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12/11 RA 62/70

Aus den Gründen

Umstritten ist, ob die beklagte BfA die Zahlung des Altersruhegeldes des Klägers, der sich in Budapest aufhält, mit der Begründung verweigern darf, dass die BRD in Ungarn keine amtliche Vertretung habe (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AVG).

Der 18.. geborene Kläger stammt aus Ostpreußen und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Er war 1939 nach Ungarn ausgewandert. Im November 1962 verlegte er seinen Wohnsitz nach Luxemburg. Seine Ehefrau lebt weiterhin in Budapest. Die Beklagte gewährte Altersruhegeld und zahlte es auf ein Bankkonto des Klägers in H. Im November 1966 teilte die Ehefrau des Klägers der Beklagten mit, daß der Kläger einen Herzinfarkt erlitten habe, sich bei ihr in Budapest aufhalte und für längere Zeit nicht reisefähig sei. Der Kläger blieb in Luxemburg polizeilich gemeldet. Die Beklagte prüfte mehrmals, zuletzt im November 1967 durch die Handelsvertretung der BRD in Budapest, ob der Kläger weiterhin wegen Krankheit reiseunfähig sei. Schließlich stellte sie mit Bescheid vom 3.4.1968 unter Hinweis auf § 100 Abs. 1 AVG die Auszahlung der Rente ein, solange sich der Kläger im Gebiet eines ausländischen Staates aufhalte, in dem die BRD keine amtliche Vertretung habe; die BRD unterhalte in Ungarn keine diplomatische oder konsularische Vertretung. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 9.8.1968). Das SG hat die Klage abgewiesen.

Das LSG hat das Urteil des SG sowie die Bescheide vom 3.4. und 9.8.1968 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger neu zu bescheiden.

Die - zugelassene - Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Auffassung des LSG, die Handelsvertretung der BRD in Budapest sei eine amtliche Vertretung der BRD, die nach § 100 Abs. 1 AVG die Zahlung der Rente an einen sich gewöhnlich in Ungarn aufhaltenden Deutschen zulasse, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht auch in Einklang mit der Auffassung des Auswärtigen Amtes.

Daß die deutsche Handelsvertretung „amtlich“ ist, ergibt sich daraus, daß sie auf Grund des „Abkommens über den Waren- und Zahlungsverkehr und über die Errichtung von Handelsvertretungen zwischen der Regierung der BRD und der Regierung der ungarischen Volksrepublik“ vom 10.11.1963 eingerichtet wurde (vgl. BAnz. 1964 Nr. 14 S. 1). Nach Auskünften des Auswärtigen Amtes ist sie nicht nur für den Handelsverkehr tätig, sondern auch in beschränktem Umfang auf anderen Gebieten, z.B. bei der Ausstellung von Visa. So hat sie auch auf die Anfrage der Beklagten über Krankheit, Reiseunfähigkeit und Wohnsitz des Klägers in Budapest ermittelt. Für ihren Charakter einer amtlichen Vertretung spricht ferner, daß die BRD in Ungarn nicht durch einen anderen Staat als Schutzmacht vertreten wird. Auch die in der Diplomatie im Völkerrecht üblichen Begriffe lassen nicht erkennen, daß unter „amtlicher Vertretung“ der BRD nur eine Botschaft, eine Gesandtschaft oder ein Konsulat zu verstehen wäre (vgl. Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Stichworte „Diplomatie“ Teil A, „Gesandtschaftsrecht“ Nr. 3).

Die Entstehungsgeschichte des § 100 AVG (§ 1321 RVO) spricht nicht gegen die Auffassung des LSG. Der Begriff der amtlichen Vertretung der BRD im Zusammenhang mit der Zahlung von Renten an Deutsche im Gebiet eines auswärtigen Staates findet sich schon in § 9 FAG vom 7.8.1953. Im Entw. (BT-Drucks. I 4201) hatte die Bundesregierung vorgesehen, daß die Zahlungen - Ersatzleistungen genannt - nur zulässig sein sollten, soweit der Antragsteller auf sie zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts angewiesen sei; darüber sollte der Versicherungsträger gegebenenfalls nach Anhörung der amtlichen Vertretung der BRD in dem auswärtigen Staat, in dessen Gebiet sich der Antragsteller aufhalte, entscheiden; die Prüfung durch die amtliche deutsche Auslandsvertretung sei eingeschaltet, um diese Voraussetzung für die Gewährung der Ersatzleistungen am zweckmäßigsten prüfen zu können. Der Ausschuß für Sozialpolitik (BT-Drucks. I 4449) strich im Entw. des § 9 FAG die Sätze „Die Gewährung der Ersatzleistung ... ist nur zulässig, soweit ... zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts … angewiesen ... Anhörung der amtlichen Vertretung“. Er hielt die Einführung fürsorgerechtlicher Grundsätze in die SozVers nicht für zweckmäßig; die Bundesregierung werde aber dafür Sorge tragen, daß Deutsche und frühere deutsche Staatsangehörige praktisch in den Genuß dieser Leistungen kämen. Im Entw. des FANG (BT-Drucks. III 1109, 1532) ist zur Begr. des Entw. des § 1321 RVO nur auf § 9 FAG verwiesen.

Nach der Entstehungsgeschichte sollte also die amtliche Vertretung der BRD ursprünglich eingeschaltet werden, um die Bedürftigkeit des deutschen Zahlungsempfängers in dem auswärtigen Staat zu prüfen. Mit dem Wegfall dieser Voraussetzung der Zahlung ist der unmittelbare Zweck der Einschaltung der amtlichen Vertretung fortgefallen. Geblieben ist indes der vom Ausschuß ausgesprochene Gedanke, daß Deutsche tatsächlich in den Genuß der Leistung kommen sollen (BT-Drucks. I 4449). Das Bestehen einer amtlichen Vertretung der BRD in dem auswärtigen Staat hat daher bei § 100 AVG insofern noch Bedeutung für die Zahlung von Renten, als diese Vertretung prüfen kann, ob der Deutsche die Leistung des Versicherungsträger tatsächlich in ihrem vollen Wert und zusätzlich zu Einkünften in dem auswärtigen Staat erhält; denn andernfalls, etwa wenn lediglich das Devisenaufkommen des auswärtigen Staates gefördert würde, ohne daß der Deutsche durch die Leistung die ihr entsprechenden Vorteile erhält, entfällt der Sinn und Zweck des § 100 Abs. 1 AVG, so daß eine Zahlung nicht gerechtfertigt erscheint. Dies kann der Versicherungsträger bei seiner Ermessensausübung im Einzelfall unter Beachtung der Devisenvorschriften des auswärtigen Staates und ihrer Handhabung berücksichtigen und durch die Handelsvertretung der BRD prüfen lassen.

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