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5b RJ 46/81

Gründe I.

Der Kläger verlangt als Nachlaßpfleger der verstorbenen Rentnerin E. St von der Beklagten die Auszahlung des Altersruhegeldes für die Zeit vom 1. August 1978 bis zum 31. Dezember 1978 in Höhe von 1.164,00 DM.

Frau St, die von der Beklagten das Altersruhegeld erhielt, lebte seit dem 22. September 1978 in einem Pflegeheim und starb dort am 11. Dezember 1978. Das zur Auszahlung angewiesene Altersruhegeld für die Zeit vom 1. August 1978 bis zum 31. Dezember 1978 in Höhe von 1.164,00 DM konnte an sie nicht mehr ausgezahlt werden, sondern floß an die Beklagte zurück. Die Beklagte lehnte den am 27. Dezember 1978 eingegangenen Antrag auf Auszahlung der rückständigen Rente an den Kläger mit Bescheid vom 7. Februar 1979 ab, weil Voraussetzung für die Auszahlung das Vorhandensein gesetzlicher Erben sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat in den Gründen des Urteils vom 14. August 1980 die Berufung zugelassen. Außerdem hat der Kammervorsitzende des SG durch Berichtigungsbeschluß vom 25. Februar 1981 der Urteilsformel den Satz hinzugefügt, daß die Berufung zugelassen wird.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 10. März 1981 das erstinstanzliche Urteil sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1979 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1979 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.164,00 DM nebst 4 % Zinsen ab 27. Januar 1979 bis zum Ablauf des Kalendermonats vor Auszahlung zu zahlen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben deren Ansprüche geltend machen. Obwohl sich aus § 58 Satz 2 des 1. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) ergebe, daß der Fiskus nicht berechtigt sei, als gesetzlicher Erbe fällige Ansprüche auf Geldleistungen geltend zu machen, könne sich ein Versicherungsträger nicht unter Hinweis auf ein mögliches Erbrecht des Fiskus dem Verlangen des Nachlaßpflegers auf Erfüllung eines rückständigen Rentenbetrages widersetzen. Es sei in diesem Verfahren nicht darüber zu entscheiden, ob der Nachlaßpfleger mit der an ihn ausgezahlten Rente Nachlaßschulden begleichen dürfe oder ob er nach Beendigung der Nachlaßpflegschaft bei Nichtfeststellbarkeit eines Erben den ausgezahlten Rentenbetrag an die Beklagte zurückzuzahlen habe. Nach § 44 SGB I habe die Beklagte die geschuldeten Rentenbeträge nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt der Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor Auszahlung mit 4 % zu verzinsen. Der Beginn der Verzinsung errechne sich nach dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, der Kläger könne die Auszahlung der rückständigen Rente nicht verlangen, solange nicht festgestellt sei, daß ein natürlicher Erbe vorhanden sei. Bei Fehlen eines Sonderrechtsnachfolgers und eines natürlichen Erben komme allenfalls der Fiskus als Erbe in Betracht, der aber nach der Sondervorschrift des § 58 Satz 2 SGB I ausgeschlossen sei. Diese Vorschrift werde umgangen, wenn die Rente dem Nachlaßpfleger auszuzahlen sei, ohne daß das Vorhandensein natürlicher Rechtsnachfolger feststehe.

Die Beklagte beantragt,

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. August 1980 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.

Gründe II.

Die zulässige Revision der Beklagten hat auch Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Auszahlung der rückständigen Rente und zur Verzinsung dieser Beträge verurteilt.

Das LSG ist zutreffend von der Statthaftigkeit der Berufung ausgegangen. Das SG hat die nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossene Berufung zunächst nicht im Urteilstenor, sondern lediglich in den Urteilsgründen nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zulassung der Berufung in den Urteilsgründen auch jetzt noch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die Statthaftigkeit der Berufung begründet (vgl. hierzu BSG SozR 1500 § 150 Nrn. 3 und 4). Durch den Berichtigungsbeschluß ist die Zulassung jedenfalls Gegenstand des Urteilstenors geworden. Es mag zweifelhaft sein, ob eine solche Berichtigung des Urteilstenors dem geltenden Recht entspricht (vgl. hierzu Rosenberg / Schwab, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 11. Aufl. 1974, S. 778; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Komm zur Zivilprozeßordnung, 40. Aufl. 1979 Anm. 2B zu § 319 ZPO). Der Berichtigungsbeschluß des Kammervorsitzenden des SG ist jedenfalls nicht unwirksam (vgl. hierzu den Beschluß des Großen Senats vom 18. November 1980 - SozR 1500 § 161 Nr. 27 S. 57 -), so daß aufgrund dieses Beschlusses von dem berichtigten Urteilstenor auszugehen ist.

Nach § 59 Satz 2 SGB I ist der Anspruch auf die rückständigen Rentenbeträge nicht erloschen, weil er bereits durch Bescheid festgestellt war. Sonderrechtsnachfolger i.S. des § 56 Abs. 1 SGB I sind nicht vorhanden, so daß der Anspruch auf Auszahlung der rückständigen Rentenbeträge gemäß § 58 Satz 1 SGB I nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vererbt worden ist. Einerseits ist ein natürlicher - testamentarischer oder gesetzlicher - Erbe bisher nicht ermittelt worden, andererseits hat das Nachlaßgericht aber auch nicht nach § 1964 Abs. 1 BGB festgestellt, daß ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist. Es ist daher davon auszugehen, daß als Erbe sowohl eine natürliche Person als auch der Fiskus in Betracht kommt.

Nach § 58 Satz 2 SGB I kann der Fiskus als gesetzlicher Erbe fällige Ansprüche auf Geldleistungen, die nicht einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, nicht geltend machen. Im Gegensatz zu der Ansicht der Beklagten schließt diese Vorschrift den Fiskus als gesetzlichen Erben nicht aus, denn er kann alle anderen Nachlaßforderungen geltend machen und auch die in § 58 Satz 2 SGB I angesprochene Forderung bleibt in dem auf den Fiskus übergegangenen Nachlaß. Sie wird vielmehr lediglich zur Naturalobligation, so daß der Fiskus trotz des Bestehens der Forderung ihre Erfüllung nicht verlangen kann.

Nun hat allerdings im vorliegenden Fall nicht der Fiskus, sondern der Nachlaßpfleger der verstorbenen Versicherten für die noch unbekannten Erben die Forderung geltend gemacht. Aufgabe des Nachlaßpflegers i.S. des § 1960 BGB ist die Sicherung und Erhaltung des Nachlasses für den unbekannten Erben. Daraus ergibt sich seine Verpflichtung und Berechtigung, den Nachlaß in Besitz zu nehmen, vom Besitzer die Herausgabe von Nachlaßgegenständen und vom Schuldner die Erfüllung fälliger Forderungen zu verlangen (vgl. hierzu Komm. der Reichsgerichtsräte und Bundesrichter zum BGB, 12. Aufl. 1974, RdNr. 22 zu § 1960). Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat daher vor Inkrafttreten des SGB I entschieden, daß der Versicherungsträger sich dem Verlangen des Nachlaßpflegers, eine Rentenzahlung für die noch unbekannten Erben des Versicherten in Besitz zu nehmen, nicht mit dem Hinweis auf ein mögliches Erbrecht des Fiskus widersetzen kann, solange das Feststellungsverfahren nach den §§ 1964 bis 1966 BGB nicht abgeschlossen ist (SozR Nr. 11 zu § 1288 RVO). Durch das Inkrafttreten des SGB I hat sich die Rechtslage jedoch verändert. Vorher mußte es mangels einer entsprechenden Vorschrift mindestens zweifelhaft sein, ob der Fiskus als gesetzlicher Erbe fällige Ansprüche auf Geldleistungen, die nicht einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, nicht geltend machen konnte. Diese Frage hat auch der 12. Senat des BSG in dem zitierten Urteil nicht entschieden. Nunmehr ist insoweit jedoch in § 58 Satz 2 SGB I ausdrücklich eine Regelung getroffen.

Das Recht des Nachlaßpflegers, für den noch unbekannten Erben die Herausgabe von Nachlaßgegenständen und die Erfüllung fälliger Forderungen zu verlangen, setzt voraus, daß auch der Erbe dieses Recht hat. Die Rechte des Nachlaßpflegers können nicht über die des Erben hinausgehen. Einwendungen und Einreden, die der Schuldner dem Erben gegenüber geltend machen könnte, muß sich auch der Nachlaßpfleger entgegenhalten lassen. Könnte der Schuldner dem Erben gegenüber geltend machen, daß er zur Herausgabe von Nachlaßgegenständen oder zur Erfüllung einer zum Nachlaß gehörenden Forderung nicht verpflichtet ist, so kann auch der Nachlaßpfleger nicht die Herausgabe oder Erfüllung verlangen, gleichgültig, ob die mangelnde Verpflichtung schon zu Lebzeiten des Erblassers begründet war oder erst mit dem Er...ll und nur in der Person des Erben begründet ist. Ob der Erbe im vorliegenden Fall die Erfüllung der vom Nachlaßpfleger geltend gemachten Forderung verlangen könnte, steht nicht fest. Solange der Fiskus als Erbe in Betracht kommt, besteht die Möglichkeit, daß der Erbe nach § 58 Satz 2 SGB I die Erfüllung der Forderung nicht verlangen könnte. Zwar besteht ebenso die Möglichkeit, daß ein natürlicher Erbe vorhanden ist, dem gegenüber die Erfüllung der Leistung nicht verweigert werden könnte. Diese bloße Möglichkeit genügt aber nicht, um dem Nachlaßpfleger das Recht zuzubilligen, die fälligen Ansprüche geltend zu machen. Steht nicht fest, daß der Erbe die Erfüllung der Forderung verlangen kann, so kann auch das Recht auf Geltendmachung durch den Nachlaßpfleger nicht festgestellt werden. Wollte man dem Nachlaßpfleger das Recht zugestehen, die fälligen Rentenansprüche auch dann geltend zu machen, wenn der Fiskus als gesetzlicher Erbe in Betracht kommt, so würde - wenn sich später das Fehlen natürlicher Erben herausstellt - der Zweck des § 58 Satz 2 SGB I vereitelt, der in einem solchen Fall Zahlungen zwischen verschiedenen öffentlichen Haushalten vermeiden und den noch nicht ausgezahlten Rentenbetrag dem Versicherungsträger belassen will (vgl. Begründung zu den §§ 56 bis 59 des Regierungsentwurfs eines Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - BT-Drucks. 7/868 S. 33).

Durch die getroffene Entscheidung werden weder die Erben noch die Nachlaßgläubiger benachteiligt. Stellt sich das Vorhandensein natürlicher Erben heraus, so ist der rückständige Rentenbetrag u.U. mit Zinsen an sie auszuzahlen. Wird das alleinige Erbrecht des Fiskus festgestellt, so werden weder er noch die Nachlaßgläubiger schlechter gestellt, als wenn dieses Erbrecht von vornherein - ohne Einsetzung eines Nachlaßpflegers - festgestanden hätte. Es ist indes nicht Aufgabe der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, den Erben zu ermitteln; denn dazu ist das Verfahren nach §§ 1964 bis 1966 BGB vorgesehen.

Der Senat hat auf die danach begründete Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufgehoben und die unbegründete Berufung gegen das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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