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L 11 Kr 75/84

Aus den Gründen

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über den Erlaß von Säumniszuschlägen und Zinsen auf Beiträge zu den RVen der Arbeiter und Angestellten.

Der Kläger war persönlich haftender Gesellschafter der …-KG, über die am 7.6.1967 das Konkursverfahren eröffnet wurde, während die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Klägers mangels Masse am 13.6.1967 abgewiesen wurde. Das Konkursverfahren wurde am 8.1.1969 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Forderung der Beklagten gegenüber dem Kläger an Gesamt-SV-Beiträgen für die Zeit v. 1.8.1966 bis 2.5.1967 noch 24.966,51 DM. In der Folgezeit bis 1978 unternahm die Beklagte laufend Vollstreckungsversuche, die überwiegend fruchtlos verliefen, teilweise zu einem geringen Erfolg führten. Der Kläger war zeitweise arbeitslos, bei seiner Ehefrau beschäftigt und zeitweise au. krank. Seit 1977 bezieht er eine Rente von der BfA, der Beigeladenen zu 1). Die Ehefrau war und ist berufstätig. Der Kläger hat vier Kinder.

Die Beitragsrückstände wurden im wesentlichen seit Februar 1978 getilgt durch Verrechnung seitens der Beigeladenen zu 1) mit den Rentenzahlungen an den Kläger.

Die Säumniszuschläge hatte die Beklagte erstmals mit Bescheid v. 4.5.1971 für die Zeit v. 1.7.1969 bis 31.3.1971 in Höhe von 3.555,67 DM berechnet. Mit Bescheid vom 3.2.1981 berechnete die Beklagte die Säumniszuschläge bis zu diesem Tage mit 13.739,90 DM und mit Schreiben vom 14.1.1982 die Säumniszuschläge mit insgesamt 17.821,95 DM. Diese Forderung ist inzwischen ausgeglichen durch weitere Verrechnungen seitens der Beigeladenen zu 1) mit den Rentenansprüchen des Klägers, indem ab Januar 1982 monatlich 564,40 DM und ab Juli 1983 monatlich 589,90 DM einbehalten worden waren.

Am 26.1.1982 beantragte der Kläger den Erlaß der Säumniszuschläge. Er begründete ihn damit, daß seine vier Kinder noch in der Ausbildung seien und er zudem für die Beitragsschulden der ...-KG allein aufgekommen sei. Dies lehnte die Beklagte ab, weil die Beigeladenen zu 1) und 2) ihre Einwilligung nicht erteilt hatten. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der zurückgewiesen wurde.

Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Erlaßantrag des Klägers vom 26.1.1982 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klage insoweit begründet sei, weil die Beklagte die Grenzen ihres Ermessens überschritten habe. Bei der Überprüfung, ob in der Einziehung eine besondere Härte vorliege, sei auf die Zeiträume der Entstehung der Säumniszuschläge abzustellen. Seit Mitte 1976 lägen die Voraussetzungen einer besonderen, also untypischen Härte wegen der Erkrankung des Klägers im Hinblick auf die wirtschaftl. Verhältnisse und seine Unterhaltsverpflichtungen vor, so daß die Beklagte bei erneuter Bescheidung des Erlaßantrages eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen habe, in welcher Höhe die Säumniszuschläge, die seit Mitte 1976 angefallen seien, erlaßfähig seien.

Gegen dieses Urteil haben die Beigeladene zu 1) und die LVA NR die Beigeladene zu 2) Berufung eingelegt.

Die Berufungen sind begründet.

Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, über den Erlaß der ab Mitte 1976 entstandenen Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Wegen der Berufungseinlegung allein durch die Beigeladenen zu 1) und 2) hat der Senat nur bezüglich der auf die Beiträge zu den RVen der Arbeiter und der Angestellten entfallenden Säumniszuschläge zu entscheiden.

Nach § 397a Abs. 2 RVO i.d.F. bis zum 30.6.1977 haben die KKn Zinsen in Höhe von 2 v.H. über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank von Arbeitgebern zu erheben, die mit der Zahlung von Beiträgen länger als drei Monate in Verzug sind. Diese Voraussetzungen lagen vor, so daß der Anspruch der Beklagten auf die Säumniszuschläge in im übrigen nicht bestrittener Höhe entstanden ist. Diese bisherige Regelung gilt weiter; die neue Vorschrift des Art. 1 § 24 SGB IV gilt nur für die nach Inkrafttreten des 4. Buches des Sozialgesetzbuches zum 1.7.1977 fällig werdenden Beitragsansprüche (Art. 2 § 14 des Gesetzes vom 23.12.1976). Die Bescheide der Beklagten über die Erhebung und Berechnung der Säumniszuschläge sind auch bestandskräftig (§ 77 SGG) geworden.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte über den Erlaß der Säumniszuschläge bezüglich der den Beigeladenen zu 1) und 2) zustehenden Beiträge eine erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts trifft (§§ 54 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 3 SGG). Die Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtmäßig, Ermessensfehler liegen nicht vor.

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV darf ein VTr Ansprüche nur erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde. Dabei stellt sich die Frage einer rechtmäßigen Ermessensausübung über den Umfang des Erlasses erst, wenn die übrigen gesetzl. Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist das Vorliegen einer besonderen Härte. Dieser Tatbestand ist von den Gerichten voll nachprüfbar. Davon geht auch das SG zutreffend aus. Der Senat kann sich aber nicht den weiteren Erwägungen des SG anschließen, daß für die Prüfung des Vorliegens einer besonderen Härte auf den Zeitpunkt oder den Zeitraum der jeweiligen Entstehung der Säumniszuschläge abzustellen sei. Vielmehr kommt es nach seiner Überzeugung allein auf die Umstände im Zeitraum der Einziehung, das heißt der Geltendmachung und Vollziehung bzw. Vollstreckung dieser Forderung, insbesondere auf den Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung über den Erlaß an. Das ergibt sich bereits zwanglos aus dem Wortlaut des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV. Ob im Wege der Sinn- und Zweckauslegung auch abzuleiten ist, daß ein Erlaßantrag schon früher gestellt werden kann, wenn eine Einziehung der Forderung nicht möglich ist - wie das SG gemeint hat -, bleibt unerheblich, weil es sich hier nicht um eine solche Fallgestaltung handelt und allein über den Erlaßantrag des Klägers vom 26.1.1982 zu entscheiden ist. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV hat entgegen der Auffassung des SG gerade auch beim Abstellen auf den Zeitraum der Einziehung seinen Anwendungsbereich. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang sowohl mit der Regelung des früheren § 397a Abs. 2 RVO als auch der des ab 1.7.1977 geltenden § 24 SGB IV. Nach der alten, hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 397a Abs. 2 RVO sind die Säumniszinsen zu erheben. Auf eine Willensbildung der Einzugsstelle (§§ 1399, 1400 Abs. 1 RVO, §§ 121, 122 Abs. 1 AVG) kommt es nicht an. Dieser sind Ermessenserwägungen mit einem entsprechenden Ermessensspielraum erst im Rahmen der Prüfung des Erlasses übertragen. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV ist in diesem Verfahren anwendbar (Art. 2 § 17 des Gesetzes vom 23.12.1976). Demgegenüber ist nach neuem Recht (§ 24 SGB IV) bereits die Erhebung von Säumniszuschlägen in das Ermessen der Einzugsstelle gestellt, bei dessen Ausübung der Natur der Sache nach nur die jeweiligen aktuellen Umstände zum Zeitpunkt der Erhebung berücksichtigt werden können. Daß dieselben Umstände bei der in der Regel später zu treffenden Entscheidung über den Erlaß wiederum maßgeblich sein sollten, wäre unlogisch.

Von der Rechtsüberzeugung des Senates her kann insbesondere auch eine Verschlechterung der Einkommensverhältnisse nach der Festsetzung von Säumniszuschlägen berücksichtigt werden, was von der Rechtsmeinung des Klägers her nicht möglich wäre. Zudem ginge die Regelung des § 24 SGB X über die Erhebung von Säumniszuschlägen - von Fällen böswilliger Zahlungsverweigerung trotz guter wirtschaftl. Lage abgesehen -, wenn man es auf die rechtl. Sicht des Klägers abstellen wollte, häufig ins Leere, weil die wirtschaftl. Lage des Schuldners im Regelfall schlecht sein wird; sonst käme es nämlich nicht zur verspäteten Zahlung bei Beiträgen und Beitragsvorschüssen.

Die Einziehung der Säumniszuschläge ab Januar 1982 bedeutete für den Kläger in diesem Zeitraum keine besondere Härte. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn sich der Schuldner in einer unverschuldeten Notlage befindet und seine Existenz bei Weiterverfolgung des Anspruchs gefährdet würde (Peters, Gemeinsame Vorschriften der SV, § 76 Anm. 5 Seite 584-1 -; Hauck-Heines, SGB IV, § 76 Randnr. 12). Der Unterschied zur erhebl. Härte für die Stundung nach § 76 Randnr. 12). Der Unterschied zur erhebl. Härte für die Stundung nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV ist in der dauernden Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz zu sehen (Krause / von Maydel / Merten / Meydam, § 76 Randnr. 16), weil der Erlaß den dauernden und endgültigen Verzicht auf den entstehenden Anspruch beinhaltet.

Eine besondere Härte liegt deswegen nicht vor, weil die wirtschaftl. Existenz des Klägers in den Jahren 1982 bis zum Ausgleich der Restschuld Anfang 1984 nicht gefährdet war. Dem Kläger verblieb ab Januar 1982 ein monatl. Rentenzahlbetrag von mindestens 1.090,20 DM. Die Ehefrau des Klägers verdiente ein Gehalt von brutto 2.448,74 DM und netto 1. 790,85 DM. Ihr Einwand, daß sie in unzumutbarer Weise mitgearbeitet habe, bezieht sich nicht mehr auf diesen Zeitraum, denn die vier Kinder waren bereits volljährig. Die Tochter H. (geb. …) bezog eine Ausbildungsvergütung als Auszubildende in der Zeit v. 1.8.1980 bis 31.1 1983, danach ein eigenes Einkommen. Der Sohn P. leistete 1982 Wehrdienst bei der Bundeswehr und bedurfte keiner elterl. Unterstützungsleistung, ebenso der Sohn J. (geboren …) ab 1.7.1982, der davor BAFöG-Leistungen in Höhe von monatlich 545,00 DM bezog. Diese Leistung in Höhe von 510,00 DM stand auch dem … geborenen Sohn V. als Medizinstudent zu. Bei diesem Gesamteinkommen und einer Mietbelastung von 643,00 DM war der angemessene Lebensunterhalt des Klägers gesichert und keinesfalls gefährdet. Von einer wirtschaftl. Notlage kann nicht gesprochen werden, auch wenn die übrigen Schulden - auf die der Kläger hingewiesen hat - berücksichtigt würden.

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