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11 RA 16/80

Tatbestand

Der 1909 geborene und 1976 verstorbene Versicherte, dessen Witwe die Klägerin ist, war von 1926 bis 1938 Geschäftsführer und sodann Inhaber der elterlichen Eisenhandlung in N/W. Nach Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft und Arbeitslosigkeit war er seit 1949 im Bundesgebiet versicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahre 1972 beantragte er die Herstellung von Versicherungsunterlagen und machte ua geltend, von April 1923 bis Juli 1943 sei er als Organist an der Evangelischen Kirche in N angestellt und Pflichtversichert gewesen. Im Juni 1974 bewilligte die Beklagte dem Versicherten zunächst eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; diese wandelte sie im Oktober 1976 rückwirkend in ein Altersruhegeld um; hierbei berücksichtigte sie Versicherungszeiten jeweils erst ab September 1943.

Die auf Anrechnung der Zeit von 1923 bis 1943 gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) nach dem Tode des Versicherten abgewiesen. Auf die von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung des Altersruhegeldes die Organistentätigkeit vom 14. April 1925 bis 31. Juli 1943 nach § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeit zu berücksichtigen. Die Berufung sei zulässig, weil die Klägerin zu Recht einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im ersten Rechtszug gerügt habe. Die Organistentätigkeit, die mit keiner Beitragszeit zusammenfalle, sei glaubhaft gemacht und von der Vollendung des 16. Lebensjahres an nach § 16 FRG anzurechnen. Westpreußen sei auch nach 1941 Ausland gewesen, weil als Reichsgebiet nur das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 anzusehen sei. Um eine abhängige Beschäftigung habe es sich deshalb gehandelt, weil dem Versicherten ein Monatsentgelt von etwa 60,-- Zloty gezahlt und Ort, Zeit und Programm des Orgelspiels vorgeschrieben worden seien. Die Beschäftigung hätte - anders als die Betätigung als Eisenhändler - unter Anwendung von § 16 Satz 2 FRG nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht begründet. Versicherungsfreiheit nach § 4 Abs. 2 Buchstabe a) des Angestelltenversicherungsgesetzes in der damaligen Fassung (AVG aF) scheide aus, weil die Organistentätigkeit nicht nur gelegentlich ausgeübt worden sei. § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF sei nach § 16 Satz 2 FRG unanwendbar, weil er auf die Höhe des Arbeitsverdienstes abhebe.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 16 FRG. Da in N ab 1. Januar 1942 deutsches Sozialversicherungsrecht gegolten habe, sei die Organistentätigkeit von da an nicht in einem ausländischen Gebiet ausgeübt worden. Im übrigen habe das LSG verkannt, daß nach § 16 Satz 2 FRG nur die erste Alternative des § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF unanwendbar sei, nicht aber die zweite; bei ihr bedürfe es keiner Kursumrechnung; das Entgelt als Organist habe ein Fünftel des Gesamteinkommens des Versicherten nicht überschritten.

Die Beklagte beantragt,

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin in vollem Umfange zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im wesentlichen begründet.

Der Senat geht mit dem LSG von der Zulässigkeit der Berufung aus. Er hat auf die von der Beklagten eingelegte Revision (nur) zu prüfen, ob das LSG die Beklagte zu Recht zur Berücksichtigung der Organistentätigkeit verurteilt hat. Das ist für die Zeit ab dem 1. Januar 1942 zu verneinen und läßt sich für die vorherige Zeit noch nicht abschließend beurteilen.

Nach § 16 Satz 1 FRG steht ua eine nach vollendetem 16. Lebensjahr vor der Vertreibung in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) genannten ausländischen Gebieten verrichtete Beschäftigung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Geltungsbereich des Gesetzes, für die Beiträge entrichtet sind, gleich, soweit sie nicht mit einer Beitragszeit zusammenfällt; das gilt nach § 16 Satz 2 FRG jedoch nur, wenn die Beschäftigung nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre, wobei ua Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht nach der Höhe des Arbeitsverdienstes nicht anzuwenden sind.

Hinsichtlich der Zeit ab Januar 1942 fehlt es, was das LSG verkannt hat, bereits an der Verrichtung einer Beschäftigung in einem ausländischen Gebiet iS von § 16 Satz 1 FRG. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. März 1970 (BSGE 31, 88 ff) näher angeführt hat, ist ein nach dem 31. Dezember 1937 dem Deutschen Reich angegliedertes Gebiet dann nicht ausländisch im Sinne der genannten Vorschrift, wenn dort zur Zeit der Beschäftigung deutsches Recht gegolten hat und angewandt worden ist. Westpreußen war durch Erlaß vom 8. Oktober 1939 (RGBl I 2042) ab 1. November 1939 ins Deutsche Reich eingegliedert worden; ab 1. Januar 1942 haben dort die Vorschriften der Reichsversicherung gegolten (§ 1 Abs. 1, 3, 48 der Verordnung -VO- vom 22. Dezember 1941 - RGBl I 777 -). Damit scheidet von diesem Zeitpunkt an eine Anwendung von § 16 FRG auf die vom Versicherten ausgeübte Beschäftigung aus. Die Klage ist deshalb insoweit abzuweisen.

Für die vorausgegangene Zeit ist den bisher getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen, ob die Voraussetzungen des § 16 Satz 2 FRG erfüllt sind. Das LSG hat für die Beschäftigung des Versicherten als Organist Versicherungspflicht nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht angenommen, ohne zu prüfen, ob es sich um eine Nebenbeschäftigung iS des § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF gehandelt hat. Es hat eine solche Prüfung unterlassen, weil es § 4 Abs. 2 Buchstabe b) im Hinblick auf § 16 Satz 2 Halbsatz 2 FRG im ganzen für unanwendbar gehalten hat. Nach Buchstabe b) liegt eine Nebenbeschäftigung (Nebentätigkeit) vor, wenn die Beschäftigung (Tätigkeit) zwar laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr, aber nur gegen ein Entgelt (Arbeitseinkommen) ausgeübt wird, das durchschnittlich im Monat ein Achtel der Beitragsbemessungsgrenze oder bei höherem Entgelt (Arbeitseinkommen) ein Fünftel des Gesamteinkommens nicht überschreitet. Damit stellt Buchstabe b) ohne Zweifel auf die Höhe des Arbeitsverdienstes ab. Daraus allein folgt aber nicht, daß Buchstabe b) im Rahmen von § 16 Satz 2 FRG - und sei es auch nur in einer modifizierten Form - schlechthin nicht angewendet werden dürfe.

Wenn nach § 16 Satz 2 Halbsatz 2 FRG "Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht nach der Höhe des Arbeitsverdienstes" nicht anzuwenden sind, so unterscheidet der Gesetzeswortlaut hierbei zwar nicht danach, ob diese die Versicherungspflicht wegen eines zu hohen oder - woran der Gesetzgeber kaum gedacht haben dürfte - wegen eines zu niederen Verdienstes entfallen lassen; andererseits bezieht sich jedoch der Wortlaut auf die "Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht" und nicht auf Teile davon. Deshalb darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, daß § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF nur ein Teil einer Gesamtregelung ist, die in § 4 Abs. 1 Nrn 5 und 6 für Nebenbeschäftigungen (Nebentätigkeiten) die Versicherungsfreiheit bestimmt und in Abs. 2 diesen Begriff in mehreren aufeinander abgestimmten Alternativen definiert. Da Abs. 2 Buchstabe b) hiernach lediglich eine Fallgruppe von Nebenbeschäftigungen (Nebentätigkeiten) umschreibt, würde die Auffassung des LSG im Rahmen von § 16 FRG zu einer nur bruchstückhaften Anwendung dieser Regelung der Versicherungsfreiheit führen.

Es kann aber zum einen nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber mit Hilfe von § 16 FRG in den Herkunftsländern ausgeübte Nebenbeschäftigungen allgemein in der bundesdeutschen Rentenversicherung als Versicherungszeiten anrechenbar machen wollte; dagegen spricht insbesondere, daß sich die auch auf Beschäftigungszeiten gem § 22 FRG anzuwendenden Tabellen offensichtlich auf eine Vollzeitbeschäftigung beziehen. Deshalb erscheint es zum anderen ebenfalls als ein Widerspruch zum Sinn und Zweck des § 16 FRG, wollte man die Vergünstigungen dieser Vorschrift allein - und gerade - der in § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF erfaßten Fallgruppe der Nebenbeschäftigungen zugutekommen lassen. Das wäre nicht nur unvereinbar mit der Zielsetzung des FRG, eine möglichst weitgehende Gleichstellung von einheimischen Versicherten und Vertriebenen zu erreichen, es hätte vielmehr auch eine Ungleichbehandlung der Vertriebenen untereinander zur Folge; bei ihnen würde differenziert danach, ob Buchstabe a) oder Buchstabe b) von § 4 Abs. 2 AVG aF in Betracht käme, ohne daß sich ein vernünftiger Grund dafür finden ließe.

Unter diesen Umständen muß bedacht werden, daß § 16 Satz 2 FRG Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht nach der Höhe des Arbeitsverdienstes deshalb unbeachtet lassen will, weil sonst eine Umrechnung von Währungen des Herkunftslandes in RM oder DM notwendig würde (vgl SozR 5050 § 16 Nr. 11). Bei § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF ist es jedoch möglich, dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung in einer Weise Rechnung zu tragen, die eine Kursumrechnung vermeidet, so daß die sinngemäße Anwendung den Vorzug vor der Nichtanwendung verdient (ebenso SozR aaO bei einer vergleichbaren Fallgestaltung). Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF eine Versicherungspflicht für Nebenbeschäftigungen (Nebentätigkeiten) ausschließen wollen, wenn das Entgelt entweder schon an sich (erster Unterfall) oder doch im Verhältnis zu anderen Einkünften (zweiter Unterfall) geringfügig ist. Deshalb hat er im ersten Unterfall ein Nichtüberschreiten von einem Achtel der Beitragsbemessungsgrenze verlangt. Nach dieser Grenze hat inzwischen auch der Große Senat (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) die Geringfügigkeit von Einkünften iS von § 1247 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) = § 24 Abs. 2 Satz 1 AVG bestimmt (BSGE 43, 75, 85) und zugleich angenommen, daß mit einer Teilzeitarbeit unter zwei Stunden Einkünfte dieser Höhe in der Regel nicht erreicht werden können. Damit in Einklang hat der 4. Senat des BSG in der Frage, ob mit einer im Ausland verrichteten Beschäftigung mehr als geringfügige Einkünfte im Sinne dieser Vorschriften erzielt werden, darauf abgehoben, ob diese Beschäftigung im Durchschnitt mindestens zwei Stunden täglich ausgeübt wird; zur Begründung hat er ausgeführt, daß im Verhältnis zum Ausland Kursumrechnungen zu vermeiden seien, weil sie zu unbilligen Ergebnissen führen würden (SozR 2200 § 1247 Nr. 24). An diese Rechtsprechung, die bei der Beurteilung einer geringfügigen Beschäftigung geldliche Größen durch zeitliche ersetzt, kann der Senat anknüpfen. Auch hier handelt es sich darum, näher zu bestimmen, wann eine, allerdings frühere, Beschäftigung im Ausland im Hinblick auf das gezahlte Entgelt als geringfügig anzusehen ist. Es ist deshalb bei der Anwendung von § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF, soweit es sich um den ersten Unterfall dieses Buchstabens handelt, im Rahmen von § 16 FRG darauf abzustellen, ob die in Betracht kommende Beschäftigung im Durchschnitt mindestens zwei Stunden täglich oder zehn Stunden wöchentlich gegen Entgelt ausgeübt worden ist. Im zweiten Unterfall dieses Buchstabens bedarf es dagegen keiner Modifizierung des Gesetzeswortlauts; hier entfällt die Notwendigkeit einer Kursumrechnung von vornherein, weil nur Entgelte in fremder Währung miteinander zu vergleichen sind.

Das LSG hat weder Feststellungen über die tägliche oder wöchentliche Dauer der Beschäftigung des Versicherten als Organist noch darüber getroffen, ob der Verdienst hieraus ein Fünftel des Gesamteinkommens des Versicherten überstiegen hat. Dem angefochtenen Urteil ist lediglich zu entnehmen, daß die Beschäftigung als Organist ein geringeres Einkommen abwarf als die Betätigung als Eisenhändler. Das genügt für eine abschließende Beurteilung nicht. Deshalb werden die noch fehlenden Feststellungen, die der Senat nicht selbst zu treffen vermag, nunmehr vom LSG nachzuholen sein. Insoweit ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Sollte sich im weiteren Verfahren ergeben, daß der Verdienst aus der Organistentätigkeit - wie die Beklagte meint - ein Fünftel des Gesamteinkommens nicht überschritten hat, bedürfte es keiner Aufklärung der Dauer dieser Tätigkeit mehr; denn bei einer Dauer bis zu zwei Stunden täglich oder zehn Stunden wöchentlich wäre sie dann nach dem ersten Unterfall von § 4 Abs. 2 Buchstabe b) AVG aF, bei längerer Dauer nach dessen zweitem Unterfall, nicht als versicherungspflichtig iS von § 16 Satz 2 FRG anzusehen. Im umgekehrten Falle dagegen muß die Dauer der Tätigkeit geklärt werden.

Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

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