5 RKn 6/72
Gründe I.
Die Beteiligten streiten bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles darüber, ob bei dem Kläger die Zeit vom 26. Oktober 1933 bis zum 8. April 1936 als Ausfallzeit anzurechnen ist.
Der am 22. August 1911 geborene Kläger, der im April 1930 das Studium der Chemie an der Technischen Hochschule in D. begonnen hatte, bestand am 26. Oktober 1933 die Diplom-Hauptprüfung. Im Sommerhalbjahr 1934 und im Winterhalbjahr 1934/35 war er Gasthörer, seit dem 1. März 1935 außerplanmäßiger und seit dem 1. Februar 1936 planmäßiger Assistent an dieser Hochschule. In der Zeit vom 1. Februar 1934 bis zum 1. April 1936 fertigte er daneben seine Dissertation an und promovierte am 8. April 1936 zum Dr.-Ingenieur. Im April 1937 nahm er eine knappschaftlich versicherungspflichtige Tätigkeit auf. Der Kläger ist auch jetzt noch in einem knappschaftlichen Betrieb versicherungspflichtig beschäftigt.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 10. Juli 1970 u.a. als Zeit der Hochschulausbildung die Zeit von April 1930 bis zum 26. Oktober 1933 mit 43 Monaten als Ausfallzeit an. Die Anerkennung der darüber hinaus geltend gemachten Zeit von November 1933 bis zum 8. April 1936 lehnte die Beklagte ab, weil die Hochschulausbildung bereits mit der Diplom-Hauptprüfung abgeschlossen gewesen sei. Der Widerspruch des Klägers hatte insoweit keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 9. Juni 1971 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 11. November 1971 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, ;nach § 57 Nr. 4 b des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) könne lediglich das Studium eines ordentlichen Studierenden als Ausfallzeit berücksichtigt werden, nicht dagegen das eines Gasthörers. Der Kläger sei aber in der geltend gemachten Zeit nicht ordentlicher Studierender gewesen. Das Studium und damit die Ausfallzeit sei mit Ablegung der Diplom-Hauptprüfung beendet gewesen. Wenn der Kläger mit der Promotion einen zusätzlichen Abschluß in der physikalischen Chemie erreicht habe, so handele es sich lediglich um eine Fortbildung auf dem Boden einer bereits abgeschlossenen Hochschulausbildung. Auch aus dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl. I, 1846) könne der Kläger keine Ansprüche herleiten. Nicht er, sondern allenfalls sein Doktorvater sei aus politischen oder rassischen Gründen verfolgt worden. Es habe lediglich die Gefahr bestanden, daß die Promotion durch eine vorzeitige Entlassung des Doktorvaters verhindert oder verzögert werden könnte. Dazu sei es indessen nicht gekommen.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Nach seiner Ansicht kommt es für die Frage, wann die Hochschulausbildung beendet ist, auf das angestrebte Berufsziel an. Erst die Prüfung, die den Weg zum erstrebten Beruf eröffne, schließe die Hochschulausbildung ab. Er habe nicht irgendein Chemiker werden wollen, sondern von vornherein den Beruf eines Physiko-Chemikers angestrebt. Für diesen Beruf habe damals die Diplom-Hauptprüfung aber nicht ausgereicht, denn der Nachweis der Ausbildung in diesem Zweig habe nur durch die Promotion erbracht werden können. Das ergebe sich insbesondere aus der in den Akten der Beklagten enthaltenen Auskunft der … vom 25. November 1969. Das LSG habe gegen den § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, da es diese Auskunft nicht gewürdigt habe. Selbst wenn man annehme, daß er das ursprüngliche Studium mit der Diplom-Hauptprüfung abgeschlossen habe, so sei die weitere Hochschulausbildung jedoch eine Ausfallzeit, denn nach dem Gesetz sei - bis zu der dort festgesetzten zeitlichen Grenze - eine zweite Hochschulausbildung in einer anderen Fachrichtung, die mit einer besonderen Prüfung abschließe, ebenfalls als Ausfallzeit anzurechnen. Der Umstand, daß er nicht immatrikulierter Studierender, sondern Gasthörer gewesen sei, schließe die Anrechnung nicht aus. Zur Hochschulausbildung gehöre auch die Zeit, die der Versicherte nötig habe, um die Promotion oder eine sonstige Prüfung vorzubereiten, selbst wenn er während dieser Zeit nicht als ordentlicher Studierender immatrikuliert sei.
Der Kläger beantragt,
- unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach dem in der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellten Berufungsantrag des Klägers zu erkennen.
Dieser Antrag lautet: Das Urteil des SG G. vom 9. Juni 1971 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1970 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 27. Oktober 1933 bis zum 8. April 1936 in die Versicherungskarte des Klägers als Ausfällzeit einzutragen.
Die Beklagte beantragt,
- die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und weist zusätzlich darauf hin, daß die physikalische Chemie bereits Gegenstand der mündlichen Diplom-Hauptprüfung gewesen sei. Die Zeit nach dem 1. März 1935 könne schon deshalb nicht als Ausfallzeit angerechnet werden, weil damit die im Gesetz gesetzte Grenze von fünf Jahren überschritten werde.
Gründe II.
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit der Zurückweisung der Berufung mit Recht das die Klage abweisende Urteil des SG bestätigt.
Das RKG enthält keine den §§ 1411 ff. der Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprechenden Vorschriften, so daß es in der knappschaftlichen Rentenversicherung keine Versicherungskarten gibt. Das Begehren des Klägers kann daher nur dahin verstanden werden, daß er neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Eintragung der streitigen Zeit in die bei der Beklagten geführten Versicherungsunterlagen als Ausfallzeit und damit eine verbindliche Entscheidung über den rechtlichen Charakter dieser Zeit als Versicherungszeit begehrt. Es bestehen jedoch Bedenken, ob der Kläger bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles einen Rechtsanspruch auf eine solche Entscheidung der Beklagten hat. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat das für das Gebiet der Angestelltenversicherung unter Hinweis auf § 134 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) bejaht (vgl. BSG 31, 226, 228 f.). Es ist fraglich, ob diese Vorschrift dem Versicherungsträger über die bloße Beurkundung einer nachgewiesenen Zeit hinaus die Verpflichtung auferlegte, über den versicherungsrechtlichen Charakter dieser Zeit als Ausfallzeit zu entscheiden. Für das Gebiet der knappschaftlichen Rentenversicherung kommt noch hinzu, daß es eine dem § 134 AVG entsprechende Vorschrift nicht gibt. Zwar schreibt die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift“ vom 23. Februar 1965 (BAnz Nr. 40) in der Fassung vom 27. Dezember 1967 (BAnz Nr. 244) für bestimmte Fälle die Eintragung von Ausfallzeiten in die Versicherungsunterlagen der knappschaftlichen Rentenversicherung vor. Die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift“ hat jedoch keinen Rechtsnormcharakter und kann daher nicht die Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers bilden. Wenn die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift“ von der entsprechenden Anwendbarkeit des § 134 Abs. 3 AVG, § 1412 Abs. 3 RVO ausgeht, so ist doch zweifelhaft, ob dieser rechtliche Ausgangspunkt zutrifft. Diese Frage braucht jedoch nicht abschließend erörtert und entschieden zu werden, denn die Klage ist sowohl mit ihrem Aufhebungs- als auch mit ihrem Verpflichtungsbegehren aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt.
Die streitige Zeit zwischen der Ablegung der Diplom-Hauptprüfung und der Promotion ist keine Ausfallzeit nach § 57 Nr. 4 b RKG. Das BSG hat bereits mehrfach und insbesondere auch für das Studium der Chemie entschieden, daß die Erreichung des ersten möglichen Abschlusses (Hochschulprüfung, Staatsprüfung oder Promotion) die Hochschulausbildung abschließe und .damit Endzeitpunkt der anrechnungsfähigen Ausfallzeit sei. (vgl. BSG 20, 35 = SozR Nr. 9 zu § 1259 RVO; Urteil vom 26. Juli 1967 - 1 RA 131/65 -; Urteil vom 27. August 1970 - 11 RA 109/68 - in SozR Nr. 31 zu § 1259 RVO; Urteil vom 7. Dezember 1972 - 1 RA 57/72 -). Deshalb ist eine Promotionszeit nach einer das Hochschulstudium abschließenden Diplomprüfung grundsätzlich keine Ausfallzeit. Die Gründe der zitierten Entscheidungen gelten auch für den vorliegenden Fall, denn er enthält keine Besonderheiten, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen. Auch wenn der Kläger - wie er vorträgt - von vornherein die Absicht gehabt haben mag, sich nicht mit dem Studium der Chemie zu begnügen, sondern sich darüber hinaus in der physikalischen Chemie auszubilden, so ändert das doch nichts daran, daß er zunächst einmal Chemie studiert und dieses Studium mit der Diplom-Hauptprüfung abgeschlossen hat. Die anschließende Ausbildung in der physikalischen Chemie könnte allenfalls dann eine weitere Hochschulausbildung im Sinne des § 57 Nr. 4 b RKG sein, wenn es sich dabei um eine von dem bereits abgeschlossenen Studium der Chemie verschiedene Hochschulausbildung in einem anderen Studienfach gehandelt hätte. Das trifft jedoch jedenfalls für die damalige Zeit nicht zu, denn die physikalische Chemie war kein selbständiges Studienfach mit einer eigenen Abschlußprüfung, sondern dem Studienfach Chemie angegliedert. Auf die Frage, ob das heute noch so ist, kommt es nicht an, weil die Verhältnisse im Zeitpunkt der Ausbildung maßgebend sind. Die Weiterbildung in der physikalischen Chemie nach Ablegung der Diplom-Hauptprüfung war damals also keine neue, von dem abgeschlossenen Studium verschiedene Hochschulausbildung, sondern eine Weiterbildung und Spezialisierung nach bereits abgeschlossener Hochschulausbildung. Es ist deshalb auch ohne rechtliche Bedeutung, ob die Qualifikation für den Beruf eines Physiko-Chemikers erst durch die Promotion erbracht werden konnte; auf den Inhalt der in den Akten der Beklagten befindlichen Auskunft der Gesellschaft deutscher Chemiker vom 25. Oktober 1969 kam es also nicht an. Ebenso konnte dahingestellt bleiben, ob es sich um eine Hochschulausbildung im Sinne des § 57 Nr. 4 b RKG handelt, wenn der Versicherte nicht als ordentlicher Studierender eingetragen ist, sondern als Gasthörer an Vorlesungen und Übungen teilnimmt. Auch das Gesetz über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 rechtfertigt kein anderes Ergebnis, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat. Abgesehen davon, daß der Kläger nicht zu dem dort genannten Personenkreis gehört, hat er auch durch den relativ frühen Abschluß seines Studiums keinen Schaden erlitten.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.