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1 BvL 55/83

Tenor

1. AVG § 42 Satz 1 in der Fassung des Art. 4 Nr. 2 Buchst. a des Ersten Gesetzes zur Reform des EheRG 1 vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit nach dem 30. Juni 1977 geschiedene Ehefrauen auch dann keine Hinterbliebenenrente erhalten, wenn ein Versorgungsausgleich nicht stattgefunden hat, weil ihre früheren Ehemänner während der Ehe keine Versorgungsanwartschaften erworben hatten.

Gründe

A.

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß einer geschiedenen Ehefrau eines Versicherten, obschon ein Versorgungsausgleich nicht stattgefunden hat, kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente zusteht, wenn ihre Ehe mit dem verstorbenen Versicherten nach dem 30. Juni 1977 geschieden worden ist.

I.

1. In der gesetzlichen Rentenversicherung haben frühere Ehefrauen eines Versicherten, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden, für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, beim Tode des Versicherten Anspruch auf Hinterbliebenenrente (Geschiedenen- Witwenrente). Der Anspruch bestand nach früherem Recht, wenn dem Versicherten zur Zeit seines Todes Rente zustand oder wenn er zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit tatsächlich oder fiktiv erfüllt hatte (§ 40 Abs. 2 AVG = § 1263 Abs. 2 RVO) und wenn er zur Zeit seines Todes seiner früheren Ehefrau Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten oder das im letzten Jahr vor seinem Tode getan hatte (§ 42 Satz 1 AVG = § 1265 Satz 1 RVO). Das Bundessozialgericht hat dazu in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß Unterhalt im Sinne dieser Vorschriften nur ein nominell ins Gewicht fallender Betrag sein könne. Davon sei auszugehen, wenn der vom Versicherten zu zahlende oder tatsächlich gezahlte Betrag mindestens 25 v.H. des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe entspreche (BSG, SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 63 m.w.N.).

2. Mit der zum 1. Juli 1977 erfolgten Neuregelung des Scheidungsrechts durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) wurden die Bestimmungen der §§ 1587 bis 1587 p in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt. Sie regelten den im Falle der Scheidung einer Ehe nach dem 30. Juni 1977 durchzuführenden Versorgungsausgleich, der grundsätzlich die hälftige Aufteilung der von den Eheleuten während des Bestehens ihrer Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften vorsieht. Im Zusammenhang damit wurde durch Art. 4 Nr. 2 Buchst. a) des 1. EheRG bestimmt, daß Geschiedenen-Witwenrente nur noch solchen Frauen gewährt würde, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 beendet worden ist:

§ 42 AVG§ 1265 RVO
Einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, wird nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat....

II.

Die im Jahre 1923 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens war seit 1974 mit dem im Februar 1980 verstorbenen Versicherten verheiratet. Ihre Ehe ist im Februar 1979 geschieden worden. Ein Versorgungsausgleich hat bei der Scheidung nicht stattgefunden, weil der Versicherte im Zeitpunkt seiner Eheschließung bereits Altersruhegeld bezog, so daß während der Ehezeit keine Anwartschaften oder Aussichten auf eine Versorgung entstanden waren.

Nach der Ehescheidung zahlte der geschiedene Ehemann Unterhalt an die Klägerin des Ausgangsverfahrens in einer Höhe, die jeweils über dem Regelsatz der Sozialhilfe lag. Im Zeitpunkt seines Todes stand ihm ein Altersruhegeld von 1957,30 DM monatlich zu. Für die Klägerin des Ausgangsverfahrens lebten nach der Scheidung eine Witwenrente der Seekasse in Höhe von 643,60 DM sowie Witwenbezüge aus der Kriegsopferversorgung von 618,00 DM wieder auf, die sie nach dem Tode ihres Ehemannes aus erster Ehe bis zur Wiederverheiratung bezogen hatte.

Der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente wurde vom Versicherungsträger abgelehnt, weil ihre Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden worden sei. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

III.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,

ob § 42 Satz 1 AVG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar sei, als nach dem 30. Juni 1977 geschiedene Ehefrauen auch dann keine Hinterbliebenenrente erhielten, wenn der geschiedene und unterhaltsverpflichtete frühere Ehemann bereits zu Beginn der Ehe Rentner gewesen und ein Versorgungsausgleich zur Zeit der Ehescheidung deswegen entfallen sei.

Das Gericht hat dargelegt, daß die Klägerin des Ausgangsverfahrens nach § 42 Satz 1 AVG keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente habe. Weil ihr früherer Ehemann zur Zeit ihrer Eheschließung bereits Rente bezogen habe, sei auch bei der Ehescheidung kein Versorgungsausgleich durchzuführen gewesen. Unter diesen Umständen verletze der ersatzlose Fortfall der Geschiedenen-Witwenrente Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG. Die Neuregelung des § 42 Satz 1 AVG beruhe auf der Erwägung, daß die Unterhaltsersatzfunktion der Geschiedenen-Witwenrente seit Einführung des Versorgungsausgleichs wegen der damit verbundenen Teilhabe an den in der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften des früheren Ehemannes entbehrlich geworden sei. Dabei sei nicht bedacht worden, daß die frühere Regelung der Geschiedenen-Witwenrente auch Fälle erfaßt habe, in denen der Versorgungsausgleich nicht an die Stelle des entfallenden Rentenanspruchs habe treten können. In anderen Bereichen des Sozialrechts habe der Gesetzgeber das berücksichtigt. So seien im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 592 RVO) und im Recht der Kriegsopferentschädigung (§ 42 BVG) Rentenansprüche geschiedener Ehefrauen auch bei Scheidungen nach den Vorschriften des neuen Eherechts aufrechterhalten worden. Es lasse sich nicht einsehen, warum das in der gesetzlichen Rentenversicherung anders geregelt sei.

IV.

Zu der Vorlage haben sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, das Bundessozialgericht, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sowie die Beklagte des Ausgangsverfahrens geäußert.

1. Der Bundesminister ist der Auffassung, daß die zur Prüfung gestellte Norm mit der Verfassung vereinbar sei. Die Vorlage sei zulässig. Es stehe der Zulässigkeit nicht entgegen, daß die Klägerin durch die begehrte Rente möglicherweise keinen Vorteil erlange, weil diese auf andere Renten angerechnet werde. Das vorlegende Gericht könne nur über die Geschiedenen-Witwenrente entscheiden und müsse außer Betracht lassen, ob und inwieweit andere Leistungen auf sie anzurechnen seien.

Die zur Prüfung gestellte Norm sei jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sie verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, denn es gebe einleuchtende Gründe dafür, daß der Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente nur solchen Frauen zukomme, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden sei. Die Regelung des § 42 Satz 1 AVG müsse als Teil der Gesamtkonzeption des Versorgungsausgleichs gesehen werden, der grundsätzlich bei allen Ehescheidungen nach dem 30. Juni 1977 stattfinde.

Gegenüber dem früheren Recht führe der Versorgungsausgleich in der großen Mehrzahl der Fälle zu einer erheblichen Verbesserung der Stellung der geschiedenen Ehefrauen. Wenn das in Einzelfällen anders sei, handele es sich um eine Nebenfolge einer im Einklang mit dem Grundgesetz stehenden Gesamtregelung. Sie müsse von den Betroffenen als unvermeidbar hingenommen werden. Die Konzeption des Versorgungsausgleichs lasse es nämlich nicht zu, in Fällen, in denen sich die neue Regelung für die Frau ausnahmsweise ungünstiger auswirke als die frühere Möglichkeit der Bewilligung einer Geschiedenen-Witwenrente, diese für die nach dem 30. Juni 1977 geschiedenen Frauen aufrechtzuerhalten. Eine andere Regelung würde zu verfassungsrechtlich äußerst problematischen Ergebnissen führen. Das zeige auch der Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens. Erhielte sie eine Geschiedenen-Witwenrente nach altem Recht, so hätte diese im Zeitpunkt des Todes ihres früheren Ehemannes monatlich 1 174,38 DM betragen. Hätte die Klägerin jedoch einen im Erwerbsleben stehenden - durchschnittlich verdienenden - Mann geheiratet, so wären ihr bei der Scheidung nach den Grundsätzen des Versorgungsausgleichs lediglich ca. 65 DM an Rentenanwartschaften übertragen worden. Eine solche Begünstigung derjenigen Frauen, bei deren Ehescheidung ausnahmsweise kein Vorsorgungsausgleich durchgeführt werden könne, widerspräche dem Grundsatz der Gleichbehandlung im Vergleich zu den Frauen, bei denen ein Versorgungsausgleich stattfinde. Auch müsse man bedenken, daß in den Fällen, in denen der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden könne, weil der Ehemann im Zeitpunkt der Eheschließung bereits Altersruhegeld bezogen habe, regelmäßig - so auch im Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens - eine anderweitige soziale Sicherung bestehe.

Die zur Prüfung gestellte Regelung verletze auch Art. 14 GG nicht. Zwar habe die Klägerin des Ausgangsverfahrens durch ihre Eheschließung eine rentenversicherungsrechtliche Position erworben, die in erster Linie ihre Versorgung als Witwe bezwecke, sie aber in bestimmten Fällen darüber hinaus auch nach der Scheidung als frühere Ehefrau berücksichtigt habe. Bei den verschiedenen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Geschiedenen- Witwenrente, die insgesamt nur 4 v.H. aller geschiedenen Frauen erhielten, sei dies jedoch keine verläßliche Größe für die Lebensplanung der Klägerin gewesen. Jedenfalls lasse sich sagen, daß die Aussicht auf die Geschiedenen-Witwenrente in einem Frühstadium verharrt habe, aus dem sich diese Rechtsposition erst durch die Scheidung auf eine Anwartschaft hätte weiterentwickeln können.

2. Das Bundessozialgericht hält die zur Prüfung gestellte Vorschrift für verfassungsgemäß. Sie verletze nicht den allgemeinen Gleichheitssatz, auch nicht in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Ehescheidung sei unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges, in welchem die Neufassung des § 42 Satz 1 AVG erfolgt sei, sachlich gerechtfertigt. Es handele sich bei der Neuregelung um eine die Einführung des Versorgungsausgleichs flankierende Regelung. Die zur Prüfung gestellte Vorschrift beruhe dabei auf der Erwägung, daß im Falle einer Ehescheidung nach dem 30. Juni 1977 ein Versorgungsausgleich stattzufinden habe und es deswegen grundsätzlich der Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente nicht mehr bedürfe. Dies sei nicht sachwidrig. Das gelte auch, wenn ein nach dem 30. Juni 1977 geschiedener und später verstorbener Ehemann schon im Zeitpunkt der Eheschließung Altersruhegeld bezogen habe. Der Ausschluß der Ehefrau in solchen Fällen von der Geschiedenen-Witwenrente sei die Konsequenz des für den Versorgungsausgleich entscheidenden Grundprinzips, daß Versorgungsanrechte nur insoweit berücksichtigt würden, als sie während der Ehezeit von beiden Ehegatten gemeinsam erarbeitet worden seien. Soweit ein Ehegatte an dem Erwerb der Versorgungsanrechte nicht mitgewirkt habe, sei es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten weder zulässig noch geboten, diese fehlende Mitwirkung durch Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente zu kompensieren.

§ 42 Satz 1 AVG verstoße schließlich nicht deswegen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und im Bereich der Kriegsopfer-Entschädigung (§ 592 Abs. 1 RVO, § 42 Abs. 1 BVG) grundsätzlich auch eine nach dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts geschiedene Ehefrau eine Hinterbliebenenrente erhalte. Für diese Differenzierung gebe es sachgerechte Gründe. Während Renten oder Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den Versorgungsausgleich einbezogen seien, seien Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder nach dem Bundesversorgungsgesetz nicht versorgungsausgleichspflichtig.

Auch verstoße § 42 Satz 1 AVG nicht gegen Art. 14 GG. Unterstelle man, daß Art. 14 GG insoweit Prüfungsmaßstab sei, so stehe ein Schutz der Eigentumsgarantie gegenüber einer gesetzlichen Neuregelung nur in Frage, wenn vor ihrem Inkrafttreten mindestens eine Anwartschaft entstanden gewesen sei. Diejenigen Ehefrauen aber, deren Ehen erst nach dem 30. Juni 1977 geschieden worden seien oder geschieden werden, hätten eine schutzfähige Anwartschaft nicht gehabt.

3. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger vertritt die Auffassung, die zur Prüfung gestellte Norm verletze Art. 14 GG nicht. Die Geschiedenen-Witwenrente sei eine Hinterbliebenenrente. Es sei davon auszugehen, daß das Bundesverfassungsgericht, das bisher noch nicht entschieden habe, ob Hinterbliebenenrenten dem Schutz des Art. 14 GG unterfielen, bei sich bietender Gelegenheit den Eigentumsschutz auf Hinterbliebenenrenten erstrecken werde, wie es der überwiegenden Auffassung in der Literatur entspreche.

Selbst wenn man das bejahe, stelle die Einführung des Versorgungsausgleichs, soweit er zum Wegfall der Geschiedenen- Witwenrente führe, keinen Eingriff in dieses Eigentumsrecht dar. Der Versorgungsausgleich ziehe in sachgerechter Weise als sozialrechtliche Parallele zum Zugewinnausgleich die Folgerung aus dem Eigentumscharakter von Rentenanwartschaften, wenn der frühere Ehegatte nur an den Versorgungsanteilen beteiligt werde, die der andere während der Ehezeit erworben habe. Es sei konsequent, daß der andere Ehegatte keine Ansprüche erhalte, wenn die Versorgungsanwartschaften außerhalb der Ehezeit begründet seien. Darin liege kein Verstoß gegen Art. 14 GG. Auch müsse berücksichtigt werden, daß der Gesetzgeber durch den Versorgungsausgleich geschiedenen Ehegatten im Vergleich zum früheren Recht zur besseren Sicherheit verholfen habe. Dabei müsse es hingenommen werden, daß die Regelung in Einzelfällen die Situation geschiedener Ehegatten verschlechtere.

4. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte weist darauf hin, daß die von der Vorlage aufgeworfene Problematik nicht nur auftrete, wenn ein verstorbener Ehegatte bereits im Zeitpunkt der Heirat Rentner gewesen sei. Es gebe andere Fälle, in denen bei Fortbestand des alten Rechts eine Geschiedenen- Witwenrente zu zahlen gewesen wäre, nach neuem Recht aber kein Versorgungsausgleich möglich sei, etwa weil der Mann in der Ehezeit keine Rentenanwartschaften erworben habe oder aus rechtlichen Gründen ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Auch wenn ein Versorgungsausgleich durchgeführt werde, sei nicht gewährleistet, daß der überlebende Ehegatte hieraus Leistungen erhalte.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung seien nicht ersichtlich. Eine relevante Benachteiligung könne allenfalls dann vorliegen, wenn die Klägerin vom Gesetz willkürlich schlechter behandelt werde als andere nach dem 30. Juni 1977 geschiedene Ehefrauen. Dies sei aber bei so kurzer Ehedauer wie im vorliegenden Fall auszuschließen, weil der Ausgleichsanspruch ohne großen wirtschaftlichen Wert sei. In der Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente im Falle einer vor dem 1. Juli 1977 geschiedenen Ehe liege vielmehr bei kurzer Ehedauer eine verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Begünstigung der Betroffenen gegenüber anderen nach neuem Recht geschiedenen Ehegatten, die lediglich einen geringen Versorgungsausgleich erhielten.

B.

Die Vorlage ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Zeitpunkt des Todes ihres früheren Ehemannes von einer Geschiedenen-Witwenrente möglicherweise keinen wirtschaftlichen Vorteil gehabt hätte, weil sie auf andere, nach ihrem Ehemann aus erster Ehe wiederaufgelebte Renten angerechnet worden wäre. Das vorlegende Gericht hat nur über die Geschiedenen-Witwenrente zu entscheiden. Bei dieser Entscheidung muß außer Betracht bleiben, ob und inwieweit andere Leistungen auf sie anzurechnen sind. Diese Frage könnte ohnedies wegen der möglichen Veränderung der Anrechnungsbestimmungen nicht für die Zukunft beurteilt werden.

C.

Die zur Prüfung gestellte Norm ist verfassungsgemäß. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Gerichts verstößt sie nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Sie ist auch mit Art. 14 GG und mit den Grundsätzen vereinbar, nach denen das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit von Gesetzen mit unechter Rückwirkung mit dem Grundgesetz beurteilt.

I.

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 67, 231 (236) m.w.N.).

1. Die zur Prüfung gestellte Norm ist nicht schon deshalb mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie alle nach dem 30. Juni 1977 geschiedenen Ehefrauen in gleicher Weise vom Bezug einer Geschiedenen--Witwenrente ausschließt. Vielmehr verstieße auch eine für alle Betroffenen gleiche Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie für eine Personengruppe Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht zur Folge hätte, daß ihr gegenüber die gleichartige Behandlung nicht mehr zu rechtfertigen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.

Es ist zutreffend, daß der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens repräsentierte Personenkreis durch den Ausschluß der Geschiedenen-Witwenrente schlechter gestellt wird als jene geschiedenen Frauen, für die der Wegfall dieser Rente ganz oder teilweise durch einen bei der Scheidung durchzuführenden Versorgungsausgleich kompensiert wird.

Der Versorgungsausgleich wird im Grundsatz in der Weise vorgenommen, daß die Werte der in der Ehezeit von den Eheleuten erworbenen Anwartschaften oder Aussichten auf eine Versorgung einander gegenübergestellt werden. Dem Ehegatten mit den wertniedrigeren Anrechten steht die Hälfte des Wertunterschieds als Ausgleich zu. Damit sollte der Gedanke aufgenommen und weiterentwickelt werden, auf dem der Zugewinnausgleich beruht. Das entspricht der grundsätzlichen Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG, nach der zum Wesen der Ehe die grundsätzliche Gleichberechtigung beider Partner gehört, die sich auch auf die vermögensrechtlichen Beziehungen der Eheleute nach der Auflösung der Ehe auswirkt (vgl. BVerfGE 53, 257 (296); BVerfG, Urteil vom 8. April 1986 - 1 BvR 1186/83 u.a. -, Umdruck S. 24 f.). § 1587 Abs. 1 BGB bestimmt ausdrücklich, daß ein Versorgungsausgleich nur hinsichtlich der in der Ehezeit begründeten oder aufrechterhaltenen Anwartschaften oder Aussichten auf eine Versorgung wegen Alters- oder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit stattfindet. Danach bleiben Versorgungsanwartschaften, welche außerhalb der Ehe der geschiedenen Eheleute von dem einen oder dem anderen erworben worden sind, beim Versorgungsausgleich unberücksichtigt. Insoweit unterscheidet sich der Versorgungsausgleich von den Grundsätzen, nach denen die Hinterbliebenenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt wird. Für sie ist es nämlich ohne Belang, ob die Versichertenrente, von welcher sie abgeleitet ist, während oder außerhalb der Ehe erworben worden ist (§§ 42, 43, 45 AVG§§ 1265, 1266, 1268 RVO).

Indessen war es verfassungsrechtlich bei der Einführung des Versorgungsausgleichs nicht geboten, es für die Zukunft bezüglich der Geschiedenen-Witwenrente bei der ursprünglichen Berechnung von Hinterbliebenenrenten zu belassen. Vielmehr läßt es sich rechtfertigen, daß der Gesetzgeber auch hinsichtlich der Geschiedenen-Witwenrente nach dem Inkrafttreten des Ersten Eherechtsreformgesetzes für nach dem 30. Juni 1977 geschiedene Frauen allgemein von denselben Prinzipien ausgeht, die auch dem Versorgungsausgleich zugrunde liegen. Die Aufrechterhaltung der Geschiedenen-Witwenrente für solche geschiedenen Frauen, die aus besonderen Gründen keine Ansprüche auf den Versorgungsausgleich haben, wäre andernfalls mit der Zielsetzung des Gesetzgebers, eine gerechte Verteilung der während der Ehe erworbenen Vermögenswerte vorzunehmen, in Widerspruch geraten. Auch hätte die Gewährung einer Geschiedenen- Witwenrente für diejenigen Frauen, die nach dem 30. Juni 1977 ohne Ansprüche auf einen Versorgungsausgleich geschieden worden sind, zur Folge gehabt, daß auf unabsehbare Zeit zwei unterschiedliche Systeme nebeneinander bestanden hätten (vgl. BVerfGE 53, 257 (309 f.)).

2. Desgleichen wird der allgemeine Gleichheitssatz nicht dadurch verletzt, daß in anderen sozialrechtlichen Bereichen für geschiedene Frauen, deren Scheidung nach dem 30. Juni 1977 erfolgte, auch weiterhin die Bewilligung einer Geschiedenen- Witwenrente möglich bleibt. Das vorlegende Gericht nennt die Regelung des § 592 Abs. 1 RVO, nach der bei Leistungsfällen der gesetzlichen Unfallversicherung auch weiterhin die Leistung einer Witwenrente an eine frühere Ehefrau erfolgen kann. Eine dem entsprechende Regelung gilt auch für die Geschiedenen-Witwenrente nach § 42 Abs. 1 BVG. Diese im Vergleich zur gesetzlichen Rentenversicherung unterschiedlichen Regelungen rechtfertigen sich allein daraus, daß Renten der Unfallversicherung und die Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz anders als die Renten oder Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht in den Versorgungsausgleich einbezogen werden.

II.

Die zur Prüfung gestellte Regelung verletzt auch nicht Art. 14 GG.

Die Geschiedenen-Witwenrenten nach § 42 AVG (= § 1265 RVO) sind Hinterbliebenenrenten (§ 40 Abs. 1 AVG§ 1263 Abs. 1 RVO). Das Bundesverfassungsgericht hat bisher noch nicht entschieden, ob Hinterbliebenenrenten der Garantie des Art. 14 GG unterliegen (BVerfGE 69, 272 (299) m.w.N.). Einer solchen Entscheidung bedarf es auch im vorliegenden Fall nicht. Selbst wenn unterstellt wird, daß die Geschiedenen-Witwenrente als Vollrecht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt, gilt dies doch nicht für jene Rechtsposition, welche die Klägerin des Ausgangsverfahrens in dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 42 AVG n. F. hatte.

Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist (BVerfGE 69, 272 (300 f.)). Die in Betracht kommende Position muß ein subjektiv-öffentliches Recht auf Leistung begründen, das dem Einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht. Das ist der Fall, wenn der Berechtigte davon ausgehen kann, daß es sich um seine „ihm ausschließlich zustehende Rechtsposition handelt“. Solche Rechtspositionen sind von denjenigen zu unterscheiden, auf die nach der jeweiligen Gesetzeslage lediglich eine Aussicht besteht, die anders als eine Anwartschaft nicht allein durch Ablauf einer Wartezeit und den Eintritt des Versicherungsfalls zum Vollrecht erstarken kann (vgl. BVerfGE 53, 257 (289 f.); 69, 272 (300 f.)).

Im Zeitpunkt, in dem der Gesetzgeber durch die zur Prüfung gestellte Regelung für die Zukunft Geschiedenen-Witwenrenten zum Fortfall brachte, war die Rechtsposition der Klägerin des Ausgangsverfahrens keine ihr in diesem Sinne ausschließlich zustehende Rechtsposition. Außer dem Eintritt des Versicherungsfalls waren weitere Voraussetzungen, daß die Ehe der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Zukunft geschieden wurde und daß der geschiedene frühere Ehemann ihr im Zeitpunkt seines Todes in einer nicht nur unerheblichen Höhe zum Unterhalt verpflichtet gewesen wäre oder ihr jedenfalls tatsächlich Unterhalt gezahlt hätte. Damit war die Entstehung eines Anspruchs auf eine Geschiedenen- Witwenrente für die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung ungewiß. Tatsächlich hat die Regelung, die vor dem Inkrafttreten des Ersten Eherechtsreformgesetzes galt, auch nur in seltenen Fällen dazu geführt, daß eine geschiedene Frau im Zeitpunkt des Todes ihres früheren Ehemannes eine Geschiedenen-Witwenrente erhielt (vgl. BVerfGE 66, 66 (74)). Nach den Mitteilungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung haben nur 4 v.H. aller geschiedenen Frauen überhaupt eine solche Rente erhalten. Unter solchen Gegebenheiten fehlt es für die Rechtsposition der Klägerin des Ausgangsverfahrens an der für den Eigentumsschutz nach Art. 14 GG vorausgesetzten Zuordnung.

III.

Hiernach ist die zur Prüfung gestellte Regelung an den Maßstäben zu beurteilen, welche die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur unechten Rückwirkung entwickelt hat, also für solche Fälle, in denen - wie hier - eine Norm auf gegenwärtig noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. BVerfGE 64, 87 (104) m.w.N.).

Grundsätzlich ist eine „unechte Rückwirkung“ mit der Verfassung vereinbar, aber es ergeben sich für sie aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit verfassungsrechtliche Grenzen. Auch bei „unechter Rückwirkung“ ist das Vertrauen des Betroffenen enttäuscht, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem dieser nicht zu rechnen brauchte, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte. In diesem Sinne ist auch das Vertrauen der Klägerin des Ausgangsverfahrens durch die zur Prüfung gestellte Regelung enttäuscht worden, denn sie konnte bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung im Falle einer Scheidung beim Vorversterben ihres Ehemannes mit einer Hinterbliebenenrente rechnen, sofern dieser ihr zur Unterhaltsleistung verpflichtet war oder ihr Unterhalt gewährte. Indessen kann der Einzelne sich nicht auf den Vertrauensschutz berufen, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung bedarf es danach der Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfGE 51, 356 (363); 58, 81 (121); 64, 87 (104)).

Die damit gebotene Abwägung ergibt, daß das öffentliche Interesse an der angegriffenen Regelung das Interesse an der Beibehaltung der Regelung überwiegt. Die betroffenen Ehefrauen haben nicht durch ihre Leistung an der Begründung der Versichertenrente ihres Ehemannes mitgewirkt, von der die Geschiedenen-Witwenrente abgeleitet wird. Es fehlte für diesen Personenkreis mithin ein besonderer Grund, darauf zu vertrauen, der Gesetzgeber werde die für ihn sehr günstige Position auf Dauer beibehalten. Auf der anderen Seite bestand ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dem System des Versorgungsausgleichs auch für alle geschiedenen Frauen Geltung zu verschaffen.

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