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14 REg 10/95

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Rechtmäßigkeit einer vom Beklagten verfügten Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung überzahlten Erziehungsgeldes (Erzg) gegen einen laufenden Anspruch der Klägerin auf Erzg.

Die Klägerin hat vier Kinder geboren: A.-K. (A.), geboren am 5. Mai 1988, S. (S.), geboren am 20. März 1989, verstorben am 20. November 1978, C.D. (C.), geboren am 30. Mai 1992 und M. S. (M), geboren am 10. November 1994. Für die Kinder bezog bzw. bezieht die Klägerin Erzg in Höhe von 600,00 DM monatlich. Sonstiges Einkommen hat sie nicht. Der Ehemann der Klägerin verfügt über ein Monatsgehalt, das aufgrund diverser Abzüge aus Zahlungsverpflichtungen die Pfändungsfreigrenze nicht übersteigt. Seit Juni 1995 erhält die Klägerin für sich und ihre Kinder Sozialhilfe.

Durch bindend gewordenen Bescheid vom 4. Januar 1990 wurde die Bewilligung von Erzg für S. ab 21. November 1989 aufgehoben und die Klägerin zur Erstattung des überzahlten Betrages von 1.200,00 DM aufgefordert. Davon wurden am 15. Februar 1990 600,00 DM getilgt. Demgemäß belief sich die restliche Schuld auf 600,00 DM.

Nach der Geburt von C. wurde der Klägerin ab 30. Mai 1992 erneut Erzg in Höhe von monatlich 600,00 DM gewährt (Bescheid vom 7. Juli 1992). Gegen diesen Anspruch rechnete der Beklagte mit seinem restlichen Erstattungsanspruch über 600,00 DM auf, wobei die Tilgung in zwei Raten zu je 300,00 DM erfolgen sollte (Bescheid vom 15. Juli 1992). Der Widerspruch der Klägerin gegen die Aufrechnung blieb im wesentlichen erfolglos; lediglich die Tilgungsraten wurden antragsgemäß auf monatlich 100,00 DM reduziert (telefonische Vereinbarung vom 16. Juli 1992; Widerspruchsbescheid vom 5. November 1992).

Die Klägerin hält die Aufrechnung für rechtswidrig. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei der Sozialhilfebedarf zuzüglich des Erzg von jedem Zugriff ausgeschlossen. Die in § 54 Abs. 3 Nr. 1 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB I) normierte Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Erzg und das in § 8 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) enthaltene Verbot der Anrechnung des Erzg auf die Sozialhilfe und andere Sozialleistungen seien als Ausdruck der besonderen Zweckbestimmung dieser Leistung auch in Fällen der beabsichtigten Aufrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen nach § 51 Abs. 2 SGB I zu beachten. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß das Erzg trotz formeller Zuordnung des Anspruchs bei den Eltern im Grunde dem Kind zugedacht sei, für dessen Betreuung und Erziehung es gezahlt werde. Es fehle daher an der materiellen Gegenseitigkeit der Forderungen, wenn mit einem Erstattungsanspruch aus der Überzahlung des Erzg für S gegen den Anspruch auf Erzg, das für C. gedacht ist, aufgerechnet werden soll.

Da der Beklagte infolge des Widerspruchs und der Klageerhebung die Aufrechnung nicht durchgeführt und er der Klägerin das Erzg für C. während des gesamten Bezugszeitraumes von 18 Monaten ungeschmälert ausgezahlt hat, ist die Klägerin von der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage übergegangen zu der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der in den Bescheiden des Beklagten vom 15. Juli 1992 und 5. November 1992 vorgesehenen Aufrechnung. Diese Fortsetzungsfeststellungsklage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 27. Juni 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zugelassen (Beschluß vom 6. März 1995), sie in der Sache aber zurückgewiesen (Urteil vom 21. Juni 1995). Es ist der Ansicht, die Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Erzg und die Nichtanrechnung des Erzg auf andere Sozialleistungen seien im Rahmen der die Sozialleistungsträger privilegierenden Aufrechnungstatbestände des § 51 Abs. 2 SGB I nicht zu berücksichtigen. Zudem werde bei der hier ursprünglich vorgesehenen Aufrechnung mit Monatsraten von nur 100,00 DM und der dadurch bewirkten Reduzierung des Erzg auf monatlich 500,00 DM der Zweck dieser Leistung auch nicht verfehlt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 51 Abs. 2, 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I sowie § 8 Abs. 1 BErzGG. Sie hält an ihrer Auffassung über die Unzulässigkeit jeglicher Aufrechnung gegen Ansprüche auf Erzg fest.

Ihr Feststellungsinteresse begründet die Klägerin mit dem erstinstanzlich noch nicht abgeschlossenen Klageverfahren S. 22/Eg 844/95 des SG Frankfurt am Main zum Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 1995, mit dem der Klägerin für M Erzg ab 10. November 1994 in Höhe von monatlich 600,00 DM bewilligt worden war. Der Bescheid ist angefochten, soweit der Beklagte mit seinem noch offenen Erstattungsanspruch über 600,00 DM gegen den Anspruch auf Nachzahlung des Erzg für die Monate November und Dezember 1994 gemäß § 51 Abs. 2 SGB I aufgerechnet und deshalb für diesen Zeitraum insgesamt nur 600,00 DM statt 1.200,00 DM nachgezahlt hat.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

  • die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 1995 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Juni 1994 aufzuheben und festzustellen, daß der Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 1992 rechtswidrig ist.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

  • die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die vorinstanzlichen Urteile.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Der mit der Klage angefochtene Bescheid war bis zu seiner Erledigung rechtmäßig.

Das für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin ist gegeben. Nach dieser Vorschrift spricht das Gericht im Falle der Rücknahme oder anderweitigen Erledigung des Verwaltungsakts auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Hier ist die Erledigung des angefochtenen Bescheides im November 1993, nach Erhebung der Klage, dadurch eingetreten, daß die verfügte Aufrechnung mit den monatlichen Tilgungsraten von 100,00 DM bis zum Ende des Bezugs des Erzg für C nicht vollzogen worden ist. Für den daraufhin erklärten Übergang von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage kann sich die Klägerin auf ein berechtigtes Interesse stützen. Dieses ist grundsätzlich anzuerkennen, wenn in absehbarer Zeit die Gefahr der Wiederholung des Verwaltungsakts bei im wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen droht (BSGE 40, 196; 42, 217; 44, 88) oder bereits ein neuer Verwaltungsakt mit gleicher Belastung ergangen und dieser Bescheid nicht gemäß § 96 SGG in das anhängige Klageverfahren einzubeziehen ist (BSGE 56, 45, 49 = BSG SozR 2100 § 70 Nr. 1; BVerwGE 12, 303; Meyer-Ladewig SGG, 5. Aufl. 1993, § 131 RdNr. 10). Letzteres ist hier der Fall. Gegen den Anspruch der Klägerin auf Erzg für M hat der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 1994 / Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1995 erneut die Aufrechnung mit seinem noch offenen Erstattungsanspruch von 600,00 DM für das 1989 zu Unrecht bezogene Erzg für S verfügt und die Aufrechnung diesmal durch Überweisung des um 600,00 DM reduzierten Nachzahlungsbetrages auch durchgeführt. Das darüber anhängige Klageverfahren S 22/Eg 844/95 ist vom SG Frankfurt am Main noch nicht entschieden worden. Die Beteiligten und das SG warten den Ausgang des vorliegenden Revisionsverfahrens ab. Es ist davon auszugehen, daß dieses Klageverfahren auf jeden Fall ohne streitige Entscheidung in der Sache beendet werden wird, und zwar bei Erfolg der Revision der Klägerin durch Aufhebung der Aufrechnungsanordnung und Nachzahlung des einbehaltenen Betrages von 600,00 DM seitens des Beklagten und bei Zurückweisung der Revision durch Zurücknahme der Klage seitens der Klägerin. Bei dieser Sachlage ist die Klägerin nicht gehalten, im vorliegenden Verfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären oder die Klage zurückzunehmen (§ 102 SGG) und den Streit um die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung allein im Verfahren S. 22/Eg 844/95 auszutragen. Es entspricht der Prozeßökonomie, es zuzulassen, daß die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Aufrechnung noch im vorliegenden Verfahren endgültig geklärt wird. Dafür spricht zudem der Umstand, daß dieses Verfahren sich bereits in zweiter Instanz befand, als das Verfahren S 22/Eg 844/95 anhängig wurde, und deshalb die endgültige Klärung der Streitfrage im vorliegenden Verfahren weitaus schneller möglich war und ist. Dieser prozessuale Vorteil ist bei der Prüfung, ob ein Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts hat (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG), zu beachten.

Der angefochtene Verwaltungsakt war nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte die Aufrechnung durch Verwaltungsakt und nicht durch eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung vollzogen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erklärt eine Behörde die Aufrechnung gegen einen Sozialleistungsanspruch mit einer ihr zustehenden öffentlich-rechtlichen Gegenforderung in dem Verwaltungsakt, in dem sie zugleich über die Auswirkung der Aufrechnung auf den Sozialleistungsanspruch und über dessen Festsetzung entscheidet (vgl. zur Aufrechnung durch Verwaltungsakt: BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr. 6 <10. Senat>; BSGE 64, 17, 22 m.w.N. = SozR 1200 § 54 Nr. 13 <7. Senat>; SozR 1200 § 51 Nr. 5 <3. Senat>; offengelassen vom 4. Senat in BSGE 67, 143, 146). Nach anderer Auffassung ist eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung notwendig (BVerwGE 66, 218, 220 = Buchholz 451.55 Nr. 71 = NJW 1983, 776; BFHE 149, 482, 486; 178, 306). Eine unzulässigerweise als Verwaltungsakt erlassene Aufrechnungserklärung ist auf Anfechtung hin aufzuheben (BFHE 149, 482, 489). Wenn die Behörde über die Auszahlung einer Sozialleistung durch Verwaltungsakt entscheiden darf, umschließt diese Entscheidungsbefugnis das Recht, auf gleichem Wege das Erlöschen des Anspruchs auf diese Sozialleistung durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung zu bewirken. Die Behörde darf in derartigen Fällen die Aufrechnung rechtsgestaltend im Verfügungssatz des Leistungsbescheides erklären. Der Senat hält insoweit an der zitierten, diese Möglichkeit bejahenden Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundessozialgerichts fest. Ob diese Form der Aufrechnung auch in anderen, nicht dem Sozialleistungsrecht zuzurechnenden Bereichen der öffentlichen Verwaltung zuzulassen ist, für die § 51 SGB I nicht gilt (verneinend BVerwGE 66, 218, 220 = Buchholz 451.55 Nr. 71 = NJW 1983, 776 für das europäische Beihilferecht; ebenfalls verneinend BFHE 149, 482, 483 und 178, 306 zu § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung für das Steuerrecht), bleibt offen. Der Senat läßt außerdem dahingestellt, ob für den Bereich der Sozialhilfe, in dem aufrechnungsrechtliche Besonderheiten gelten (vgl. § 25a Bundessozialhilfegesetz <BSHG>), die Möglichkeit der Aufrechnung mittels Verwaltungsakts einzuschränken oder auszuschließen ist (so der Bayerische Verwaltungsgerichtshof <BayVGH>, Beschluß vom 31. Mai 1995 - 12 CE 94.3906 - BayVBl 1995, 565).

Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wie vom LSG zutreffend entschieden. Im Gegensatz zu der von der Klägerin vertretenen Ansicht durfte der Beklagte gemäß § 51 Abs. 2 SGB I bis zur Hälfte des monatlichen Erzg-Anspruchs aufrechnen.

Maßgeblich ist hier § 51 SGB I in seiner bis zum 17. Juni 1994 gültigen Fassung. Nach § 51 Abs. 1 SGB I in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3015) kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 3 SGB I pfändbar sind. Die Neufassung des § 51 Abs. 1 SGB I durch das Gesetz vom 13. Juni 1994 (BGBl. I S. 1229), in Kraft ab 18. Juni 1994, nach der ohne inhaltliche Änderung auf § 54 Abs. 2 und 4 SGB I verwiesen wird, ist auf die hier streitige Aufrechnung vom 15. Juli 1992 nicht anzuwenden. Das Gesetz vom 13. Juni 1994 hat § 51 Abs. 2 SGB I in seiner ab 27. August 1980 gültigen Fassung des Art. II § 28 Nr. 4 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl. I S. 1469) unverändert gelassen. Danach kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird. Diese - im Vergleich zu § 51 Abs. 2 SGB I in der ursprünglichen Fassung vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3015) um den zweiten Halbsatz erweiterte - Fassung der Vorschrift ist hier einschlägig.

Lediglich der Abs. 1 des § 51 SGB I 1975 enthält den Grundsatz, daß der Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen (nur) aufrechnen kann, soweit diese nach § 54 Abs. 2 und 3 SGB I (in der Fassung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 20. Juli 1988, BGBl. I S. 1046, in Kraft ab 27. Juli 1988) pfändbar sind, d.h. nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht (Abs. 2) und u.a. die für die Pfändung von Arbeitseinkommen geltenden Grenzen eingehalten sind (Abs. 3). Die für unpfändbar erklärten Leistungen (vgl. jetzt § 54 Abs. 3 SGB I) sind von der Aufrechenbarkeit nach § 51 Abs. 1 SGB I völlig ausgenommen. Dazu gehört auch das Erzg (§ 54 Abs. 5 SGB I 1988 bzw. § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I 1994).

Für Leistungsträger normiert demgegenüber § 51 Abs. 2 SGB I - wie erwähnt - eine weitreichende Ausnahme: Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen, zu denen auch Nachzahlungen regelmäßig wiederkehrender Leistungen für bestimmte Zeitabschnitte und Vorauszahlungen dieser Leistungen gehören (Hauck/Haines, SGB I, K § 51 RdNr. 12), bis zu deren Hälfte aufrechnen. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß die Behörde bis zur Hälfte des monatlichen Erzg-Anspruchs der Klägerin aufrechnen kann. Kommt aber Abs. 2 der Vorschrift zur Anwendung, dann bleibt für eine Auslegung in dem Sinne, daß gleichwohl die Voraussetzungen des Abs. 1 gegeben sein müßten, kein Raum (BSGE 45, 271, 273 = SozR 1200 § 51 Nr. 3; diese Entscheidung ist nur insoweit aufgegeben worden, als es um die Unbeachtlichkeit einer etwaigen Unterschreitung der Einkommensgrenzen für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG geht, vgl. BSGE 51, 98 = SozR 1200 § 51 Nr. 9). Die besonderen Pfändungsgrenzen des § 54 SGB I und damit auch der dort normierte Pfändungsausschluß sind für Abs. 2 dagegen unbeachtlich. Das entspricht einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (BSGE 45, 271, 273 m.w.N.; Mrozynski, SGB I, § 51 RdNr. 3, 5; Hauck / Haines a.a.O.; für das Erzg Zmarzlik / Zipperer / Viethen, § 1 BErzGG RdNr. 75; auch Krasney NJW 1988, 2644, 2647, bezieht - entgegen der Auffassung des LSG - die Unzulässigkeit der Aufrechnung ausdrücklich nur auf § 51 Abs. 1 SGB I). Die Privilegierung der Erstattungs- und Beitragsansprüche ist durch einen besonderen Absatz und dessen Formulierung hinreichend klar zum Ausdruck gekommen und als Ausnahme von Abs. 1 hervorgehoben. Hätten die Einschränkungen des Abs. 1 auch - und zwar dann zusätzlich - bei Anwendung des Abs. 2 gelten sollen, so wäre es erforderlich und unschwer möglich gewesen, dies kenntlich zu machen, beispielsweise durch Einfügen der Worte "nur", "jedoch nur" oder "zusätzlich" (... bis zu deren Hälfte aufrechnen; so bereits BSGE 45, 271, 273) im Rahmen des ersten Änderungsgesetzes vom 18. August 1980, durch das der zweite Halbsatz in § 51 Abs. 2 SGB I eingefügt worden ist, oder durch das Änderungsgesetz vom 13. Juni 1994. Die Materialien des Änderungsgesetzes vom 18. August 1980 (BT-Drucks. 8/2034, S. 42) bestätigen, daß eine vollständige Geltung der Regelung des § 51 Abs. 1 SGB I für die speziellen Bestimmungen des Abs. 2 nicht gewollt war.

Der Regelung über die Unpfändbarkeit des Erzg und dessen Nichtanrechnung auf die Sozialhilfe und andere Sozialleistungen liegt auch kein übergeordneter allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde, der es gebieten würde, den Pfändungsausschluß des Erzg (§ 54 Abs. 5 SGB I 1988 bzw. § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I 1994) ausnahmsweise auch auf die Pfändungsgrenzen sonst nicht kennenden Aufrechnungsmöglichkeiten des § 51 Abs. 2 SGB I anzuwenden. Die gegenteilige Ansicht der Klägerin geht fehl.

Die Regelung des § 54 Abs. 5 SGB I 1988 bzw. § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I 1994 beruht auf dem Gedanken des umfassenden Schutzes vor einer Zweckverfehlung des Erzg. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu (BT-Drucks. 11/2460, S. 15):

"Erziehungsgeld ist eine Leistung, die nach ihrer Natur und Zweckbestimmung die Zulässigkeit einer Pfändung ausschließt. Es wird als Anerkennung für die Betreuung und Erziehung des Kindes während seines ersten Lebensjahres innerhalb der Familie gewährt und dient nicht dem Unterhalt des Kindes. Erziehungsgeld ist keine Lohnersatzleistung und bleibt als Einkommen unberücksichtigt, wenn bei Sozialleistungen die Gewährung oder die Höhe dieser Leistung von anderem Einkommen abhängig ist. Erziehungsgeld soll es der Mutter oder dem Vater ermöglichen oder erleichtern, sich intensiv der Erziehung und Betreuung des Kindes zu widmen. Wäre es pfändbar, könnte Erziehungsgeld im Falle der Pfändung seinen Zweck nicht mehr erfüllen. Auch für Unterhaltsansprüche kommt eine Ausnahme von der Unpfändbarkeit nicht in Betracht. Sie würde auch in diesen Fällen zu einer Zweckvereitelung führen. Wenn Erziehungsgeld für den Unterhaltsanspruch eines älteren Kindes gepfändet werden könnte, wäre es in solch einem Fall nicht mehr geeignet, die Mutter oder den Vater zum zeitweiligen Verzicht auf Berufstätigkeit zu motivieren. Deshalb ist eine uneingeschränkte Unpfändbarkeit von Erziehungsgeld erforderlich. Für die Erweiterung der Unpfändbarkeit des Erziehungsgeldes, das aufgrund eines Landesgesetzes bewilligt wird, gelten die gleichen Gründe wie für das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz."

Das Erzg ist somit nach Sinn und Zweck eine familienpolitische Sozialleistung (§ 25 Abs. 1 und 2 SGB I), welche die Erziehungsleistung und den Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen sowie den sonstigen Betreuungs- und Erziehungsaufwand ausgleichen soll, vorrangig aber darauf abzielt, als verhaltenssteuernde Norm die Hinwendung zum Kind zu bewirken (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr. 9; BSG Beschluß vom 29. November 1995 - 14 REg 8/94 -, nicht veröffentlicht; Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, München 1994, S. 264; vgl. auch BT-Drucks. 10/3792 S. 13). Dieser auch in der Regelung über die Anrechnungsfreiheit des Erzg nach § 8 Abs. 1 BErzGG zum Ausdruck kommende Zweck des Erzg wird nicht vereitelt, sondern - noch - beachtet und gewahrt, wenn durch Aufrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen oder mit Beitragsansprüchen das monatliche Erzg vorübergehend oder auch während der gesamten Bezugsdauer auf die Hälfte (in der Regel bis zu 300,00 DM) absinkt. Die uneingeschränkte Anwendung der Vorschrift des § 51 Abs. 2 SGB I stellt sich vor diesem Hintergrund nicht als widersprüchlich zu dem Willen des Gesetzgebers dar, das Erzg dem Berechtigten grundsätzlich ungeschmälert zukommen zu lassen und es vor dem Zugriff Dritter zu schützen (§§ 8 Abs. 1 BErzGG, 54 Abs. 5 SGB I 1988 bzw. § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I 1994). Hätte der Gesetzgeber eine Aufrechnung gegen den Anspruch auf Erzg als unzulässig angesehen, dann hätte er zumindest für den Fall des Leistungsbetruges eine Ausnahme geschaffen, wie dies in § 25a BSHG sogar für den Anspruch auf Sozialhilfe vorgesehen ist. Damit erweist sich die angefochtene Aufrechnung des Beklagten mit sechs Tilgungsraten zu je 100,00 DM auch unter diesem Gesichtspunkt als rechtmäßig. Zugleich ist festzuhalten, daß auch die gegenüber der Nachzahlung des Erzg für M von 1200,00 DM für die Monate November und Dezember 1994 vorgenommene Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch über 600,00 DM (zwei Monate zu je 300,00 DM) nicht zu beanstanden ist.

Die Klägerin kann auch nicht mit ihrer Auffassung durchdringen, daß die Überzahlung von Erzg für ein Kind nur mit dem Anspruch auf Erzg für dasselbe Kind verrechnet werden dürfe. Die Ansicht der Klägerin über die fehlende materielle Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 BGB) trifft nicht zu. Das Erzg ist keine Unterhaltsleistung für das Kind wie etwa das Kindergeld, das dem Unterhalt des Kindes dient und nur formell einem Elternteil zugeordnet ist. Wegen dieser Zweckbestimmung des Kindergeldes mag eine Aufrechnung von Ansprüchen auf Beiträge zur Berufsgenossenschaft gegen einen Kindergeldanspruch nach § 51 Abs. 2 SGB I nicht möglich sein (BSGE 53, 208 = BSG SozR 1200 § 52 Nr. 6). Das kann indes die Berücksichtigung von Kindergeld als Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils nicht ausschließen (BSGE 66, 63 = SozR 1200 § 51 Nr. 17). Erwägungen zum Verbot der Aufrechnung gegen Kindergeldansprüche mit Blick auf die notwendige Gegenseitigkeit der Ansprüche sind daher nicht auf das Erzg übertragbar. Vielmehr folgt aus dem Zweck des Erzg, die Hinwendung zum Kind zu fördern, die Betreuungs- und Erziehungsleistung anzuerkennen und die Wahlfreiheit zwischen Berufsausübung und Einkommensverzicht zu sichern, daß es dem das Kind betreuenden Elternteil formell wie materiell allein zusteht. Die Gegenseitigkeit beider sich gegenüberstehenden Forderungen ist daher gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie gilt auch für das Verfahren über den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung durch das LSG.

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