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12 RJ 272/71

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Waisenrente nach § 1267 Satz 3 RVO über das 25. Lebensjahr hinaus zu gewähren ist.

Der im März 1944 geborene Kläger leistete von April 1965 bis März 1967 Wehrdienst. Im Sommer 1967 begann er mit einem Hochschulstudium. Am 5.6.1968 starb seine Mutter (Versicherte). Im September 1969 heiratete der Kläger.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Waisenrente von Juni 1968 bis März 1969 (Vollendung des 25. Lebensjahres). Der Kläger begehrte die Weitergewährung der Rente mit dem Hinweis, durch den abgeleisteten Wehrdienst sei seine Hochschulausbildung verzögert worden. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Wehrdienst bereits vor Beginn der Waisenrente beendet gewesen sei (Bescheid vom 26.3.1969).

Das SG verpflichtete die Beklagte, die Waisenrente für die Zeit von April bis September 1969 weiterzugewähren; es ließ die Berufung zu (Urteil vom 8.7.1970). Das LSG wies die Berufung der Beklagten zurück. Auf die Berufung des Klägers verpflichtete es die Beklagte, Halbwaisenrente bis zum 30.9.1970 zu zahlen.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht einen Waisenrentenanspruch des Klägers nach § 1267 Satz 3 RVO im streitigen Zeitraum bejaht.

Wie das BSG bereits mehrfach ausgeführt hat, wird Waisenrente bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind in Schul- und Berufsausbildung gewährt (§ 1267 Satz 2 RVO), weil das Kind - entgegen dem angenommenen Regelfall in Satz 1 der Vorschrift - auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres infolge der Ausbildung seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann und deshalb noch auf elterliche Unterhaltsleistungen angewiesen ist (vgl. BSG 21, 185, 187; BSG in MittBKn 1970, 112 und Urteil des erkennenden Senats vom 22.6.1972 - Az. 12 RJ 174/71). Die Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes ist keine Berufsausbildung i.S. von § 1267 Satz 2 RVO. Satz 3 der Vorschrift will einen Ausgleich für den Zeitverlust geben, den das Kind in seiner Schul- oder Berufsausbildung durch die zwischenzeitliche oder vorausgegangene Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht erfahren und der dazu geführt hat, daß sich das Kind auch noch nach der Vollendung des 25. Lebensjahres in Schul- oder Berufsausbildung befindet. Sowohl im Falle der Unterbrechung als auch im Falle der Verzögerung der Ausbildung steht ihm daher nach der Vollendung des 25. Lebensjahres noch für diejenige Zeit Waisenrente zu, in der es vorher ursächlich durch den Wehr- oder Ersatzdienst am Beginn oder an der Fortsetzung seiner Berufsausbildung gehindert gewesen ist.

Diese Regelung entspricht aber auch dann der aufgezeigten Unterhaltsersatzfunktion der Waisenrente, wenn der Versicherungsfall des Todes erst nach der Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes eingetreten ist. Dies zeigt gerade der vorliegende Sachverhalt: Der Kläger hätte ohne die Wehrdienstleistung sein Hochschulstudium zu einem dem Antritt des Wehrdienstes entsprechenden früheren Zeitpunkt beginnen können. Damals hätte der Unterhalt des Klägers noch von der Versicherten getragen werden können. Die Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht hat dem Kläger diese Unterhaltssicherung für eine der Wehrdienstdauer entsprechende Ausbildungszeit indes unabhängig vom Eintritt des Versicherungsfalls genommen. Der Versicherungsfall des Todes vermag daher für die Ausdehnung der Leistung nach § 1267 Satz 3 RVO nur insofern eine Grenze zu ziehen, als das Kind - wie bereits der Wortlaut der Vorschrift ergibt - vor Vollendung des 25. Lebensjahres Waise geworden sein muß.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es somit nach dem Sinn und Zweck der Waisenrente als Unterhaltsersatz nicht darauf an, ob dem Kind durch den Wehr- oder Ersatzdienst auch eine sonst gegebene Berechtigung zum Bezug der Waisenrente genommen worden ist, was den vorherigen Eintritt des Versicherungsfalls erfordern würde. Für eine solche Einschränkung gibt auch der Wortlaut des § 1267 Satz 3 RVO keinen genügenden Anhalt.

Die gegenteilige Meinung (vgl. VerbKomm., Anm. 21 zu § 1262 RVO und Koch / Hartmann / v. Altrock / Fürst, Angestelltenversicherungsgesetz, Anm. C II, 2 e zu § 39 AVG) läßt unberücksichtigt, daß die Vorschrift erst durch § 36 BKGG vom 14.4.1964 (BGBl. I 265) dem Satz 2 des § 1267 RVO angefügt worden ist. Die Ergänzung in § 1267 Satz 3 RVO entspricht der Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 3 BKGG, bei welcher der Eintritt eines Versicherungsfalles ohnehin nicht in Betracht kommt. Aus der Begründung zum Gesetzesvorschlag (BT-Drucks. IV/818 S. 13) läßt sich daher die von der Beklagten gewollte Einschränkung der Vorschrift i.S. eines Ausgleichs für eine ohne die gesetzliche Dienstleistung bestehende Rentenbezugsberechtigung nicht entnehmen. Es heißt dort lediglich: „Kinder, die Wehrdienst ... geleistet haben, sollen noch nach Vollendung ihres 25. Lebensjahres als Kinder berücksichtigt werden, und zwar für den Zeitraum, um den ihre Ausbildung durch den Wehrdienst ... verzögert worden ist. Die Vorschrift ist § 559b Abs. 3 Satz 2 RVO nachgebildet. Bei der dem Gesetzgeber damals somit bekannten Anwendung des § 559b Abs. 3 Satz 2 RVO i.d.F. des Gesetzes vom 29.12.1960 (BGBl. I 1085) blieb indes - soweit ersichtlich - der Zeitraum der Ableistung der Wehrpflicht unbeachtlich, sofern nur die Dienstleistung für die Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung über das 25. Lebensjahr hinaus ursächlich gewesen ist (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 13a zu § 559b RVO a.F.). Diese Auslegung entspricht schließlich auch den Fassungen ähnlicher Vorschriften in anderen Gesetzen (vgl. insbesondere § 164 Abs. 2 Satz 2 BBG).

Auch wenn somit ein Kind erst während der Erfüllung der genannten Dienste oder - wie der Kläger - in der Zeit danach, aber vor Vollendung des 25. Lebensjahres Waise wird, sind die Voraussetzungen für die über das 25. Lebensjahr hinaus verlängerte Waisenrente wegen Schul- oder Berufsausbildung gegeben. Soweit Ausführungen in dem Urteil des Senats vom 7.7.1970 (SozR Nr. 40 zu § 1267 RVO), dem im übrigen ein abweichender Sachverhalt zugrunde gelegen hat, eine andere Rechtsauffassung erkennen lassen, hält der Senat an ihnen nicht mehr fest.

Da nach den Feststellungen des LSG die Versicherte verstorben ist, nachdem der Kläger seiner gesetzlichen Wehrpflicht genügt, jedoch das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, steht ihm für den Zeitraum des gesetzlich vorgeschriebenen Wehrdienstes (18 Monate) die Halbwaisenrente (§ 1269 Abs. 1 RVO) auch nach der Vollendung des 25. Lebensjahres während der Fortdauer seines Studiums zu. Insoweit hat das LSG auf die Anschlußberufung des Klägers die Halbwaisenrente unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung sozial- und beamtenrechtlicher Vorschriften über Leistungen für verheiratete Kinder vom 25.1.1971 (BGBl. I 65) auch für die Zeit von Oktober 1969 bis September 1970 ohne Rechtsfehler zuerkannt.

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