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11 RA 74/77

Aus den Gründen

Der Kläger hat, nachdem für ihn bis Mai 1950 insgesamt 57 Pflichtbeiträge und von Juli 1957 bis Dezember 1960 nochmals 42 Pflichtbeiträge entrichtet worden waren, in der Zeit von Januar 1961 bis Dezember 1963 weitere 36 freiwillige Beiträge im Gesamtwert von 4788,00 DM entrichtet. Die Versicherungskarten, in die die Marken der freiwilligen Beiträge eingeklebt waren, sind im März 1962 und im März 1968 aufgerechnet worden.

Mit Bescheid vom 06.03.1972 beanstandete die Beklagte die für die Jahre 1961 bis 1963 entrichteten Beiträge, weil der Kläger nach dem vor Juli 1965 geltenden Recht nicht zur Weiterversicherung berechtigt gewesen sei; zugleich lehnte sie die Rückzahlung wegen eines dem Kläger im Jahre 1968 gewährten Heilverfahrens ab.

Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

Die Revision ist nicht begründet.

Der allein noch streitige Rückforderungsanspruch beurteilt sich (noch) nach dem - inzwischen aufgehobenen - § 146 AVG in der bis zum 01.07.1977 geltenden Fassung (vgl. Art. II §§ 2 Nr. 1 Buchst. a, 21 Abs. 1 SGB IV), im folgenden § 146 AVG a.F. Nach dessen Abs. 1 können zu Unrecht entrichtete Beiträge binnen zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Entrichtung zurückgefordert werden; im Falle einer Beanstandung beginnt die zweijährige Frist gemäß Abs. 2 erst mit dem Abschluß des Kalenderjahres dieser Beanstandung. Nach § 146 Abs. 3 AVG a.F. ist die Rückforderung indessen ausgeschlossen, „wenn dem Versicherten bereits aus diesen Beiträgen eine Regelleistung bewilligt worden ist“. Dieser Tatbestand ist hier erfüllt.

Regelleistungen sind nach § 12 Nr. 1 AVG u.a. Heilverfahren i.S. der Vorschriften der §§ 13 ff. AVG. Eine Regelleistung kann, wie schon der Wortlaut des § 146 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AVG a.F. ausweist, entgegen der Auffassung des Klägers aus zu Unrecht entrichteten Beiträgen bewilligt worden sein. Dabei kommt es, wie der Senat in seinem Urteil vom 05.02. 976 (SozR 2200 § 1424 Nr. 2) näher ausgeführt hat, nicht darauf an, daß sich der einzelne Beitrag auf die rechtliche Grundlage des Heilverfahrens „konkret ausgewirkt“ hat. Das Heilverfahren ist dem Kläger aufgrund seiner Eigenschaft als Versicherter bewilligt worden. Als Versicherter galt seinerzeit u.a., wer die Wartezeit nach § 23 Abs. 3 AVG erfüllt hatte.

Die danach erforderliche Versicherungszeit war jedoch nur eine Mindestzeit. Zu ihrer Feststellung mußten nicht 60 Beiträge aus der gesamten Beitragszeit als für die Gewährung von Heilbehandlung maßgebende Grundlage ausgesondert werden. Infolgedessen haben alle vor der Gewährung des Heilverfahrens entrichteten Beiträge diese Leistung mitgetragen (so schon SozR a.a.O.), also auch solche, deren Fehlen nicht dazu geführt hätte, daß die Leistung abzulehnen gewesen wäre. Es ist somit unzulässig, Beiträge von dem Rückforderungsausschluß auszunehmen, die für die Regelleistung entbehrlich gewesen wären. Der Wortlaut des § 146 Abs. 3 AVG a.F. bietet hierfür keine Stütze. Auch die nun geltende Vorschrift des § 26 Abs. 1 SGB IV gibt insoweit keinen Anlaß zu nachträglichen Zweifeln; sie stellt im Wortlaut darauf ab, ob „auf Grund“ der zu Unrecht entrichteten Beiträge Leistungen erbracht worden sind; diese Umformulierung entspricht der bisherigen Rechtsprechung.

Dem Ausschluß des Rückforderungsanspruchs steht ferner nicht entgegen, daß die Beklagte nicht bereits vor der Bewilligung des Heilverfahrens die Beiträge beanstandet und auf die Gefahr des Rechtsverlustes hingewiesen hat (vgl. SozR Nr. 1 zu § 1421 RVO; SozR 2200 § 1424 Nr. 2). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit die Berufung der Beklagten auf § 146 Abs. 3 AVG a.F. als unzulässige Rechtsausübung kennzeichnen oder von der Beklagten wegen pflichtwidriger Vereitelung der Rückforderung Schadensausgleich beanspruchen will. Mit diesem Vorbringen kann der Kläger jedenfalls deshalb nicht durchdringen, weil die Beklagte entgegen seinen Behauptungen keine Pflichten ihm gegenüber verletzt hat. Die Beklagte war nicht gehalten, die bei ihr eingegangenen Versicherungskarten sogleich oder doch alsbald auf Beanstandungsgründe, auch nicht auf sofort erkennbare Beanstandungsgründe zu prüfen (SozR Nr. 1 zu § 1421 RVO). Sie mußte sich zwar vor der Bewilligung des Heilverfahrens vergewissern, ob die versicherungsmäßigen Voraussetzungen für diese Leistung gegeben waren; diese Pflicht bestand aber nicht im Interesse des Klägers, d.h. ihm gegenüber, sondern im Interesse der Versichertengemeinschaft, um sie nicht mit ungerechtfertigten Leistungen zu belasten. Nicht erörtert zu werden braucht, wie sich die Beklagte im Falle einer früheren Erkenntnis der unrechtmäßigen Beitragsleistung zu verhalten hatte; der vom LSG festgestellte Sachverhalt bietet für eine tatsächliche frühere Kenntnis keinen Anhalt.

Durch § 146 Abs. 3 AVG a.F. in seiner hier vorgenommenen Auslegung wird schließlich nicht Art. 14 GG verletzt. Der Rückforderungsanspruch aus § 146 AVG a.F. ist allerdings Eigentum i.S. dieses Art. Als solches wertet das BVerfG auch ein subjektives öffentliches Recht, das seinem Inhaber eine Rechtsstellung verschafft, die in den wesentlichen Merkmalen der des Eigentümers entspricht, so etwa, weil sie überwiegend auf eigener Leistung beruht oder inhaltlich vergleichbar stark und gegen ersatzlosen Entzug in gleicher Weise schutzbedürftig ist (vgl. BVerfG zuletzt in NJW 1977, 2024, 2026 mit weiteren Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind beim Rückforderungsanspruch gegeben; er ist weitgehend mit dem bürgerlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch (§§ 812 ff. BGB) vergleichbar, der vom Eigentumsbegriff des Art. 14 GG erfaßt wird, und muß daher verfassungsrechtlich ebenfalls als Eigentum gelten.

Dieses „Eigentum“ ist dem Kläger jedoch nicht entzogen worden. Die Vorschrift des § 146 Abs. 3 AVG a.F. - dem beim Inkrafttreten des GG die Vorschrift des § 1445c Abs. 3 RVO i.V.m. § 190 AVG, jeweils i.d.F. vor 1957, entsprach - hat bereits gegolten, als der Kläger die beanstandeten Beiträge entrichtet hat; der Gesetzgeber hat also die Rechtsposition des Klägers nicht nachträglich umgestaltet (vgl. dazu BVerfGE 40, 65, 83 f.). Aus Art. 14 GG kann demgemäß nur Abs. 1 Satz 2 bedeutsam sein; danach kann der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen. Dies hat er in § 146 Abs. 3 AVG a.F. ebenso wie in den Absätzen 1 und 2 getan. Er hat nicht die Grenzen überschritten, die ihm dabei verfassungsrechtlich gezogen sind (BVerfGE 8, 71, 80; 18, 121, 132; 21, 150, m; 25, 112, 120). §146 Abs. 3 AVG a.F. läßt sich ähnlich wie § 818 Abs. 3 BGB damit rechtfertigen, daß das ohne Rechtsgrund Erlangte nur ausgleichspflichtig sein soll, wenn dies der Billigkeit entspricht. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es nicht geboten, dem Versicherten auch solche Beiträge zurückzuzahlen, die bereits Grundlage einer ihm gewährten Leistung und ihm damit zugute gekommen sind. Insoweit ist es auch weder sachwidrig noch unverhältnismäßig, nach einem Heilverfahren alle Beiträge von der Rückgewähr auszuschließen, die im bereits dargestellten Sinne diese Leistungen mitgetragen haben. Es mag zwar sein, daß dann dem VersTr. Beitragswerte verbleiben, die den Aufwendungswert der Regelleistung übersteigen. Das Wertverhältnis hängt jedoch immer von den Umständen des Einzelfalles ab; nicht selten können die Aufwendungen auch den Wert der Beitragsleistung, vor allem den einer „Mindestbeitragsleistung“ erreichen oder übersteigen. Angesichts dessen erscheint eine generalisierende Regelung, wie sie § 146 Abs. 3 AVG a.F. mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten einer Massenverwaltung trifft, angemessen, zumal diese Lösung auch versicherungsrechtlichen Grundsätzen (Versicherungsprinzip) entspricht, die für Leistungen aus der Rentenversicherung nicht ein striktes Gleichgewicht mit der vorherigen Beitragsleistung voraussetzen.

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