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B 4 RA 90/00 R

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im wesentlichen darüber, ob die Klägerin gegen die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ein Recht auf Rente wegen Alters und ab 1. Juni 1995 durchsetzbare monatliche Zahlungsansprüche hieraus hat.

Die im November 1927 in Ungarn geborene Klägerin lebt seit 1948 in Israel und ist israelische Staatsbürgerin. Sie ist anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus; vom 31. März 1944 bis zum 31. März 1945 wurde sie zunächst in einem Ghetto und sodann im Konzentrationslager Auschwitz, Außenlager Allendorf, gefangengehalten. Nach ihrer Befreiung suchte sie in Ungarn nach überlebenden Familienangehörigen. Da sie niemanden fand, kam sie noch im Jahre 1945 nach Deutschland zurück. Sodann hielt sie sich in Lagern für „displaced persons“ (DP) in A. und in G./Fulda auf. Dort heiratete sie im Februar 1947. Im Sommer 1947 versuchten die Eheleute, mit dem Schiff „Exodus“ nach Palästina zu gelangen. Die britische Mandatsregierung fing das Schiff ab und brachte die Flüchtlinge zwangsweise zurück nach Deutschland. Das Ehepaar wurde wieder in einem Lager bei W. untergebracht. Dort gebar die Klägerin am 12. Dezember 1947 den Sohn A.E. Bis Ende April 1948 hielt die Familie sich in Deutschland auf; sodann wanderte sie in Palästina/Israel ein. Dort legte die Klägerin von April 1954 bis September 1975 als Pflichtversicherte Versicherungszeiten in der israelischen Versicherung zurück. Sie ist Witwe. Sie hat den Sohn von der Geburt bis Ende April 1948 überwiegend erzogen.

Die BfA lehnte den im Juni 1995 gestellten Antrag auf Regelaltersrente ab, weil die Klägerin die Wartezeit nicht erfüllt habe (Bescheid vom 16. Dezember 1996; Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1997).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 10. August 1998). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin aufgehoben und „den Bescheid vom 16. Dezember 1996 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 1997 geändert“. Es hat die Beklagte verurteilt, „folgende Zeiten anzuerkennen: vom 1. Januar 1948 bis 30. April 1948 als Beitragszeit, vom 12. Dezember 1947 bis 30. April 1948 als Berücksichtigungszeit und vom 31. März 1944 bis 31. März 1945 als Ersatzzeit.“ Ferner hat es die Beklagte verurteilt, „der Klägerin seit dem 1. Juni 1995 Altersrente zu gewähren“ (Urteil vom 19. April 2000). Das LSG hat ausgeführt: Die Klägerin habe von der Geburt des Kindes bis zum 30. April 1948 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Daher seien die ausgeurteilten rentenrechtlichen Zeiten zu berücksichtigen; unter Einschluß der israelischen Versicherungszeiten sei die Wartezeit erfüllt.

Mit ihrer Revision erhebt die Beklagte die Sachrüge einer Verletzung des § 56 Abs. 1 Satz 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Sie meint, die Klägerin habe damals keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt, weil ihr Aufenthalt in den DP-Lagern nur vorübergehender Natur gewesen sei. Der Gesetzgeber habe in § 4 Abs. 6 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) die Wertung getroffen, daß der Aufenthalt in einem DP-Lager weder als Wohnsitz noch als dauernder Aufenthalt angesehen werden dürfe.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. April 2000 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 1998 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat in der Hauptsache keinen Erfolg.

Das Urteil des LSG ist jedoch insoweit aufzuheben, als die BfA verurteilt worden ist, eine Beitragszeit vom 1. Januar 1948 bis zum 30. April 1948, eine Berücksichtigungszeit vom 12. Dezember 1947 bis zum 30. April 1948 und eine Ersatzzeit vom 31. März 1944 bis zum 31. März 1945 anzuerkennen. Mit dieser Verpflichtung hat das LSG Bundesrecht (i.S. von § 170 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) verletzt. Es hat nämlich entgegen § 123 SGG insoweit über keinen von der Klägerin erhobenen „Anspruch“, also nicht über das wirkliche Klagebegehren entschieden und nicht beachtet, daß es an die Fassung der Anträge der Klägerin nicht gebunden ist (s zum Verstoß gegen § 123 SGG als Bundesrechtsverletzung: Senatsbeschluß vom 9. Januar 1969, 4 RJ 91/68, SozR Nr. 48 zu § 150 SGG und Beschluß des 7. Senats des Bundessozialgerichts <BSG> vom 29. März 2001, B 7 AL 214/00 B, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Zwar hat das LSG die Berufung der Klägerin zutreffend für zulässig erachtet; es hat auch richtig gesehen, daß ihr Sachbegehren darauf gerichtet war, die Feststellung der Beklagten aufzuheben, sie habe kein Recht auf Rente wegen Alters (sog Rentenablehnung), und die Beklagte zur Zahlung, d.h. zur Erfüllung ihrer monatlichen Ansprüche aus ihrem Recht auf Rente, ab Juni 1995 zu verurteilen. Das LSG hat aber rechtsirrig angenommen, die Klägerin habe außerdem die Aufhebung einer Ablehnung der Anerkennung der genannten rentenrechtlichen Zeiten und die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung dieser Zeiten begehrt. Dementsprechend hat das LSG in der mündlichen Verhandlung am 19. April 2000 auch diese Klageanträge der Klägerin zu Protokoll genommen. Dem Vorbringen der Klägerin und dem Gesamtergebnis des Verfahrens konnte aber nicht entnommen werden, daß sie diese zusätzliche Kombination einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage überhaupt hätte erheben wollen. Denn die BfA hatte weder in dem Bescheid vom 16. Dezember 1996 noch im Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1997 einen Verwaltungsakt erlassen, mit dem sie die „Anerkennung“ der genannten Zeiten abgelehnt hätte. Die sog Ablehnung des Rentenantrages, d.h. der Verwaltungsakt, mit dem festgestellt wurde, die Klägerin habe das von ihr geltend gemachte Recht auf Rente wegen Alters nicht und könne deswegen auch ab Juni 1995 keine Zahlungsansprüche haben, war der einzige Verwaltungsakt, um dessen Rechtswirkungen gestritten wurde. Das LSG hat verkannt, daß die Ausführungen der BfA in ihren Bescheiden lediglich der Begründung des das Recht auf Rente verneinenden Verwaltungsakts dienten. Es bestand kein Grund, das Begehren der Klägerin dahingehend zu verstehen, sie erhebe einen Anspruch (i.S. von § 123 SGG), das Gericht möge einen augenfällig überhaupt nicht ergangenen Verwaltungsakt aufheben. Gleiches gilt für die Annahme des LSG, die Klägerin habe begehrt, die BfA zu verpflichten, rentenrechtliche Zeiten anzuerkennen. Die BfA hatte - wie gesagt - anläßlich des Rentenantrages der Klägerin schon nicht abgelehnt, rentenrechtliche Zeiten anzuerkennen (was immer das heißen mag); dies hatte die Klägerin bei ihr auch gar nicht beantragt. Darüber hinaus bestand auch deswegen kein Sachgrund, das Vorbringen der Klägerin in diesem erweiterten Sinne zu verstehen, weil diese Klage offensichtlich unstatthaft (und im übrigen ihrem eigentlichen Begehren nicht förderlich) gewesen wäre. Denn im gerichtlichen Streit um das Recht auf Rente und die Einzelansprüche hieraus ist ohnehin umfassend über alle den Bestand des Rechts und seinen Wert sowie die Durchsetzbarkeit der Einzelansprüche betreffenden streitigen Umstände und Elemente zu entscheiden. Das LSG hat also insoweit über von der Klägerin nicht erhobene Ansprüche zu Lasten der Beklagten geurteilt. Dies war auf deren Revision hin aufzuheben.

Das Berufungsgericht hat jedoch in der Hauptsache der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) zu Recht stattgegeben. Die Klägerin war durch die angefochtene Feststellung, ihr stehe ein Recht auf Altersrente nicht zu, i.S. von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, so daß dieser Verwaltungsakt aufzuheben war. Die Klägerin hat mit der Anfechtungsklage zulässigerweise die statthafte (unechte) Leistungsklage verbunden, welche - kraft gesetzlicher Sonderregelung - die Klage auf Verpflichtung der BfA konsumiert, den Bestand des Rechts auf Altersrente, seinen Beginn, seine Dauer und seinen Wert - wie nach materiellem Recht (§ 117 SGB VI) ausnahmslos geboten - jeweils durch schriftlichen Verwaltungsakt festzustellen. Dieser Leistungsklage (Zahlungsklage) hat das LSG zu Recht und befugterweise nur dem Grunde nach (§ 130 Satz 1 Regelung 1 SGG) stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Rente seit dem 1. Juni 1995 verurteilt. Denn die Klägerin hat seit dem 1. Dezember 1992 ein Recht auf Regelaltersrente, das sie jedoch erst mit dem Rentenantrag im Juni 1995 in Anspruch genommen hat. Dementsprechend sind ihre seit dem 1. Dezember 1992 entstandenen und jeweils fällig gewordenen monatlichen Einzelansprüche bis einschließlich zum Ablauf des Monats Mai 1995 untergegangen (§ 99 Abs. 1 SGB VI). Ihr stehen aber ab 1. Juni 1995 monatliche Einzelansprüche aus diesem Recht auf der Grundlage des Rentenwertes zu, der sich bei Rentenbeginn (§ 64 SGB VI) zum 1. Dezember 1992, also mit dem ersten fällig gewordenen Einzelanspruch, ergab und der um die seither erfolgten Rentenanpassungen sowie für jeden Kalendermonat vom 1. Dezember 1992 bis zum 31. Mai 1995 um einen um 0,005 erhöhten Zugangsfaktor (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) anzuheben ist.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin ein Recht auf Rente wegen Alters als Regelaltersrente (§ 33 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 35 SGB VI) zusteht. Versicherte haben nämlich Anspruch auf Altersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 35 SGB VI). Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 1986 (dem Inkrafttreten des § 27 Abs. 1 Buchst. c des Angestelltenversicherungsgesetzes <AVG>) Versicherte und damit Mitglied der BfA. Durch diese Vorschrift wurden anrechnungsfähige Versicherungszeiten in der Angestelltenversicherung auch Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 nach § 28a AVG. Diese Versicherungszeiten begründeten - wie Beitragszeiten - die Versicherteneigenschaft und vermittelten damit zugleich die Mitgliedschaft bei dem verbandszuständigen Rentenversicherungsträger, hier bei der BfA. Gemäß § 28a AVG wurden seither für die Erfüllung der Wartezeit Müttern und Vätern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes (AVG) erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten hatten. Nach § 28a Abs. 1a AVG stand die Erziehung und der gewöhnliche Aufenthalt im Geltungsbereich des AVG der Erziehung und dem gewöhnlichen Aufenthalt im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze oder in Berlin vor dem 1. Februar 1949 (im Regelfall) gleich. Seit dem 1. Januar 1992 ist an die Stelle dieser Regelung die insoweit inhaltsgleiche der §§ 56, 249 SGB VI getreten; diese Kindererziehungszeiten sind seither Pflichtbeitragszeiten (i.S. von § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Die Klägerin ist Versicherte i.S. von § 35 SGB VI, weil sie durch die Erziehung ihres Sohnes von Januar bis April 1948 eine die Versicherteneigenschaft begründende rentenrechtliche (jetzt: Pflichtbetrags-)Zeit zurückgelegt hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG streiten die Beteiligten zu Recht nicht darüber, daß die Klägerin von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten nicht ausgeschlossen war (§ 28a Abs. 4 AVG; § 56 Abs. 4 SGB VI) und daß ihr selbst (nicht: ihrem verstorbenen Ehemann) die Zeit zuzuordnen ist (§ 28a Abs. 2 AVG; § 56 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB VI), weil sie das am 12. Dezember 1947 geborene Kind bis April 1948 überwiegend erzogen hat. Die Erziehung ist letztlich auch im Geltungsbereich des AVG, im späteren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, erfolgt (§ 28a Abs. 1 und Abs. 1a AVG, § 249 Abs. 2, § 56 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 1 SGB VI).

Entgegen der Ansicht der Revision hat das LSG richtig entschieden, daß die Klägerin sich in dem streitigen Zeitraum vom 1. Januar 1948 bis zum 30. April 1948 mit dem Kind im Geltungsbereich des AVG (§ 28a Abs. 1 AVG), im Inland (§ 249 Abs. 2 SGB VI, also im späteren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland <§ 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI>) „gewöhnlich aufgehalten“ hat. Denn Mutter und Kind hielten sich im streitigen Zeitraum tatsächlich im Inland auf, hatten mangels konkreten Auslandsbezuges den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse ausschließlich hier und befanden sich insbesondere nicht nur auf der Durchreise oder nur zu einem vorübergehenden Zweck im Inland; ihr Aufenthalt war materiell-rechtlich erlaubt, nicht nur für einen vorübergehenden Zweck gestattet, nicht auflösend befristet oder auslösend bedingt und auch rechtlich nicht auf Beendigung angelegt; auf den damaligen Wunsch, möglichst bald nach Palästina/Israel auszuwandern, kommt es für den streitigen Zeitraum, der vor dem Beginn der Auswanderung lag, nicht an.

Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Bestimmung versucht, den „rechtlichen Begriffskern“ des Ausdrucks „gewöhnlicher Aufenthalt i.S. des SGB“ durch orts- oder gebietsbezogene Anknüpfungsmerkmale grundsätzlich für alle Bücher des SGB einheitlich zu umschreiben, indem er eine zugleich den Begriffshof öffnende Typusbeschreibung andeutet. Nach dem für das Verständnis aller sprachlichen (und sonstigen) Zeichen fundamentalen und in keinem Fall (hinter - oder) umgehbaren hermeneutischen Kontextprinzip, das der Senat im Anschluß an Rauscher (NJW 1983, 2474) in bildhafter Sprache „Einfärbung“ nennt (stellv BSGE 67, 243 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 2 S. 10 ff.), ergibt sich die konkrete rechtliche Bedeutung des Ausdrucks „gewöhnlicher Aufenthalt“ u.a. erst aus dem Gesetz, das ihn verwendet und nach dessen Sinn und Zweck er verstanden werden muß.

Im Zusammenhang der Regelungen über Versicherungszeiten wegen Kindererziehung (§ 28a Abs. 1 AVG, § 56 Abs. 3, § 249 SGB VI) begrenzt das Erfordernis des „gewöhnlichen“ Inlandsaufenthaltes den persönlichen Geltungsbereich der Grundregel dieser Rechtsnorm; danach erlangt grundsätzlich jeder Elternteil rentenrechtliche Kindererziehungszeiten, der nicht schlechthin von der Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen ist, das Kind überwiegend erzogen hat und sich mit dem Kind während der Erziehung im Inland aufgehalten hat; dies gilt nur dann nicht, wenn der Inlandsaufenthalt - ausnahmsweise, d.h. anders als im faktischen und normativen Regelfall -, kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland, sondern (unter Würdigung aller Umstände) nur vorübergehend war. Entscheidend sind die objektiv gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Einzelfalles im entscheidungserheblichen Zeitraum; auf „Prognosen“ über spätere Entwicklungen, auf Veränderungswünsche oder -absichten oder auf den Willen des Betroffenen, sich an einem Ort aufzuhalten oder einen Wohnsitz zu begründen, kommt es nicht an (stellv. BSGE 67, 243; SozR 3-1200 § 30 Nr. 5; BSGE 70, 138 = SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 2; SozR 3-6710 Art. 1 Nr. 1). Sogar die konkrete Absicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt in ein bestimmtes Land auszuwandern, steht einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auch in der Zeit der Vorbereitung der Auswanderung (Einholung von behördlichen Erlaubnissen; die Wohnsitznahme im Ausland vorbereitende Aufenthalte dort, Verkaufsverhandlungen im Inland etc) bis zum Ablauf des letzten Tages vor der Auswanderung, also der konkreten Verlagerung des Lebensschwerpunktes ins Ausland, nicht entgegen (BSG SozR 3-5850 § 3c Nr. 3). Das gilt - soweit ersichtlich unangefochten - im Recht der Versicherungs- und Beitragspflicht, ebenso aber auch bei gleichgestellten Beitragszeiten und im sog. Leistungsrecht.

Die Klägerin und ihr Sohn „verweilten“ von Dezember 1947 bis Ende April 1948 „nicht nur vorübergehend“ im Inland. Nach den festgestellten objektiven (faktischen) Verhältnissen hielten sie sich ausschließlich hier auf und hatten keine ortsbezogene konkrete Auslandsberührung, insbesondere also keine Wohnung im Ausland (auch nicht in Ungarn). Keiner Darlegung bedarf, daß Mutter und Kind sich in Deutschland nicht zu Besuch, zu Ferienzwecken, auf touristischer Durchreise oder auf dem Heimweg oder auf dem Weg zu einer Wohnung oder zu einer zu ihrer Aufnahme zuvor bestimmten und bereiten Stätte im Ausland befanden. Auf den Fall der „Globetrotter“, die in keinem Land der Welt wohnen oder sich gewöhnlich aufhalten (i.S. des SGB), ist nicht einzugehen. In den DP-Lagern befanden sie sich auch nicht auf sog exterritorialem, sondern auf Reichsgebiet (dazu unten). Die Verlagerung des Lebensschwerpunktes in das Ausland begann erst nach Ablauf des April 1948.

Auch nach den konkreten rechtlichen Umständen war das Verweilen im Inland während des streitigen Zeitraums nicht nur vorübergehend. Denn der Inlandsaufenthalt war auch materiell-rechtlich dauerhaft erlaubt (vgl. beiläufig schon BSGE 79, 113, 121 = SozR 3-5070 § 18 Nr. 2). Die Klägerin hatte den rechtlichen Status einer DP. Damit war sie nicht nur berechtigt, in Deutschland Wohnung zu nehmen, sondern auch, sich hier dauerhaft aufzuhalten; insbesondere war diese Rechtsmacht nicht auflösend bedingt, auflösend befristet oder nur für einen vorübergehenden Zweck eingeräumt. Erst recht war die Klägerin nicht rechtlich gezwungen, das deutsche Staatsgebiet (alsbald oder überhaupt) zu verlassen (BSGE 79, 113, 121 m.w.N.). Die DP haben sich also ihrem Rechtsstatus nach grundsätzlich auch während ihres Lageraufenthaltes materiell berechtigt, zukunftsoffen und damit nicht nur vorübergehend im Gebiet der (heutigen) Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Hiervon zu unterscheiden ist der von der ... genannte Umstand, daß die Institution der DP-Lager als solche nicht als Dauereinrichtung, sondern nur zur Bewältigung einer konkreten und vorübergehenden Problemlage nach dem Krieg (und zu Beginn des sog Kalten Krieges) geschaffen worden war (vgl. Kunze, Die Sozialversicherung 2000, 197 ff. m.w.N.). Mit ihnen sollten die DP gesammelt, sodann in ihre Heimatländer zurückgeführt oder bei der Auswanderung in Drittländer unterstützt oder in Deutschland angesiedelt werden. Der von der Nachkriegslage bestimmte vorübergehende Zweck der Institution läßt aber keinen Rückschluß darauf zu, daß die einzelnen DP, die in Westdeutschland berechtigt und mit dem Recht, sich hier dauerhaft aufzuhalten, lebten, schlechthin oder typischerweise in dieser Zeit nur „vorübergehend“ hier waren.

Die Klägerin (und ihr Sohn) haben den Rechtsstatus einer DP durch ihren gescheiterten Versuch, mit dem Schiff „Exodus“ nach Palästina auszuwandern, nicht verloren. Nach dem Statut der Internationalen Flüchtlings-Organisation (IRO) und der Abmachung über die Übergangsmaßnahmen (angenommen durch Beschluß der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 5. Dezember 1946) schieden u.a. die DP aus der Zuständigkeit der IRO dann aus (vgl. Anlage 1, 1. Teil, Abschnitt D zum Statut, herausgegeben vom Institut für Besatzungsfragen Tübingen, Das DP-Problem, 1950, S. 163 f), wenn sie in ihren Heimatstaat zurückkehrten, eine neue Staatsangehörigkeit erwarben, anderweitig eine feste Niederlassung begründeten, sich erkennbar ohne ausreichende Begründung weigerten, Vorschläge der Organisation für ihre Umsiedlung oder Heimschaffung anzunehmen, wenn sie sich erkennbar nicht ernstlich bemühten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, obwohl ihnen dies möglich gewesen wäre, oder wenn sie die Unterstützung der Organisation mißbräuchlich ausgenutzt hatten. Keine dieser Voraussetzungen lag vor; die Klägerin ist auch nach ihrer Rückführung nach Deutschland im September 1947 weiterhin DP geblieben und als solche behandelt worden.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann aus § 4 Abs. 6 (früher Abs. 3) BEG nicht hergeleitet werden, daß die DP keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (i.S. von § 28a AVG; § 249 Abs. 2, § 56 Abs. 3 SGB VI) gehabt hätten. Nach dieser Vorschrift gilt der Aufenthalt in einem DP-Lager nicht als Wohnsitz oder dauernder Aufenthalt i.S. des § 4 Abs. 1 BEG. Diese (offensichtlich kontrafaktische) zwingende Rechtsvermutung gilt schon nach dem möglichen Wortsinn dieses Gesetzestextes nur für den Geltungsbereich des BEG, nicht aber für andere gesetzliche Vorschriften, insbesondere nicht für das AVG (jetzt: SGB I, IV und VI). Sie ist aus ihrer Abgrenzung zur Stichtagsregelung in § 4 Abs. 1 Nr. 2 BEG zu verstehen, die sich ausdrücklich auch auf die DP bezieht, so daß ein Aufenthalt in einem DP-Lager sogar einem Entschädigungsanspruch nach dem BEG nicht zwangsläufig entgegensteht. § 4 Abs. 6 (früher Abs. 3) BEG stellt sich als eine Reaktion des Deutschen Bundestages auf eine bestimmte Rechtsprechung dar, die davon ausging, auch der Aufenthalt in einem DP-Lager könne ein „dauernder Aufenthalt“ i.S. des § 4 Abs. 1 BEG sein (s. BT-Drucks. II/1949 S. 90/91 zu § 2 Abs. 3 des Entwurfes eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 9. Dezember 1955; van Dam-Loos, Komm zum BEG, 1957, § 4 Anm. 4c). Es ging nur um die Begrenzung öffentlich-rechtlicher Entschädigungsansprüche nach dem BEG.

Letztlich waren - wie bereits gesagt - die Gelände der DP-Lager keine exterritorialen Gebiete (unzutreffend van Dam-Loos, Komm zum BEG, 1957, § 4 Anm. 12; Blessin / Ehrig / Wilden, Komm zum BEG, 1960, § 4 RdNr. 12). Daß auch der Deutsche Bundestag dies schon damals ebenso gesehen hat, ergibt sich bereits aus der Existenz der Neuregelung in § 4 Abs. 6 BEG, die sonst überflüssig gewesen wäre. Im übrigen ist diese Auffassung durch nichts belegt oder zu belegen. Rentenversicherungsrechtlich unerheblich ist ebenfalls, daß die DP damals aufgrund ihrer Gleichstellung mit den Angehörigen der Vereinten Nationen durch das Gesetz der Militärregierung Nr. 2 i.d.F. des Zweiten Änderungsgesetzes ausschließlich der Verwaltungshoheit der Militärregierung unterlagen (Herausgeber: Institut für Besatzungsfragen Tübingen, 1950, S. 75; von Schmoller / Maier / Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, Bd. I § 36 II 1a S. 11; Nehlert, Die Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit, 1948, S. 21). Dies bedeutete aber nicht, daß ihnen das Verweilen in Deutschland nur vorübergehend bis zur Neuorganisation deutscher Staatlichkeit erlaubt war. Denn die (vier) Besatzungsmächte haben durch die Militärregierungen nur anstelle der zum damaligen Zeitpunkt nicht gegebenen deutschen Staatsorgane kraft der kriegerischen Besetzung (occupatio bellica) die oberste deutsche Staatsgewalt übernommen und diese u.a. in den Militärregierungsgesetzen ausgeübt (stellv. Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, S. 81 bis 83). Erst recht folgt hieraus nicht, daß die DP-Lager exterritoriale Gebiete waren.

Da die Klägerin eine (seit 1992 als solche gewertete) Pflichtbeitragszeit wegen Kindererziehung zurückgelegt hat, ist sie Versicherte und damit Mitglied der .... Sie hat am 30. November 1992 auch das 65. Lebensjahr vollendet. Ferner hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits die allgemeine Wartezeit und damit alle Voraussetzungen für die Entstehung des Rechts auf Rente wegen Alters als Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) erfüllt. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) ist - wie das LSG richtig gesehen hat - allerdings nicht allein mit deutschen Beitrags- oder Ersatzzeiten (§ 51 Abs. 1 und Abs. 4, § 250 SGB VI) erfüllt. Denn die Klägerin hat nur vier Monate an Beitragszeiten in der Angestelltenversicherung vom 1. Januar 1948 bis zum 30. April 1948 und ferner eine anrechenbare Ersatzzeit vom 31. März 1944 bis zum 31. März 1945 (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI) zurückgelegt. Die allgemeine Wartezeit ist gleichwohl erfüllt, weil nach Art. 20 Abs. 1 des hier anzuwendenden Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl. II 1975, S. 246) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl. II S. 863) für den Erwerb des „Leistungsanspruchs“ nach den anzuwendenden deutschen Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, die nach den Rechtsvorschriften Israels anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Da die Klägerin von April 1954 bis September 1975 in Israel anrechenbare Versicherungszeiten in der Rentenversicherung zurückgelegt hat, ist die allgemeine Wartezeit erfüllt und das Recht auf Regelaltersrente im November 1992 entstanden.

Die BfA wird bei der Festsetzung des Wertes dieses Rechtes zwar nicht diese israelischen Versicherungszeiten, wohl aber prüfen müssen, ob die von der Klägerin gleichfalls erlangte Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung (§ 57 <früher Abs. 1> SGB VI) vom 12. Dezember 1947 bis zum 30. April 1948 den Rentenwert steigert. Das LSG hat nämlich zu Recht ausgeführt, daß insoweit bei der Klägerin eine solche Berücksichtigungszeit vorliegt. (Zu dem im übrigen für die Höhe der Einzelansprüche maßgeblichen Rentenwert siehe bereits oben.)

Nach alledem war die Revision der Beklagten in der Hauptsache zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG; dabei war zu berücksichtigen, daß der Teilerfolg der Revision im wesentlichen darauf beruhte, daß das Berufungsgericht über das nach § 123 SGG maßgebliche Klagebegehren der Klägerin hinausgegangen ist.

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