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L 10 R 198/09

TATBESTAND

Die Beteiligten streiten - noch - darüber, ob in dem Versicherungskonto der Klägerin Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung auch für Zeiten nach dem 31. Dezember 2001 vorzumerken sind.

Die 1968 geborene Klägerin ist Mutter dreier am 18. Mai 1989, 13. August 1995 und 28. März 1997 geborener Kinder. Seit dem 1. August 1997 ist sie Mitglied der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen. Nach ihren Angaben arbeitete sie seit dem 1. April 2000 als angestellte Rechtsanwältin. Im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltsversorgung beantragte sie zugleich die Befreiung von der Versicherungspflicht bei der Beklagten, die dem mit Bescheid vom 28. Juli 2000 mit Wirkung ab dem 1. April 2000 entsprach. Seit dem 1. Januar 2002 ist die Klägerin nach ihrem Vorbringen als selbständige Rechtsanwältin mit einem Umfang von 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig.

Auf den von der Klägerin gestellten Antrag hin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 20. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2006 Kindererziehungszeiten für die drei Kinder der Klägerin in gesetzlichem Umfang für die Zeit bis zum 31. August 2001 fest. Kinderberücksichtigungszeiten stellte sie hingegen nur bis zum 31. März 2000 unter Hinweis auf die seit dem 1. April 2000 bestehende Befreiung von der Versicherungspflicht fest, die der Anerkennung weiterer Berücksichtigungszeiten entgegenstehe.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Oldenburg erhoben und geltend gemacht, alle Kinder seien vor ihrer Mitgliedschaft in der Rechtsanwalts Versorgung Niedersachsen geboren, sodass sie sich im Rahmen der aus dieser Versicherung zu gewährenden Leistungen nicht steigernd auswirkten. Sie seien daher im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen.

Mit von der Klägerin angenommenem Teilanerkenntnis vom 16. September 2008 hat die Beklagte weitere Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die Zeit vom 1. April 2000 bis 31. Dezember 2001 anerkannt. Für die danach liegende Zeit hat sie an der Ablehnung mit Hinweis auf § 57 Satz 2 SGB VI festgehalten, wonach die Feststellung von Kinderberücksichtigungszeiten für Selbständige ausgeschlossen sei, die keine Pflichtbeiträge zahlten.

Das Sozialgericht hat die auf die noch streitigen Zeiten gerichtete Klage mit Urteil vom 17. Februar 2009 als unbegründet abgewiesen und zur Begründung auf die Vorschrift des § 57 Satz 2 SGB VI verwiesen. Ein Raum für eine Auslegung der Vorschrift im Sinn des Begehrens der Klägerin bestehe nicht. Eine Ungleichbehandlung liege im Hinblick auf die Kinderberücksichtigungszeiten nicht vor.

Gegen das ihr am 11. März 2009 zugestellte Urteil wendet sich die am 14. April 2009 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Klagebegehren weiter verfolgt. Zu dessen Begründung macht sie geltend, dass auch die von ihr zu entrichtenden Pflichtbeiträge zur Rechtsanwaltsversorgung Pflichtbeiträge i.S. des § 57 Satz 2 SGB VI darstellten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müsse die gesetzliche Regelung auch im Hinblick auf Kinderberücksichtigungszeiten bei solchen von der Versicherungspflicht Befreiten ausgedehnt werden, die Mitglied in einem berufsständischen Versorgungswerk seien, das keine adäquaten Vergünstigungen für die Kindererziehung biete.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

1.das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. Februar 2009 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2006 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 16. September 2008 ab zu ändern,
2.die Beklagte zu verurteilen, im Versicherungskonto der Klägerin als weitere Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung die Zeiten vom 1. Januar 2002 bis 12. August 2005 und vom 1. Januar 2002 bis zum 27. März 2007 vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. Februar 2009 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die mit ihm überprüften Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Vormerkung der weiteren streitigen Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung hat. Dem Begehren steht § 57 Satz 2 SGB VI entgegen. Danach sind Zeiten einer Kindererziehung, die während Zeiten einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit zurückgelegt wurden, nur zu berücksichtigen, soweit sie auch Pflichtbeitragszeiten sind.

Zwischen den Beteiligten ist mit Recht nicht streitig, dass die Klägerin in der Zeit seit dem 1. Januar 2002 mehr als geringfügig selbständig erwerbstätig ist. Zutreffend gehen die Beteiligten auch davon aus, dass die Klägerin in der Zeit seit dem 1. Januar 2002 keine Beiträge an die Beklagte oder sonst im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Bei den von ihr zur Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen entrichteten Beiträgen handelt es sich unabhängig davon nicht um Pflichtbeiträge i.S. des § 57 Satz 2 SGB VI, ob die Klägerin zur Beitragszahlung verpflichtet ist. Pflichtbeitragszeiten sind nach den Legaldefinitionen in § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI solche Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge tatsächlich gezahlt worden sind oder für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten, wobei es sich nach dem Sachzusammenhang unzweifelhaft um solche Beiträge handeln muss, die zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind oder als gezahlt gelten. Eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Auslegung im Sinn des Begehrens der Klägerin ist aus der Sicht des Senats weder möglich noch etwa zur Vermeidung eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht erforderlich.

Insoweit kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg auf die bereits ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 22. Oktober 1998, Az.: B 5/4 RA 80/97 R, SozR 3-2600 §56 Nr. 12; vom 18. Oktober 2005, Az.: B 4 RA 6/05 R, SozR 4-2600 §56 Nr. 3; vom 31. Januar 2008, Az.: B 13 R 64/06 R, SozR 4-2600 § 56 Nr. 6) zu der Frage berufen, ob etwa in verfassungskonformer Auslegung die Vorschriften über die Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten dahin zu verstehen sind, dass sie auch für Mitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen gelten, die anderweitig keine vergleichbaren Vergünstigungen erhalten. Denn der Ausschluss der Vergünstigung der Klägerin durch § 57 Satz 2 SGB VI beruht nicht auf der für sie im Hinblick auf ihre Mitgliedschaft, in der Rechtsanwaltsversorgung ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht, sondern auf der tatsächlichen Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Zu dieser Vorschrift hat das Bundessozialgericht sich in den, drei von den Beteiligten genannten Entscheidungen nicht geäußert. Weil die Vorschrift die Klägerin nicht anders behandelt als Selbständige, die nicht Mitglied in einem berufsständischen Versorgungswerk sind, kommt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Grundgesetz unter diesem Gesichtspunkt schon nicht in Betracht. Zwar liegt eine Ungleichbehandlung zwischen selbständig tätigen Kindererziehenden mit Pflichtbeiträgen einerseits und selbständig tätigen Kindererziehenden mit nur freiwilligen oder gar keinen Beiträgen andererseits vor. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch auch vor dem Hintergrund des Art 3 Grundgesetz nicht zu beanstanden, weil für die unterschiedliche Behandlung plausible Gründe existieren. Insoweit hält der Gesetzgeber sich an die das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung durchziehende Grundentscheidung, dass selbständig Tätige an sich für Art und Höhe ihrer Alterssicherung selbst zu sorgen haben und nur dann ausnahmsweise in die rentenrechtlichen Vergünstigungen einbezogen werden sollen, wenn sie aufgrund besonderer Umstände in gleicher Weise schutzbedürftig erscheinen wie abhängig Beschäftigte. Diese Grundentscheidung prägt auch die Regelungen zur Gewährung von Vergünstigungen für Erziehungsleistungen durch Kinderberücksichtigungszeiten. Sie werden Selbständigen nur ausnahmsweise zuerkannt, nämlich wenn sie entweder nur geringfügig selbständig tätig sind oder Pflichtbeiträge entrichten. Für die beitragspflichtigen Selbständigen folgt ihre rentenrechtliche Schutzbedürftigkeit bereits daraus, dass sie - gerade wegen der von dem Gesetzgeber angenommenen Schutzbedürftigkeit - verpflichtend in dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen sind. Im Fall der geringfügig tätigen Selbständigen findet die Einbeziehung ihre Begründung in der Erwägung, dass eine solche Tätigkeit typischerweise eine vollständige Lebensgrundlage nicht zu gewährleisten in der Lage ist und deshalb aus dem Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit typischerweise auch eine vollständige Alterssicherung nicht aufgebaut werden kann. Außerdem findet bei einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit auch keine verbindliche Feststellung statt, ob die Tätigkeit etwa an sich eine Versicherungspflicht begründen würde.

Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung gänzlich anders ist die Lage hingegen bei solchen in mehr als geringfügigem Umfang selbständig Tätigen, die entweder keine oder nur freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Insbesondere bei den zuletzt Genannten unterliegt es ihrer Willensentscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung Maßnahmen zur Alterssicherung vornehmen. Selbst soweit sie sich zu einer regelmäßigen Zahlung von freiwilligen Beiträgen entschieden haben, müssen diese - anders als bei Pflichtbeiträgen, §§ 161 ff SGB VI - nicht in einer bestimmten Relation zu der Höhe des Erwerbseinkommens stehen. Eine etwaige Einkommensminderung durch Kindererziehung muss sich also auf die Beitragshöhe und damit auf die erworbene Anwartschaft auf eine Alterssicherung nicht auswirken. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die von der Klägerin zu entrichtenden Pflichtbeiträge zur Rechtsanwaltsversorgung. Nach der Satzung der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen hat die Klägerin als selbständig tätige Rechtsanwältin Pflichtbeiträge in selbstbestimmter Höhe zu zahlen, die eine bestimmte Relation zu dem aus der Tätigkeit erzielten Einkommen nicht haben muss.

Die gegenüber den leistungsrechtlichen Auswirkungen einer Kindererziehungszeit andersartigen Auswirkungen einer Kinderberücksichtigungszeit rechtfertigen auch eine differenzierende Betrachtungsweise bei der Gewährung der Vergünstigung an Selbständige. Während Kindererziehungszeiten durch die Zuordnung von Entgeltpunkten sich unmittelbar steigernd auf die Rentenhöhe auswirken, ist dies bei Kinderberücksichtigungszeiten nicht der Fall. Diese führen nur unter den eng begrenzten - im Fall der Klägerin wohl auch nicht vorliegenden - Voraussetzungen des § 70 Abs. 3a Satz 2 Buchst, a) SGB VI für den Fall zu einer zusätzlichen Gutschrift von Entgeltpunkten, dass tatsächlich Pflichtbeiträge für ein nur unterdurchschnittliches Entgelt gezahlt worden sind. Dies würde in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen der Berechnungsvorschriften über die Höhe der Rentenleistungen zu einer Minderung der Rente führen, die durch die zusätzlich gutgeschriebenen Entgeltpunkte ganz oder teilweise ausgeglichen werden soll. Sind hingegen keine Pflichtbeiträge gezahlt, führt § 70 Abs. 3a Satz 2 Buchst, a) SGB VI auch nicht zu einer zusätzlichen Gutschrift von Entgeltpunkten. Dass sich dies so auch auf die Klägerin auswirkt, ist im Hinblick auf die im Bereich der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen für selbständige Rechtsanwälte geltende entgeltunabhängige Beitragshöhe unbedenklich, denn auch eine etwa durch Kindererziehungsleistungen bedingte Einkommensminderung aus der selbständigen Tätigkeit führt nicht zu einer Minderung der Rentenhöhe.

Etwas anderes gilt nur für die Zeiten der gleichzeitigen Erziehung mehrerer Kinder nach § 70Abs. 3a Satz 2 Buchst, b) SGB VI, was bei der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 12. August 2005 vorgelegen hat. Für solche Zeiten werden nach der genannten Vorschrift zusätzliche Entgeltpunkte unabhängig von dem Vorliegen von Pflichtbeiträgen gutgeschrieben. Nach der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift diejenigen Elternteile begünstigen, die wegen der gleichzeitigen Erziehung mehrerer Kinder nicht einmal eine Teilzeiterwerbstätigkeit ausüben können (BT-Drs 14/4595 S. 48). Diese Motivation des Gesetzgebers macht aber zugleich deutlich, dass die von § 57 Satz 2 SGB VI von der Vergünstigung der Kinderberücksichtigungszeiten ausgeschlossenen mehr als geringfügig selbständig erwerbstätigen Elternteile gerade nicht zu den Personen gehören, die von § 70 Abs. 3a Satz 2 Buchst, b) SGB VI begünstigt werden sollen.

Soweit im Übrigen die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung sich im Rahmen des § 71 SGB VI bei der Gesamtleistungsbewertung auswirken, besteht ebenfalls kein Anlass, diese Vergünstigung zwingend all denjenigen zu gewähren, die keine Beitragsleistungen in die gesetzliche Rentenversicherung erbringen. Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist der - monatsbezogene - Durchschnittswert an Entgeltpunkten im belegungsfähigen Zeitraum zu ermitteln. Dabei ist die Gesamtsumme an durch Beitragszahlungen erworbenen Entgeltpunkten durch die Anzahl der belegungsfähigen Monate zu teilen, § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB VI. Durch die Berücksichtigung zusätzlicher Entgeltpunkte für Kinderberücksichtigungszeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung soll derjenige Nachteil ausgeglichen werden, der sich auf den über das gesamte Erwerbsleben ermittelten Durchschnittswert an monatlichen Entgeltpunkten dadurch ergibt, dass womöglich in Zeiten einer Kindererziehung nur verminderte Beiträge aufgrund eines geminderten Entgeltes entrichtet worden sind. Sind aber, wie im Fall der Klägerin, für die Zeiten der Kindererziehung überhaupt keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden, so kann damit denknotwendigerweise eine Minderung des Durchschnittswertes an Entgeltpunkten durch geminderte Beiträge in den Erziehungszeiten nicht eintreten. Ein auszugleichender Nachteil entsteht damit nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Anlass für die Zulassung der Revision besteht im Hinblick auf die aus der Sicht des Senats eindeutige Formulierung des Gesetzeswortlautes nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

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