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11 RA 6/81

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Zeit von April 1952 bis März 1954 als Ausfallzeit vorzumerken ist. Der Kläger war damals - im zweiten und dritten Lehrjahr - Lehrling im väterlichen Handwerksbetrieb, den er später übernehmen sollte. Er erhielt ein wöchentliches Entgelt von 27,00 DM bzw. 40,80 DM; Beiträge zur gesetzlichen Renten- (und Kranken-) Versicherung für ihn wurden nicht entrichtet.

Im Rahmen einer Kontenklärung lehnte die Beklagte es ab, die Lehrzeit als Ausfallzeit vorzumerken (Bescheid vom 1. Dezember 1977, Widerspruchsbescheid vom 11. September 1978). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Vormerkung verpflichtet, das Landessozialgericht (LSG) ihre Berufung zurückgewiesen. Nach Ansicht des LSG (Urteil vom 16. Oktober 1980) ist die Lehrzeit eine Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Zwar wäre der Kläger gemäß § 1226 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.d.F. der 1. Vereinfachungs-VO vom 17. März 1945 (RGBl. I 41) i.V.m. §§ 165 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 165a Nr. 2 RVO an sich versicherungspflichtig gewesen; jedoch sei aufgrund der seinerzeit wie positives Recht hingenommenen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts - RVG - (AN 1937, 300) wegen wahrscheinlicher Übernahme des väterlichen Betriebes vermutet worden, daß ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht bestehe. Die Ansicht der Beklagten, § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG sei nur anwendbar, wenn eine Versicherungspflicht für Lehrlinge entweder nicht vorgesehen gewesen sei oder wegen fehlender Entgeltzahlung Versicherungsfreiheit bestanden habe, finde im Gesetz keine Stütze.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,

  • die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Vorschrift erfasse mit den Worten „nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei“ keine Lehrzeiten, die in einem Meistersohnverhältnis zurückgelegt und deshalb von vornherein aus der Versicherungspflicht ausgeschieden seien.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist von Erfolg; entgegen der Meinung der Vorinstanzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Vormerkung der Lehrzeit von April 1952 bis März 1954 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG.

Das LSG hat seine gegenteilige Ansicht damit begründet, daß sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ein Anhalt für die einschränkende Auslegung der Beklagten ergebe; die Frage, ob eine nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende abgeschlossene Lehrzeit Ausfallzeit sei oder nicht, könne sich nur danach beantworten, ob die Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung seinerzeit vorgeschrieben und somit möglich oder aber unmöglich gewesen sei; habe als welchem Grunde auch immer Versicherungspflicht nicht oder Versicherungsfreiheit bestanden, seien die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Dem kann nicht gefolgt werden.

Wie der Senat bereits im Urteil vom 30. April 1981 (11 RA 54/80, zur Veröffentlichung bestimmt) zum gleichen Rechtsproblem unter Hinweis auf BSGE 48, 100 ausgeführt hat, läßt schon der Wortlaut der Regelung in Buchstabe a) des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG die Auslegung zu, daß darunter nicht jede in der deutschen Rentenversicherung der Versicherungspflicht nicht unterliegende Lehrzeit fällt. Der dort erstgenannte Begriff „nicht versicherungspflichtig“ könnte für sich allein zwar zu der Meinung führen, es sei damit jede im konkreten Fall nicht versicherungspflichtig gewesene Lehrzeit erfaßt. Dann fragt es sich indessen, weshalb noch die Worte „oder versicherungsfrei“ beigefügt sind; denn eine versicherungsfreie Lehrzeit war ebenfalls im konkreten Fall nicht versicherungspflichtig. Die Verbindung der Worte „nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei“ deutet somit schon an, daß es sich allein um Fälle handeln kann, in denen entweder eine Versicherungspflicht für Lehrlinge von vornherein nicht vorgesehen war oder nach den jeweils geltenden Vorschriften Versicherungsfreiheit aus Gründen der fehlenden Entgeltzahlung (Gewährung von freier Kost und/oder Logis mit oder ohne Taschengeld) bestand.

Für ein derartiges Verständnis sprechen im weiteren die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 19ö5 eingefügt worden ist, ihr Sinn und Zweck sowie der Zusammenhang des Ausfalltatbestandes der Lehrzeit mit den gesetzlichen Vorschriften über die Versicherungspflicht der Lehrlinge. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, daß in vielen Fällen nach dem vor März 1957 geltenden Recht für Lehrzeiten keine Versicherungspflicht bestand (BT-Drucks. IV/2572, S. 33 Nr. 7a), worauf der zuständige Bundestags-Ausschuß zunächst den Entwurf auf „Zeiten einer abgeschlossenen versicherungsfreien Lehrzeit“ erweitert hatte (BT-Drucks. IV/3233, S. 13 Nr. 13b). Aus Gründen der Klarstellung erhielt die Vorschrift dann die Gesetz gewordene Fassung, weil Lehrverhältnisse ohne Entgelt nicht versicherungspflichtig und solche ohne Barlohn, aber mit Kost und Logis versicherungsfrei gewesen seien (stenografischer Bericht über die 176. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. April 1965 S. 8863 D, Abgeordneter B., und BT-Drucks. IV/3272, S. 2 und 3). Diese Entwicklung zeigt, daß der Gesetzgeber mit der Einführung einer Ausfallzeit der Lehrzeit eine Gleichstellung der vor der Rentenreform von 1957 zurückgelegten Lehrzeiten mit den danach versicherungspflichtigen Lehrzeiten vor Augen hatte. Bei letzteren handelt es sich jedoch stets um Lehrzeiten, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis durchlaufen werden. Gilt dies aber für die Lehrzeiten nach Februar 1957, dann müssen die als Ausfallzeiten in Betracht kommenden Lehrzeiten vor März 1957 ebenfalls in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zurückgelegt worden sein; damit fallen die in familienhafter Mitarbeit vor März 1957 zurückgelegten als Ausfallzeittatbestände aus; denn auch nach Februar 1957 entfiel weiterhin für Lehrzeiten die Versicherungspflicht, wenn sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, sondern in familienhafter Mitarbeit ihre Grundlage hatten (Urteil vom 30. April 1981 a.a.O.).

Für den vorliegenden Fall ist hieraus zu entnehmen, daß die in Rede stehenden Zeiten in keinem Falle Ausfallzeiten sein können. Hierbei ist es unerheblich, daß die vom RVA für die sogenannten „Meistersöhne“ entwickelten Rechtsgrundsätze (AN 1937, 300) in einem wesentlich weiteren Umfang die familienhafte Mitarbeit bejaht haben als die spätere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im sogenannten Meistersohn-Urteil des 3. Senats vom 5. April 1956 (BSGE 3, 30) und daß der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30. April 1981 a.a.O. der Auffassung des 3. Senats auch für zurückliegende Zeiten beigetreten ist. Denn hat der Kläger nach dem einen oder anderen Rechtsstandpunkt nur familienhaft mitgearbeitet, dann ist aus diesem Grunde die Lehrzeit keine Ausfallzeit, weil sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zurückgelegt worden ist.

Der Ausfallzeittatbestand ist aber auch dann nicht erfüllt, wenn die Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses vorliegen sollten (d.h. vom jetzigen Rechtsstandpunkt aus familienhafte Mitarbeit verneint werden müßte), was der vom LSG festgestellte Sachverhalt erkennen läßt, der Senat indessen nicht näher zu untersuchen braucht. Denn der Kläger hätte dann nach den §§ 1226 i.V.m. 165 Abs. 2, 165a Nr. 2 RVO i.d.F. der - im gesamten Bundesgebiet spätestens am 7. September 1949 wirksam gewordenen - 1. Vereinfachungs-VO vom 17. März 1945 von April 1952 bis März 1954 der Versicherungspflicht zur Invalidenversicherung unterlegen. War er aber von April 1952 bis März 1954 als Lehrling versicherungspflichtig, so können die Zeiten gleichfalls keine solchen einer nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG sein. Die Vorschrift läßt sich dabei auch nicht erweiternd auf die Fälle auslegen, in denen ohne Verschulden des Lehrherrn (bzw. Lehrlings) keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet wurden, obwohl Versicherungspflicht bestand; dies würde einem Grundprinzip der Rentenversicherung widerstreiten, daß beitragsleer gebliebene Pflichtbeitragszeiten für die Rente nicht berücksichtigt werden dürfen; es widerspräche ferner den mit § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG verfolgten, bereits dargelegten Zielen des Gesetzgebers.

Nach alledem war die Klage unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes abzuweisen

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