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11 RA 14/82

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Einsatz für die für die Aktion Sühnezeichen (A.S.) den Bezug von Kinderzuschuß gem. § 39 Abs. 3 Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) über das 25. Lebensjahr des Kindes hinaus verlängern kann.

Die Klägerin erhielt zu ihrem Altersruhegeld für den im März 1955 geborenen Sohn R. den Kinderzuschuß bis zum 31. März 1980. Der Sohn ist als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und hat sein Studium vom 1. Mai 1975 bis zum 31. Oktober 1976 unterbrochen, um an einem freiwilligen sozialen Dienst im Rahmen der A.S. in P. teilzunehmen. Dafür wurde er aufgrund einer zwischen der A.S. und dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sowie dem Bundesamt für den Zivildienst bestehenden Verwaltungsvereinbarung vom 5. August 1969 für den zivilen Ersatzdienst unabkömmlich gestellt. In der Verwaltungsvereinbarung ist zugleich bestimmt, daß nach der Leistung des Dienstes keine Heranziehung zum Zivildienst mehr erfolgt. Eine Weitergewährung des Kinderzuschusses über das 25. Lebensjahr hinaus lehnte die Beklagte ab, weil der bei der A.S. geleistete Dienst dem gesetzlichen Ersatzdienst nicht gleichstehe (Bescheid vom 28. Januar 1980, Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 1980).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Leistung verpflichtet, das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach hat der Sohn als Helfer bei der A.S. keinen gesetzlichen Zivildienst und auch keinen dem Zivildienst gleichzustellenden Dienst geleistet, denn er sei nur unabkömmlich gestellt worden und seine Zivildienstpflicht nicht erloschen. Ob seine Tätigkeit die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres darstelle, brauche nicht geklärt zu werden; bejahendenfalls wäre die Bezugsberechtigung für den Kinderzuschuß in der betreffenden Zeit nach § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG nicht weggefallen, so daß ein Grund für den mit Satz 3 beabsichtigten Ausgleich nicht gegeben sei. Verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz begegne § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG nicht.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision beantragt die Klägerin (sinngemäß),

  • das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. August 1981 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. Dezember 1980 zurückzuweisen.

Sie rügt Verletzung des materiellen und formellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht das Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres angewandt; der Dienst des Sohnes bei der A.S. entspreche den darin geregelten Voraussetzungen nicht. Des weiteren sei gegen § 16 Abs. 1 des Zivildienstgesetzes (ZDG) verstoßen, denn danach stelle der Einsatz im Rahmen der A.S. eine Zivildienstausnahme dar, die es bewirke, daß eine Heranziehung zum Zivildienst nun nicht mehr erfolge. Der Einsatz habe die Berufsausbildung auch unterbrochen; das habe bereits der Präsident des Oberlandesgerichts Celle - rechtsverbindlich - festgestellt, der ihrem Ehemann während der Zeit des Friedensdienstes weiterhin den erhöhten Ortszuschlag gezahlt habe. Die Ablehnung der Weitergewährung des Kinderzuschusses verstoße darum gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Ferner habe das LSG sich zu Unrecht nicht mit ihrem Vorbringen zu Treu und Glauben auseinandergesetzt; sie habe aufgrund der Mitteilung des Bundesamtes für den Zivildienst, daß ihr Sohn nicht mehr herangezogen werde, auf die Weiterzahlung des Zuschusses vertrauen können.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; zutreffend hat das LSG entschieden, daß der Klägerin für den Sohn R. über den 31. März 1980 hinaus kein Anspruch auf Kinderzuschuß zusteht.

Als Rechtsgrundlage kommt nur § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG in Betracht, der - als Ausnahme von der in Satz 2 enthaltenen Regel, Kinderzuschuß für ein sich in Ausbildung befindendes oder ein freiwilliges soziales Jahr leistendes Kind längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zu gewähren -, bestimmt, daß im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes der Kinderzuschuß auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt wird. In dieser Vorschrift, von der entgegen dem Revisionsvorbringen auch das LSG ausgegangen ist, ist sonach zum einen vorausgesetzt, daß eine Ausbildungsunterbrechung bzw. -verzögerung eintritt, sowie zum anderen, daß diese auf der Erfüllung der Wehrdienst- oder der Ersatzdienstpflicht beruht. Eine Unterbrechung des Studiums hat das LSG bejaht. Hierin ist ihm nach den festgestellten Tatsachen ohne weiteres zu folgen. Auf die Rüge der Klägerin, das LSG habe für die Zeit von Mai 1975 bis Oktober 1976 zu Unrecht keine Unterbrechung angenommen, ist darum nicht näher einzugehen; für sie findet sich in der Entscheidung des LSG keine Grundlage. Als allein noch offene Frage bleibt vielmehr übrig, ob mit der Tätigkeit als Helfer bei der A.S. die gesetzliche Wehr- oder Ersatzdienstpflicht erfüllt worden ist. Zusätzlich oder stattdessen darüber zu entscheiden, ob der Sohn der Klägerin 1975/76 18 Monate oder 12 Monate lang ein „freiwilliges soziales Jahr“ i.S. des entsprechenden Gesetzes und des dazu ergangenen Zweiten Änderungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 (BGBl. I 3155) geleistet hat, bietet sich für den erkennenden Senat ebensowenig Veranlassung wie sie für das LSG bestanden hat. Mit Recht hat das LSG daher diese Frage unentschieden gelassen; sie ist nach Streitgegenstand und Klageantrag, die ausschließlich die Weiterzahlung des Kinderzuschusses über den März 1980 hinaus aufgrund von § 39 Abs. 3 Satz 3 (nicht Satz 2) zum Inhalt haben, unerheblich; die Angriffe der Klägerin gehen insoweit fehl.

Mit der Tätigkeit bei der A.S. hat der Sohn der Klägerin weder die gesetzliche Wehrdienstpflicht noch die gesetzliche Ersatzdienstpflicht erfüllt. Das LSG hat festgestellt, daß der Sohn der Klägerin anerkannter Kriegsdienstverweigerer ist. Gemäß § 25 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) ist er daher verpflichtet, statt des Wehrdienstes einen Zivildienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten. Die Zivildienstpflichtigen leisten den zivilen Ersatzdienst in einer dafür anerkannten Beschäftigungsstelle oder Zivildienstgruppe; bei dringendem Bedarf können sie auch in der Verwaltung des Zivildienstes beschäftigt werden (§ 3 ZDG vom 9. August 1973, BGBl. I 1015). Über die Ableistung des Zivildienstes wird nach § 46 Abs. 1 ZDG eine Dienstzeitbescheinigung erteilt. Der Sohn der Klägerin hat mit dem Einsatz in der A.S. einen der in § 3 ZDG vorgeschriebenen Dienste nicht geleistet. Nach dem Sachverhalt ist er auch nicht im Besitz der gesetzlich vorgeschriebenen Bescheinigung. Laut dem Schreiben des Bundesamtes für den Zivildienst vom 1. April 1981 ist vielmehr seine Zivildienstpflicht durch die Teilnahme an dem freiwilligen Dienst im Rahmen der A.S. in Polen nicht erloschen. Der Anspruch der Klägerin kann infolgedessen nur gegeben sein, wenn der Abs.-Dienst im Rahmen des § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG der Erfüllung der Zivildienstpflicht gleichgestellt werden könnte. Dies ist indessen nicht zulässig.

Das BSG hat sich bereits mehrfach mit der Frage befaßt, unter welchen Voraussetzungen „andere Dienste“ der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gleichzustellen sind; es hat dies (nur) für solche Dienste bejaht, die aufgrund gesetzlicher Regelung die Pflicht zur Leistung des Grundwehrdienstes erlöschen ließen oder auf den Grundwehrdienst in einem Umfang anzurechnen waren, daß kein Rest an gesetzlicher Dienstpflicht verblieb (SozR 2200 § 1262 Nr. 3; § 1267 Nr. 3: Verpflichtung als Soldat auf Zeit; SozR a.a.O. § 1262 Nr. 15: Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz; a.a.O. Nr. 16: Entwicklungsdienst; SozR 2200 § 1267 Nr. 4: Polizeivollzugsdienst).

Diese Rechtsprechung kann unbedenklich auf die Fälle übertragen werden, in denen das ZDG vorsieht, daß andere Dienste die Zivildienstpflicht erlöschen lassen oder auf sie in der Weise anrechenbar sind, daß die Zivildienstpflicht damit kraft Gesetzes entfällt (§§ 14a, 15 ZDG). Damit findet andererseits aber die Gleichstellung von Diensten mit dem Grundwehrdienst und dem Zivildienst ihre Grenze. Es genügt nicht, daß Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes oder des Zivildienstgesetzes bestimmen, daß der Dienstpflichtige während der Leistung anderer Dienste bzw. der Verrichtung anderer Tätigkeiten zum Wehrdienst oder zum Zivildienst „nicht heranzuziehen“ ist oder - wie hier - dafür „unabkömmlich gestellt“ (§ 16 ZDG) werden kann, selbst wenn es dann im weiteren Verlauf nicht mehr zu einer Einberufung zum Wehrdienst oder zum Zivildienst kommt. Dem steht nicht entgegen, daß die Leistung der anderen Dienste ebenfalls im öffentlichen Interesse liegen kann und daß § 16 ZDG für die UK-Stellung sogar das Überwiegen dieses Interesses gegenüber dem an der Heranziehung zum Zivildienst verlangt. Entscheidend kann nur sein, ob der Gesetzgeber hinsichtlich der in § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG geforderten Erfüllung der gesetzlichen Wehrdienstpflicht oder Zivildienstpflicht den anderen Diensten und Tätigkeiten eine der Erfüllung dieser gesetzlichen Dienstpflichten gleichkommende Bedeutung zumißt. Das tut er jedoch nur für diejenigen Dienste, die kraft Gesetzes die gesetzliche Dienstpflicht erlöschen lassen oder sie durch Anrechnung zum Wegfall bringen.

Werden diese Gedanken auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen, dann kann für den freiwillig geleisteten Dienst in der A.S. eine Gleichstellung nicht erfolgen. Er wurde weder auf die Ersatzdienstpflicht angerechnet noch hat er sie zum Erlöschen gebracht. Nach den Feststellungen des LSG wird „aus verwaltungsinternen Gründen“ lediglich auf die Einberufung zum Zivildienst verzichtet, wenn, was hier der Fall ist, in der A.S. der vorgesehene Gesamtdienst abgeleistet ist; die für eine Gleichstellung erforderliche Entscheidung des Gesetzgebers, die Zivildienstpflicht bei einer Dienstleistung in der A.S. endgültig wegfallen zu lassen, ist indessen nicht vorhanden. Im Gesetz ist darüber hinaus die A.S. als Dienstgeber auch nicht erwähnt, wohingegen der Zivilschutz oder Katastrophenschutz, der Entwicklungsdienst und der Polizeivollzugsdienst jeweils eigens aufgeführt sind. Auch daraus geht hervor, daß eine Gleichstellung mit der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht i.S. von § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG den Absichten des Gesetzgebers nicht entsprechen kann.

Aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten vermag die Klägerin den Anspruch auf Weiterzahlung des Kinderzuschusses nicht zu begründen. Der Grundsatz von Treu und Glauben kann schon deshalb nicht verletzt sein, weil die Beklagte an Vereinbarungen über die Tätigkeit des Sohnes bei der A.S. nicht beteiligt war; im übrigen ist der Klägerin auch nicht zugesagt worden, daß der Kinderzuschuß wegen der Ableistung des Abs.-Dienstes verlängert werde.

Gegen Verfassungsgrundsätze verstößt § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG nicht; insbesondere ist Art 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Zutreffend hat das LSG schon ausgeführt, § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG liege die Erwägung zugrunde, nur die Einbuße an Kinderzuschuß auszugleichen, die durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes eingetreten sei. Eine solche Beschränkung des Gesetzgebers ist durchaus sachgerecht; von daher ist es darum auch angemessen, daß die Leistung anderer Dienste der Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht nur unter den vom Senat bezeichneten Voraussetzungen gleichgestellt wird.

Die prozessualen Rügen der Klägerin gehen sämtlich fehl. Wie bereits dargelegt wurde, ist entgegen ihrer Auffassung weder die gesamte Zeit von Mai 1975 bis Oktober 1976 noch ein Teil davon vom LSG als ein freiwilliges soziales Jahr „bewertet worden“. Ob das LSG zu Unrecht auf die Einrede der Sittenwidrigkeit nicht eingegangen ist, mag dahinstehen; aus dem festgestellten Sachverhalt läßt sich jedenfalls nicht entnehmen, daß die Einrede hätte durchgreifen können. Die unter IIc der Begründungsschrift gebrachte Rüge schließlich betrifft kein Verfahrensrecht, sie bezieht sich allein auf die materiell-rechtliche Wertung des LSG in den Gründen seiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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