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12 RK 32/96

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über ein Recht zur Nachzahlung von Beiträgen in der Rentenversicherung.

Die im Mai 1940 geborene Klägerin war von August 1955 bis März 1960 rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Anläßlich ihrer Heirat im Juli 1959 wurde ihr im Jahre 1961 antragsgemäß die Hälfte der Beiträge erstattet (§ 1304 der Reichsversicherungsordnung <RVO> und § 83 des Angestelltenversicherungsgesetzes <AVG> damaliger Fassung). Von Dezember 1963 bis November 1965 war die Klägerin erneut versicherungspflichtig beschäftigt. Anläßlich ihrer zweiten Heirat im Juni 1965 wurde im Jahre 1967 wiederum eine Beitragserstattung durchgeführt. Von Oktober 1969 an war die Klägerin als Arbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Insofern wurden Beiträge nach § 1303 RVO erstattet, als die Klägerin im Juli 1974 Beamtin wurde. Im Jahre 1993 merkte die Beklagte als Kindererziehungszeiten die Zeiten von Februar 1960 bis Januar 1961, von Februar 1963 bis Januar 1964 und von Februar 1966 bis Januar 1967 vor.

Im Juni 1993 beantragte die Klägerin die Nachzahlung von Beiträgen bei Heiratserstattung für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1960. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5. Juli 1993 ab. Zur Nachzahlung nach § 282 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) seien nur Personen berechtigt, die entweder versicherungspflichtig oder zur freiwilligen Versicherung berechtigt seien. Die Klägerin sei dieses nicht. Als Beamtin müsse sie für das Recht zur freiwilligen Versicherung die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllen. Sie habe jedoch nur drei Jahre Kindererziehungszeiten aufzuweisen. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1994). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. März 1995), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26. April 1996).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 282 SGB Vl.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

  • das Urteil des LSG vom 26. April 1996 und das Urteil des SG vom 2. März 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 5. Juli 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1994 zu verpflichten, die Nachzahlung freiwilliger Beiträge wegen Heiratserstattung für die Zeiten von August 1955 bis März 1960 und von Dezember 1963 bis November 1965 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist überwiegend begründet.

Umstritten ist, ob und gegebenenfalls für welche Zeiten die Klägerin gemäß § 282 SGB VI zur Nachzahlung von Beiträgen bei Heiratserstattung berechtigt ist. Die Klägerin kann das für alle in Betracht kommenden, in ihrem Revisionsantrag benannten Zeiten klären lassen (August 1955 bis März 1960 und Dezember 1963 bis November 1965). Soweit sie diese Zeiten während des Rechtsstreits erstmals im Revisionsverfahren bezeichnet hat, liegt keine nach § 168 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässige Klageänderung vor. Der in den Vorinstanzen gestellte allgemeine Antrag auf Zulassung zur Nachzahlung umfaßte auch den Streit um die belegungsfähigen Zeiten. Die Klägerin war an der genannten Konkretisierung der Zeiten nicht deswegen gehindert, weil sie in ihrem ursprünglichen Antrag bei der Beklagten die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1960 angegeben hatte, wobei für die Zeit von April bis Dezember 1960 keine Heiratserstattung erfolgt war. Durch einen solchen Antrag wird ein Nachzahlungsrecht noch nicht auf den bezeichneten Zeitraum beschränkt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zu früheren Nachentrichtungsvorschriften entschieden, der Berechtigte könne nach einem rechtzeitig gestellten Nachentrichtungsantrag Zahl und Höhe der Beiträge noch bis zum Eintritt der Bindungswirkung des Bescheides über die Zulassung der Nachentrichtung ändern (vgl. BSGE 67, 295 = SozR 3-5750 Art. 2 § 51a Nr. 3 m.w.N.). Diese Rechtsprechung gilt auch für die Nachzahlung von Beiträgen nach dem SGB Vl. Eine Bindung an den im Antrag auf Nachzahlung bezeichneten Belegungszeitraum besteht im vorliegenden Verfahren erst recht nicht, weil ein Bescheid über die Zulassung zur Nachzahlung noch nicht ergangen ist.

Die Urteile des LSG und des SG sowie der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides waren teilweise aufzuheben. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Klägerin zur Nachzahlung nach § 282 SGB VI zuzulassen. Die Klägerin ist zu einer solchen Nachzahlung berechtigt.

Nach § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI können Frauen, denen anläßlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden sind, auf Antrag Beiträge nachzahlen. Der Klägerin sind anläßlich ihrer beiden Eheschließungen Beiträge erstattet worden. Sie hat den Antrag auf Nachzahlung rechtzeitig bis Ende 1995 gestellt (§ 282 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Die Nachzahlung war nicht nach § 282 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ausgeschlossen. Der 1940 geborenen Klägerin war weder bindend eine Vollrente wegen Alters bewilligt noch hatte sie das 65. Lebensjahr vollendet noch bezog sie Versorgung nach Erreichen einer Altersgrenze, die zur Versicherungsfreiheit führte.

§ 209 Abs. 1 Satz 1 SGB VI schließt das Nachzahlungsrecht nicht aus. Danach sind zur Nachzahlung berechtigt Personen, die 1. versicherungspflichtig oder 2. zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind, sofern sich aus den einzelnen Vorschriften über die Nachzahlung nicht etwas anderes ergibt. Die Klägerin ist als Beamtin nicht versicherungspflichtig, sondern nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei und auch nicht zur freiwilligen Versicherung berechtigt, weil sie als Versicherungsfreie die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI) nicht erfüllt, sondern nur drei Jahre Versicherungszeit (Kindererziehungszeiten) aufzuweisen hat. § 209 SGB VI aus dem Vierten Kapitel (Finanzierung) des SGB VI gilt allerdings auch für die im Fünften Kapitel (Sonderregelungen) Erster Abschnitt (Ergänzungen für Sonderfälle) enthaltenen Nachzahlungsvorschriften, zu denen § 282 SGB VI gehört. Ob dieses schon aus § 228 SGB VI als der Eingangsvorschrift des Ersten Abschnitts des Fünften Kapitels folgt, wonach die Vorschriften dieses Abschnitts die Vorschriften der vorangehenden Kapitel für bestimmte Sachverhalte ergänzen, kann offenbleiben. Jedenfalls wird dieses durch die Begründung, zu § 209 Abs. 1 SGB VI bestätigt (BT-Drucks. 11/5530 S. 53, damals zu § 204). Für die Klägerin greift aber die Ausnahme des § 209 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ein, daß sich aus den einzelnen Vorschriften über die Nachzahlung, hier aus § 282 SGB VI, etwas anderes ergibt. Eine solche Abweichung braucht nicht ausdrücklich geregelt zu sein. Es genügt, daß sie sich im Wege der Auslegung ergibt.

Im ursprünglichen Gesetzentwurf (Fraktionsentwurf) war das Nachzahlungsrecht bei Heiratserstattung (§ 274 des Entwurfs, § 282 des Gesetzes) dem Grunde nach dadurch begrenzt, daß nach bindender Bewilligung einer Vollrente wegen Alters eine Nachzahlung nicht zulässig sein sollte (§ 274 Abs. 1 Satz 2 SGB VI des Entwurfs BT-Drucks. 11/4124 S. 79). Eine dem § 209 Abs. 1 Satz 1 SGB VI entsprechende Regelung enthielt der Entwurf noch nicht. Die Begrenzung des Nachzahlungsrechts durch die bindende Bewilligung einer Vollrente wegen Alters war nur verständlich, wenn diese Nachzahlung im übrigen unabhängig vom Recht zur freiwilligen Versicherung nach § 7 des Entwurfs (= § 7 des Gesetzes) bestand. Hätte demgegenüber die Nachzahlung schon damals von dem Recht zur freiwilligen Versicherung nach § 7 des Entwurfs abhängig sein sollen, so hätte die bindende Bewilligung einer Vollrente wegen Alters schon wegen § 7 Abs. 3 die Nachzahlung ausgeschlossen; der Regelung des § 274 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs hätte es nicht bedurft. Damit spricht die Begrenzung der Nachzahlung bei Heiratserstattung durch die bindende Bewilligung einer Vollrente wegen Alters im Gesetzentwurf (§ 274 Abs. 1 Satz 2) für eine eigenständige und abschließende Begrenzung in dieser Nachzahlungsvorschrift.

Das weitere Gesetzgebungsverfahren ergibt nichts anderes. Zwar ist während der Beratungen im Bundestags-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung der neue § 204 Abs. 1 Satz 1 in den Entwurf eingefügt worden (BT-Drucks. 11/5490 S. 126), der spätere § 209 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes. Nach der Begründung dazu stellt die Änderung klar, daß die Berechtigung zur Nachzahlung im allgemeinen davon abhängig ist, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die laufende freiwillige Versicherung vorliegen oder nur deshalb nicht vorliegen, weil Versicherungspflicht besteht. Bei Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht sei eine Nachzahlung, soweit die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei, nicht möglich, so daß diese Personen z.B. nicht über die Nachzahlungsregelungen ihre Ausbildungszeiten aktivieren und zusätzlich die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung erlangen könnten (BT-Drucks. 11/5530 S. 53 zu § 204). Andererseits ist aber das Recht zur Nachzahlung nur „im allgemeinen“ (so die genannte Begründung) vom Recht zur freiwilligen Versicherung oder dem Bestehen von Versicherungspflicht abhängig gemacht worden. Dementsprechend steht die Anwendung der Vorschrift auch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sich aus den einzelnen Vorschriften über die Nachzahlung nicht etwas anderes ergibt.

Die Ergänzungen der Vorschrift über die Nachzahlung bei Heiratserstattung (§ 274 des Entwurfs, § 282 des Gesetzes), die während der Ausschußberatungen vorgenommen worden sind, bestätigen die Eigenständigkeit dieser Regelung. Die Begrenzung des Nachzahlungsrechts durch die bindende Bewilligung einer Vollrente wegen Alters (Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs) blieb bestehen und wurde zweifach erweitert: Einmal um die Vollendung des 65. Lebensjahres, zum zweiten um den Bezug einer zur Versicherungsfreiheit führenden Versorgung nach Erreichen einer Altersgrenze (BT-Drucks. 11/5490 S. 169 zu § 204). Zur Begründung hieß es (BT-Drucks. 11/5530 S. 57 zu § 204): Schon nach der bisherigen Fassung des Satzes 2 stehe die Nachentrichtungsmöglichkeit bereits all den Frauen nicht mehr offen, denen eine Vollrente wegen Alters bewilligt worden sei. Es wäre jedoch nicht gerechtfertigt, wenn Frauen, die das 65. Lebensjahr vollendet und keinen Rentenanspruch hätten, und Ruhestandsbeamtinnen oder ähnliche Personen noch solche Beiträge nachzahlen könnten. - Die Ergänzungen und ihre Begründung enthalten keinen Hinweis auf das allgemeine Recht zur freiwilligen Versicherung und den gleichzeitig eingefügten neuen Abs. 1 Satz 1 des § 204 des Entwurfs (Abs. 1 Satz 1 des § 209 des Gesetzes). Die Begrenzung der Nachzahlung durch die bindende Bewilligung einer Vollrente wegen Alters ist in § 274 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs (§ 282 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes) erhalten geblieben und nicht wegen § 204 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 des Entwurfs (§ 209 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 des Gesetzes) als entbehrlich gestrichen worden. Im Ausschußbericht wird demgemäß als Grundlage für diese Begrenzung auf Satz 2 (des § 274 Abs. 1) des Entwurfs (§ 282 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes) und nicht auf § 204 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 des Entwurfs (§ 209 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 des Gesetzes) Bezug genommen. Die beiden neu eingefügten Begrenzungen (Vollendung des 65. Lebensjahres, Bezug einer Versorgung) schließen bei den betreffenden Frauen die Nachzahlung bei Heiratserstattung schlechthin aus, während sie nach § 7 i.V.m. § 5 SGB VI unter bestimmten Voraussetzungen zur freiwilligen Versicherung und dann nach § 209 Abs. 1 Satz 1 SGB VI auch zur Nachzahlung berechtigt sein können. Als Beamtinnen, die bei Heiratserstattung nicht nachzahlen dürfen, erwähnt der Ausschußbericht schließlich nur die Ruhestandsbeamtinnen, nicht aber die Beamtinnen, die mangels Erfüllung der allgemeinen Wartezeit kein Recht zur freiwilligen Versicherung haben. Insgesamt ist damit der Kreis der Nachzahlungsberechtigten in § 282 SGB VI anders begrenzt als der allgemein nach § 7 SGB VI zur freiwilligen Versicherung berechtigte Personenkreis, der nach § 209 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nachzahlungsberechtigt ist.

Auch nach Sinn und Zweck des § 282 SGB VI kann Beamtinnen wie der Klägerin nicht entgegengehalten werden, sie hätten die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt. Diese könnten sonst die durch die Heiratserstattung entstandenen Lücken im Versicherungsverlauf nicht schließen, obwohl feststeht, daß gerade wegen dieser Lücken die Wartezeit nicht erfüllt ist. Von dem Nachzahlungsrecht des § 282 SGB VI werden diese Beamtinnen einerseits nur Gebrauch machen, wenn mit der Nachzahlung die allgemeine Wartezeit erfüllt wird; andererseits ist ihnen die Erfüllung dieser Wartezeit in § 282 SGB VI nur für Zeiten der Heiratserstattung eröffnet. So hätte auch die Klägerin, wenn die beiden Heiratserstattungen für zusammen 80 Monate (August 1955 bis März 1960 und Dezember 1963 bis November 1965) nicht erfolgt wären, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt gehabt und wäre deshalb auch als versicherungsfreie Beamtin zur freiwilligen Versicherung berechtigt gewesen. Nach § 282 SGB VI kann sie die durch Heiratserstattung entstandenen Lücken im Versicherungsverlauf wieder ausfüllen und die allgemeine Wartezeit erreichen. In dem Zielkonflikt zwischen der einen Regelung, wonach versicherungsfreie Beamtinnen zur laufenden freiwilligen Versicherung und zur Nachzahlung im allgemeinen nur nach Erfüllen der allgemeinen Wartezeit berechtigt sind (§ 209 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 SGB VI), und der anderen Regelung, die eine Lückenfüllung nach früherer Heiratserstattung zuläßt (§ 282 SGB VI), ist auch nach dem Sinn des § 282 SGB VI der Vorrang dieser Vorschrift anzunehmen.

Dieses entspricht auch einer verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift. Gemessen an dem mit § 282 SGB VI verfolgten Ziel wäre schwerlich zu rechtfertigen, daß Beamtinnen, welche die allgemeine Wartezeit trotz Heiratserstattung erfüllen, zur Nachzahlung berechtigt sind, dagegen Beamtinnen wie die Klägerin, welche die Wartezeit gerade wegen Heiratserstattung nicht erfüllen, von der Nachzahlung ausgeschlossen sein sollen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Ausschluß von Beamten, die mangels Vorversicherungszeit nicht zur freiwilligen Versicherung berechtigt waren, von dem Nachentrichtungsrecht des Art. 2 § 51a Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes <ArVNG> (Art. 2 § 49a Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes <AnVNG> für vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erklärt (BVerfGE 49, 192, 212 = SozR 5750 Art. 2 § 51a Nr. 19). Dieses Nachentrichtungsrecht ist aber mit dem Nachzahlungsrecht des § 282 SGB VI nach seiner Zwecksetzung nicht vergleichbar. Das Nachentrichtungsrecht des Art. 2 § 51a Abs. 2 ArVNG (Art. 2 § 49a Abs. 2 AnVNG) ergänzte bei der Rentenreform 1972 die Öffnung der Rentenversicherung im Hinblick darauf, daß viele Personen nunmehr erstmals das Recht zur laufenden freiwilligen Versicherung erlangten. Beamten, die weiterhin mangels Vorversicherungszeit nicht zur freiwilligen Versicherung berechtigt waren, brauchte auch das Nachentrichtungsrecht nicht eingeräumt zu werden. Demgegenüber dient das Nachzahlungsrecht des § 282 SGB VI der sozialpolitisch erwünschten Wiederbegründung von Rentenanwartschaften, die früher schon vorhanden und durch Heiratserstattung aufgegeben worden waren.

Die Klägerin ist auch für Heiratserstattungszeiten vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres nachzahlungsberechtigt, d.h. für die Zeit von August 1955 bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres im Mai 1956. In § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist die Nachzahlung für die Zeiten zugelassen, für die Beiträge erstattet worden sind; Zeiten vor Vollendung des 16. Lebensjahres sind hiervon nicht ausgenommen. Allerdings erklärt § 209 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Nachzahlungen nur für Zeiten von der Vollendung des 16. Lebensjahres an für zulässig. Die dieser Vorschrift zugrundeliegende Vermutung, für Zeiten vorher würden in der Regel keine Beiträge entrichtet, ist hier durch die tatsächliche Beitragsentrichtung widerlegt. § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI enthält insoweit eine Sonderregelung zu § 209 Abs. 1 Satz 2 SGB Vl. Dies entspricht auch der Rechtsauffassung und Praxis der Rentenversicherungsträger (vgl. Kommentar zur gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 282 Anm. 8, Stand Januar 1992, Arbeitsanweisung der LVA Westfalen, § 282 SGB VI 4.1, Stand August 1992).

Demgegenüber ist die Klägerin nicht für Heiratserstattungszeiten nachzahlungsberechtigt, die inzwischen als Zeiten der Kindererziehung anerkannt sind (Februar und März 1960 sowie Dezember 1963 und Januar 1964). Nach § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist die Nachzahlung nur zulässig, sofern die Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt sind (Aufstockungsverbot). Das ist nicht verfassungswidrig (vgl. Urteil vom 5. Juni 1997 - 12 RK 4/97, zur Veröffentlichung vorgesehen). Das Aufstockungsverbot gilt auch für Kindererziehungszeiten. Nach § 55 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Dieses trifft für die Kindererziehungszeiten der Klägerin zu (§ 56 Abs. 1, 5, § 249 Abs. 1 SGB VI).

Das Aufstockungsverbot des § 282 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verstößt nicht gegen das GG, soweit es Zeiten betrifft, die nunmehr Beitragszeiten wegen Kindererziehung sind. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Beschluß des BVerfG, das die bisherige Regelung zur Ermittlung von Entgeltpunkten aus Beitragszeiten wegen Kindererziehung und aus gleichzeitig entrichteten Beiträgen (§ 70 Abs. 2 SGB VI) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt und eine selbständige Bewertung der Kindererziehungszeiten gefordert hat (BVerfGE 92, 241 ff. = SozR 3-2200 § 1255a Nr. 5). Unter Beachtung der Gründe dieser Entscheidung konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, daß das Aufstockungsverbot verfassungswidrig ist, soweit die Nachzahlung für Kindererziehungszeiten ausgeschlossen ist. Durch das Nachzahlungsrecht nach § 282 SGB VI soll die Wiederbegründung einer Rentenanwartschaft ermöglicht werden. Dieses ist jedoch nicht mehr notwendig, wenn eine neue Anwartschaft schon wegen der Anrechnung von Kindererziehungszeiten besteht. Die vom BVerfG geforderte besondere Bewertung von Kindererziehungszeiten neben gleichzeitig entrichteten Beitragszeiten ist geboten, weil während der Kindererziehungszeiten tatsächlich Beiträge entrichtet worden sind. Versicherte wie die Klägerin, die Beitragszeiten zurückgelegt haben, sich die Beiträge aber haben erstatten lassen, haben einen Gegenwert für die von ihnen geleisteten Beiträge bereits erhalten. Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, ihnen über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten hinaus das Recht zur Nachzahlung auch für diese Zeiten einzuräumen. Der Senat hat daher keinen Anlaß gesehen, den Rechtsstreit nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zu der Frage einzuholen, ob der Ausschluß des Nachzahlungsrechts mit dem GG vereinbar ist, soweit er auf die Anrechnung von Beitragszeiten wegen Kindererziehung zurückzuführen ist, oder die vom BVerfG geforderte Neuregelung zur Bewertung von Kindererziehungszeiten neben vorhandenen anderen Beitragszeiten abzuwarten.

Hiernach waren auf die Revision der Klägerin die Urteile der Vorinstanzen und der angefochtene Bescheid aufzuheben, soweit die Nachzahlung von Beiträgen für Heiratserstattungszeiten (außer den Kindererziehungszeiten) abgelehnt worden ist (August 1955 bis Januar 1960 und Februar 1964 bis November 1965); insoweit war die Beklagte zu verpflichten, die Nachzahlung zuzulassen. Im übrigen (hinsichtlich der Nachzahlung für die Kindererziehungszeiten Februar und März 1960, Dezember 1963 und Januar 1964) war die Revision unbegründet und daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Es war angemessen, die volle Erstattung der außergerichtlichen Kosten anzuordnen, weil die Klägerin nur in geringem Umfang unterlegen ist.

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