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§ 32 SGB I: Verbot nachteiliger Vereinbarungen

Änderungsdienst
veröffentlicht am

11.11.2019

Änderung

Dokumentdaten
Stand20.05.2015
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGB I vom 11.12.1975 in Kraft getreten am 01.01.1976
Rechtsgrundlage

§ 32 SGB I

Version001.01

Inhalt der Regelung

Die Vorschrift beinhaltet eine für alle Sozialleistungsbereiche gültige Schutzfunktion. Mit dieser Vorschrift soll sichergestellt werden, dass die Regelungen des Sozialgesetzbuchs über Rechte und Pflichten sowie der von ihnen beabsichtigte Schutz des Einzelnen nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen beziehungsweise Absprachen beeinträchtigt werden.

§ 32 SGB I verallgemeinert den darin liegenden Schutzgedanken und erstreckt ihn auf alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs.

Die Vorschrift geht in ihrer Schutzwirkung über die Regelung des § 134 BGB hinaus, indem sie jede Abweichung vom zwingenden Recht für nichtig erklärt, unabhängig von der Frage, ob es sich um ein gesetzliches Verbot handelt.

Die Vorschrift bezieht sich nur auf privatrechtliche Vereinbarungen. Sie erfasst somit nicht Vereinbarungen zwischen dem Sozialleistungsberechtigten und dem Leistungsträger oder Vereinbarungen zwischen mehreren Leistungsträgern zum Nachteil des Berechtigten. Bei diesen Vereinbarungen handelt es sich um öffentlich-rechtliche Verträge, die in der Regel einen engen Zusammenhang mit dem Verwaltungsakt haben und für die somit ausschließlich die Bestimmungen der §§ 53 bis 61 SGB X maßgebend sind.

Geschützter Personenkreis - Sozialleistungsberechtigter 

Als Sozialleistungsberechtiger und von der Vorschrift geschützter Personenkreis kommen alle natürlichen oder juristischen Personen in Betracht. Soweit jemand nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs berechtigt ist, soziale Dienst- Sach- oder Geldleistungen in Anspruch zu nehmen, wird er gegen die Folgen nachteiliger Vereinbarungen geschützt. Nicht erforderlich ist, dass bereits ein bestimmter Anspruch entstanden ist, der von der Vereinbarung betroffen wäre. Es genügt vielmehr, dass er zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis gehört, auch wenn er erst in Zukunft - aller Voraussicht nach oder möglicherweise - die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Leistungsanspruch erfüllen wird.

Privatrechtliche Vereinbarungen

Darunter sind alle Übereinkünfte zu verstehen, die auf Grundlage des Zivilrechts geschlossen werden. Als privatrechtliche Vereinbarungen kommen nicht nur Einzelverträge, sondern auch kollektivrechtliche Vereinbarungen (zum Beispiel Tarifverträge) in Betracht.

Als eine weitere privatrechtliche Vereinbarung und damit ebenfalls dieser Norm unterliegend ist der Vergleich im Sinne des § 779 BGB anzusehen.

Die Rechtsfolge des § 32 SGB I tritt unabhängig davon ein, in welcher Form die Vereinbarung getroffen wurde. Somit ist zum Beispiel keine Schriftform erforderlich. Ausreichend ist jede Form der zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, auch wenn diese stillschweigend getroffen wird.

Im Bereich der Rentenversicherung werden zum Beispiel folgende Vereinbarungen davon erfasst:

  • Verträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern,
  • Unterhaltsvereinbarungen zwischen Ehegatten anlässlich der Scheidung (vergleiche auch § 90 SGB VI),
  • Abtretungserklärungen.

Definition „Nachteil“

Unwirksam sind nur Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten führen. So ist eine Vereinbarung nachteilig, wenn durch sie die Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten zu dessen Ungunsten verändert wird. Ein Nachteil liegt auch in der Verschärfung von Pflichten, welche dem Berechtigten auferlegt sind. Nicht entscheidend ist, ob sich der Nachteil materiell- oder verfahrensrechtlich auswirkt. Es reicht auch ein Nachteil ideeller Natur aus.

Privatrechtliche Vereinbarungen sind nur dann wirksam, wenn sie dem Sozialleistungsberechtigten einen Vorteil bringen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Arbeitgeber vertraglich einen höheren Beitragsanteil zur Sozialversicherung zahlt als gesetzlich vorgesehen.

Auswirkung

Weicht eine privatrechtliche Vereinbarung zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten ab, ist diese nichtig. Nichtigkeit bedeutet, dass die benachteiligende Vereinbarung keinerlei Rechtswirkung entfaltet und daher von niemanden zu beachten ist. Für den Sozialleistungsträger bedeutet dies, dass er so zu verfahren hat, als existiere die Vereinbarung nicht.

Bei Vereinbarungen, die für den Sozialleistungsberechtigten sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen, beurteilt sich die Frage einer eventuellen Teilnichtigkeit nach § 139 BGB. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist in der Regel die gesamte Vereinbarung nichtig, es sei denn, sie wäre auch ohne den nichtigen (nachteiligen) Teil abgeschlossen worden.

Teilnichtigkeit:

Zu beachten ist, dass § 32 SGB I nach der Gesetzesbegründung auf einen sozialen Schutz, der nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen beeinträchtigt werden soll (BT-Drucksache 7/868), zielt. Im Vordergrund steht hier nicht die umfassende Wertung einer privatrechtlichen Vereinbarung, sondern nur die gezielte Prüfung von Regelungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten vom Sozialgesetzbuch abweichen. Es gilt hier der in der Rechtsprechung anerkannte Grundsatz, dass Verstöße gegen Gesetze, die Vertragspartner vor bestimmten ungünstigen Klauseln schützen sollen, nicht die Nichtigkeit des gesamten Vertrages, sondern nur die Nichtigkeit der betreffenden Klausel herbeiführen, sodass der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt (so auch Wannagat/Rüfner, SGB, zu § 32 SGB I, Rz. 8 mit weiteren Hinweisen).

Daraus folgt, dass § 32 SGB I nur die Nichtigkeit des Teils der Vereinbarung anordnet, der zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten getroffen worden ist. Im Ergebnis tritt daher regelmäßig eine Teilnichtigkeit ein. Anstelle der nichtigen Vertragsklausel findet dann das zwingende Sozialrecht Anwendung (so auch KomGRV, § 32 SGB I, Anm. 4 und Gitter in BochKomm., § 32 Rdn. 33).

Wird zum Beispiel in einer Abtretungserklärung auf die Beachtung der Pfändungsfreigrenzen nach §§ 850c ff. ZPO verzichtet, ist die Abtretungserklärung nach § 32 SGB I nur insoweit nichtig, als sie eine vom § 53 Abs. 3 SGB I abweichende Regelung zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten enthält. Der restliche Inhalt der Vereinbarung wird davon nicht berührt.

Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885)
Inkrafttreten: 01.01.1991

Ausdehnung der Geltung des § 32 SGB I auf das Beitrittsgebiet mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages zum 01.01.1991 (Anl. Kapitel VIII Sachgeb. D Abschnitt III Nr. 1 Buchst. a EVertr).

SGB I vom 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015)

Inkrafttreten: 01.01.1976

Quelle zum Entwurf: BR-Drucksache 305/72

§ 32 SGB I ist am 01.01.1976 in Kraft getreten (Art. II § 23 Abs. 1 SGB I) und gilt seither unverändert.

Der in der Vorschrift aufgestellte Grundsatz, dass private Absprachen zum Nachteil des Berechtigten nicht zulässig sind, war im Sozialversicherungsrecht schon früher bekannt. So regelte der durch Art. II § 4 Nr. 1 SGB I aufgehobene § 139 RVO - an dessen Stelle § 32 SGB I getreten ist - dass es den Arbeitgebern und deren Angestellten untersagt war, durch Übereinkünfte oder Arbeitsordnung zum Nachteil des Versicherten die Anwendung von Vorschriften der entsprechenden Sozialversicherungsgesetze ganz oder teilweise auszuschließen. Zuwiderlaufende Vertragsbestimmungen waren nichtig.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 32 SGB I