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1 RA 61/81

Tatbestand

Streitig ist, ab wann die Klägerin Zahlungen aus ihr übertragenen Rentenanwartschaften verlangen kann.

Die Klägerin, die seit Februar 1978 von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld (ARG) erhält, war mit dem Beigeladenen D. verheiratet; die Ehe ist durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts (FamG) - M. (M.) vom 19. Januar 1978 rechtskräftig geschieden; das Verfahren zum Versorgungsausgleich hatte das FamG abgetrennt. Mit Beschluß vom 19. Mai 1980, berichtigt durch weiteren Beschluß vom 21. August 1980, übertrug das FamG vom Versicherungskonto des Beigeladenen bei der Beklagten auf das Versicherungskonto der Klägerin ebendort Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 69,50 DM. Den letztgenannten Beschluß stellte das FamG der Beklagten am 8. September 1980 mit der Bemerkung zu, daß er noch nicht rechtskräftig sei; am 22. Oktober 1980 ging bei der Beklagten die Mitteilung des FamG ein, daß der Übertragungsbeschluß seit dem 10. Oktober 1980 „rechtskräftig und wirksam“ sei.

Mit Bescheid vom 16. Februar 1981 erhöhte die Beklagte das ARG der Klägerin ab 1. Dezember 1980 entsprechend den übertragenen Rentenanwartschaften. In der Begründung führte die Beklagte unter Bezug auf § 1587p des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) aus, die Leistung aus der Übertragung könne nicht „vom Ablauf des Monats der Rechtskraft“ gezahlt werden; bis zum 30. November 1980 sei die Leistung an den verpflichteten Ehemann erbracht worden.

Auf die Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte im angefochtenen Urteil vom 24. Juli 1981, der Klägerin das um die Versorgungsanwartschaften erhöhte ARG bereits ab 1. November 1980 zu zahlen und wies im übrigen die Klage ab. Das Gericht war der Auffassung, nach § 1587p BGB komme es auf den Zeitpunkt der Zustellung des familiengerichtlichen Übertragungsbeschlusses an; mit der Erwähnung der Rechtskraft weise das Gesetz darauf hin, daß diese Grundvoraussetzung für den Anspruch des Übertragungsempfängers sei. Ein umfassenderer Schutz des Versicherungsträgers sei nicht erforderlich, weil dieser Beteiligter des Übertragungsverfahrens sei; er könne sich fast zwei Monate nach Zustellung der Entscheidung entsprechend einrichten und die Leistung an den Ausgleichsverpflichteten zumindest vorläufig aussetzen, für den Schwebezustand bis zur Rechtskraft einbehalten oder nur unter Vorbehalt der Rückzahlung leisten. § 83a Abs. 4 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) enthalte im Ergebnis eine Rückverweisung auf § 1587p BGB. Da die Entscheidung des FamG der Beklagten im September 1980 zugestellt worden sei, müsse sich die Klägerin die Zahlung an G. D. bis zum Ablauf des folgenden Monats, also bis zum 31. Oktober 1980 entgegenhalten lassen.

In diesem Urteil hat das SG die Sprungrevision zugelassen. Die Beklagte hat mit Einwilligung der Klägerin die Revision eingelegt. Sie bringt vor, in § 1587p BGB müsse unter Entscheidung „rechtskräftige Entscheidung“ verstanden werden; nur eine rechtskräftige Entscheidung könne endgültig Rentenanwartschaften übertragen. Nur dann, wenn die Entscheidung des FamG in dem Monat rechtskräftig werde, der dem Monat des Ablaufs der Schutzfrist vorausgehe, habe die Frist des § 1587p BGB praktische Bedeutung. Sie setze einerseits ausdrücklich die „rechtskräftige“ Übertragung voraus, während die a.a.O. weiter genannte Zustellung allein die Rechtsmittelfrist in Lauf setze. Das solle durch Gesetz dahin bereinigt werden, daß darauf abgestellt werde, wann die Entscheidung des FamG „wirksam“ geworden ist.

Die Beklagte beantragt,

  • die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Die Klägerin hat nichts beantragt und nichts ausgeführt; der Beigeladene ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist zulässig und begründet.

Zunächst kann die Ansicht des SG nicht geteilt werden, daß die dem leistungspflichtigen Rentenversicherungsträger in § 1587p BGB eingeräumte „Schutzfrist“ - Näheres zum Schutzzweck dieser Vorschrift weiter unten - schon vor Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses des FamG M. vom 19. Mai 1980 i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses vom 21. August 1980, also vor dem 10. Oktober 1980 beginnen könnte:

Das FamG M. hatte vorliegend das Verfahren über den Versorgungsausgleich in der Form der Übertragung von Rentenanwartschaften (sog. Rentensplitting, § 1587p Abs. 1 Satz 1 BGB) gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 6, 628 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) aus dem Verbund von Scheidungs- und Folgesachen (§ 623 Abs. 1 Satz 1 ZPO) gelöst und über die Ehescheidung rechtskräftig vorab entschieden (alle genannten Vorschriften in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG - vom 14. Juni 1976 - BGBl. I 1421). Das vom FamG nach § 623 Abs. 3 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu Ende zu führende Verfahren über den Versorgungsausgleich richtete sich nach § 23b Abs. 1 Nr. 7 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), §§ 621 Abs. 1 Nr. 6, 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO im wesentlichen nach den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG, ebenfalls in der Fassung des 1. EheRG; vgl. dazu auch die „Rückverweisung“ in § 64k Abs. 3 FGG). In diesem Rentensplitting-Verfahren war die Beklagte nach § 53b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FGG formell Beteiligte (vgl. dazu auch Keidel / Kuntze / Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Teil A/FGG, § 53b RdNr. 8 mit zahlreichen Nachweisen; D. Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, S. 187 RdNr. 469; Firsching, Familienrecht, 4. Auflage, 126). Das FamG M. hat dem Rechnung getragen, indem es auch der Beklagten den Splitting- und Übertragungsbeschluß vom 19. Mai/21. August 1980 - eine End-, nicht nur Zwischenentscheidung - am 8. September 1980 durch Zustellung bekanntmachte (§ 16 Abs. 1 FGG) und ihr so die Möglichkeit eröffnete, hiergegen nach §§ 621e Abs. 1, 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO, §§ 64k Abs. 3, 20 Abs. 1 FGG Beschwerde, gegebenenfalls auch weitere Beschwerde einzulegen (vgl. z.B. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, 40. Aufl., § 621e Anm. 1 B). Zugleich wird hieraus deutlich, daß der Splittingbeschluß des FamG M. frühestens nach ungenutztem Ablauf der Beschwerdefrist (ein Monat nach Zustellung des Beschlusses, §§ 621e Abs. 3 Satz 2, 516, 517, 552 ZPO) rechtskräftig werden konnte.

Erst „mit der Rechtskraft“, frühestens freilich - wegen seiner Abhängigkeit von der Scheidungssache - nach § 629d ZPO mit der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs, wird gemäß § 53g Abs. 1 FGG der Beschluß des FamG „wirksam“. Diese Regelung durchbricht den Grundsatz, daß gerichtliche Entscheidungen in FGG-Sachen bereits mit ihrer Bekanntgabe, also schon vor Eintritt der Rechtskraft wirksam werden und Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben (§§ 16 Abs. 1, 24 Abs. 1 FGG). Diese Ausnahmeregelung trägt dem Umstand Rechnung, daß Beschlüsse des FamG über ein Splitting von Rentenanwartschaften nach § 1587p Abs. 1 Satz 1 BGB rechtsgestaltende Wirkung haben (vgl. Firsching, a.a.O., 127; Rolland, 1. EheRG, S. 482 RdNr. 28). Mithin sind der - bereits rechtskräftig geschiedenen - Klägerin Rentenanwartschaften erst mit Wirkung vom 10. Oktober 1980 übertragen worden. Erst von da an - genauer: mit Ablauf dieses Monats, also ab 1. November 1980 - ist der Versorgungsausgleich vorgenommen und war die Klägerin nach § 83a Abs. 1 Satz 1 AVG (= § 1304a Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO) berechtigt, von der Beklagten zu verlangen, die übertragenen Anwartschaften bei ihrem Altersruhegeld rentenerhöhend zu berücksichtigen (vgl. hierzu im einzelnen auch das Urteil des BSG vom 11. Februar 1982 - 11 RA 8/81 mit umfangreichen Nachweisen aus dem Schrifttum). Erst mit Eintritt der Rechtskraft des Splittingbeschlusses konnte aber auch ein zugunsten des leistungspflichtigen Rentenversicherungsträgers wirkender „Schuldnerschutz“, wie ihn § 1587p BGB vorsieht (siehe dazu Näheres weiter unten), Bedeutung haben; bis dahin war der ausgleichspflichtige geschiedene Ehegatte mangels Wirksamkeit des familiengerichtlichen Beschlusses noch Gläubiger der Rentenleistungen aus allen Rentenanwartschaften, und der Rentenversicherungsträger war daher allein ihm gegenüber nicht nur leistungsberechtigt, sondern auch leistungsverpflichtet.

Was nun die Wirksamkeit des Splittingbeschlusses ab Eintritt der Rechtskraft betrifft, so liegt auf der Hand, daß es einige Zeit beansprucht, bis der Rentenversicherungsträger von der Rechtskraft überhaupt Kenntnis erlangt; vorliegend ist die entsprechende Mitteilung des FamG am 22. Oktober, also erst am 12. Tag nach eingetretener Rechtskraft bei der Beklagten eingegangen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, „daß Rentenzahlungen unter Zuhilfenahme elektronischer Datenverarbeitungsanlagen angewiesen werden und ein gewisser Zeitraum benötigt wird, die bisherigen Zahlungsanweisungen zu ändern“; deshalb ist zugunsten des zahlungspflichtigen Rentenversicherungsträgers ein „Schuldnerschutz“ nötig, der „nicht bereits im Augenblick der Zustellung der Entscheidung entfällt, sondern erst eine die technischen Schwierigkeiten berücksichtigende angemessene Zeit später“ (so der Zweite Bericht und Antrag des Rechtsausschusses - 6. Ausschuß - des Bundestages zum Regierungsentwurf eines 1. EheRG vom 28. November 1975 - BT-Drucks. 7/4361 S. 50 zu Art. 1 Nr. 14). Beide einen „Schuldnerschutz“ des Rentenversicherungsträgers rechtfertigende Elemente - nämlich daß der Rentenversicherungsträger erst einige Zeit nach Eintritt der Rechtskraft des Splittingbeschlusses hiervon überhaupt Kenntnis erhalten wird und er überdies technisch bedingt die Zahlung nur zeitaufwendig umstellen kann - sind ihm in § 1587p BGB ausdrücklich zugutegehalten: Er braucht danach dem Ausgleichsberechtigten, an den Rentenanwartschaften übertragen worden sind, die höhere Rente erst vom Ablauf des Monats an zu bewirken, der dem Monat folgt, in dem ihm die „rechtskräftige Entscheidung des Familiengerichts ... zugestellt“ worden ist. Letzteres freilich bedarf der Richtigstellung dahin, daß es statt dessen auf die „Bekanntgabe vom Eintritt der Rechtskraft“ des familiengerichtlichen Splittingbeschlusses ankommen muß: Der Gesetzgeber hat nämlich übersehen, daß er dem Rentenversicherungsträger im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens entgegen ursprünglicher Absicht in dem familiengerichtlichen Verfahren um den Versorgungsausgleich die Rechtsstellung eines formell Beteiligten eingeräumt hat (§ 53b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FGG i.d.F. des 1. EheRG, vgl. im einzelnen dazu Bergner, SGb 1978, 141 Maier in M.er Kommentar zum BGB, Ergänzungsband, § 1587p RdNr. 2; Diederichsen in Palandt, BGB, 41. Aufl., § 1587p Anm. 1), also an den Rentenversicherungsträger keine „Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung“, sondern eine Bekanntgabe nur noch der Rechtskraft der Entscheidung in Frage kommen kann, die auch dieser Verfahrensbeteiligte - vielfach schon vor Wochen oder gar vor Monaten - formell zugestellt erhalten hat. Dem mit § 1587p BGB verfolgten, dem rentenzahlungspflichtigen Leistungsträger zugedachten Schuldnerschutz entspricht es allein, als nach dieser Vorschrift maßgeblichen Zeitpunkt die Bekanntgabe vom Eintritt der Rechtskraft des familiengerichtlichen Splittingbeschlusses anzunehmen (im Ergebnis ebenso Maier a.a.O. und Schmeiduch in SozVers 1981, 219). Dies ist auch rechtlich unbedenklich, da die derzeitige Fassung des § 1587p BGB erkennbar auf einem redaktionellen Versehen - Nichtanpassung des Gesetzentwurfs an das geänderte Gesamtkonzept - beruht.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte erst am 22. Oktober 1980 vom Eintritt der Rechtskraft des o.a. Beschlusses des FamG M. Kenntnis erhalten. Sie hatte der Klägerin daher unter Inanspruchnahme des ihr von § 1587p BGB eingeräumten Schuldnerschutzes nicht schon ab 1. November 1980, sondern erst mit Ablauf dieses Monats, also ab 1. Dezember 1980 höhere Rente unter Berücksichtigung der ihr übertragenen Rentenanwartschaften zu zahlen. Das hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid getan. Die Klägerin kann daher mit der Klage gegen diesen Bescheid keinen Erfolg haben. Auf die Revision der Beklagten war das Urteil des SG abzuändern und die Klage abzuweisen.

Im Kostenpunkt stützt sich die Entscheidung auf § 193 SGG.

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