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5 RKn 75/67

Gründe I.

Die Klägerin führt den Rechtsstreit ihres während des Revisionsverfahrens am 19. August 1968 verstorbenen Ehemannes St. fort, mit dem sie bis zu dessen Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte mit Recht einen Anspruch auf Rückzahlung zuviel gezahlten Altersruhegeldes geltend gemacht hat.

St. hatte von der Beklagten seit 1953 die Knappschaftsvollrente bezogen, die durch Bescheid vom 8. August 1958 mit Wirkung vom 1. Januar 1957 in Knappschaftsruhegeld nach neuem Recht umgewandelt wurde. Von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) bezog er seit 1951 wegen einer Berufskrankheit (BK) Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H., die ein teilweises Ruhen der knappschaftlichen Rente bewirkte. Der Umstellung der Unfallrente im Jahre 1957 legte die BBG irrtümlich eine MdE um nur 20 v.H. zugrunde, gleichwohl erhöhte sich dabei die Unfallrente von 52,00 DM auf 69,40 DM. Die u.a. mit diesen Daten auch im Klartext versehene Lochkarte übersandte die BBG der Beklagten. In der Folgezeit wurde die Unfallrente noch mehrfach - immer - auf der Grundlage einer MdE von 20 v.H. erhöht. Hiervon hat die Knappschaft jeweils Nachricht erhalten. Nach Aufdeckung des Irrtums teilte die BBG der Knappschaft das Ergebnis ihrer Neuberechnung für die Zeit ab 1. Januar 1957 mit. Die Knappschaft errechnete daraufhin für diese Zeit unter Berücksichtigung des stärkeren Ruhens eine Überzahlung von 3.708,40 DM. Mit Bescheid vom 19. November 1965 teilte sie St. mit, der Betrag werde an der bei der BBG zur Verfügung stehenden Nachzahlung der Unfallrente einbehalten. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück. Die BBG zahlte St. auch den auf Veranlassung der Beklagten noch zurückgehaltenen Betrag von 3.708,40 DM - die gesamte Nachzahlung betrug 4.239,60 DM - aus. Auf die inzwischen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß die Knappschaft nicht berechtigt sei, die Überzahlung zurückzufordern.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil der Rückforderungsanspruch der Knappschaft auf keinen Fall begründet sei, gleich, ob er eine "zu Unrecht" gezahlte Rentenleistung betreffe und daher nach § 93 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zu beurteilen sei, oder ob hier § 75 Abs. 4 RKG oder die Grundsätze über die Behandlung von Vorschüssen auf Unfallrenten anzuwenden seien.

Der Beklagten sei zwar zuzugeben, daß sie an der Überzahlung kein Verschulden treffe. Es fehle aber auch jeder Anhalt dafür, daß St. beim Empfang der Leistung gewußt habe oder habe wissen müssen, daß ihm die Leistung nicht in der gewährten Höhe zugestanden habe. Hierbei könnten unter "Leistung" in diesem Sinne nur die knappschaftlichen Rentenleistungen verstanden werden, die St. seit Januar 1957 bis zur Richtigstellung der Unfallrente von der Knappschaft erhalten habe. Der Einwand der Beklagten, St. sei bei Empfang der Nachzahlung der BBG hinsichtlich des streitigen Betrages nicht gutgläubig gewesen, greife nicht durch; es komme nicht auf sein Vorstellungsbild bei Empfang der ihm zustehenden Unfallrenten-Nachzahlung, sondern bei Empfang der knappschaftlichen Rentenleistungen an. Auch ihre Erwägung, der Kläger verdiene keinen Vertrauensschutz, weil er durch die Verweigerung der Rückzahlung -  der materiellen Gerechtigkeit zuwider - das Nachholen dessen verhindere, was er seit 1957 hätte hinnehmen müssen, gehe an den Rückforderungsvoraussetzungen des § 93 Abs. 2 RKG vorbei.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 93 Abs. 2 RKG und Nichtberücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben. Es stehe fest, daß St. 3.708,40 DM zu Unrecht erhalten habe. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf § 75 Abs. 4 RKG sei verfehlt. Die Vorschrift stelle auf den Zeitpunkt der erstmaligen Zahlung der Verletztenrente ab und zwar der ganzen Rente, nicht eines Teils derselben. § 93 Abs. 2 RKG stehe aber einer Rückforderung nicht entgegen. Unzweifelhaft treffe sie kein Verschulden an der Überzahlung. Ob dies auch für den Versicherten St. gelte, könne dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls habe er beim Empfang der Nachzahlung der Unfallrente wegen des ihm inzwischen von der Beklagten erteilten Bescheides vom 19. November 1965 gewußt, daß ihm dieser Betrag nicht zustehe. Allein auf diesen Zeitpunkt komme es aber für die Beurteilung an. Bei rückwirkender Erhöhung der Unfallrente müsse die Gutgläubigkeit sich auf die nachgezahlte Unfallrente beziehen und auch noch bei deren Empfang vorhanden sein. In der streitigen Zeit habe der Kläger zusammen mit der Unfallrente nicht zuviel, sondern zuwenig erhalten. Er habe Anspruch auf das, was ihm bei ordnungsgemäßer Abwicklung von Anfang an zugestanden habe. Es widerspreche aber Treu und Glauben, wenn er noch 3.708,40 DM dazu erhalte.

Die Beklagte beantragt,

  • das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Dortmund vom 27° Juni 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Mit Schriftsatz vom 24. September 1968 hat sie erklärt, sie nehme das durch den Tod ihres Ehemannes - des bisherigen Klägers St. - unterbrochene Revisionsverfahren auf; ein Testament sei nach ihrer Kenntnis nicht vorhanden. Der Nachlaß bestehe im übrigen nur aus gemeinsamen Haushaltsgegenständen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz von 3° Februar 1971 gemäß § 239 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 68 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beantragt, die Klägerin zur Aufnahme des Verfahrens und zur Verhandlung in der Hauptsache zu laden, weil sie jedenfalls Miterbin und als solche Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Klägers sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen dem Klagebegehren stattgegeben.

Die Klage richtet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. November 1965, soweit durch diesen der Anspruch der Beklagten gegen den Versicherten St. auf Rückzahlung des seit dem 1. Januar 1957 zuviel gezahlten Altersruhegeldes in Höhe von insgesamt 3.708,40 DM festgestellt ist. Nur der Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides in diesem Umfang ist Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens.

Die durch den Tod des bisherigen Klägers eingetretene Unterbrechung des Revisionsverfahrens hat mit der Aufnahme des Rechtsstreits durch die Klägerin ihr Ende gefunden. Denn nach § 68 SGG i.V.m. § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) endet die Unterbrechung, sobald die Rechtsnachfolger der verstorbenen Prozeßpartei das Verfahren aufnehmen.

Zwar ist Rechtsnachfolger im Sinne des § 239 ZPO auch der Sonderrechtsnachfolger (vgl. Baumbach-Lauterbach, § 239 Anm. 2 C), so daß grundsätzlich auch in § 88 Abs. 2 RKG genannte Personen den Rechtsstreit aufnehmen könnten. Die Klägerin ist aber nicht Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des § 88 RKG (§ 1288 RVO, § 65 AVG), da Abs. 2 dieser Vorschrift nur Verfahren erfaßt, die gegen den Versicherungsträger gerichtete Ansprüche betreffen. Die Prozeßstellung eines Beteiligten in einem Verfahren, das die Verpflichtung zur Rückzahlung zuviel erhaltener Leistungen betrifft, geht daher nach allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften auf die Erben über.

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes, weil sie zumindest dessen Miterbin ist. Abgesehen davon, daß die Beteiligten selbst davon ausgehen, sprechen auch die Tatsachen für diese Annahme. Zwar ist die Ausstellung eines Erbscheins nicht beantragt und ein solcher daher auch nicht erteilt worden. Daß ein Testament überhaupt vorhanden sein könnte, ist unwahrscheinlich. Dagegen spricht nicht nur die Angabe der Klägerin, die mit dem Verstorbenen bis zu dessen Tod zusammengelebt hat, sondern auch die Tatsache, daß der Nachlaß offensichtlich ganz geringfügig war und aus diesem Grunde eine Regelung der Vermögensverteilung für den Todesfall nicht in Betracht kam. Für ein die Klägerin von der Erbfolge ausschließendes Testament (§§ 1237, 1238 BGB) sind erst recht keine Gründe ersichtlich, so daß diese Möglichkeit außer Betracht zu bleiben hat.

Als Erbin ist die Klägerin zur Aufnahme des Rechtsstreits nicht nur berechtigt, sondern - wie sich aus § 68 SGG i.V.m. § 239 Abs. 5 ZPO ergibt - auch verpflichtet. Ist - wie im vorliegenden Fall - noch zu Lebzeiten des Erblassers ein Rückforderungsbescheid ergangen und das Anfechtungsstreitverfahren eingeleitet, so treten die Erben, da eine Sonderrechtsnachfolge ausscheidet, als Gesamtrechtsnachfolger in den Prozeß ein.

Für den Fortgang des Verfahrens ist es ohne Belang, ob die Klägerin Allein- oder nur Miterbin ist, denn auch bei einer Mehrheit von Rechtsnachfolgern genügt es, wenn nur einer der Erben das Verfahren aufnimmt (Wieczorek, § 239 Anm. G II c). Die Miterben sind insoweit einfache Streitgenossen, so daß die Aufnahme des Rechtsstreits nur für und gegen den Aufnehmenden wirkt (Baumbach-Lauterbach, § 239 Am. 2 D); ein daraufhin ergangenes Urteil hat nur für den Aufnehmenden und den Prozeßgegner Bedeutung.

Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn die mit Bescheid der Beklagten vom 19°November 1965 ausgesprochene Verpflichtung des Versicherten, das überzahlte Altersruhegeld zurückzuzahlen, bestand nicht.

Der Rückforderungsanspruch der Beklagten scheitert zwar nicht daran, daß die Rente in der streitigen Zeit auf Grund eines nach § 77 SGG bindenden Verwaltungsakts und damit nicht zu Unrecht gewährt worden ist. Die Rechtsfolge des Ruhens tritt mit der Erfüllung eines Ruhenstatbestandes kraft Gesetzes ein, und der hierüber ergangene Bescheid, der lediglich feststellende Bedeutung hat, ist rückwirkend rechtskräftig geworden. Der Versicherungsträger kann daher das Ruhen der Leistung mit rückwirkender Kraft schon von der Erfüllung des Ruhenstatbestandes an durch Bescheid herbeiführen (BSG 26, 98, 100; 30, 105, 107).

Der Anspruch auf Rückzahlung des nach § 75 RKG kraft Gesetzes ruhenden Rentenbetrages ist aber durch § 93 Abs. 2 RKG ausgeschlossen. Der Versicherungsträger darf eine Leistung nur zurückfordern, wenn ihn für die Überzahlung kein Verschulden trifft und nur soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand.

Das LSG hat im Ergebnis zu Recht das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint. Wenn auch die Auffassung des LSG, den Versicherten treffe kein Verschulden, nicht bedenkenfrei ist, weil St. den Widerspruch zwischen dem Bescheid der BBG einerseits und den späteren Mitteilungen der BBG andererseits wegen der unterschiedlichen Angaben über den Grad der MdE hätte erkennen und durch Rückfrage klären können, so kann diese Frage doch dahingestellt bleiben, zumal sich die Rente trotz des irrtümlich berücksichtigten geringeren Prozentsatzes der MdE doch im Ergebnis nicht unwesentlich erhöht hatte. Denn die Beklagte darf die Überzahlung nicht zurückfordern, weil sie an der Überzahlung ein wenn auch nicht besonders großes Verschulden trifft. Ein Vergleich der Daten, die die BBG anläßlich der Umstellung im Jahre 1957 der Beklagten mit der Lochkarte übermittelte, mit denen der letzten Rentenmitteilung der BBG, hätte Veranlassung geben müssen, den Widerspruch aufzuklären, so daß eine Überzahlung vermieden worden wäre. Auch wenn im Verhalten des Versicherten St. ein Verschulden im Sinne des § 93 RKG zu sehen wäre, ist dies doch nicht so stark, daß das der Beklagten dahinter völlig zurückträte.

Soweit die Beklagte auf den Zeitpunkt des Empfangs der Nachzahlung aus der Unfallversicherung (UV) abstellen will, scheitert eine solche Betrachtungsweise daran, daß es hier nicht um die Rückforderung einer etwa zu hohen Nachzahlung aus der UV geht. Es ist deshalb auf die Zeit des Bezuges der Altersrente abzustellen (BSG 30, 108).

Der gegen den Versicherten gerichtete Bescheid der Beklagten vom 19. November 1965 ist daher rechtswidrig, soweit durch ihn ein Rückforderungsanspruch gegen den Versicherten festgestellt ist. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, daß die Beklagte den festgestellten Rückforderungsanspruch nicht hat.

Die Revision der Beklagten ist daher unbegründet und mußte zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.

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