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11 RA 99/78

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ab dem 1. März 1976 eine nach § 68 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) wiederaufgelebte Witwenrente ohne Anrechnung eines (fiktiven) Unterhaltsanspruchs zu zahlen ist.

Die 1930 geborene Klägerin bezog bis zu ihrer Wiederverheiratung im Mai 1965 Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Ihre Zweitehe wurde im März 1974 aus dem Verschulden des Ehemannes geschieden. Im Scheidungsverfahren wurde vereinbart, daß der - als freier Architekt tätige - Ehemann noch auf die Dauer von zwei Jahren der Klägerin monatlich 1.000,00 DM Unterhalt zahlt und sie für die Folgezeit auf jeglichen Unterhaltsanspruch einschließlich des Notbedarfs verzichtet.

Mit Bescheid vom 29. Januar 1976 erkannte die Beklagte das Wiederaufleben der Witwenrente dem Grunde nach an, lehnte aber wegen des Unterhaltsanspruchs gegen den zweiten Ehemann eine Rentenzahlung ab. Dabei verblieb sie im Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1976, worin für die Zeit ab 1. März 1976 ein fiktiver Unterhaltsanspruch von 1.000,00 DM angerechnet wurde.

Im folgenden Rechtsstreit wandte sich die Klägerin anfangs allein gegen die Höhe des fiktiven Anspruchs; der zweite Ehemann beziehe nunmehr Beute von 600,00 DM, sie selbst Bruttoeinkünfte von ca. 1.000,00 DM monatlich. Später erklärte sie die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs zumindest seit dem Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 - außer im Falle des Rechtsmißbrauchs - überhaupt für unzulässig.

Die Klage und die Berufung hatten keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Landessozialgericht (LSG) im Urteil vom 19. Oktober 1978 unter wiederholter Bezugnahme auf das Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Mai 1978 - 4 RJ 79/77 - aus: Es seien zwar Fälle denkbar, in denen ein Unterhaltsverzicht nicht zur Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs führe; ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor. Beachtlich sei der objektiv verständige bzw. anerkennenswerte Verzicht. Als solcher könne ein Verzicht nur behandelt werden, wenn die zu ihm führenden Motive und Begleitumstände rückschauend erkennbar und nachvollziehbar seien. Hier seien sie nicht deutlich zu erkennen. Wegen der noch nach dem 1. März 1976 gegebenen Unterhaltsfähigkeit des zweiten Mannes entfalle das vielfache Motiv des Verzichts auf nicht oder nur schwer zu verwirklichende Ansprüche. Daß die Scheidung nur aufgrund des Verzichts möglich gewesen sei, stehe nicht fest, ebensowenig, daß die Klägerin auf die rasche Durchführung der Scheidung angewiesen gewesen sei. Andere triftige Gründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Demnach könne hier nicht von einem objektiv verständigen bzw. anerkennenswerten Verzicht ausgegangen werden; einen dahingehenden Beweis habe die Klägerin nicht geführt. Sie sei somit so zu behandeln, als ob sie aus freien Stücken auf einen ihr an sich zustehenden Anspruch verzichtet hätte. Auch nach dem 1. März 1976 hätte sie einen Unterhaltsanspruch in einer Höhe verwirklichen können, welche die wiederaufgelebte Witwenrente (monatlich 492,50 DM im Zeitpunkt der Bescheiderteilung) mindestens erreicht hätte. Ob infolge Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des geschiedenen Mannes nunmehr möglicherweise ein Anspruch auf Rentenzahlung entstanden sei, sei in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,

  • die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr ab 1. März 1976 die Rente ohne Abzüge zu zahlen,

hilfsweise,

  • die Sache an das LSG zurückzuverweisen,

Materiell-rechtlich rügt sie eine unzulässige Ausweitung der in § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG enthaltenen Anrechnungsvorschrift; aus der - zur Vereinfachung des Verfahrens erfolgten - Übernahme der Alleinschuld durch den Ehemann könne nicht auf das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs gegen diesen geschlossen werden. Formell-rechtlich macht sie Verstöße gegen die §§ 105, 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 159 Zivilprozeßordnung (ZPO) geltend:

Das LSG habe Nachforschungen über die Beweggründe für ihren Verzicht unterlassen; vor seiner erst kurz nach dem Urteil des BSG vom 24. Mai 1978 getroffenen Entscheidung hätte es auf die seiner Ansicht nach nunmehr entscheidungserheblichen Umstände hinweisen müssen, bei einer Befragung hätte sie anerkennenswerte Gründe vortragen können (sehr streitiges Scheidungsverfahren, heftige gegenseitige Vorwürfe, schwere gesundheitliche Krise, zu befürchtender langwieriger Streit, mögliche Scheidung aus eigenem Verschulden, schwierige Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen). Schließlich werde die vom LSG angenommene Höhe des fiktiven Unterhaltsanspruchs nicht von den festgestellten Tatsachen getragen.

Die Beklagte beantragte,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie möchte generell von der Vermutung des nicht verständigen Verzichtes ausgehen und damit im wesentlichen an der bisherigen Verfahrensweise der Versicherungsträger festhalten.

Gründe II.

Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.

Obwohl nach dem Gesetzeswortlaut (§ 68 Abs. 2 Satz 1, Halbsatz 2 AVG) auf die wiederaufgelebte Witwenrente nur ein infolge der Auflösung der zweiten Ehe „erworbener“ neuer Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, hat die Rechtsprechung die Anrechnungsvorschrift erweiternd dahin ausgelegt, daß auch die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs geboten sein kann. Dafür hat sich insbesondere das Urteil des erkennenden Senats vom 2. September 1964 (BSGE 21, 279) und die anschließende Rechtsprechung des BSG bis zum Inkrafttreten des RRG (vgl. u.a. SozR Nr. 34 zu § 1291 RVO) ausgesprochen. Nach dieser Rechtsprechung war, wenn die „Witwe“ bei der Scheidung ihrer zweiten Ehe auf Unterhalt verzichtet hatte, auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Unterhaltsanspruch anzurechnen, der der Witwe ohne den Verzicht nach dem Ehegesetz (EheG) zustehen würde. Maßgebend hierfür waren zwei ineinandergreifende Erwägungen: Zum einen wurde dem Gedanken Rechnung getragen, daß die wiederaufgelebte Witwenrente nur subsidiär (hilfsweise, nachrangig) die durch die Auflösung der zweiten Ehe entstandene Versorgungslücke füllen soll; da die gesetzlich gewährleistete „Mindestversorgung“ der Witwe in erster Linie aus den infolge Auflösung dieser Ehe erworbenen Ansprüchen zu bestreiten sei, dürfe es ihr nicht gestattet werden, insoweit selbst eine Versorgungslücke zu schaffen und so die gesetzliche Anspruchsrangfolge umzustoßen. Der weiter maßgebende Gesichtspunkt war die seinerzeitige Bedeutung der Schuldfeststellung im Scheidungsurteil; nach der damaligen Gesetzeslage konnte die Witwenrente nur bei einer Eheauflösung ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe überhaupt Wiederaufleben. Insoweit nahm die Rechtsprechung zwar die Scheidung und damit auch eine „Konventionalscheidung“ mit einem der Witwe günstigen Schuldausspruch als auslösenden Grund für das Wiederaufleben der Witwenrente hin (vgl. BSGE 29, 81), sie konnte jedoch nicht auch noch zulassen, daß die nach dem Schuldausspruch an sich mögliche Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs durch einen Unterhaltsverzicht vereitelt wurde, der den für die Witwe günstigen Schuldausspruch möglicherweise überhaupt erst herbeigeführt hatte.

Diese Rechtsprechung läßt sich, wie der 4. Senat des BSG in seinem bereits angeführten Urteil vom 24. Mai 1978 (SozR 2200 § 1291 Nr. 16) entschieden hat, für die erst nach dem 31. Dezember 1972 (Inkrafttreten des RRG) bis zum 1. Juli 1977 (Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts) wiederaufgelebten Witwenrenten nicht mehr uneingeschränkt fortführen. Denn die dargelegte zweite Erwägung ist gegenstandslos geworden; das RRG hat die sogenannte Verschuldensklausel beseitigt, für das Wiederaufleben der Witwenrente ist seitdem die Schuldfeststellung nach dem EheG a.F. ohne Bedeutung. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluß vom 12. November 1974 (SozR 5100 § 44 Nr. 2) die in der Kriegsopferversorgung zunächst beibehaltene Verschuldensklausel für verfassungswidrig erklärt und hierbei u.a. ausgeführt, durch das Mittel der wiederauflebenden Witwenrente dürfe nicht auf die Entscheidung der Partner über die Lösung der zweiten Ehe Einfluß genommen werden. Die Entscheidung hat den 10. Senat des BSG bereits veranlaßt, die frühere Rechtsprechung zur Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche bei einer nachträglichen Verwirkung des Unterhaltsanspruchs durch die Witwe gemäß § 66 EheG a.F. aufzugeben (BSGE 40, 260). Nach seiner Ansicht hat die Entscheidung des BVerfG den gesamten Komplex der wiederaufgelebten Witwenrente einer neuen Betrachtung zugeführt; nunmehr lebe der Anspruch auf Witwenrente um so sicherer, ungefährdeter und vollständiger - nämlich ohne Anrechnung etwaiger Unterhaltsansprüche - wieder auf, wenn die Ehe aus dem Alleinverschulden der Frau geschieden sei (a.a.O. S. 262); es möge dahinstehen, ob jetzt noch von einer echten Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente gesprochen werden könne (S. 264). Demgegenüber ist nach der Meinung des 4. Senats der Grundsatz der Subsidiarität jedoch erhalten geblieben; auch der Bundesgerichtshof (BGH) geht weiterhin von einer Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente gegenüber Unterhaltsansprüchen nach Auflösung der Zweitehe aus (Urteil vom 15. Dezember 1978, BarbBI. 1979, S. 29). Dem tritt der erkennende Senat bei. Die Subsidiarität ergibt sich schon aus der Anrechnungsvorschrift selbst; ihr Sinn und Zweck ist zudem nach wie vor; die Versorgung der Witwe in erster Linie auf Ansprüche aus der zweiten Ehe zu stützen.

Dennoch bleibt die Frage, ob die Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente, die nach dem Gesetzeswortlaut nur gegenüber erworbenen Unterhaltsansprüchen aus der zweiten Ehe besteht, allein noch die Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen zu rechtfertigen vermag. Dabei kann allerdings die mit Hilfe der Subsidiarität auch bezweckte Vermeidung einer „Doppelversorgung“ (SozR 2200 § 1291 Nr. 16 Bl. 48) hier keine Rolle spielen, weil der Unterhaltsverzicht gerade nicht zu einer solchen führt. Nach dem BVerfG (a.a.O., Bl. 4) soll sich die Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche aus dem Bestreben erklären, Manipulationen der geschiedenen Ehegatten auszuschalten, durch die der an sich unterhaltspflichtige Ehemann zum Nachteil der Öffentlichen Hand entlastet werden soll. Das ist auch die Meinung der Klägerin, die eine solche Anrechnung nur im Falle eines Rechtsmißbrauchs für zulässig hält. Dem erkennenden Senat erscheint diese Betrachtungsweise zu eng. Das BSG hat wiederholt entschieden, daß es nicht im Belieben der Witwe stehe, ob und wie sie Unterhaltsansprüche gegen den zweiten Ehemann geltend macht, sie müsse alle ihr zumutbaren Schritte zur Verwirklichung dieses Anspruchs tun (BSGE 22, 78, 80; 27, 171, 173 f). Diesem Gedanken ist auch bei der Beurteilung von Unterhaltsverzichten Gewicht beizumessen. Es kann nicht voll dem Belieben der Witwe überantwortet sein, ob sie den Versicherungsträger und damit die Versichertengemeinschaft durch einen Unterhaltsverzicht belastet; der Gesetzgeber mutet es ihr, wie aufgezeigt, vielmehr zu, ihre Versorgung in erster Linie aus Unterhaltsansprüchen aus der zweiten Ehe zu bestreiten, nachdem sie mit der Wiederheirat in diesen „anderen Familienverband“ eingetreten war (BVerfGE 25, 142, 149). Das bedeutet aber, daß der Gedanke der Subsidiarität nicht schlechterdings nur dann zum Zuge kommen darf, wenn und solange Unterhaltsansprüche bestehen; der Witwe kann nach dem Sinn und Zweck der hier vorliegenden Subsidiarität unter Umständen auch zuzumuten sein, Unterhaltsansprüche gegen den zweiten Ehemann entstehen und bestehen zu lassen. Entscheidend ist letztlich, welches Verhalten ihr zugemutet werden kann, wenn sowohl ihre Interessen als auch die der Versichertengemeinschaft angemessen berücksichtigt werden. Das bedingt eine differenzierende Betrachtungsweise, die nicht „beim Manipulationsausschluß haltmacht, zumal sie Unterhaltsverzichte mit einschließen muß, die erst nach der Scheidung erklärt werden.

Der 4. Senat hat dementsprechend die frühere „generelle Mißbilligung“ des Unterhaltsverzichts nicht mehr aufrecht erhalten und nunmehr darauf abgestellt, ob die Witwe aus einem verständigen Grunde auf den Unterhaltsanspruch verzichtet hat. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung grundsätzlich an. Die Formel vom verständigen Grund hat den Vorteil, genügend flexibel zu sein, um allen zu berücksichtigenden Interessen und Gegebenheiten Rechnung zu tragen; sie findet sich zudem schon im Bundesversorgungsgesetz (§ 44 Abs. 5 Satz 3 BVG), so daß die Rechtsprechung damit nur auf andere sozialrechtliche Vorschriften für gleichliegende Sachverhalte zurückgreift (BSGE 22, 78, 80). Der Begriff des verständigen Grundes erlaubt es zugleich, auch in ihn selbst den Wandel der Rechtslage seit dem Inkrafttreten des RRG einfließen zu lassen; er kann und darf nur in voller Berücksichtigung dieses Wandels ausgelegt werden.

Das gilt insbesondere für Unterhaltsverzichte, die anläßlich der Scheidung - hier in einem gerichtlichen Vergleich - erklärt worden sind. Sie sind meist Teil von Unterhaltsvereinbarungen, die der Gesetzgeber in § 72 EheG a.F. selbst dann ausdrücklich zugelassen hatte, wenn sie die Scheidung ermöglichten oder erleichterten. Solche Unterhaltsvereinbarungen verdienen nunmehr auch bei Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft eine andere Betrachtungsweise als in der Rechtsprechung vor dem RRG (BSGE 21, 279, 281). Da seitdem das Wiederaufleben der Witwenrente vom Schuldausspruch im Scheidungsurteil unabhängig war, muß nun das Bestreben der Witwe, den Schuldausspruch zu ihren Gunsten durch einen Unterhaltsverzicht zu beeinflussen, grundsätzlich als ein verständiger Grund für den Unterhaltsverzicht anerkannt werden. Das entspricht überdies dem vom BVerfG herausgestellten Gebot, den Ehepartnern die Entscheidung über die Lösung ihrer Ehe und somit auch über die Art und Weise dieser Lösung zu überlassen und diesen Persönlichkeitsbereich von Eingriffen und damit auch von nachträglichen Wertungen freizuhalten (vgl. hierzu ferner BVerwGE 31, 197, 209). Die Entscheidung des 8. Senates des BSG vom 30. Januar 1969 (SozR Nr. 11 zu § 44 BVG), die noch eine bezweckte Einflußnahme auf die Art des Schuldausspruchs nicht als verständigen Grund anerkannt hatte, ist mithin überholt. Verständig müssen nun aber noch weitere übliche Motive für die mit einem Unterhaltsverzicht verbundenen Vereinbarungen nach § 72 EheG a.F. erscheinen, also etwa die Wünsche, ein streitiges Verfahren zu vermeiden, eine einverständliche Scheidung zu erreichen, die Auflösung der Ehe zu beschleunigen. Insoweit dürfen Witwen mit der Aussicht auf eine wiederauflebende Witwenrente nicht gegenüber anderen Frauen benachteiligt werden, wenn sie wie diese von den nach § 72 EheG a.F. gebotenen Möglichkeiten Gebrauch machten. Eine andere Beurteilung wäre nur angebracht, wenn sie einen Unterhaltsverzicht gegenüber dem zweiten Mann ausschließlich deshalb erklärten, weil sie sich keinen Beschwernissen bei der Verfolgung eines gegen den Ehemann zweifelsohne gegebenen Unterhaltsanspruchs aussetzen wollten; denn wie schon dargetan, muß es der Witwe zugemutet werden, ihre Versorgung in erster Linie aus Unterhaltsansprüchen gegen den zweiten Ehemann zu bestreiten.

Mit diesen Auslegungsgrundsätzen für den Begriff des verständigen Grundes stimmt das Urteil des LSG in mehrfacher Hinsicht nicht überein. Das LSG versteht den Unterhaltsverzicht aus verständigem Grunde schon zu Unrecht als Ausnahmefall. Für Verzichte ohne oder mit verständigem Grund gibt es jedoch kein Regel-Ausnahmeverhältnis; eher könnte noch die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs bei einem Verzicht „ohne verständigen Grund“ (vgl. § 44 Abs. 5 Satz 3 BVG) als Ausnahmefall von der Regel der Anrechnung nur bestehender Unterhaltsansprüche erscheinen. Zu Recht hat der 4. Senat auch darauf hingewiesen, daß kein Erfahrungssatz für bestimmte Gründe des Verzichts herangezogen werden kann. Ebensowenig läßt sich aber der Beklagten darin zustimmen, daß von der Vermutung eines nicht verständigen Verzichtes auszugehen sei. Dies ist mit der vom Senat vorgenommenen begrifflichen Auslegung des verständigen Grundes unvereinbar.

Das LSG hat auch zu hohe Anforderungen an das Vorliegen eines verständigen Grundes gestellt. In dem Urteil des 4. Senats heißt es dazu, es müsse sich um einen - von der Rechtsordnung gebilligten - objektiv verständigen, also in der Regel zwingenden oder mindestens plausiblen Grund handeln. Zu dieser Formulierung setzt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch, wenn er das Prädikat „verständig“, soweit es um Verzichte anläßlich der Ehescheidung geht, in dem auch. vom 4. Senat zugelassenen Sinne von „plausibel“ begreift. Ebenso zutreffend erscheint dem erkennenden Senat, daß die Rechtsordnung die Gründe für den Verzicht nicht mißbilligen darf; gerade mit der Schaffung des § 72 EheG a.F. hat der Gesetzgeber aber deutlich gemacht, wie weitgehend er mögliche Gründe für Unterhaltsvereinbarungen anläßlich der Scheidung hinnimmt und somit billigt. Bei der Wertung derartiger Gründe als verständig = plausibel muß jedoch zusätzlich beachtet werden, daß hier - auch bei Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft - ein Persönlichkeitsbereich der Witwe mit eigenverantwortlicher Entscheidung anzuerkennen ist. Es ist deshalb unzulässig, zu verlangen, die Gründe für den Verzicht müßten „deutlich erkennbar“ und sogar „nachvollziehbar“ sein; ebensowenig kann es darauf ankommen, ob nur der Verzicht die Scheidung ermöglicht hat und ob die Witwe auf eine rasche und/oder einverständliche Scheidung „angewiesen“ gewesen ist. Es genügt, daß für die Witwe solche Gründe maßgebend waren; einer Objektivierung der Gründe bedarf es nicht. Das bedeutet, daß es prinzipiell den Beteiligten überlassen ist, wie sie ihre verschiedenartigen Interessen bewerten und von welchen Motiven sie sich beim Vertragsabschluß bestimmen lassen. Es kann grundsätzlich nicht Sache der Versicherungsträger und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sein, sich nachträglich an die Stelle der Vertragschließenden zu setzen und Gründe, die für das Zustandekommen der Unterhaltsvereinbarung maßgebend waren und vor der Rechtsordnung Bestand haben, für unzureichend zu erklären.

Unter diesen Umständen hätte das LSG die Klägerin nach den für sie maßgebenden Gründen für den Unterhaltsverzicht fragen müssen. Das setzte einen klärenden Hinweis auf die erst kurz zuvor im Urteil des 4. Senats des BSG deutlich gewordene neue rechtliche Beurteilung des Unterhaltsverzichts voraus (§§ 106 Abs. 1, 112 Abs. 2 Satz 2 SGG) , zumal sich die Klägerin darauf ersichtlich noch nicht eingestellt hatte. Wie der 4. Senat dargelegt hat, obliegt es zwar der klagenden Witwe, die tatsächlichen Umstände darzulegen, die zur Beurteilung des Verzichtes als aus verständigem Grund erklärt erforderlich sind; damit wird der Witwe aber nicht wie im Zivilprozeß eine Behauptungs- und subjektive Beweislast auferlegt; die Pflicht zur Darlegung ergibt sich vielmehr aus der Mitwirkungspflicht im Rahmen der dem Gericht zukommenden Sachaufklärung; daraus folgt, daß das Gericht die Witwe nach ihren Beweggründen befragen muß, da in der Regel nur sie selbst diese kennt. Zu Recht hat der 4. Senat dementsprechend darauf hingewiesen, daß im Wege der Amtsermittlung der Grund für den Verzicht zu klären sei. Soweit er allerdings ausgeführt hat, daß hierzu die wirtschaftliche Lage der Ehegatten, die Vorgeschichte und der Verlauf des Scheidungsverfahrens sowie die besonderen Umstände, die zum Prozeßvergleich geführt haben, im einzelnen ermittelt werden müßten, kann der erkennende Senat diesen das Urteil des 4. Senats nicht tragenden Darlegungen nicht folgen; die Feststellung der Gründe für den Verzicht muß den schon mehrfach hervorgehobenen eigenverantwortlichen Persönlichkeitsbereich der Witwe im Scheidungsverfahren respektieren. Vermag sie eine befriedigende und glaubhafte Erklärung zu liefern, so wird kein Anlaß zu weiteren Nachforschungen bestehen; es darf jedenfalls nicht der Scheidungsprozeß unter veränderten Gesichtspunkten gewissermaßen neu aufgerollt werden.

Die Klägerin hat im Revisionsverfahren aufgezeigt, welche Antwort sie dem LSG auf die Frage nach den Verzichtsgründen gegeben hätte, falls das LSG ihr persönliches Erscheinen im Verhandlungstermin angeordnet hätte. Sie hat dabei im einzelnen schon mehr aus dem Scheidungsverfahren offenbart, als von ihr im vorliegenden Rechtsstreit verlangt werden könnte. Die Antwort ergibt, wie das wohl oft der Fall sein wird, eine Reihe von Gründen. Bei einer solchen Bündelung der Gründe genügt es, wenn darunter verständige Gründe mitbestimmend gewesen sind; der Gesamtwürdigung des Verzichts als aus verständigem Grunde erfolgt kann schon deshalb hier nicht entgegenstehen, daß sie den Verzicht auch erklärt haben will, weil sie Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs für die Zeit nach dem 1. März 1976 befürchtete; im übrigen stünde insoweit zudem nicht fest, daß bei Scheidung der Ehe ohne vorausgegangenen Unterhaltsverzicht der Ehemann als allein oder überwiegend schuldig geschieden worden wäre. Der Senat würde der Klägerin daher für den erklärten Verzicht einen verständigen Grund zubilligen, wenn in tatsächlicher Hinsicht von den erst im Revisionsverfahren vorgetragenen Gründen ausgegangen werden könnte. Als Revisionsgericht kann der Senat jedoch keine tatsächlichen Feststellungen treffen; er muß dies dem LSG überlassen, auch wenn hier offenbar keine Zweifel daran bestehen, daß die Klägerin sich bei dem Unterhaltsverzicht von den jetzt dargelegten Beweggründen hat leiten lassen, unter diesen Umständen muß der Senat das Urteil des LSG aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen.

Nur für den Fall, daß das LSG in seiner neuen Entscheidung keinen Verzicht aus verständigem Grunde anerkennen sollte, wäre vom LSG noch zu berücksichtigen, daß es dann die Feststellung der Höhe des fiktiven Unterhaltsanspruchs für die Zeit vom 1. März 1976 bis zu seiner neuen Entscheidung selbst ermitteln müßte und sie nicht vom Zeitpunkt geänderter Verhältnisse an einem neuen Bescheid der Beklagten überlassen dürfte.

Bei der neuen Entscheidung hat das LSG zugleich über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzubefinden.

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