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L 9 KR 104/03

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2003 wird zurückgewiesen und die hilfsweise erhobene Klage wird abgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren und das weitere Klageverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der klagende Rentenversicherungsträger begehrt von der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle Schadensersatz wegen einer zu Unrecht durchgeführten Erstattung, hilfsweise wegen einer zu Unrecht erfolgten Einbehaltung von Rentenversicherungsbeiträgen.

Der Beigeladene wurde auch im Jahre 1991 als versicherungspflichtig u.a. in der Rentenversicherung geführt, es wurden für ihn Pflichtbeiträge an die Beklagte entrichtet, die diese an die Klägerin weiterleitete. In der Zeit vom 11. März 1992 bis zum 08. April 1992 erbrachte die Klägerin Rehabilitationsleistungen für den Sohn des Beigeladenen.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 02. Juni 1993 stellte die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen fest, es bestehe ab dem 01. Januar 1991 keine Versicherungspflicht. Auf Antrag des Beigeladenen erstattete die Beklagte ihm und seiner „Arbeitgeberin“ am 10. März 1994 unter Anderem für die Zeit vom 01. Januar 1991 bis zum 29. Februar 1992 Sozialversicherungsbeiträge, darunter Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 16.408,20 DM (8.389,38 Euro). Am selben Tage verrechnete die Beklagte diesen Geldbetrag mit Rentenversicherungsbeiträgen anderer Versicherter, die die Beklagte als Einzugsstelle an die Klägerin hätte abführen müssen.

Erstmals im Januar 1995 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, die Beitragserstattung der Rentenversicherungsbeiträge bis zum 29. Februar 1992 sei zu Unrecht erfolgt, weil der Beigeladene für seinen Sohn Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten habe. Die Beklagte sagte daraufhin der Klägerin zu, den Erstattungsbetrag nachzuzahlen, wenn eine diesbezügliche Rückzahlungsforderung der Beklagten gegenüber dem Beigeladenen erfolgreich sein werde. Nachdem die Beklagte im Ergebnis erfolglos versucht hatte, den Geldbetrag von dem Beigeladenen zurück zu erhalten, weigerte sie sich endgültig, den Betrag der Klägerin zu erstatten.

Mit ihrer am 25. April 2000 zu dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage hat die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz i.H.v. 16.408,20 DM verlangt. Das Sozialgericht hat diese Klage durch Urteil vom 27. Juni 2003 abgewiesen: Zwar erscheine der von der Klägerin behauptete Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus positiver Forderungsverletzung nicht vollkommen ausgeschlossen. Dieses Rechtsinstitut sei auch im Sozialversicherungsrecht anerkannt, es sei denkbar, dass aus der Verletzung einer Pflicht als Einzugsstelle die Beklagte gegenüber der Klägerin hätte Schadensersatz leisten müssen. Jedoch sei dieser Anspruch verjährt, die Beklagte habe sich wirksam auf die Einrede der Verjährung berufen können, weil die vierjährige Verjährungsfrist bei Erhebung der Klage am 25. April 2000 bereits verstrichen gewesen sei.

Gegen dieses ihr am 22. Juli 2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. August 2003 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt: Das Sozialgericht habe zu Recht das Bestehen eines Schadensersatzanspruches dem Grunde nach bejaht. Dieser Anspruch sei aber entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht verjährt. Zum einen sei die Verjährung durch den umfangreichen Schriftwechsel zwischen den Hauptbeteiligten gehemmt worden, zum anderen sei die Berufung der Beklagten auf die Einrede der Verjährung auch treuwidrig, weil die Beklagte die Klägerin von der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche abgehalten habe. Hilfsweise stützt sie ihren Anspruch auch darauf, dass die Beklagte die ihr als Einzugsstelle gemäß § 28 k Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) obliegende Pflicht zur Abführung von Beiträgen verletzt habe und deshalb gemäß § 28 r SGB IV Schadenersatz schulde.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Schadensersatz in Höhe von 8.389,38 Euro zu zahlen,
  1. hilfsweise,
  • die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen,
  1. hilfsweise,
  • die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und den hilfsweise geltend gemachten Anspruch nicht für gegeben.

Der Beigeladene stellt keine Anträge.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschrift zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit dem Berichterstatter vom 07. Juli 2006 sowie auf die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten Bezug genommen, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Sowohl die Berufung als auch die hilfsweise im Berufungsverfahren erhobene weitere Klage sind zulässig, haben jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der behauptete Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen einer zu Unrecht vorgenommenen Beitragserstattung besteht nicht.

In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob das Institut der positiven Forderungsverletzung auch analog auf sozialversicherungsrechtliche Rechtsverhältnisse anzuwenden ist und ob vorliegend die hierfür erforderliche sozialrechtliche Nähebeziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten gegeben ist. Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches scheitert jedenfalls daran, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin keine Pflichtverletzung begangen hat und der Klägerin durch das Verhalten der Beklagten kein Schaden entstanden ist. Denn die von der Beklagten vorgenommene Beitragserstattung gegenüber dem Beigeladenen war rechtlich wirkungslos, das heißt sie entfaltete weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber dem Beigeladenen Rechtswirkungen. Die Beklagte war zur Vornahme der Beitragserstattung nicht zuständig und hat insoweit die ihr gesetzlich und vertraglich eingeräumte Befugnisse überschritten. Die von ihr so bezeichnete Beitragserstattung an den Beigeladenen stellt sich als schlichte Geldzahlung dar, die keine weiteren Rechtwirkungen auslösen und weder eine Pflicht gegenüber der Beklagten verletzen noch einen Schaden bei ihr herbeiführen konnte.

Nach § 211 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) erfolgt die Erstattung zu Unrecht gezahlter Rentenversicherungsbeiträge im Grundsatz durch den jeweils nach den Regelungen des Dritten Kapitels des SGB VI zuständigen Rentenversicherungsträgers. Unter weiteren Voraussetzungen kann allerdings die Zuständigkeit auch auf die Einzugsstelle übergehen gemäß § 211 Satz 1 SGB VI, wenn die Träger der Rentenversicherung dies mit den Einzugsstellen oder den Leistungsträgern vereinbart haben. Eine solche Vereinbarung wurde getroffen durch die so genannten Gemeinsame Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (Gemeinsame Grundsätze der Kranken- und der Rentenversicherungsträger sowie der Bundesanstalt für Arbeit) vom 09. November 1989, Die Beiträge 1990, Seite 44. Aber auch ausweislich dieser Vereinbarung ist die Zuständigkeit für die Beitragserstattung im vorliegenden Fall nicht von dem im Grundsatz zuständigen Rentenversicherungsträger, das heißt der Klägerin, auf die Einzugsstelle, das heißt die Beklagte, übergegangen. Denn nach Ziffer 3.3.2 Buchstabe a der genannten Vereinbarung bleibt für die Bearbeitung des Antrags auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Rentenversicherungsbeiträge der Rentenversicherungsträger zuständig, wenn seit Beginn des Erstattungszeitraums Leistungen (Rehabilitationsmaßnahmen oder Rente) gewährt worden sind. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, denn die Klägerin hat seit Beginn des Erstattungszeitraums (01. Januar 1991) Leistungen der Rehabilitation an den Kläger für dessen Sohn gewährt (Leistungszeitraum 11. März 1992 bis 08. April 1992).

Die Beklagte hat bei der Vornahme der Erstattung außerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse gehandelt. Dies führt aber zugleich dazu, dass sie gegenüber der Klägerin weder eine Pflicht verletzen noch einen Schaden auslösen konnte. Weder konnte das Versicherungskonto des Beigeladenen verändert werden, noch konnte die Beklagte wirksam über Beiträge, die bereits an die Klägerin abgeführt worden waren, im Nachhinein wirksam verfügen. Sowohl das Beitragskonto für den Beigeladenen als auch dessen Versichertenkonto sind durch die zu Unrecht vorgenommene Auszahlung der Geldbeträge durch die Beklagte nicht berührt worden.

In diesem Zusammenhang spricht im Übrigen vieles dafür, dass die in der unrichtigen Annahme der Versicherungspflicht für den Kläger gezahlten Beiträge, die hier nicht wirksam erstattet wurden, gemäß § 202 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) in freiwillige Rentenversicherungsbeiträge des Klägers umzuwandeln sind. Die Klägerin hat bereits durch internen Vermerk vom 17. November 1995 (Bl. 104 der Verwaltungsakten der Klägerin) festgestellt, dass bei einer Rückgängigmachung der Erstattung die Beiträge des Beigeladenen für die Zeit vom Januar 1991 bis zum Februar 1992 gemäß § 202 Satz 1 SGB VI als freiwillige Beiträge zu gelten hätten. Es spricht vieles dafür, dass dies genauso gilt, wenn - wie vorliegend - die vermeintliche Beitragserstattung von Anfang an rechtlich wirkungslos war. Der Senat weist darauf hin, dass insoweit die Klägerin den Beigeladenen noch wird beraten müssen.

2. Die im Berufungsverfahren hilfsweise vorgenommene Klageerweiterung ist zulässig gemäß § 99 SGG, denn sie ist sachdienlich, außerdem hat sich die Beklagte jedenfalls auch durch die diesbezüglich erhobene Einrede der Verjährung in der Sache auf den erweiterten Streitgegenstand eingelassen. Jedoch ist auch diese Klage unbegründet.

Zwar besteht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch gemäß § 28 r SGB IV, denn die Beklagte hat die ihr als Einzugstelle gemäß § 28 k SGB IV gegenüber der Klägerin obliegende Pflicht zur ordnungsgemäßen Abführung von Rentenversicherungsbeiträge durch Verrechnung des streitbefangenen Betrages am 10. März 1994 verletzt. Die Verrechnung dieses Betrages erfolgte zu Unrecht, denn ihr lag - wie bereits ausgeführt - keine wirksame Beitragserstattung zugrunde. Die Beklagte hätte den Betrag nicht von den übrigen Rentenversicherungsbeiträgen, die sie an diesem Tage an die Klägerin abführte, absetzen dürfen.

Jedoch ist dieser Anspruch verjährt, die Beklagte hat die diesbezügliche Einrede der Verjährung auch wirksam und rechtsfehlerfrei erhoben. Nach § 25 Absatz 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Dies bedeutet, dass der Anspruch der Kläger auf Abführung der streitbefangenen Beiträge, die die Beklagte am 10. März 1994 hätte abführen müssen, jedoch zu Unrecht nicht abgeführt hat, nach dem 31. Dezember 1998 verjährt waren. Die Voraussetzungen einer dreißigjährigen Verjährung nach § 25 Absatz 1 Satz 2 SGB IV - nämlich eine vorsätzliche Vorenthaltung der Beiträge - sind vorliegend ersichtlich nicht erfüllt.

Die Verjährung war - entgegen der Auffassung der Klägerin - in der Zwischenzeit auch nicht gehemmt. Zwar tritt gemäß § 198 Satz 2 SGB VI eine Hemmung der Verjährung nach § 25 Absatz 1 SGB IV ein, wenn ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren auf einen Rentenanspruch durchgeführt werden. Nach Eintritt der Fälligkeit der Beitragsansprüche am 10. März 1994 jedoch hat zwischen den Beteiligten kein Beitrags- oder Rentenverfahren stattgefunden. Der Beitragsanspruch, der hier verjährt ist, betraf nicht die Beiträge des Beigeladenen, sondern anderer, hier namentlich nicht bekannter Versicherter, für die die Beklagte ebenfalls als Einzugsstelle zuständig war. Es ist weder von den Beteiligten vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass hinsichtlich dieser sonstigen Versicherten der Beklagten ein Beitrags- oder Rentenverfahren anhängig war.

Die Verjährung war auch nicht gemäß § 25 Absatz 2 Satz 1 SGB IV in Verbindung mit § 203 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gehemmt. Nach § 203 Satz 1 BGB kann eine Hemmung der Verjährung eintreten, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände stattfinden. Hierbei kann offen bleiben, ob im vorliegenden Fall tatsächlich zwischen den beiden Hauptbeteiligten derartige Verhandlungen stattgefunden haben, denn die Vorschrift des § 203 BGB ist ohnehin nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar. Sie ist erst zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten und gemäß Artikel 229 § 6 des Einführungsgesetzes zum BGB nicht auf solche Ansprüche anzuwenden, die - wie im vorliegenden Fall - bei Inkrafttreten der Vorschrift bereits verjährt waren.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte auch nicht rechtsmissbräuchlich. Es gibt zwischen Rechtssubjekten der vollziehenden Gewalt keinen Rechtssatz des Inhalts, dass im Ergebnis der nach materiellem Recht anspruchsberechtigte Träger stets den ihm zustehenden Ersatz erhält; anderenfalls wäre kein Raum für Verjährungsvorschriften. Infolgedessen ist der Eintritt der Verjährung grundsätzlich nur vom Zeitablauf abhängig (BSG, Urteil vom 14. März 2006, 4 RA 8/05 R, zitiert nach juris). Gerade bei Ausgleichsansprüchen zwischen Trägern liegt es im Interesse des Rechtsfriedens, wenn Erstattungsansprüche innerhalb angemessener Frist abgewickelt werden. Die Erhebung der Verjährungseinrede findet im öffentlichen Recht ihre Grenze nur in den rechtsstaatlichen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Insbesondere der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann der Verjährungseinrede entgegenstehen, und zwar dann, wenn sich der Verpflichtete in Widerspruch zu einem früheren Verhalten gesetzt hat, etwa wenn die Beklagte die Klägerin von der rechtzeitigen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs abgehalten hätte (BSG a.a.O., vgl. auch Urteil vom 30. September 1993, 4 RA 6/92 ). Hierfür bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt davon abgehalten, die am 10. März 1994 fällig gewordenen, aber nicht vollständig an die Klägerin weitergeleiteten Beiträge anderer Versicherter als des Beigeladenen nachzufordern. Denn zwischen den Beteiligten ist stets nur über zu Unrecht erstattete Beiträge des Beigeladenen korrespondiert worden, nicht jedoch über die nicht abgeführten Beiträge anderer Versicherter.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

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