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1/11 RA 199/69

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juli 1969 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe I.

Die am 11. November 1957 in Stuttgart außerehelich geborene Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Waisenrente mit der Begründung, ihr Erzeuger sei der am 2. März 1936 geborene und am 28. April 1957 in F in Sachsen freiwillig aus dem Leben geschiedene Volkspolizist H R.

Die Mutter der Klägerin, L P geb. D, war in erster Ehe mit dem Schuhmacher A O in S bei Z verheiratet gewesen. Die Ehe wurde auf Klage des Ehemannes durch Urteil des ostdeutschen Kreisgerichts Hainichen vom 11. Februar 1957 geschieden. In dem Urteil ist ausgeführt, seine Ehefrau unterhalte Beziehungen zu einem anderen Mann, mit dem sie seit dem 16. Dezember 1956 geschlechtlich verkehre. Sie habe ihn am zweiten Tag ihrer Bekanntschaft mit in das eheliche Zimmer genommen und in der letzten Zeit dauernd bei sich schlafen lassen.

Durch ein weiteres Urteil vom 30. September 1959 hat das Kreisgericht Hainichen festgestellt, daß die Klägerin nicht das eheliche Kind des A O ist. Es führte aus, die Kindesmutter habe während der gesetzlichen Empfängniszeit vom 13. Januar bis 14. Mai 1957 mit R Geschlechtsverkehr unterhalten. Zwar habe sie auch mit ihrem früheren Ehemann O noch am 29. Januar 1957 ehelich verkehrt, nach dem eingeholten Blutgruppengutachten sei es jedoch offenbar unmöglich, daß die Klägerin von dem früheren Ehemann der Kindesmutter abstamme.

Nach ihrer Geburt befand sich die Klägerin zunächst etwa neun Monate in einem Heim in S. Im Laufe des Jahres 1959 verzog ihre Mutter mit ihr wieder nach Mitteldeutschland. Im Mai 1960 kehrten beide über West-Berlin nach Westdeutschland zurück.

Am 11. März 1961 beantragte das Kreisjugendamt C bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) W für die Klägerin die Zahlung von Waisenrente. Die genannte LVA gab den Antrag mit einer Aufstellung der nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anrechenbaren Zeiten an die Beklagte nach § 1311 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab, weil die zuletzt nachgewiesenen Beitragszeiten des Verstorbenen der Angestelltenversicherung (AnV) zuzuordnen seien.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 25. Januar 1962 ab, da weder die Vaterschaft noch die Unterhaltspflicht des Versicherten festgestellt sei; eine Glaubhaftmachung reiche nicht aus.

Das Sozialgericht (SG) Heilbronn, das die Kindesmutter als Zeugin vernommen hatte (Protokoll vom 28. Januar 1966), hat durch Urteil vom 28. Januar 1966 die Klage auf Zahlung von Waisenrente abgewiesen. Die natürliche Vaterschaft von R könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Die Erklärungen der Kindesmutter reichten dazu nicht aus. Sie habe unrichtige und unsichere Angaben über den letzten ehelichen Verkehr gemacht, und aus dem Urteil des Kreisgerichts Hainichen ergebe sich, daß sie auch durchaus geneigt gewesen sei, ohne wesentliche Hemmungen Umgang mit fremden Männern zu suchen. Schließlich habe sie nach dem Tode des R, der sich in ihrer Wohnung das Leben genommen hatte, trotz ausdrücklichen Hinweises des Arztes keine Blutentnahme durchführen lassen.

Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nach Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens durch Urteil vom 15. Juli 1969 (Breithaupt 1970, 311) zurückgewiesen. Zur Begründung führt es aus, ein Waisenrentenanspruch nach den §§ 17 Abs. 1, ... 15 FRG iVm mit den §§ 44, 39 Abs. 2 Nr. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 sei nicht gegeben, da die Vaterschaft oder die Unterhaltspflicht des Versicherten nicht nachgewiesen sei. § 4 Abs. 1 und 2 FRG, wonach es für die Feststellung der außerhalb der Bundesrepublik eingetretenen Tatsachen genüge, wenn sie glaubhaft gemacht seien, gelte nur für Tatsachen versicherungsrechtlicher Natur.

Die Klägerin hat nunmehr die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und beantragt,

  • unter Aufhebung der angefochtenen Vorentscheidungen die Beklagte zu verurteilen, Waisenrente vom 1. November 1957 an zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe II.

Die Revision der Klägerin ist im wesentlichen begründet.

Das LSG hat zunächst die Auffassung vertreten, damit die Klägerin nach § 39 Abs. 2 Nr. 5 AVG als Kind des Versicherten gelten könne, weil "seine Vaterschaft oder seine Unterhaltspflicht festgestellt ist", müsse seine Vaterschaft oder seine Unterhaltspflicht nachgewiesen sein. Zwar genüge es nach § 4 Abs. 1 und 2 FRG für die Feststellung der außerhalb der Bundesrepublik eingetretenen Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich seien, wenn sie glaubhaft gemacht seien. Diese Beweiserleichterung gelte aber nur hinsichtlich solcher Tatsachen, denen für den betreffenden Anspruch eine unmittelbare versicherungsrechtliche Bedeutung zukomme. Dies ergebe sich daraus, daß die genannte Vorschrift dem Notstand abhelfen wolle, in dem sich die meisten Vertriebenen und Flüchtlinge durch den Verlust ihrer Versicherungsunterlagen befänden. Durch § 4 Abs. 2 FRG solle die Glaubhaftmachung somit lediglich auf "solche Tatsachen, zum Beispiel Ersatzzeiten und Ausfallzeiten, erstreckt" werden, deren Berücksichtigung durch die allgemeinen Vorschriften geregelt sei (Amtliche Begründung, BT-Drucks. III Nr. 1109 S. 37). Diejenigen Tatsachen, aus welchen sich die uneheliche Vaterschaft oder eine Unterhaltspflicht ergebe, seien aber nicht spezifisch versicherungsrechtlicher Natur; auch sei der Verlust von Versicherungsunterlagen für sie bedeutungslos. Hier könne § 4 FRG nicht gelten. Hinzu komme, daß weder die Klägerin noch der angebliche Kindesvater zum Personenkreis des § 1 FRG zählten, so daß für den geltend gemachten Anspruch nur nach dem 30. Juni 1945 in der sowjetischen Besatzungszone zurückgelegte Versicherungszeiten in Betracht kämen, wofür der gesetzgeberische Grund für die Beweiserleichterung des § 4 Abs. 2 FRG ohnehin nicht zuträfe.

Diese Auffassung ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 FRG zu vereinbaren. Nach dieser Vorschrift gilt § 4 Abs. 1 FRG "auch für außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes eingetretene Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich sind". Hierunter fallen auch die Witwen-, Witwer- oder Waiseneigenschaft einschließlich der übrigen Tatsachen, die für die Zugehörigkeit zu dem Personenkreis des § 39 Abs. 2 AVG erheblich sind (so auch Schroeter im RVO-Gesamtkommentar, FRG, Art. 1 § 4 Note 5; VerbKomm. 6. Aufl. § 4 FRG Note 7; Haensel/Lippert, FANG zu § 4 FRG Note 5 am Ende; Hoernigk/Jahn/Wickenhagen, FANG Note 1 zu § 4 FRG). Auch hinsichtlich des Beweises dieser Tatsachen kann ein Beweisnotstand vorliegen, wenn die entsprechenden Unterlagen nicht zur Verfügung stehen und auch ersatzweise nicht zu beschaffen sind. Aus der vom LSG angeführten Amtlichen Begründung zu § 4 FRG ergibt sich nichts Gegenteiliges. Es besteht kein überzeugender Grund dafür, für die Feststellung des tatsächlichen Abstammungsverhältnisses andere Anforderungen zu stellen als für die Feststellung zum Beispiel der Tatsachen der Ableistung des Kriegsdienstes, der als Ersatzzeit in Betracht kommt. Ebenso genügt im Versorgungsrecht die bloße Glaubhaftmachung der Vaterschaft (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 6 BVG sowie BSG 8, 159). Bedeutungslos muß sein, ob das Bedürfnis, eine Glaubhaftmachung ausreichen zu lassen, für Versicherungsfälle der vorliegenden Art, die sich in Mitteldeutschland ereignet haben, geringer sein mag als für entsprechende Versicherungsfälle aus den übrigen Ostgebieten. Dieser Umstand rechtfertigt es nicht, § 4 Abs. 2 FRG einengend auszulegen, denn nach dem Gesetz ist entscheidend, daß die Tatsachen außerhalb des Geltungsbereichs des FRG eingetreten sind.

Das LSG führt sodann weiter aus, aufgrund des Beweisergebnisses sei die Vaterschaft von R nicht erwiesen; es hat aber nicht festgestellt, daß R unmöglich der Erzeuger der Klägerin gewesen sein kann. Es bleibt damit die Möglichkeit, daß seine Vaterschaft als überwiegend wahrscheinlich festgestellt werden kann (§ 4 Abs. 1 Satz 2 FRG). Hierzu hat sich das LSG nicht geäußert. Die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, die von den Gutachterin in der erbbiologischen Beurteilung angenommene bloß einfache Wahrscheinlichkeit der blutmäßigen Abstammung reiche nicht zum Nachweis der Vaterschaft aus, und "sie würde wohl nicht einmal dem Erfordernis der überwiegenden Wahrscheinlich nach § 4 Abs. 1 S. 2 FRG genügen", können nicht dahin verstanden werden, daß das LSG hilfsweise hat feststellen wollen, die Vaterschaft von R sei auch nicht überwiegend wahrscheinlich, denn nach der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung bestand für eine solche Feststellung kein Anlaß. Da der Senat die Prüfung, ob die Vaterschaft des Versicherten im Sinne des § 4 FRG überwiegend wahrscheinlich ist oder nicht, nicht selbst vornehmen kann, muß der Rechtsstreit schon deshalb an das LSG zurückverwiesen werden.

Soweit das LSG Ausführungen dazu gemacht hat, daß als Kind des Versicherten auch ein uneheliches Kind gilt, wenn die Unterhaltspflicht des Versicherten festgestellt ist, daß es hieran aber fehle, können sie im vorliegenden Fall keine Bedeutung haben, weil eine Unterhaltspflicht des angeblichen Kindesvaters nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 1708 ff BGB (aF) ohnehin nicht festgestellt werden konnte; er ist schon vor der Geburt der Klägerin gestorben und kann allein aus diesem Grunde ihr gegenüber nicht unterhaltspflichtig gewesen sein. Ein Unterhaltsanspruch eines unehelichen Kindes gegen seinen Erzeuger beginnt erst mit seiner Geburt.

Im übrigen wird das LSG bei seiner erneuten Verhandlung zu berücksichtigen haben, daß § 1717 BGB (aF) inzwischen außer Kraft getreten ist. Nach Art. 12 § 2 des seit dem 1. Juli 1970 geltenden Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NeG) vom 19. August 1969 (BGBl I 1243) ist jetzt von den §§ 1600 a ff BGB nF, insbesondere von § 1600 o BGB nF auszugehen, der rückwirkende Kraft hat. Dazu bestimmt Art. 12 § 25 NcG, daß dort, wo auf Vorschriften verwiesen wird, die durch dieses Gesetz aufgehoben oder geändert sind, die Verweisung ihren Inhalt aus den entsprechenden neuen Vorschriften erhält; einer Verweisung steht es gleich, wenn die Anwendbarkeit der in Satz 1 bezeichneten Vorschriften stillschweigend vorausgesetzt wird. Das trifft für den Bereich des Sozialversicherungsrechts zu. Der Gesetzgeber hat bisher lediglich dem Bundeskindergeldgesetz eine dem NcG gerecht werdende Neufassung gegeben (vgl. das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 19. Dezember 1970, BGBl I 1725) und damit bestätigt, daß im übrigen bereits das neue Recht gilt.

Nach dem nunmehr geltenden Recht wird gemäß § 1600 o Abs. 2 BGB vermutet, daß das Kind von dem Mann erzeugt ist, welcher der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat; die Vermutung gilt jedoch nicht, wenn nach Würdigung aller Umstände schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft verbleiben (vgl. dazu im einzelnen Mösonef, Das Abstammungsrecht des nichtehelichen Kindes, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 1970, 89; sowie Odersky, Nichtehelichen-Gesetz, 2. Aufl. § 1600 o BGB Anm. III). Diese Vorschrift wird das LSG für die Beurteilung des hier geltend gemachten Anspruchs auf Waisenrente mit der Maßgabe anzuwenden haben, daß für die Feststellung der erheblichen Tatsachen die Glaubhaftmachung genügt. Es würde also einerseits ausreichen, wenn glaubhaft gemacht ist, daß der angebliche Kindesvater der Kindesmutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Andererseits muß es dann aber auch zur Widerlegung der in § 1600 o Abs. 2 Satz 1 BGB aufgestellten Vermutung genügen, daß Umstände glaubhaft gemacht sind, nach deren Würdigung schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft verbleiben. Anderenfalls würden, ohne daß dies zu rechtfertigen wäre, unterschiedliche Maßstäbe angelegt, je nachdem, ob es sich um anspruchsbegründende oder rechtshindernde Tatsachen handelt. Selbst wenn hier die Beiwohnung des Versicherten innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit als nachgewiesen angesehen wird, brauchen zur Widerlegung der daraus folgenden Vermutung die dagegen sprechenden Umstände nicht nachgewiesen zu sein; es genügt deren Glaubhaftmachung.

Wegen dieser durch § 4 Abs. 1 und 2 FRG bedingten Besonderheiten kann im übrigen trotz der Vorschrift des § 1600 a Satz 2 BGB eine Verpflichtung oder doch wenigstens eine Berechtigung des LSG zur Aussetzung des Verfahrens nach § 114 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von Amts wegen nicht anerkannt werden. Denn grundsätzlich werden jetzt zwar nichteheliche Kinder, die sich - wie die Klägerin - in der Bundesrepublik aufhalten und deren angebliche Väter verstorben sind, nunmehr im Verfahren nach § 1600 n Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 55 b des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) durch das zuständige (§§ 43, 36 FGG) Vormundschaftsgericht die Vaterschaft feststellen lassen müssen, wenn sie sozialversicherungsrechtliche Hinterbliebenenrentenansprüche geltend machen wollen (vgl. Schindera, SozVers 1970, 143; Mitt. LVA Rheinprovinz 1970, 464; s. dazu auch OLG Hamm, NJW 1971, 327). Das kann jedoch dann nicht gelten, wenn das Sozialversicherungs- oder das Versorgungsrecht Sonderreglungen enthält, welche sich mit geringeren Beweisanforderungen für die Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft begnügen, als dies die §§ 1600 a ff BGB vorsehen. Insoweit bedürften die Ausführungen von Reinheimer im FamRZ 1970, 122 und von Damrau ebenda S. 285, wonach es grundsätzlich eine inzidente Vaterschaftsfeststellung nicht mehr geben soll, einer Einschränkung.

Unter diesen Gesichtspunkten wird das LSG den Sachverhalt erneut zu prüfen haben. Dazu ist wie geschehen nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zu verfahren. Bei seiner abschließenden Entscheidung wird sodann das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

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