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11 RA 129/79

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Kinderzuschuß nach § 39 Abs. 3 Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).

Der Kläger bezieht seit 1973 Altersruhegeld; hierzu zahlte ihm die Beklagte Kinderzuschuß für seinen im Dezember 1951 geborenen Sohn F. G., der Medizin studierte. Mit Juli 1975 stellte die Beklagte die Zahlung des Kinderzuschusses ein und nahm sie erst ab Oktober 1977 wieder auf, da der Sohn in dieser Zeit das Studium unterbrochen und als Entwicklungshelfer in Togo gearbeitet hatte. Im neuen Bewilligungsbescheid vom 15. Dezember 1977 bestimmte sie das Ende des Kinderzuschusses auf März 1978; in diesem Monate laufe der in § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG vorgesehene Verlängerungszeitraum von hier 15 Monaten ab. Der Kläger wandte hiergegen ein, sein Sohn sei - einschließlich einer dreimonatigen Vorbereitungszeit in Deutschland - 30 Monate als Entwicklungshelfer tätig gewesen; der Verlängerungszeitraum reiche daher bis zum 30. Juni 1979. Daß die Beklagte nur die dem Grundwehrdienst entsprechende Zeit von 15 Monaten anerkenne, stehe mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) - Urteil vom 8. November 1979 - ist der mindestens zwei Jahre geleistete Dienst als Entwicklungshelfer zwar im Sinne von § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG ein Verzögerungstatbestand für den Kinderzuschuß in gleicher Weise wie der Grundwehrdienst. Da der Entwicklungsdienst an die Stelle des im Gesetz aufgeführten Wehr- oder Ersatzdienstes trete, könne der Verzögerungstatbestand aber immer nur einen Zeitraum umfassen, der der Dauer des Grundwehrdienstes entspreche. Daß der Gesetzgeber dies im Versorgungsrecht ausdrücklich so geregelt habe, im Bereich der Rentenversicherung dagegen nicht, lasse nicht die Annahme zu, er habe die Rentenversicherten anders behandeln wollen. Das ergebe sich auch nicht daraus, daß die Leistungen für Kinder im Versorgungsrecht bis zum 27., im Rentenrecht nur bis zum 25. Lebensjahr gewährt würden; unerheblich sei ferner, daß der Wehrpflichtige im allgemeinen mit achtzehn Jahren eingezogen werde, der Entwicklungshelfer bei Antritt seines wesentlich längeren Dienstes dagegen 21 Jahre alt sei. Im übrigen habe der Kläger während der Vorbereitung des Sohnes auf den Entwicklungsdienst (April bis Juni 1975) den Kinderzuschuß erhalten; diese Zeit habe außer Betracht zu bleiben.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision hat der Kläger das Klagebegehren um drei Monate beschränkt. Er beantragt (sinngemäß),

  • die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kinderzuschuß über März 1978 hinaus bis zum 31. März 1979 zu gewähren.

Zur Begründung rügt er eine Verletzung von § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG i.V.m. § 13b des Wehrpflichtgesetzes (WehrPflG) und § 1 des Entwicklungshelfergesetzes (EhfG). Wenn im Bundesversorgungsgesetz (BVG) der Verzögerungstatbestand des Entwicklungsdienstes auf die Dauer des Grundwehrdienstes begrenzt sei und im AVG nicht, so zeige dies, daß der Gesetzgeber einen Unterschied in der Bezugsdauer der Leistungen gewollt habe; dies erkläre sich aus dem späteren Beginn des Entwicklungsdienstes, dessen längerer Dauer und daraus, daß im Versorgungsrecht bis zum 27. Lebensjahr Kinderzuschuß geleistet werde.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; dem Kläger steht Kinderzuschuß für seinen Sohn F. G. über März 1978 hinaus nicht zu.

Die Dauer des Kinderzuschusses ist in § 39 Abs. 3 AVG geregelt. Nach dessen Satz 2 wird er längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das sich in Berufsausbildung befindet. Als Ausnahme hiervon bestimmt Satz 3, daß im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes der Kinderzuschuß auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt wird.

Die Beteiligten und das LSG gehen zu Recht davon aus, daß § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG hier zugunsten des Klägers anwendbar ist. Die Unterbrechung der Berufsausbildung seines Sohnes ist zwar nicht durch „Erfüllung“ der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht verursacht worden. Zu beachten ist jedoch, daß nach § 13b Abs. 3 Satz 1 WehrPflG die Pflicht zur Leistung von Grundwehrdienst für einen Wehrpflichtigen erlischt, wenn er mindestens zwei Jahre Entwicklungsdienst geleistet hat (nach Satz 2 unter Umständen sogar schon nach 15 Monaten Entwicklungsdienst).

Dies berechtigt, die Leistung eines solchen Entwicklungsdienstes im Rahmen des § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG ebenso zu behandeln wie die Erfüllung der gesetzlichen Wehrdienstpflicht durch den Grundwehrdienst (§ 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 WehrPflG). Damit folgt der Senat einer Rechtsprechung, die im Rentenversicherungsrecht bei Kinderzuschüssen und Waisenrenten schon mehrfach der Ableistung des Grundwehrdienstes die Leistung anderer Dienste gleichgestellt hat, die auf den Grundwehrdienst anzurechnen waren oder die Pflicht zur Leistung von Grundwehrdienst erlöschen ließen (SozR 2200 § 1267 Nr. 3 und § 1262 Nr. 3 für den freiwilligen Wehrdienst als Soldat auf Zeit - vgl. dazu auch SozR Nr. 14 zu § 45 BVG - und SozR 2200 § 1267 Nr. 4 für den freiwilligen Polizeivollzugsdienst). Diese Rechtsprechung hat unterstützend Regelungen im Versorgungsrecht herangezogen. Dort ist in Satz 3 des § 45 Abs. 3 BVG (vgl. ferner §§ 27 Abs. 4 Satz 3, 33b Abs. 4 Satz 6 BVG) die entsprechende Geltung der § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG vergleichbaren BVG-Vorschrift für drei Fälle ausdrücklich angeordnet worden. Dazu gehören der freiwillige Wehrdienst bis zu drei Jahren und der Polizeivollzugsdienst bis zu drei Jahren, außerdem aber, was gerade hier von Bedeutung ist, die von Wehr- und Zivildienst befreiende Tätigkeit des Entwicklungshelfers. Ähnliche Regelungen hat das Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in § 2 Nr. 2 und Nr. 3 (hier für den Entwicklungsdienst) getroffen. Daß die Gleichstellung des Entwicklungsdienstes auch im Rentenversicherungsrecht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, bestätigt im übrigen die Begründung für die Änderung des EhfG zum 26. Juni 1978 (BT-Drucks. 7/4393 zu Art 2). Danach wurde geprüft, ob die Nennung des Wehr- oder Zivildienstes, nicht aber des Entwicklungsdienstes als Verzögerungstatbestand Anlaß zu Änderungen der Rentenversicherungsgesetze sein müsse. Hierauf wurde verzichtet, „da die Rechtsprechung diese Lücke bereits geschlossen und den Entwicklungsdienst als Verzögerungstatbestand anerkannt hat“ (s auch BT-Drucks. VI/1126 S. 35).

Das LSG hat entgegen der Meinung des Klägers § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG aber auch insofern zutreffend angewandt, als es den Zeitraum für die mögliche Weitergewährung des Kinderzuschusses auf die Zeit bis März 1978 begrenzt hat. Die Revisionsbegründung wirft dem LSG ohne Anhalt vor, es habe geglaubt, zwischen den Zeilen eine Abqualifizierung des Entwicklungshelferdienstes vornehmen zu müssen. Davon kann keine Rede sein. Das LSG hat sich ausschließlich auf sachliche Erwägungen gestützt. Für seine Meinung spricht zunächst der Wortlaut des § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG. Danach wird der Kinderzuschuß „für einen der Dauer dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum“ über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt. Als „Dienst“ ist hierbei nur der zuvor allein genannte „Wehr- oder Ersatzdienst“ zu verstehen, mit dem die gesetzliche Wehr- oder Ersatzdienstpflicht erfüllt wird. Nach dem Wortlaut kann also mit der „Dauer dieses Dienstes“ nicht die Dauer eines anderen Dienstes gemeint sein. In diesem Sinne muß der Wortlaut aber auch nicht in den Fällen umgedeutet werden, in denen die Rechtsprechung der Ableistung des Grundwehrdienstes die Leistung anderer Dienste gleichgestellt hat. Denn diese Gleichstellung beruht allein darauf, daß die anderen Dienste auf den Grundwehrdienst angerechnet werden oder daß ihretwegen die Pflicht zur Leistung des Grundwehrdienstes erlischt. Ist das aber der Grund für die Gleichstellung, dann entspricht es der den anderen Diensten zukommenden „Ersatzfunktion“, auch in diesen Fällen den Kinderzuschuß nur für einen der Dauer des Grundwehrdienstes entsprechenden Zeitraum weiterzugewähren.

Der Senat verkennt dabei nicht, daß die anderen Dienste - freiwilliger Wehrdienst, Polizeivollzugsdienst, Entwicklungsdienst - ebenfalls Interessen der Allgemeinheit dienen und daß sie sogar eine längere Unterbrechung oder Verzögerung der Ausbildung als der Grundwehrdienst bewirken. Das LSG hat jedoch zu Recht hervorgehoben, daß § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG einen Ausgleich für die Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht schaffen und darum nur die Verzögerung ausgleichen soll, die durch die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht zwangsläufig entsteht.

Die Begrenzung auf den Zeitraum des Grundwehrdienstes entspricht zudem der Regelung des BVG, an die die Rechtsprechung im Rentenversicherungsrecht angeknüpft hat. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG gilt Satz 2 in den dort genannten Fällen des freiwilligen Wehrdienstes, des Polizeivollzugsdienstes und des Entwicklungsdienstes ausdrücklich nur „für einen der Dauer des Grundwehrdienstes entsprechenden Zeitraum“. Anders verhält es sich dagegen im BKGG (und im Beamtenrecht). Dieses Gesetz stellt in § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 auf die Dauer des tatsächlich geleisteten Dienstes ab, setzt jedoch beim freiwilligen Wehrdienst, dem Polizeivollzugsdienst und dem Entwicklungsdienst eine Höchstgrenze von 24 Monaten. Begründet wurde dies damit, daß nur die in dieser Höhe geleisteten anderen Dienste die Wehrpflicht zum Erlöschen bringen (BT-Drucks. 7/2032 S. 9, Begr. zu Abs. 3).

Für diese Unterschiede hat der Senat in den Gesetzesmaterialien keine Begründung gefunden. Es fehlen insbesondere Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber den von der Revision geltend gemachten Altersgesichtspunkten - Leistungen bis zum 25. oder bis zum 27. Lebensjahr des Kindes, Alter bei Beginn des Wehrdienstes und bei Beginn des Entwicklungsdienstes - eine Bedeutung beigemessen habe. Dagegen spricht jedenfalls, daß die unterschiedlichen Regelungen im BVG und im BKGG einheitlich bis zum 27. Lebensjahr zulässige Leistungen betreffen und daß die Abweichungen im BKGG nicht nur erst ab 21 Jahren anzutretende Dienste erfassen.

Der Senat hat sich unter diesen Umständen nicht für befugt erachtet, die Regelungen im BKGG entsprechend auch im Rentenversicherungsrecht anzuwenden. Angesichts des Schweigens des Gesetzgebers in diesem Rechtsbereich ist eher der Anlehnung an die im BVG getroffene Regelung der Vorzug zu geben. Es handelt sich hierbei um die am wenigsten weitgehende Regelung; diese Erwägung ist deswegen von besonderem Gewicht, weil sich der Gesetzgeber bisher offensichtlich bemüht hat, die Voraussetzungen für die Gewährung von Waisenrenten und Kinderzuschüssen aus der gesetzlichen Rentenversicherung enger zu begrenzen als die Voraussetzungen für die Gewährung vergleichbarer Leistungen in anderen Leistungssystemen. Dies kommt u.a. in dem Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Rentenversicherung (BT-Drucks. VI/1126, S. 35) zum Ausdruck, wo Wünschen nach Erhöhung der Altersgrenze und Verlängerungszeiträumen über die Dauer des Grundwehrdienstes hinaus entgegengehalten wurde, ihre Verwirklichung würde den begünstigten Personenkreis erweitern und zu Mehraufwendungen führen.

Hinzuweisen ist im übrigen darauf, daß für die Zahlung von Kindergeld überall Raum bleibt, wo eine der in § 8 BKGG genannten Leistungen, darunter der Kinderzuschuß nach § 39 AVG (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG), nicht zu gewähren ist.

Als Verlängerungszeitraum nach § 39 Abs. 3 Satz 3 AVG kam sonach nur die der Dauer des Grundwehrdienstes entsprechende Zeit von 15 Monaten in Betracht. Die Beklagte hat diesen Zeitraum zu Recht mit der Vollendung des 25. Lebensjahres des Sohnes des Klägers beginnen und infolgedessen im März 1978 enden lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

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