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11 RA 190/71

Gründe

Der Kläger erhielt ab April 1949 Alu. Da ihm das Arbeitsamt keine Beschäftigung nachweisen konnte, meldete er sich im Oktober 1949 aus dem Unterstützungsbezug ab und versuchte, seinen Lebensunterhalt durch Übernahme einer Provisionsvertretung zu bestreiten. Am 14.03.1950 meldete er sich wieder beim Arbeitsamt und war dann bis Ende November 1955 arbeitslos. Seit Januar 1961 erhält er Altersruhegeld. Die Beklagte berücksichtigte als letzte Ausfallzeit die Arbeitslosigkeit bis Oktober 1949. Die Klage, mit der der Kläger die Anrechnung auch der Zeit vom 14.03.1950 bis 30.11.1955 begehrt, hatte keinen Erfolg; diese Zeit habe seine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen.

Die zugelassene Revision des Klägers ist begründet. Rechtsgrundlage für die Anrechnung einer Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit ist § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG (= § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Hiernach setzt eine solche Anrechnung u.a. voraus, daß durch die Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen worden ist; die Arbeitslosigkeit muß der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit also unmittelbar gefolgt sein (BSG 16, 120 = SozR Nr. 4 zu § 1259 RVO). Wie sich aus § 36 Abs. 1 Satz 2 AVG ergibt, ist das auch dann noch der Fall, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit ein oder mehrere aufeinanderfolgende Zeitabschnitte liegen, die ihrerseits als Ausfallzeiten in Betracht kommen, der versicherungspflichtigen Beschäftigung sich also beispielsweise zunächst eine Zeit unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit mit nachfolgendem Kuraufenthalt anschließt und die Arbeitslosigkeit erst am Schluß dieser Rehabilitationsmaßnahme einsetzt (BSG SozR Nr. 32 zu § 1259 RVO). Hier wird mithin der unmittelbare Anschluß der Arbeitslosigkeit an die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vom Gesetz selbst fingiert. Das BSG hat eine solche Fiktion ferner für zulässig gehalten, wenn zwischen dem Ende einer mit Beiträgen belegten versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Beginn der Arbeitslosigkeit drei Monate derselben Beschäftigung liegen, für die lediglich wegen Konkurses des Arbeitgebers keine Rentenversicherungsbeiträge mehr entrichtet worden sind (BSG SozR Nr. 29 zu § 1259 RVO). Nichts anderes darf aber auch gelten, wenn ein Arbeitsloser einen alsbald mißglückten Arbeitsversuch unternommen hat. Meldet sich nämlich ein Arbeitnehmer, der gleich dem Kläger nach Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung zunächst Alu bezogen hat, mangels alsbaldiger Vermittlung einer geeigneten Arbeitsstelle aus dem Unterstützungsbezug ab mit der Absicht und in der Hoffnung, sich seinen Lebensunterhalt durch Übernahme einer selbständigen Tätigkeit zu verdienen, so ist ein derartiger Selbsthilfeversuch erfahrungsgemäß nicht selten zum Scheitern verurteilt, weil zunächst einmal alle Voraussetzungen für die erfolgreiche Ausübung der selbständigen Tätigkeit fehlen. Es bestehen deshalb keine Bedenken, einen Arbeitslosen, der zu einer selbständigen Tätigkeit übergeht, jedenfalls für eine gewisse Anlaufzeit sogar weiterhin als arbeitslos anzusehen (BSG SozR Nr. 10 zu § 87a AVAVG). Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, wie lang eine derartige Anlaufzeit zu bemessen ist. Auch wenn sie nicht die gesamte Zeit von Oktober 1949 bis März 1950 umfassen würde, so wäre der Kläger zwar für einen Teil dieser Zeit nicht mehr arbeitslos gewesen, dies wäre aber hier unschädlich. Hat sich nämlich ein solcher Versicherter wieder arbeitslos gemeldet, so ist die nun folgende Arbeitslosigkeit im Grunde nur die Fortsetzung der ersten, mit dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung eingetretenen Arbeitslosenzeit. Das muß jedenfalls dann gelten, wenn die Zeit zwischen dem Ausscheiden aus dem Unterstützungsbezug und der erneuten Arbeitslosmeldung - wie beim Kläger - nicht mehr als etwa sechs Monate beträgt, denn innerhalb eines solchen verhältnismäßig kurzen Zeitabschnitts läßt sich erfahrungsgemäß stets überblicken, ob der Selbsthilfeversuch Erfolg verspricht oder zum Scheitern verurteilt sein wird. Gibt der Arbeitslose innerhalb einer so kurz bemessenen Zeitspanne den Selbsthilfeversuch wieder auf, dann muß er aber bei Würdigung aller Umstände auch für die Zwischenzeit berufsmäßig als Arbeitnehmer angesehen werden.

Wollte man anders entscheiden, so stünde der Versicherte hinsichtlich der Höhe der späteren Rente schlechter als bei nicht unterbrochener Arbeitslosenzeit; seine mit dem Selbsthilfeversuch bewiesene Eigeninitiative würde sich auf die Rentenhöhe also negativ auswirken. Ein solches Ergebnis wäre - das macht der Kläger mit Recht geltend - offensichtlich unbillig; denn ein Arbeitsloser, der erfolglos versucht, seine Wiedereingliederung in den Produktionsprozeß durch Selbsthilfe zu erreichen, würde dann allein wegen dieser Eigeninitiative benachteiligt werden. Auch liegt ein solcher Fall offensichtlich anders als jene Fälle, in denen sich ein selbständig Tätiger nach dem Verlust seiner geschäftlichen Existenz arbeitslos meldet (BSG SozR Nr. 22 zu § 1259 RVO). Es handelt sich hier auch nicht um einen Versicherten, der sich selbständig gemacht hat in der Absicht, für immer aus der Versichertengemeinschaft der abhängig Beschäftigten auszuscheiden, sondern im Gegenteil um einen Empfänger von Alu, der lediglich wegen der augenblicklichen Aussichtslosigkeit, demnächst wieder in abhängige Beschäftigung vermittelt zu werden, den alsbald mißglückten Versuch unternommen hat, zumindest vorübergehend durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit wenigstens das Existenzminimum zu verdienen und dadurch - wenn auch vielleicht nur für kurze Zeit - von der Straße zu kommen.

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