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11 RA 42/80

Tatbestand

Streitig ist, ob Versicherungsunterlagen für in der CSSR zurückgelegte Beitragszeiten herzustellen sind.

Der Kläger wurde 1919 in B. als Sohn der Eheleute H. geboren. Sein Vater war staatenlos; er stammte aus L./B. Nach der Ansicht des Senators für Inneres in B. sind auch der Kläger und seine Mutter staatenlos gewesen. Ende 1945 wurde der bis dahin in B. wohnhafte Kläger mit seiner Mutter nach seinen Angaben auf Anweisung der sowjetischen Kommandantur B. in die CSSR transportiert, wo man sie bei einer Einwanderungsstelle registrierte und zunächst im Heimatort des Vaters ansiedelte. In der CSSR war der Kläger anfangs als Landarbeiter bzw. Fabrikarbeiter, ab Mai 1947 in seinem erlernten Beruf als Bauingenieur (Bautechniker, Bauführer) beschäftigt. Anfang 1966 durfte er das Land verlassen und kehrte mit seiner Mutter nach W. zurück. Hier änderte er seinen Familiennamen in „R.“. 1968 wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen; von 1952 bis 1965 hatte er die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit besessen.

Die Beklagte lehnte die Herstellung von Versicherungsunterlagen für die tschechoslowakischen Versicherungszeiten von Februar 1946 bis Dezember 1965 ab (Bescheid vom 23. November 1976, Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1978). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte aufgrund von § 1 Buchst. c i.V.m. § 15 Abs. 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) dazu verurteilt. Ob der Kläger bereits mit dem Abtransport „zur Arbeitsleistung verbracht“ worden sei, könne dahinstehen, die subjektiven Momente für diese Entscheidung ließen sich nicht mehr nachvollziehen; in jedem Falle habe man ihn gegen seinen Willen in die CSSR gebracht und er habe dort zwangsweise gearbeitet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. Mai 1980). Seiner Ansicht nach könnte schon zweifelhaft sein, ob der Kläger freiwillig oder gegen seinen Willen in die CSSR gelangt sei; selbst wenn er dorthin „verschleppt“ worden sei, finde § 1 Buchst. c FRG keine Anwendung, weil eine Verbringung „zur“, d.h. zum Zwecke der Arbeitsleistung nicht glaubhaft gemacht sei. Beweismittel seien dafür nicht benannt. Der Kläger habe früher mehrfach von Repatriierung gesprochen; für ein Interesse der sowjetischen Besatzungsmacht an der Beschaffung von Arbeitskräften für die CSSR gebe es keinen überzeugenden Grund; der Kläger sei in der CSSR auch erst ab Mai 1947 wieder in seinem Beruf tätig geworden. Als Ersatzzeit gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) komme die Zeit nicht in Frage. Der Kläger wolle zwar an einer Rückkehr verhindert worden sein, doch fehle es an feindlichen Maßnahmen der CSSR gegen ihn als Deutschen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 8. Februar 1979 zurückzuweisen.

Er rügt eine unrichtige Anwendung von § 1 Buchst. c FRG. Eine am Sinn und Zweck orientierte Auslegung des Gesetzes führe selbst im Repatriierungsfalle zu einem positiven Ergebnis. In BSGE 14, 50 habe das Bundessozialgericht (BSG) die Vorschrift schon auf Deutsche angewandt, die nach dem Zusammenbruch in der CSSR unter Verbot der Ausreise nach Deutschland zur Arbeit verpflichtet worden seien. Nach der Literatur fielen sogar ehemalige Kriegsgefangene, die im Anschluß an die Internierung zur Arbeit verpflichtet worden seien, unter § 1 Buchst. c FRG.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß aufgrund von § 11 Abs. 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) für die in der CSSR zurückgelegten Beitragszeiten Versicherungsunterlagen hergestellt werden. Diese Zeiten sind nämlich nicht nach dem FRG anrechenbar, weil der Kläger nicht zu dem nach diesem Gesetz berechtigten Personenkreis gehört.

Von den in § 1 FRG aufgeführten Gruppen kommt des näheren allein die unter Buchst. c in Betracht. Eine Zuordnung zu den Gruppen in Buchst. a, d und e entfällt hier von vornherein und für Buchst. b fehlt es jedenfalls an einem Versicherungsträger, der schon vor den Kriegsauswirkungen in der CSSR für den Kläger zuständig gewesen wäre (s. hierzu BSGE 34, 182, 183; SozR Nr. 6 zu § 1 FRG; BSG, Urteil vom 16. Dezember 1980 - 11 RA 90/79). Aufgrund der von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist der Kläger jedoch auch nicht zur Personengruppe des § 1 Buchst. c FRG zu rechnen.

Dabei kann offenbleiben, ob zu den dort erfaßten „Deutschen ..., die nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht wurden,“ auch Personen zählen, die erst nach der Verbringung Deutsche geworden sind. Der Senat braucht ferner nicht zu entscheiden, welche Voraussetzungen das Tatbestandsmerkmal „verbracht“ in § 1 Buchst. c fordert, ob es insbesondere ausreicht, daß der Betroffene nicht „freiwillig“ in das ausländische Staatsgebiet gelangt ist (vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zu BT-Drucks. II/1532, S. 2 zu § 1).

Dem LSG ist jedenfalls darin zuzustimmen, daß selbst bei Annahme einer Verbringung des Klägers in die CSSR der Tatbestand des § 1 Buchst. c FRG nicht erfüllt ist, weil der Kläger dann nicht „zur Arbeitsleistung“ in die CSSR verbracht worden ist. Der Gesetzeswortlaut läßt keinen Zweifel daran, daß die Verbindung allein nicht genügt, daß sie vielmehr „zur“ Arbeitsleistung in dem ausländischen Staatsgebiet erfolgt sein muß. Die dortige Arbeitsleistung muß darum der Zweck oder doch der wesentliche Zweck der Verbringung gewesen sein. Dies entspricht den mit § 1 Buchst. c FRG verbundenen Vorstellungen des Gesetzgebers. Diese Vorschrift sollte in das FRG diejenigen Personen einbeziehen, die nach dem Kriegsende ins Ausland verschleppt worden sind, um bei Wiederaufbauarbeiten oder (als Spezialisten) in wissenschaftlichen Instituten bei Forschungsarbeiten eingesetzt zu werden; sie konnten nicht als Heimkehrer i.S. des Heimkehrergesetzes angesehen werden, weil die Verschleppung nicht in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen stand (Urteil des Senats vom 24. September 1968 - 11 RA 120/67). Aus diesen Gründen besteht auch kein Anhalt dafür, daß der Gedanke des Gesetzes in seinem Wortlaut einen zu engen Ausdruck gefunden hat. Demzufolge kann es nicht ausreichen, daß ein Deutscher in ein ausländisches Staatsgebiet, etwa im Rahmen einer Repatriierung, verbracht worden ist und später, wie andere Bewohner dieses Staatsgebietes, dort Arbeit geleistet hat bzw. zur Arbeit verpflichtet gewesen ist.

An dieser Auslegung des § 1 Buchst. c FRG vermögen Schwierigkeiten bei der Feststellung des Zweckes einer früheren Verbringung nichts zu ändern. Hierzu ist auf § 4 FRG zu verweisen, wo der Gesetzgeber für die nach dem FRG erheblichen Tatsachen die Glaubhaftmachung genügen läßt; durch sie können Beweiserschwernisse fallgerecht ausgeglichen werden. Ein Bedürfnis zur Ausdehnung des § 1 Buchst. c FRG ergibt sich aus diesem Gesichtspunkt nicht. Zu Unrecht beruft sich der Kläger weiter auf die Entscheidung in BSGE 14, 50. In ihr hat sich das BSG mit § 1 Buchst. c FRG überhaupt nicht befaßt, sich vielmehr im Rahmen von § 1 Abs. 2 Buchst. c des Bundesversorgungsgesetzes mit den - hier nicht in Betracht kommenden - Begriffen der Internierung und des Gewahrsams auseinandergesetzt.

Soweit das LSG Ersatzzeiten i.S. des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AVG verneint hat, hat der Kläger keine Beanstandungen erhoben und sind auch solche nicht geltend zu machen, so daß offenbleiben kann, ob das Vorhandensein von Ersatzzeiten i.S. des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AVG im Rahmen eines Herstellungsverfahrens nach § 11 Abs. 2 VuVO überhaupt zu prüfen ist.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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