1 RA 125/74
Aus den Gründen
Die Ehe der 1906 geborenen Klägerin war am 13.5.1954 nach 27jähriger Dauer aus dem alleinigen Verschulden ihres Ehemannes geschieden worden. Am 7.7.1956 heiratete der Versicherte die Beigeladene. Am 20.12.1966 wurde auch diese Ehe aus seinem alleinigen Verschulden geschieden. Am 14.4.1971 ist er gestorben. Bis zu seinem Tode hatte er von seinem Altersruhegeld gelebt.
Die Klägerin, die schon früher von Fürsorgeunterstützung und Soforthilfe gelebt hatte, bezog zur Zeit seines Todes eine eigene Rente wegen BU in Höhe von 78,70 DM, ferner 235,00 DM Unterhaltshilfe wegen EU nach § 265 Abs. 1 LAG, 90,00 DM Pflegegeld und 51,00 DM Mietbeihilfe, zusammen also 454,70 DM.
Nachdem die Beklagte einen Antrag auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente nach § 42 AVG früherer Fassung mit Bescheid vom 14.03.1972, gegen den rechtzeitig Klage erhoben wurde, abgelehnt hatte, streiten die Beteiligten jetzt noch darüber, ob der Klägerin die begehrte Rente aufgrund der Neufassung des § 42 Satz 2 AVG durch das RRG vom 16.10.1972 (BGBl. I 1965) mit Wirkung vom 01.01.1973 an zusteht (Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG). Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin das klageabweisende Urteil des SG vom 09.03.1973 abgeändert und die Beklagte antragsgemäß in Abänderung ihres Bescheides vom 14.03.1972 verurteilt, ab 01.01.1973 Hinterbliebenenrente in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten, die jedoch nicht begründet ist. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht der Klägerin Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG vom 01.01.1973 an zugebilligt, worüber allein zu entscheiden war, da die Klägerin keine Revision eingelegt hat.
Nach § 42 AVG (= § 1265 RVO) i.d.F. des AnVNG vom 23.02.1957 war einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit ihm geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben war, nach dessen Tod Rente ganz allgemein nur dann zu gewähren, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat (damaliger erster und einziger Satz dieser Paragraphen). Nach § 42 Satz 2 AVG i.d.F. des RRG, auf den die Klägerin ihre Ansprüche stützt, ist nunmehr für den Sonderfall, daß eine Witwenrente nicht zu zahlen ist, die sogenannte Geschiedenenwitwenrente auch dann zu zahlen, wenn
1. | eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten (1. Alternative) oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat (2. Alternative), |
und wenn | |
2. | die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte, |
und | |
3. | solange sie berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat. |
Diese Regelung stellt teils eine Erweiterung, teils eine Einschränkung gegenüber der Regelung in § 42 Satz 2 AVG i.d.F. des RVÄndG vom 09.06.1965 (BGBl. I 476) dar, wobei die Einschränkung vor allem darin liegt, daß die frühere Ehefrau sowohl für den Zeitpunkt der Scheidung als auch für die Zeit, für welche sie Rente begehrt, ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen muß. Sie gilt im übrigen aufgrund des Art. 2 § 18 AnVNG i.d.F. des RRG auch für die Klägerin. Daneben kommt aber auch noch § 42 Satz 2 AVG i.d.F. des RVÄndG nach der genannten Übergangsvorschrift in Betracht, falls er günstiger ist. Danach war eine Hinterbliebenenrente, falls eine Witwenrente nicht zu gewähren war, auch dann zu zahlen, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat.
Da die Klägerin zur Zeit der Scheidung das 45. Lebensjahr vollendet hatte und jetzt über 60 Jahre alt ist und somit unstreitig die Voraussetzungen der Nrn. 2 und 3 des Satzes 2 des § 42 AVG i.d.F. des RRG erfüllt, hängt ihre Rentenberechtigung nach Ansicht des LSG davon ab, ob sie im Hinblick auf ihr Einkommen aus eigener Rente, Unterhaltshilfe nach dem LAG, Pflegegeld und Mietbeihilfe unter die zweite Alternative des § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG fällt, d.h. also, ob sie zur Zeit des Todes des Versicherten gegen ihn wegen dieser ihrer als Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit anzusehenden Einkünfte keine Unterhaltsansprüche hatte. Die Unterhaltshilfe nach dem LAG soll ebenso wie die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten Lohnersatzfunktion haben und deshalb den „Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit“ gleichzustellen sein, so daß es sich um „unschädliche“ Leistungen handele. Dagegen hat das LSG nicht auf die erste Alternative abgestellt, da eine Unterhaltspflicht des Versicherten nicht nur an seinen eigenen schlechten Einkommensverhältnissen gescheitert sei, sondern auch daran, daß die Klägerin über ausreichendes eigenes Einkommen verfügt habe (BSG, SozR Nrn. 31, 40 und 66 zu § 1265 RVO). Deshalb hat es auch einen Rentenanspruch aufgrund des § 42 Satz 2 AVG i.d.F. des RVÄndG für nicht gegeben gehalten.
Diesen Ausführungen kann nur mit Einschränkungen gefolgt werden.
Das RRG ist unter erheblichem Zeitdruck verabschiedet worden. Die Neufassung des § 42 Satz 2 AVG sowie des § 1265 Satz 2 RVO ist erst nach Abschluß der Beratungen des sozialpolitischen Ausschusses eingefügt worden. Nach den Ausführungen des Abgeordneten Dr. Schellenberg (Begr. für den Änderungsantrag auf Umdruck 315, der u.a. die gegenwärtige Fassung des § 42 Satz 2 AVG enthält), waren die Fraktionen gemeinsam der Auffassung, daß nach geltendem Recht in der Praxis Härten bei der Gewährung von Renten an geschiedene Ehefrauen auftreten, die noch vor der Eherechtsreform und so weit wie möglich ausgeräumt werden sollten. Die Fraktionen schlugen deshalb die auf Umdruck 315 ersichtlichen Änderungen vor, also u.a. die gegenwärtige Fassung des § 42 Satz 2 AVG. Hierdurch sollte geschiedenen Frauen in einer Reihe von Fällen besonderer sozialer Härte geholfen werden können (Bd. 80 der Stenographischen Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 6. Wahlp., 198. Sitzung vom 21.09.1972, S. 11 711 und 11 719).
Diese Neuregelung läßt erkennen, daß eine gewisse Überleitung zu dem künftigen Recht geschaffen werden sollte, das im Zusammenhang mit der Eherechtsreform zu erwarten ist und das ein Rentensplitting vorsieht. Dies zeigt sich z.B. darin, daß nicht mehr der Tod des geschiedenen Mannes allein in den Fällen des Satzes 2 den Leistungsanspruch begründet, sondern daß noch besondere, eine Erwerbstätigkeit der Frau erschwerende Umstände hinzukommen müssen. Leitgedanke war somit auch, Frauen geschiedener Ehen, bei denen eine ehebedingte Verringerung der eigenen Rentenanwartschaften unterstellt werden kann, für jene Zeiten, in denen sie durch die Ehe an einer Versicherungspflichtigen Berufstätigkeit verhindert waren, einen entsprechenden Ausgleich aus der Versicherung des geschiedenen Mannes zu gewähren. Die Neufassung will die geschiedenen Frauen begünstigen, die zur Zeit der Scheidung durch höheres Lebensalter oder Kindererziehung an einer Eingliederung in das Berufsleben gehindert waren und außerdem nach dem Tode des Versicherten aufgrund ihres Gesundheitszustandes oder wegen ihres Alters nicht mehr voll arbeiten können.
Aus dieser Zielsetzung, den geschiedenen Frauen eine Entschädigung für eine ehebedingte Verringerung ihrer eigenen Rentenanwartschaften zu gewähren, folgt zunächst, daß eigene Renten der geschiedenen Frau wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder eigenes Altersruhegeld grundsätzlich zu den - wie es das LSG ausgedrückt hat - „unschädlichen“ Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit i.S. dieser Vorschrift zu rechnen sind. Dieses Ergebnis folgt aber nicht aus der Lohnersatzfunktion der genannten Versichertenrenten, sondern aus dem Sinn und Zweck der Neuregelung.
Aus der Unschädlichkeit von Renteneinkünften kann jedoch nicht umgekehrt gefolgert werden, daß z.B. Leistungen aus der Sozialhilfe und - was hier zu entscheiden ist - die Unterhaltshilfe zu den eine Hinterbliebenenrente ausschließenden Einkünften zu rechnen sind, wie die Beklagte meint, weil beide weder unmittelbar noch mittelbar Ausfluß einer Erwerbstätigkeit seien. Die Leistungen nach dem BSHG sind grundsätzlich subsidiär. Nach § 2 Abs. 1 BSHG erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. § 2 Abs. 2 BSHG stellt nochmals klar, daß die Verpflichtungen anderer, besonders Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen durch dieses Ges. nicht berührt werden. Erwerbsunfähigen geschiedenen Frauen von Männern, die für allein schuldig erklärt worden sind, steht aber grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch nach den §§ 58, 59 EheG gegen ihren früheren Ehegatten zu. Die Sozialhilfe hat sie somit nur dann zu unterstützen, wenn sie keinen ausreichenden Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann haben. Wegen seiner grundsätzlichen Leistungspflicht kann damit seine Unterhaltsverpflichtung nur entfallen, wenn er nicht leistungsfähig ist. Die Fälle, in denen die erwerbsunfähige geschiedene Frau eines für allein oder für überwiegend schuldig erklärten Mannes Sozialhilfe bezieht, werden deshalb grundsätzlich auch von der 1. Alternative des § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG erfaßt. Hier besteht keine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten mit der Folge, daß die Sozialhilfe leisten muß, wenn nicht die RentV einzustehen hat.
Nicht anders verhält es sich mit der Unterhaltshilfe nach den §§ 261, 263 Abs. 1 Nr. 1, 264, 265, 267 ff. LAG. Kriegsschadenrente wird nach § 261 LAG zur Abgeltung von Vertreibungsschäden, Kriegssachschäden, Ostschäden und u.U. von Sparerschäden gewährt, wenn
1. | der Geschädigte in vorgeschrittenem Lebensalter (§ 264 LAG) steht oder infolge von Krankheit oder Gebrechen dauernd erwerbsunfähig (§ 265 LAG) ist, |
und | |
2. | ihm nach seinen Einkommensverhältnissen die Bestreitung des Lebensunterhalts nicht möglich oder zumutbar ist; dabei sind auch fällige Ansprüche auf Leistungen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen, wenn und soweit ihre Verwirklichung möglich ist. |
Nach § 267 LAG wird Unterhaltshilfe ferner nur dann gewährt, wenn die Einkünfte des Berechtigten (§ 261) den dort vorgesehenen Betrag nicht übersteigen (ab 01.10.1974 insgesamt 346,00 DM monatlich). Zu den danach zu berücksichtigenden Ansprüchen auf Leistungen in Geld oder Geldeswert gehören aber wiederum wie bei der Sozialhilfe Ansprüche nach den §§ 58, 59 EheG. Sie sind nicht etwa nach § 267 Abs. 2 Nr. 1 LAG als „gesetzliche und freiwillige Unterhaltsleistungen von Verwandten“ anzusehen, die nicht als anrechnungspflichtige Einkünfte gelten (vgl. Urt. des BVerwG IV C 192/62 vom 28.06.1963, Amtl. Mitteilungsblatt des Bundesausgleichsamts 1964, 396). Die Unterhaltshilfe nach dem LAG ist damit nächst der Sozialhilfe die subsidiärste Leistung des Sozialrechts. Die Ausgaben für die Unterhaltshilfe werden zudem zur Hälfte vom Bund und den Ländern getragen (vgl. § 6 Abs. 4 LAG), weil sich durch sie in beträchtlichem Umfang Ersparnisse an Aufwendungen der Sozialhilfe ergeben; die Sätze der Unterhaltshilfe übersteigen, wenn auch nur mäßig, die Sätze der Sozialhilfe (vgl. hierzu im einzelnen Kühne / Wolff, Gesetzgebung über den Lastenausgleich, Ausgabe B, Ausgleichsleistungen, Vorbemerkung vor § 267 LAG sowie § 6 LAG Note 5). Wenn somit das Lastenausgleichsamt Unterhaltshilfe an erwerbsunfähige geschiedene Frauen von Männern zahlt, die für allein oder überwiegend schuldig erklärt worden sind, handelt es sich erneut um Fälle, in denen eine Unterhaltsverpflichtung des Mannes wegen seiner Leistungsunfähigkeit entfällt. Die mangelnde Leistungsfähigkeit ist demnach auch für die Unterhaltshilfe Anspruchsvoraussetzung wie bei der ersten Alternative des § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG. Die Fälle, in denen Unterhaltshilfe gezahlt wird, sind somit im Ergebnis wiederum Fälle dieser ersten Alternative. Im übrigen schreibt § 267 Abs. 2 Nr. 6 LAG die grundsätzliche Anrechnung von Renten aus der RentV vor, allerdings unter Einräumung gewisser Freibeträge.
Die Frage, ob die Sozialhilfe und die Unterhaltshilfe Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit i.S. des § 42 Satz 2 AVG sind, stellt sich damit nicht. Vielmehr geht es darum, wer vorrangig leistungspflichtig ist. Das kann aber wegen der Subsidiarität der Leistungen der Sozialhilfe und der Unterhaltshilfe nur die RentV sein. Zu einem entsprechenden Ergebnis ist auch bereits der 12. Senat des BSG in seinem Urteil vom 31.05.1967 (BSG 26, 293, 295) für die Alhi nach den §§ 145, 149 des früheren AVAVG gekommen. Er hat sie wegen ihrer Subsidiarität gegenüber Unterhaltsansprüchen nach § 58 EheG nicht als „Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit“ angesehen. Die Alhi stelle kein auf den Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann anrechenbares Einkommen dar und beseitige deshalb die Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Frau nicht.
Aus diesen Erwägungen steht der Klägerin die Geschiedenenwitwenrente schon nach der ersten Alternative des § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG i.d.F. des RRG zu. Sie war unterhaltsbedürftig, weil ihre eigene Rente einschließlich der Mietbeihilfe zum Lebensunterhalt nicht ausreichte und die Unterhaltshilfe nebst dem Pflegegeld nach § 267 Abs. 2 LAG außer Betracht zu bleiben hatte. Eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten entfiel somit nach den hierzu vom LSG getroffenen Feststellungen lediglich wegen seiner Leistungsunfähigkeit. Ob die Rente schon für Zeiten vordem 1.1.1973 nach § 42 Satz 2 AVG i.d.F. des RVÄndG zu zahlen war, braucht hier nicht entschieden zu werden, da entsprechende Anträge nicht gestellt sind. Darüber wird die Beklagte im Rahmen des § 79 AVG zu befinden haben. Ebensowenig ist darüber zu entscheiden, ob die Klägerin ihre Hinterbliebenenrente etwa mit der Beigeladenen nach § 45 Abs. 4 AVG teilen muß.