1 RA 143/65
Aus den Gründen
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte hat den Kläger zu Recht in die Leistungsgruppe B 2 der Anl. 1 zu § 22 FRG eingestuft. Die Versicherungszeiten, die der Kläger in der Zeit vom 01.01.1924 bis 31.12.1939 bei dem VersTr. der Freien Stadt D. zurückgelegt hat, sind keine nach § 27 Abs. 1 Buchst. a AVG i.d.F. des Art. 3 Nr. 1 FANG anrechnungsfähigen Versicherungszeiten. Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages - 10.01.1920 - schied das Gebiet der Freien Stadt D. aus dem Verband des Deutschen Reiches aus und wurde ein staats- und völkerrechtlich selbständiges Gebiet. Die seitdem in der Freien Stadt D. angewendeten Gesetze waren nicht mehr Gesetze des Deutschen Reiches, sondern solche der Freien Stadt D. Das galt auch für die Vorschriften auf dem Gebiet der SozVers., obwohl sie aus dem alten Reichsrecht übernommen und mit diesen inhaltsgleich waren (vgl. BSG 22, 284, 285). Daran hat die VO über die Einführung der Reichsversicherung in der bisherigen Freien Stadt D. vom 22.01.1940 - RGBl. I 260 - nichts geändert; durch sie wurde zwar die D. SozVers. mit Wirkung vom 01.01.1940 an auf die reichsgesetzliche SozVers. übergeleitet; die Vorschriften der §§ 18, 19 dieser VO hoben aber nicht etwa rückwirkend das D. Recht auf und setzten rückwirkend Reichsrecht in Kraft, sondern sie bestimmten, daß die nach D. Recht erworbenen Leistungen und Anwartschaften nach den näheren Vorschriften der VO von den Trägern der Reichsversicherung zu übernehmen waren. Diese Zeiten blieben also nach wie vor nach D. Recht erworbene Versicherungszeiten. Nur die nach der Einführung der Reichsversicherungsgesetze im Jahre 1940 bis zum Zusammenbruch in D. erworbenen Zeiten waren wieder solche, für die „nach früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invaliden- oder Angestelltenversicherung“ (Art. 2 Nr. 1, Art. 3 Nr. 1 FANG) Beiträge entrichtet und die daher bei einem „deutschen Versicherungsträger“ zurückgelegt worden waren (§ 3 FRG). Während ihrer selbständigen Existenz war die Freie Stadt D. - wie oben dargelegt - kein Teil des Deutschen Reiches, waren daher die dort geltenden Gesetze keine Reichsgesetze und die dort erworbenen Versicherungszeiten nicht bei einem deutschen Versicherungsträger (§ 3 FRG) erworben. Das BVFG - BGBl. I 1957, 1215 - unterscheidet zwischen den „unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten“ und den Gebieten „außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937“ (§ 1 Abs. 1 BVFG), zu denen es ausdrücklich auch D. rechnet (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG). Dieser Unterscheidung folgt auch das FRG, wenn es in seinem § 1 Abs. 1 Buchst. a auf § 1 BVFG verweist und dann wieder in § 16 FRG ausdrücklich die in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG genannten „ausländischen“ Gebiete von den „unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten“ unterscheidet. Die während der selbständigen Existenz der Freien Stadt D. erworbenen und nach der EingliederungsVO - vom 22.01.1940 - von den Trägern der Reichsversicherung zu übernehmenden Zeiten fallen daher sowohl unter § 15 als auch unter § 17 Abs. 1 Buchst. b FRG. Das gilt auch für die hier streitigen, vom Kläger in der Zeit vom 01.01.1924 bis zum 31.12.1939 bei dem D. VersTr. erworbenen Beitragszeiten.
Allerdings war die Rechtslage bis zum Erlaß des FANG anders gewesen. Zwar hatte die VO vom 22.01.1940 mit dem Zusammenbruch ihre unmittelbar verbindliche Kraft verloren; sie galt weder ohne weiteres im Gebiet der ehemaligen Freien Stadt D. weiter noch verpflichtete sie die VersTr. der Bundesrepublik unmittelbar. Deren Verpflichtungen aus Versicherungsverhältnissen waren aber durch das FremdRG auf den deutschen VersTr. übergegangen (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 7, § 3 FremdRG). Diese Rechte hätten auch dem Kläger zugestanden, wenn für ihn ein Vers.-Fall eingetreten wäre, solange das FremdRG galt. Daher war auch die dem Kläger im Jahre 1957 erteilte Auskunft der BfA (über die „Gleichstellung“ der Lohn- und Gehaltsklassen der D. Versicherung mit den entsprechend bezeichneten der Invaliden- und der Angestelltenversicherung) richtig.
Für den Kläger ist jedoch kein VersFall eingetreten, solange das FremdRG in Kraft war. Inzwischen ist diese Auskunft überholt; denn durch das FANG wurden die für etwaige künftige Ansprüche des Klägers maßgebend gewesenen Vorschriften des FremdRG grundlegend geändert. In der AV der Bundesrepublik werden nunmehr alle Zeiten unmittelbar angerechnet, für die auf Grund früherer Vorschriften der reichsgesetzlichen AV Beiträge wirksam entrichtet sind, und damit auch die Zeit vor dem 10.01.1920 und nach Dezember 1939 für die Beschäftigungen in D. (Art. 3 Nr. 1 FANG). Dagegen wurden die in der Zeit von 1920 bis 1939 zu einem Träger der D. Versicherung entrichteten Beiträge solche, die nach §§ 15, 17 FRG anzurechnen und nach Maßgabe des § 22 FRG und seiner Anlagen zu bewerten sind, wobei die Zeit vom 01.08.1921 bis zum 31.12.1923 - Inflation - nach Anlage 8 zu § 22 FRG ebensowenig bewertet wird wie die zu der reichsgesetzlichen Versicherung in diesem Zeitraum entrichteten Beiträge. Die VO vom 22.01.1940 wurde folgerichtig durch Art. 7 § 3 Abs. 1 Buchst. c FANG „außer Kraft gesetzt“, d.h. sie ist von da an im Rahmen des Bundesrechts nicht mehr anwendbar, soweit nicht etwa bei alten VersFällen noch § 3 FremdRG gilt.
Dadurch, daß das „Entschädigungsprinzip" des FremdRG mit dem Inkrafttreten des FANG durch das „Eingliederungsprinzip“ des FRG ersetzt worden ist, sind weder das Eigentum der Betroffenen noch ihnen etwa zustehende eigentumsgleiche Rechte verletzt worden (Art. 14 GG). Soweit die Betroffenen schon konkrete Rechte aus VersFällen vor dem Inkrafttreten des FANG erworben hatten, ist ihr Besitzstand durch die Überleitungsvorschriften des Art. 6 §§ 5 ff. FANG gewahrt worden. Diejenigen aber, die wie der Kläger zwar auf Grund des FremdRG die Aussicht hatten, später eine der darin vorgesehenen Leistungen zu erhalten, für die aber noch kein VersFall eingetreten war, aus dem sie danach schon einen konkreten Anspruch erworben hatten, der auch beim Inkrafttreten des FANG noch bestand, besaßen damit keine Rechtsposition, die nach Art. 14 GG wie Eigentum geschützt war. Durch die neue gesetzliche Regelung auf Grund des FANG mag zwar das Vertrauen des Klägers auf den Bestand seiner Rechtsposition enttäuscht worden sein; der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht aber nicht so weit, dem Staatsbürger jede Enttäuschung solcher Art zu ersparen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11. 10. 1962 in SozR Nr. 9 zu Art. 14 GG S. A b 4, 6).
Es widerspricht auch nicht dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, daß die in der Freien Stadt D. vor dem 01.01.1940 erworbenen Versicherungszeiten nicht wie Zeiten bewertet werden, für die nach „früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen AV Beiträge wirksam entrichtet worden sind“. Wie oben dargelegt, sind die Beiträge nach dem selbständigen D. Recht entrichtet worden; sie sind auch durch die EingliederungsVO keine Zeiten reichsgesetzlicher Versicherung geworden, sondern sollten nur nach den näheren Vorschriften der EingliederungsVO wie solche Zeiten bewertet werden. Diese Art der Bewertung hielt das FremdRG auch für die von den Versicherungsträgern im Bundesgebiet zu übernehmenden Leistungen aufrecht (§ 3 FremdRG), und zwar für alle in den Jahren nach 1937 „eingegliederten“ oder wiedereingegliederten Gebiete, also sowohl für die vor dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages zum Deutschen Reich gehörenden als auch für die erstmals nach 1937 dem Deutschen Reich eingegliederten Gebiete. Wenn nun der Gesetzgeber in § 22 FRG für die Bewertung der unter die §§ 15 ff. FRG fallenden Zeiten nicht mehr die unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsgebieten maßgebend sein ließ, sondern für alle vom FRG erfaßten Personengruppen (§§ 1, 17 FRG) und zu berücksichtigenden Zeiten (§§ 15, 16 FRG) eine einheitliche, nur nach Versicherungszweigen und Tätigkeitsmerkmalen unterschiedene Bewertung vorschrieb, so hat er damit nicht willkürlich Ungleiches gleich behandelt, sondern, um zu einer für alle nach dem FRG Berechtigten gleichen „verallgemeinernden Norm“ zu kommen, zwar gewisse Unterschiede zwischen den „fremden“ Wirtschafts- und Rechtsgebieten „vernachlässigt“, damit aber eine gleichmäßige Behandlung aller vom FRG Erfaßten im Bundesgebiet gesichert. Der Gesetzgeber hat damit die Grenzen zulässiger Typisierung nicht überschritten (vgl. auch BVerfG 3,135 Abs. 2). Von dieser Gleichbehandlung sind nicht nur etwa die Vertriebenen aus D. betroffen und auch nicht nur andere nach § 17 FRG aus D. Zeiten Berechtigte, sondern auch diejenigen, die aus anderen Gebieten vertrieben worden sind oder Ansprüche aus anderen, nun nach dem FRG zu bewertenden Versicherungszeiten erworben haben (vgl. auch BSG 22, 284 ff.).
Für die Bewertung der vom Kläger in der streitigen Zeit zurückgelegten Versicherungszeiten sind demnach allein maßgebend die Vorschriften des § 22 FRG und seine Anlagen.