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11 RAz 1/82

Tatbestand

Streitig ist, ob dem in G. lebenden Kläger ein Beitragszuschuß zur privaten Krankenversicherung zusteht.

Der 1937 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit 1975 Erwerbsunfähigkeitsrente. Als privat Krankenversicherter ließ er sich von der Rentnerkrankenversicherungspflicht befreien, worauf die Beklagte ihm den Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F., ab 1. Juli 1977 nach § 83e des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), gewährte. Nach Übersiedlung des Klägers nach Großbritannien stellte die Beklagte zum 30. Juni 1978 die Zahlung des Zuschusses ein und forderte ihn von Februar 1978 an zurück. Durch Bescheid vom 18. Dezember 1979 und Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 1980 lehnte sie eine Gewährung für die Zeit in Großbritannien ab, weil der Kläger die - kostenlosen - Leistungen des staatlichen britischen Gesundheitsdienstes in Anspruch nehmen könne. Die Klage dagegen hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) im Urteil vom 26. November 1981 schließt eine Eingliederung in ein ausländisches Krankenschutzsystem den Anspruch auf den Beitragszuschuß aus, sofern die Ansprüche für den Krankheitsfall einander vergleichbar sind (Hinweis auf SozR 2200 § 381 Nr. 15); denn der Zuschuß bezwecke allein, eine nicht schon von Staats wegen bestehende Vorsorge privat aufrechtzuerhalten oder zu ermöglichen. Die britische Gesundheitsfürsorge, deren Leistungen der Kläger jedenfalls seit Juli 1978 in vollem Umfang beanspruchen könne, sei mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar. Ob es sich um eine lediglich annähernde Vergleichbarkeit oder um eine im wesentlichen wirkliche Gleichheit i.S. der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) handele, bedürfe keiner Erörterung. Die Vergleichbarkeit folge hier aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht, das für die gesetzliche Krankenversicherung von der Gleichwertigkeit der Krankenversicherungssysteme aller Mitgliedsstaaten ausgehe (Art. 27 und 28a der Verordnung der Europäischen Gemeinschaft - EWG-VO - Nr. 1408/71). Werde nach Art. 27 der Mehrfachrentner auf die Inanspruchnahme der Krankenversicherungsleistungen des Mitgliedsstaates verwiesen, in dem er wohne, dann müsse der Anspruch auf Sachleistungen schon nach deutschem innerstaatlichen Recht zum Verlust des Anspruchs auf Beitragszuschuß führen, ohne daß es darauf ankomme, ob sich diese Rechtsfolge auch aus dem überstaatlichen Recht ergebe, sofern der Kläger dessen Voraussetzungen erfüllte.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,

  • die vorinstanzlichen Urteile sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den 30. Juni 1978 hinaus Beitragszuschuß zu gewähren.

Er hält das Urteil für rechtsfehler- und verfahrensfehlerhaft, weil das LSG, anstatt festzustellen, ob die staatliche britische Gesundheitsfürsorge im wesentlichen wirklich der deutschen Krankenversicherung gleiche (Hinweis auf BSGE 49, 141, 143), auf Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts abhebe, die hierüber nichts besagten. Tatsächlich bestünden erhebliche für ihn nachteilige Unterschiede zwischen den Systemen, so beim Krankenschutz auf Auslandsreisen. Überdies könne er wegen der Unwiderruflichkeit der Befreiung von der Rentnerkrankenversicherung (§ 173a Abs. 2 Satz 2 RVO) bei einer Rückkehr nach Deutschland nicht mehr deren Mitglied werden, müsse aber ohne Beitragszuschuß seine private gegenwärtige Krankenversicherung aufgeben. Wegen der Vorerkrankungen könne er einen neuen Vertrag nur unter erschwerten Bedingungen abschließen. Die Befreiung von der Krankenversicherung der Rentner sei daher insoweit verfassungswidrig, als sie unwiderruflich sei, ihm einen späteren Zutritt versage und ihn zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Versicherung auch ohne den ursprünglich zugesagten Beitragszuschuß zwinge.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist mit der Maßgabe begründet, daß das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), denn die im Urteil enthaltene Tatsachenfeststellung läßt es nicht zu, daß der Senat abschließend in der Sache entscheidet.

Streitgegenstand ist vorliegend allein der Bescheid vom 18. Dezember 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 1980, mit dem die Beklagte die Zahlung des Beitragszuschusses an den Kläger über den 30. Juni 1978 hinaus „für die Zeit des Aufenthalts in Großbritannien“ abgelehnt hat. Die vom Kläger beanspruchte Weitergewährung der Leistung setzt zunächst einmal nach § 83e Abs. 1 Satz 1 AVG (= 1304e Abs. 1 Satz 1 RVO) in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des 20. Rentenanpassungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl. I 1040) voraus, daß er - nach dem 30. Juni 1978 - eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung bezieht, nicht in der deutschen Rentenversicherung pflichtversichert, aber (entweder darin freiwillig oder) bei einem Krankenversicherungsunternehmen gegen Krankheit versichert ist. Diese Kriterien sind nach dem Sachverhalt erfüllt. Da der Kläger zum maßgebenden Zeitpunkt in Großbritannien lebte, kann jedoch noch bedeutsam sein, daß er in das dortige staatliche Gesundheitsfürsorgesystem eingegliedert und dort zum kostenlosen Leistungsbezug berechtigt ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSGE 27, 129; 49, 141) kann auch ein Rentner im Ausland trotz der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 83e AVG einen Beitragszuschuß nur erhalten, wenn er mangels einer ihn im Ausland erfassenden gesetzlichen Pflichtversicherung oder staatlichen Gesundheitsfürsorge gehalten ist, für seinen Schutz im Krankheitsfalle selbst zu sorgen. Als ein solches den Rentner der privaten Vorsorge enthebendes Krankenschutzsystem hat das BSG früher jedes ausländische System angesehen, das der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung wenigstens annähernd vergleichbar ist (SozR 2200 § 381 Nrn. 15, 16, 22, 23, 30 und 31). Der erkennende Senat hat hiervon abgehend in seinen Urteilen vom 2. August 1979 (BSGE 48, 286 = SozR 2200 § 381 Nr. 33) und vom 15. November 1979 (BSGE 49, 141 = SozR 2200 § 381 Nr. 34) den Grundsatz entwickelt und seither an ihm festgehalten (SozR 2200 § 1304e Nr. 5), daß die Zugehörigkeit zu einem ausländischen gesetzlichen Krankenschutzsystem den Anspruch auf den Beitragszuschuß nur dann ausschließt, wenn das ausländische System im Leistungsumfang der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung wirklich im wesentlichen gleicht oder mit anderen Worten, wenn die Leistungsbedingungen des ausländischen Systems von denen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zum Nachteil des Berechtigten allenfalls unwesentlich oder geringfügig abweichen. Der Fall des Klägers gibt keinen Anlaß zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Zu der hiernach entscheidenden Frage, ob sich der Leistungsumfang der staatlichen britischen Gesundheitsfürsorge, die der Kläger nach dem Sachverhalt jedenfalls ab Juli 1978 voll in Anspruch nehmen kann, mit dem der deutschen Pflichtversicherung i.S. dieser Formel deckt, hat das LSG die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen - aus seiner Sicht zu Recht - nicht getroffen. Es hat seine Entscheidung allein damit rechtlich begründet, daß die Vergleichbarkeit der beiden Systeme aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht folge; dieses gehe von der Gleichwertigkeit der Krankenversicherungssysteme aller Mitgliedsstaaten aus, so daß der - beim Kläger bestehende - Anspruch auf Sachleistungen in einem „anderen Staat“ (hier: Großbritannien) schon nach innerdeutschem Recht zum Verlust des Anspruchs auf Beitragszuschuß führe. Dem vermag der erkennende Senat nicht zuzustimmen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits klargestellt (SozR 6050 Art. 27 Nr. 1), daß sich Art. 27 EWG-VO Nr. 1408/71 - und das muß ebenso für Art. 28 und Art. 28a gelten - nicht mit der Gewährung von Beitragszuschüssen befaßt und somit deren Gewährung nicht beeinträchtigen kann (vgl. dazu ferner SozR 2200 § 381 Nr. 15). Aus diesen Artikeln kann aber auch nicht mittelbar hergeleitet werden, daß die Verordnung (VO) die Krankenschutzsysteme der einzelnen Mitgliedsstaaten als gleichwertig habe ansehen oder gar die Gleichwertigkeit bzw. wesentliche Gleichheit der Systeme habe bindend feststellen wollen. Dagegen sprechen bereits die für die VO maßgebenden, in der Präambel mitgeteilten Gründe; denn danach enthält die VO „Koordinierungsregeln“, die „unter Berücksichtigung der zwischen den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Soziale Sicherheit fortbestehenden großen Unterschiede“ gegenüber früher erweitert, verbessert oder vereinfacht worden sind. Wie der EuGH dargelegt hat (SozR 6050 Art. 19 Nr. 2), soll die VO die Anwendung der im einzelnen unterschiedlichen Systeme nach gemeinschaftlichen Kriterien sicherstellen, Diskriminierungen aufgrund von Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsort verhindern und der Aufrechterhaltung der in den einzelnen Systemen erworbenen Ansprüchen dienen. Dementsprechend ergibt sich auch aus der Systematik der in Titel III, Kapitel 1, Abschnitt 5 der VO enthaltenen Vorschriften über die Leistungen bei Krankheit nichts dafür, daß sich der VO-Geber dort für eine Gleichwertigkeit oder wesentliche Gleichheit der Krankenschutzsysteme der Mitgliedsstaaten entschieden habe. Am weitesten geht zwar Art. 27 mit der Regelung, daß ein auch im Wohnstaat zum Rentenbezug berechtigter Mehrfachrentner vom Träger des Wohnortes die Krankenversicherungsleistungen erhalte, als ob er nur nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates zum Rentenbezug berechtigt wäre. Selbst diese Bestimmung läßt sich jedoch kaum dahin verstehen, daß sie eine deutsche gesetzliche Rentnerkrankenversicherung verdrängen könnte; denn nach der genannten Entscheidung des EuGH (dort ausgeführt zu Art. 28) ist die VO Nr. 1408/71 nicht dahin auszulegen, daß sie einen weitergehenden sozialen Schutz durch innerstaatliche Rechtsvorschriften verbietet. Aber auch bei einer Verdrängung müßte diese nicht auf einer angenommenen Gleichwertigkeit (oder wesentlichen Gleichheit im Leistungsumfang) beruhen. Die Art. 28 und 28a sind erst recht nicht imstande, eine deutsche gesetzliche Rentnerkrankenversicherung zu beseitigen. Art. 28 verpflichtet den Wohnstaat zu Leistungen nur, sofern nach den Rechtsvorschriften eines Rente schuldenden anderen Staates Anspruch auf Leistungen bestünde, und dann zur Leistungsgewährung auf dessen Rechnung; Art. 28a sieht für den keine Rente schuldenden Wohnstaat, der Sachleistungen unabhängig von Versicherungs- und Beschäftigungsbedingungen gewährt (u.a. Großbritannien), vor, daß die Sachleistungen des Wohnstaates von dem Rente schuldenden Mitgliedsstaat „übernommen“ werden, sofern nach dessen Rechtsvorschriften Anspruch auf solche Sachleistungen bei dortigem Aufenthalt bestünde. Aus beiden Regelungen geht nochmals deutlich hervor, daß der EG-VO-Geber seinen Regelungen keine Gleichwertigkeit oder wesentliche Gleichheit der Krankenschutzsysteme der einzelnen Mitgliedsstaaten zugrunde gelegt haben kann. Damit versagt schließlich das Argument, daß ein Rentner bei dem gegenüber der deutschen gesetzlichen Rentnerkrankenversicherung subsidiären Beitragszuschuß nicht besser gestellt werden dürfe als bei der vorrangigen gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn die Art. 27 bis 28a der VO keine deutsche gesetzliche Rentnerkrankenversicherung verdrängen können, dann können sie auch nicht der Gewährung eines Beitragszuschusses im Wege stehen.

Ist aber der EWG-VO Nr. 1408/71 somit nicht zu entnehmen, daß im Verhältnis Deutschland/G. bei den Krankenschutzleistungen Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit besteht, dann kann der Senat über den Klageanspruch nicht abschließend entscheiden. Denn für die Beantwortung der Frage, ob dem Kläger über den 30. Juni 1978 hinaus während seines Aufenthalts in Großbritannien der Beitragszuschuß zu seiner privaten Krankenversicherung zusteht, bedarf es tatsächlicher Feststellungen des LSG über den Leistungsumfang der staatlichen britischen Gesundheitsfürsorge während der in Betracht kommenden Zeit. Der Senat kann dem Kläger nicht darin folgen, daß ihm der Beitragszuschuß schon deswegen zustehen müsse, weil er im Falle der Versagung seine private Krankenversicherung in Deutschland aufgeben müsse, bei einer späteren Rückkehr nach Deutschland aber wegen der unwiderruflichen Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in diese zurückkehren und eine erneute private Krankenversicherung dann nur unter verschärften Bedingungen erlangen könnte. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger nicht durch Vereinbarungen mit seiner privaten Krankenversicherung für die Dauer des Aufenthalts in Großbritannien dem Eintritt des befürchteten Nachteils vorbeugen könnte (Ruhen des Vertrages?). Dem Kläger ist jedenfalls durch die unwiderrufliche Befreiung von der Krankenversicherungspflicht kein Recht auf einen fortwährenden Beitragszuschuß erwachsen. Dessen Gewährung hängt allein davon ab, ob in der jeweiligen Zeit die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, wie sie im Gesetz enthalten und von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. Deshalb kann es allein auf den Krankenversicherungsschutz in der streitigen Zeit und nicht auf spätere mögliche Entwicklungen ankommen. In der streitigen Zeit kann der Kläger aber einen Beitragszuschuß nur erhalten, wenn er nicht durch das englische staatliche Gesundheitssystem schon ohne private Krankenversicherung in wesentlich gleicher Weise wie in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung geschützt ist. Aufgrund des weiteren Vorbringens des Klägers sieht sich der Senat für die erneute Entscheidung des LSG zum einen noch zu dem Hinweis veranlaßt, daß für die wesentliche Gleichheit der Leistungen i.S. der Rechtsprechung des erkennenden Senats es nicht darauf ankommen kann, ob der Kläger auf Auslandsreisen gegen das Krankheitsrisiko durch das britische System weniger gut geschützt ist als im Rahmen der gesetzlichen deutschen Krankenversicherung. Wesentlich für die Vergleichbarkeit vermag nur der inländische Schutz zu sein; individuelle Gesichtspunkte im Zusammenhang mit Reiseplänen ins Ausland müssen insoweit außer Betracht bleiben. Zum anderen können Arbeitsniederlegungen von Ärzten, Pflegern und Hilfspersonal hier und dort nichts über die wesentliche Gleichheit im Leistungsumfang besagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahren bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

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