12 RK 34/86
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, in welchem Umfang eine dem Kläger bei Ausscheiden aus seinem Arbeitsverhältnis gezahlte Abfindung als Einnahme zum Lebensunterhalt der Grundlohnberechnung im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung zugrunde zu legen ist.
Der Kläger (geb. 1921) ist bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Er war seit 28 Jahren bis zum 30. September 1983 bei der P-GmbH in K. beschäftigt. Bei seinem Ausscheiden, das einvernehmlich erfolgte, erhielt der Kläger im Rahmen eines Sozialplans als einmalige Leistung eine Abfindung in Höhe von 45.897,00 DM. Sein letztes monatliches Arbeitsentgelt betrug 4.751,00 DM. Seit dem 1. Juni 1984 bezieht der Kläger vorgezogenes Altersruhegeld.
Zu dem Abschluß der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung der Abfindung hat der Kläger mitgeteilt, sein Arbeitgeber habe ihm u.a. angeboten, einen Aufhebungsvertrag mit Zahlung einer Abfindung abzuschließen bei gleichzeitiger Verpflichtung, keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld (Alg) geltend zu machen. Zur Zusammensetzung der Abfindung hat der Kläger angegeben, daß die Abfindung einmal aus der Differenz zwischen 70 % des geschätzten Bruttolohns zum Zeitpunkt des Ausscheidens und dem Alg für 8 Monate (Oktober 1983 bis Mai 1984), des weiteren aus dem Alg für 12 Monate sowie Rentenversicherungsbeiträgen, Krankenversicherungsbeiträgen und Beiträgen zum Versorgungswerk, die der Arbeitgeber hätte zahlen oder erstatten müssen, errechnet worden sei, machte die Beklagte gegenüber dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1983 monatliche Beiträge in Höhe von 341,00 DM nach der Versicherungsklasse 773 (monatliche Gesamtbezüge über 3.750,00 DM) und ab 1. Januar 1984 in Höhe von monatlich 355,00 DM (monatliche Gesamtbezüge über 3.900,00 DM) geltend. Sie ging dabei von dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt der letzten drei Monate vor dem Ausscheiden aus der Beschäftigung aus, und verteilte die Abfindung in dieser Höhe anteilsmäßig auf die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1984).
Das Sozialgericht Düsseldorf (SG) verurteilte die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide, bei der Beitragsfestsetzung nur 50 % der dem Kläger gewährten Abfindung zu berücksichtigen (Urteil vom 28. Januar 1985). Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden (Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen - LSG - vom 11. Juni 1986).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß nur der Teil der Abfindung dem Grundlohn zuzurechnen sei, der als Einnahme zum Lebensunterhalt für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bestimmt sei, nicht hingegen der Teil, dessen Zweck allein in einer Entschädigung für den verlorengegangenen Arbeitsplatz bestehe. Für die Abgrenzung biete sich eine entsprechende Anwendung von § 117 Abs. 2 und Abs. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) an. Danach könnten beim Kläger nur 30 % der Abfindung, das seien 13.769,10 DM, berücksichtigt werden. Der Beitrag berechne sich dementsprechend für die Monate Oktober und November 1983 nach einem Einkommen von je 4.751,00 DM (das war die Höhe des letzten Arbeitsentgelts) und für Dezember 1983 nach einem Einkommen von 4.267,00 DM (Restbetrag des anrechenbaren Teils der Abfindung). Für die übrige Zeit könne die Beklagte an sich die Beiträge nur nach der niedrigsten Beitragsklasse erheben. Da das Urteil des SG jedoch teilweise rechtskräftig geworden sei, seien die Beiträge für Oktober 1983 bis Januar 1984 nach einem Einkommen von 4.751,00 DM und für Februar 1984 von 3.944,50 DM zu erheben.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, daß die Besonderheit des Falles eine von § 117 AFG abweichende Berechnung erfordere. Durch die besondere Vergleichsgestaltung werde bewirkt, daß der Kläger kein Alg erhalte und ihr (der Krankenkasse) mithin auch nicht die von der Bundesanstalt für Arbeit während des Leistungsbezugs zu zahlenden Beiträge zuflössen. Aus diesem Grunde könne auch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 28. April 1987 (SozR 2200 § 180 Nr. 36) auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Dort habe es sich um eine echte Abfindung gehandelt, in die kein Alg einbezogen worden sei.
Die Beklagte beantragt,
- die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Der Beklagten ist zuzustimmen, daß in diesem Fall eine Bestimmung des der Beitragsberechnung zugrunde zu legenden Teils der Abfindung nicht uneingeschränkt im Wege entsprechender Anwendung von § 117 Abs. 2 und 3 AFG erfolgen kann.
Der Beitragsanspruch der Beklagten ergibt sich im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung aus ihrer Satzung (BSG SozR 2200 § 180 Nr. 31 S. 124 m.w.N.). Gemäß § 14 Abschnitt 1.4 der Satzung der Beklagten richtet sich der Beitrag nach dem Umfang des Arbeitsentgelts, des Arbeitseinkommens und sonstiger Einnahmen zum Lebensunterhalt. Diese Bestimmung entspricht der gesetzlichen Regelung in § 180 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (vgl.. BSG SozR 2200 § 180 Nr. 12 S. 36 oben). Dementsprechend können nur solche Einnahmen der Grundlohnberechnung zugrunde gelegt werden, die für den jeweiligen Beitragsmonat zum Lebensunterhalt bestimmt sind. Auszuscheiden sind Einnahmen, die für andere Zwecke gezahlt werden (vgl.. BSG SozR 2200 § 180 Nrn. 5, 7 bis 10, 12, 19, 20, 31). Zur Einbeziehung von Abfindungen in den Grundlohn hat der erkennende Senat im Urteil vom 28. April 1987 (SozR 2200 § 180 Nr. 36) ausgeführt, daß eine Abfindung, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt wird, sich in Fällen, in denen der Tatbestand des § 117 Abs. 2 AFG vorliegt (vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der für den Arbeitgeber geltenden ordentlichen Kündigungsfrist), zum einen aus einer Abgeltung für den durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkten Verlust von Arbeitsentgelt („Arbeitsentgeltanteil“) und zum anderen aus einer Entschädigung für den Verlust sozialer Besitzstände, insbesondere des Arbeitsplatzes, („sozialer Anteil“) zusammensetzt. Für die Abgrenzung des als Einnahme zum Lebensunterhalt einzustufenden Arbeitsentgeltanteils und der für den Verlust sozialer Besitzstände bestimmten Entschädigung, hat der Senat in solchen Fällen die Regelungen des § 117 Abs. 2 und 3 AFG für übertragbar gehalten.
Das bedeutet indes nicht, daß die in § 117 Abs. 2 und 3 AFG geregelte Berechnungsweise in jedem Fall uneingeschränkt zugrunde zu legen ist.
Bei einer als Abfindung bezeichneten Zahlung des Arbeitgebers, mit der alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sein sollen, sind stets - auch bei Anwendung von § 117 AFG im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung - vorab diejenigen Teilbeträge abzuziehen, die zur Abgeltung von Ansprüchen gezahlt werden, die während des Arbeitsverhältnisses erdient wurden, z.B. rückständiges Arbeitsentgelt, Arbeitsentgelt für die letzte Zeit des Arbeitsverhältnisses, fällige Sonderzahlungen (s. z.B. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 7), oder auf die ohnehin beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ein Anspruch bestand, wie z.B. auf tarifliche Überbrückungszahlungen, wie sie u.a. in §§ 62 ff. BAT vorgesehen sind (siehe zum ganzen Gagel, Sozialrechtliche Konsequenzen von Vergleichen in Kündigungsschutzprozessen 2. Aufl., 1987, RdNrn. 74 ff., 159 ff.). Entsprechendes gilt für das Beitragsrecht. Soweit in einer Abfindung beitragspflichtiges Arbeitsentgelt enthalten ist, das während des bisherigen Arbeitsverhältnisses erdient wurde, ist dies im Rahmen der Pflichtversicherung des zu Ende gegangenen Arbeitsverhältnisses beitragsrechtlich zu berücksichtigen. Soweit in der Abfindung in kapitalisierter Form Leistungen für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalten sind, zu denen der Arbeitgeber nach dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ohnehin verpflichtet war, handelt es sich um Leistungen zum Lebensunterhalt für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, die im Rahmen von § 180 Abs. 4 RVO oder entsprechender Satzungsbestimmung der Ersatzkassen bei der Berechnung des Grundlohns für die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zu berücksichtigen sind.
Ebenso zu behandeln sind Teile einer „Abfindung“, die als Gegenleistung dafür gezahlt werden, daß der Arbeitnehmer auf andere Ansprüche gegen den Arbeitgeber verzichtet (vgl.. BSG SozR 2100 § 14 Nr. 7). Soweit es sich dabei um Einnahmen zum Lebensunterhalt für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses gehandelt hätte, wären die entsprechenden Anteile der Abfindung in gleicher Weise wie die Leistungen zum Lebensunterhalt, auf die verzichtet wurde, in die Grundlohnberechnung einzubeziehen. Sofern eine Abfindung als Gegenleistung für den Verzicht auf Leistungen zum Lebensunterhalt, die ein Dritter zu zahlen hätte, erhöht wird, ist ebenso zu verfahren; insoweit ist der entsprechende Teil der „Abfindung“ keine Abfindung i.S. des § 117 Abs. 2 und 3 AFG, sondern eine Gegenleistung dafür, daß auf die Geltendmachung des anderen Anspruchs verzichtet wurde. Dementsprechend wäre auch - sofern die Angaben des Klägers zuträfen, daß er die Abfindung in dieser Höhe nur erhalten hat, weil er auf die Geltendmachung von Alg verzichtet hat - die dem Kläger gezahlte Abfindung um den Betrag zu vermindern, den er anderenfalls als Alg von der BA erhalten hätte; denn es kann regelmäßig nicht angenommen werden, daß der Arbeitnehmer auf Alg verzichtet, wenn die Abfindung nicht entsprechend erhöht wird. Nur auf den danach verbleibenden Rest ist dann, sofern sonstige Entgeltteile und Gegenleistungen in der Abfindung nicht enthalten waren und wenn das Arbeitsverhältnis „vor Ablauf der für den Arbeitgeber geltenden ordentlichen Kündigungsfrist“ beendet wurde, § 117 Abs. 2 und 3 AFG anzuwenden, wobei im Falle des Klägers - wie das LSG zutreffend entschieden hat - 30 % als Entgeltanteil und 70 % als reine Abfindung anzusehen wären.
Die übrigen für die Berechnung der Abfindung nach Angaben des Klägers maßgeblichen Faktoren wären für die hier vorzunehmende Berechnung ohne Bedeutung, da sie, soweit ersichtlich, weder entstandene Ansprüche abgelten noch Gegenleistungen für Leistungen zum Lebensunterhalt darstellen sollten. Dies würde insbesondere für den Berechnungsposten „Arbeitslosengeld“ gelten, soweit er über den Betrag hinausgeht, der dem Kläger ohne eine solche Vereinbarung bei rechtzeitiger Arbeitslosmeldung zugestanden hätte, und ebenso für Beiträge zur Sozialversicherung und zu einem Versorgungswerk, die der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder im Falle der Inanspruchnahme von Alg hätte zahlen oder erstatten müssen. Diese Beträge sind Posten in der Kalkulation des Arbeitgebers. Sie beeinflussen nicht den Rechtscharakter dieser Leistung; sie ist desungeachtet eine Abfindung. Unbeachtlich wäre auch, ob die Vereinbarung, Ansprüche auf Alg nicht geltend zu machen, wirksam war; denn sie ist tatsächlich erfüllt worden und dem Kläger ist die vereinbarte Zahlung auch zugeflossen.
Bei der Prüfung, wieviel Alg dem Kläger zugestanden hätte, wäre zunächst das wöchentliche Alg zu ermitteln, das ihm bei rechtzeitiger Arbeitslosmeldung zugestanden hätte, sowie die Dauer des Anspruchs. Ferner wäre zu berechnen, wielange das Alg wegen der Abfindung geruht hätte, wenn Gegenleistungen für den Verzicht auf Alg nicht enthalten gewesen wären. Diese Berechnung ist möglich, wenn der Gesamtbetrag der Abfindung, die Dauer der Arbeitslosigkeit, der bisherige Verdienst und die Höhe des wöchentlichen Alg bekannt sind. Ohne daß den noch zu treffenden tatsächlichen Feststellungen des LSG damit vorgegriffen werden soll, ergibt z.B. eine überschlägige Rechnung aufgrund der vom Kläger mitgeteilten Beträge, daß das Alg des Klägers etwa für die Dauer von zwei Monaten gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG geruht hätte. Eine Sperrzeit nach § 119 AFG würde sich nicht auswirken, da sie im Jahre 1983 höchstens acht Wochen betragen konnte. Für diese etwa zwei Monate wäre dementsprechend bei der Grundlohnberechnung von einem Arbeitsentgelt von 4.751,00 DM auszugehen. Für die Zeit danach bis 31. Mai 1984 wäre ein Betrag in Höhe des entgangenen Alg als Einnahme zum Lebensunterhalt zugrunde zu legen.
Eine abschließende Entscheidung hierzu ist indes nicht möglich, weil der erkennende Senat die für diese Grundlohnberechnung erforderlichen Tatsachen, die das LSG bisher aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht festzustellen brauchte, nicht selbst feststellen kann (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes). Die Sache mußte deshalb zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.