990, BGBl. II S. 885), im Bereich der Rentenversicherung ist er aber erst ab dem 01.01.1991 anzuwenden (Art. 8 und Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet D III Nr. 2 des Einigungsvertrages vom 31.08.1990, BGBl. II S. 889).

SGB X vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469, 2218)

Inkrafttreten: 01.01.1981

Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 8/2034

Der § 47 SGB X wurde mit dem SGB X vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469) eingeführt und ist ab dem 01.01.1981 in Kraft (Art. II § 40 Abs. 1 SGB X).

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 47 SGB X