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12 RK 19/83

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Zinsansprüche der Klägerin.

Die Beklagte forderte mit Beitragsbescheiden vom 3. und 28. Oktober 1974 von der Klägerin Beiträge für einen bei ihr beschäftigten Studenten. Widerspruch, Klage und Berufung blieben zunächst erfolglos. Nach Zurückverweisung der Sache durch das Bundessozialgericht (BSG) entschied letztlich das Landessozialgericht Hamburg (LSG) mit Urteil vom 10. November 1981, daß der Beitragsanspruch nicht zu Recht bestehe, und hob die Bescheide der Beklagten auf. Das Urteil ist seit dem 25. April 1982 rechtskräftig.

Der Widerspruch wurde seinerzeit mit Schreiben vom 18. Oktober 1974 eingelegt, die Klage am 12. Juni 1975 erhoben, die erste mündliche Verhandlung fand am 23. Januar 1978 statt. Die Beiträge (für den Zeitraum vom 1. Dezember 1971 bis zum 8. August 1973) wurden in der Zeit vom 22. Juli 1975 bis 7. Februar 1977 in monatlichen Raten von 200,00 DM sowie am 7. März 1977 in Höhe des Restes von 127,55 DM (insgesamt 4.127,55 DM) an die Beklagte gezahlt.

Aufgrund des Urteils vom 10. November 1981 zahlte die Beklagte hiervon am 22. Juni 1982 3.984,40 DM zurück. Gegen die Höhe der Rückzahlung werden von der Klägerin keine Einwendungen erhoben. Geltend gemacht werden jedoch Zinsen von durchschnittlich 14 % für die Zeit seit der Abführung der Beiträge bis 30. Juni 1982 in Höhe von insgesamt 3.635,31 DM zuzüglich weiterer Kosten und Zinsen.

Die Beklagte lehnte diese Forderung ab (Bescheid vom 29. Juli 1982, Widerspruchsbescheid vom 1. November 1982). Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Sozialgericht H. (SG) verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 4 % Zinsen auf einen Betrag von 3.635,31 DM für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis 31. Mai 1982. Im übrigen wies es die Klage ab; die Sprungrevision wurde zugelassen (Urteil vom 8. März 1983).

Das SG war der Auffassung, daß für die Entscheidung des Rechtsstreits § 27 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) maßgeblich sei. Nach Art 2 § 14 SGB IV gelte § 27 SGB IV für die nach seinem Inkrafttreten fällig werdenden Erstattungsansprüche. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei erst nach dem 1. Juli 1977 fällig geworden. Die Fälligkeit sei nicht gleichzusetzen mit der Entstehung des Anspruchs. Nach § 26 Abs. 1, 1. Halbs. SGB IV seien zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Solange die Beitragsbescheide der Beklagten nicht aufgehoben waren, sei in ihnen eine Rechtsgrundlage für die Entrichtung der Beiträge zu sehen gewesen. Erst mit der rechtskräftigen Aufhebung durch Urteil vom 10. November 1981 sei der Beitragsverpflichtung die Rechtsgrundlage entzogen worden und damit der Erstattungsanspruch fällig geworden. Entstanden sei er allerdings schon früher, nämlich im Zeitpunkt der Zahlung der jeweiligen Beitragsrate. Zugleich mit dieser - unter Vorbehalt erfolgten - Zahlung habe die Klägerin die Erstattung des gezahlten Betrages i.S. des § 27 Abs. 1 SGB IV beantragt.

Dementsprechend sei der Erstattungsanspruch nach § 27 SGB IV für die Zeit ab 1. Juli 1977 (Inkrafttreten des SGB IV) zu verzinsen; denn zu diesem Zeitpunkt seien alle Beitragsraten entrichtet gewesen. Der Zinssatz betrage 4 %. Die Verzinsung ende mit dem Kalendermonat vor der Rückzahlung der Beiträge, hier also mit dem 31. Mai 1982.

Weitere Zinsansprüche seien nicht gegeben. Das BSG habe in ständiger Rechtsprechung in der Zeit vor Inkrafttreten des SGB IV entschieden, daß Zinsen im Bereich des Sozialrechts nur in dem Umfang zu zahlen seien, in dem sie ausdrücklich gesetzlich vorgesehen seien. Es habe auch entschieden, daß sich daran mit Inkrafttreten der §§ 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeine Vorschriften für die Sozialversicherung - und 27 SGB IV nichts geändert habe (BSG vom 18. Dezember 1979 - 2 RU 3/79 - BSGE 49, 227). Auch ein Anspruch auf Prozeßzinsen sei zu verneinen. § 27 SGB IV habe die Zinsforderung abschließend geregelt. Auch für die Forderung auf Ersatz der Kosten und Zinseszinsen gebe es keine Rechtsgrundlage. Diese Regelung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es sei allenfalls an Ansprüche aus Amtspflichtverletzung zu denken (BSG vom 26. Januar 1967 - 3 RK 42/64 - SozR Nr. 3 zu § 1424 RVO = USK 6711).

Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligten Revision eingelegt.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß das Recht der Beklagten, im Säumnisfalle Säumniszuschläge zu erheben, unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten eine Verzinsungspflicht bei zu Unrecht erhobenen Beiträgen erfordere, und zwar in Höhe der dem Beitragszahler selbst entstandenen Zinsen. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem basiere auf der Geldverzinsung. Dies sei auch im Rahmen des Sozialrechts zu berücksichtigen. Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des LSG … (Breithaupt 1964, 639), das einem zu Unrecht in Anspruch genommenen Bürger einen Folgenbeseitigungsanspruch hinsichtlich aller für den Verwaltungsträger konkret absehbaren Folgen der unrichtigen Inanspruchnahme zubilligt, d.h. auch Ersatz der Zinsen eines aufgenommenen Bankkredits sowie Prozeßzinsen nach § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 1982 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12 % Zinsen aus 3.710,31 DM seit dem 1. Januar 1982 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß § 27 SGB IV hier nicht anwendbar sei, weil die erstatteten Beiträge bereits vor dem 1. Juli 1977 gezahlt worden seien und zu diesem Zeitpunkt auch schon ein vollständiger Erstattungsantrag vorgelegen habe, die Erstattungsforderung mithin schon vor dem Stichtag fällig gewesen sei. Sie beruft sich auf ein Urteil des BSG vom 23. Juni 1982 (9b/8 RU 6/81). Sei man aber der Auffassung, daß der Erstattungsanspruch erst mit der Rechtskraft des Urteil des LSG… fällig geworden sei (25. April 1982), so seien gleichfalls keine Zinsen zu zahlen. In diesem Fall sei nämlich zu berücksichtigen, daß dem Erstattungsanspruch rechtzeitig innerhalb der Frist des § 27 Abs. 1 SGB IV entsprochen worden sei. Höhere Zinsen als 4 % könnten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommen. Dies sei vom BSG bereits im Urteil vom 26. Januar 1967 (3 RK 42/64) entschieden worden.

Beide Beteiligten beantragen außerdem,

  • jeweils die Revision des Gegners zurückzuweisen.

Sie haben sich damit einverstanden erklärt, daß durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.

Entscheidungsgründe

Beide Revisionen sind unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, daß § 27 SGB IV auf den vorliegenden Fall Anwendung findet. Nach Art 2 § 14 SGB IV gelten die §§ 24 und 27 Abs. 1 SGB IV „nur für die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig werdenden Beitrags- und Erstattungsansprüche“. Dabei bezieht sich das Wort „Beitragsansprüche“ auf § 24 SGB IV, das Wort „Erstattungsansprüche“ auf § 27 Abs. 1 SGB IV. Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist nach Inkrafttreten des SGB IV (1. Juli 1977) fällig geworden.

Ein Anspruch auf Erstattung von Beiträgen (§ 26 SGB IV) kann erst fällig werden, wenn er von dem erstattungspflichtigen Versicherungsträger zu erfüllen ist. Das ist bei Beiträgen, die von einer Krankenkasse durch einen Heranziehungsbescheid gefordert worden sind, erst der Fall, nachdem dieser Bescheid aufgehoben worden ist. Solange das nicht geschehen ist, muß auch eine mit der Klage angefochtene Beitragsforderung von dem in Anspruch genommenen Adressaten des Bescheids zunächst erfüllt werden, da die Klage insoweit keine aufschiebende Wirkung hat (§ 97 Abs. 1 SGG). Insofern ist der Bescheid die formelle Rechtsgrundlage für die Beitragsentrichtung. Erst wenn diese Rechtsgrundlage beseitigt ist, kann der Erstattungsanspruch fällig werden.

Hier sind die Beitragsbescheide der Beklagten mit dem (in mündlicher Verhandlung ergangenen) Urteil des LSG vom 10. November 1981 aufgehoben worden. Es kann dahinstehen, ob für die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs der Klägerin der Zeitpunkt der Verkündung des Urteils oder der Zeitpunkt seiner Rechtskraft maßgeblich ist. In jedem Fall liegt der Zeitpunkt der Aufhebung der Bescheide in der Zeit nach dem 1. Juli 1977, so daß § 27 SGB IV Anwendung findet. Aus dem von der Beklagten erwähnten Urteil des BSG vom 23. Juni 1982 (9b/8 RU 6/81) ergibt sich nichts anderes; es betrifft die Fälligkeit von Leistungen für die Zeit vor ihrer Feststellung durch Urteil.

Weitere Einschränkungen enthält Art 2 § 14 SGB IV nicht. Insbesondere ist darin nicht vorgesehen, daß § 27 Abs. 1 SGB IV und deshalb die Verzinsung des Erstattungsanspruchs erst vom Zeitpunkt seiner Fälligkeit an gilt; vielmehr muß der genannten Übergangsvorschrift und dem Art 2 § 21 SGB IV entnommen werden, daß § 27 Abs. 1 SGB IV für die Zeit seit seinem Inkrafttreten anzuwenden ist, also ab 1. Juli 1977, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift an diesem Tage vorlagen (so offenbar auch Schwerdtfeger, SGB-SozVersGesKomm, § 27 SGB IV, S 300/25). Die Verzinsung eines - nach dem 1. Juli 1977 fällig gewordenen - Erstattungsanspruchs hat somit bereits mit diesem Tage begonnen, wenn damals, wie § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV fordert, ein vollständiger Erstattungsantrag (oder bei seinem Fehlen eine Erstattungsentscheidung) vorlag und seit seinem Eingang (ihrer Bekanntgabe) ein Kalendermonat abgelaufen war. Das war hier der Fall.

Die Beklagte meint allerdings, aus den Grundgedanken des Zinsrechts folgern zu können, daß die Verzinsung eines Anspruchs stets seine Fälligkeit voraussetze. Dem kann der Senat wegen der Besonderheiten des Beitragsverfahrens im Sozialrecht nicht zustimmen. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Regelungen des SGB IV zur Verzinsung von Ansprüchen gegen Sozialleistungsträger nicht mit den zivilrechtlichen Regelungen über Verzugszinsen und Prozeßzinsen (§§ 288, 291 BGB) vergleichbar sind. Besonders deutlich wird dies an § 24 SGB IV, der anstelle von Verzugszinsen, Prozeßzinsen und Schadensersatzansprüchen allein Säumniszuschläge vorsieht, die die Einzugsstelle nach ihrem Ermessen auferlegen kann. Aber auch § 27 SGB IV zeigt deutliche Unterschiede gegenüber dem Zivilrecht. Er stellt weder auf die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs ab noch auf ein Verschulden des Versicherungsträgers noch auf die Höhe eines dem Erstattungsberechtigten etwa entstandenen Schadens (z.B. gezahlte Bankzinsen). Diese Eigenständigkeit der Verzinsung sozialrechtlicher Ansprüche schließt es aus, ohne weiteres von bürgerlich-rechtlichen Normen auszugehen oder dort entwickelte Grundsätze heranzuziehen (so z.B. auch Maier, RV 78, 128, 129; Schwerdtfeger, a.a.O., § 27 SGB IV, S. 300/28). Die Voraussetzungen der Verzinsung solcher Ansprüche sind somit allein dem § 27 SGB IV zu entnehmen. Hier kommt es deshalb für den Beginn der Verzinsung nur darauf an, ob zum fraglichen Zeitpunkt (1. Juli 1977) ein vollständiger Erstattungsantrag vorlag und die Beiträge entrichtet waren.

Ein vollständiger Erstattungsantrag lag vor. Das SG hat zu Recht angenommen, daß in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid oder in einer unter Vorbehalt erfolgten, unfreiwilligen Erfüllung einer Beitragsforderung zugleich ein Erstattungsantrag enthalten ist (so auch Wolber, BlStSozArb 81, 294, 296; Schwerdtfeger, a.a.O., § 27 SGB IV, S. 300/33 unter 8b); das gilt selbst dann, wenn die Beiträge zu dieser Zeit noch nicht entrichtet waren. Der zu unterstellende Erstattungsantrag wirkt dann für später entrichtete Beiträge fort. Diese sind hier auch lange vor dem frühestmöglichen Beginn der Verzinsung (1. Juli 1977) entrichtet worden.

Aus alledem ergibt sich, daß die Revision der Beklagten unbegründet ist; sie hat den Erstattungsanspruch der Klägerin ab 1. Juli 1977 in Höhe von 4 % zu verzinsen, wie das SG zutreffend entschieden hat.

Auch die (auf die Zeit ab 1. Januar 1982 beschränkte) Revision der Klägerin ist zurückzuweisen. Sie hat für die Zeit nach dem 1. Juli 1977 weder einen Anspruch auf höhere Zinsen noch auf Kreditkosten. Dabei hat der Senat nicht darüber zu befinden, ob es rechtspolitisch vertretbar oder sogar sachgerechter wäre, in Fällen der vorliegenden Art einem erstattungsberechtigten Arbeitgeber mit Rücksicht auf seinen eigenen Zinsaufwand höhere als in § 27 SGB IV vorgesehene Zinsen zuzubilligen. Der Gesetzgeber hat die Frage der Verzinsung von Erstattungsansprüchen in § 27 SGB IV abschließend geregelt. Diese Regelung läßt es nicht zu, Normen des BGB ergänzend anzuwenden (siehe auch Maier, RV 78, 128, 129). Es bleibt lediglich die Möglichkeit, über § 27 SGB IV hinausgehende Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes herzuleiten. Ein solcher Schadensersatzanspruch könnte dabei nur auf eine Amtspflichtverletzung der Einzugsstelle gegründet werden (§ 839 BGB). Die Entscheidung über solche Ansprüche ist aber den Zivilgerichten vorbehalten.

Auch der für die Folgen von Verwaltungsfehlern entwickelte Folgenbeseitigungsanspruch führt hier nicht zu höherer Verzinsung. Dieser Anspruch richtet sich von seiner Definition her auf die Beseitigung eines Zustandes, der infolge rechtswidrigen Verwaltungshandelns eingetreten ist, und geht nicht auf Schadensersatz in Geld (so z.B. Rüfner in: Erichsen/Martens, Allg VerwR, 6.Aufl, § 53 V, S 522 oben; s BSG, Urteil vom 26. Januar 1967 - 3 RK 42/64 -). Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 7, 95 und ständige Rechtsprechung) hat - entgegen der Auffassung der Klägerin - eine Zubilligung von Prozeßzinsen nicht auf einen Folgenbeseitigungsanspruch, sondern auf Treu und Glauben gestützt (a.a.O. S. 97). Dieser Weg ist im Bereich des Sozialrechts aber durch die abschließende Sonderregelung des § 27 Abs. 1 SGB IV verschlossen.

Entsprechendes gilt für einen Herstellungsanspruch. Mit ihm könnte außerdem nicht mehr verlangt werden, als mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zu verwirklichen ist, also niemals die Zahlung höherer Zinsen (aA Schwerdtfeger, a.a.O., § 27 SGB IV, S 300/28 unter 2g/aa).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis sind nicht erkennbar. § 27 SGB IV enthält eine generalisierende Regelung, die sowohl beim Erstattungsberechtigten wie beim Erstattungspflichtigen von subjektiven Momenten (Verschulden) absieht und sich deshalb je nach Lage des Falles auch zugunsten des Arbeitgebers auswirken kann; im übrigen hält sich dessen mögliche Belastung durch die Indienstnahme (BSGE 41, 297) in noch vertretbaren Grenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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