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12 RJ 424/62

Gründe

Die zulässige Revision der Beklagten hatte insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entsch. an das LSG zurückverwiesen worden ist.

Bei der Entsch. über den im März 1957 erneut gestellten Antrag der Klägerin auf Hbl.rente aus der Versich. ihres von ihr gesch. Ehemannes war von § 1265 RVO auszugehen, der gem. Art. 2 § 19 ArVNG Anwendung findet, da der versicherte frühere Ehemann zwar vor dem Inkrafttreten des ArVNG und damit des § 1265 RVO in seiner jetzigen Fassung, aber nach dem 30.4.1942 gestorben ist. Allerdings war nach Art. 2 § 44 ArVNG, da der Rentenantrag der Klägerin vom Juni 1953 durch rechtskräftiges LSG-Urteil bereits 1956 zurückgewiesen worden war, zu prüfen, ob § 1265 RVO gegenüber der früheren Regelung des § 1256 Abs. 4 RVO a.F. günstiger ist. Nach § 1265 RVO wird einer früheren Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dessen Tode Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte z. Z. seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheGes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Diese Vorschrift ist insoweit günstiger als § 1256 Abs. 4 RVO a.F., als sie die Rente auch dann gewährt, wenn der Versicherte „aus sonstigen Gründen“ Unterhalt zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nur insofern kam eine neue Prüfung des Rentenanspruchs der Klägerin in Betracht. Ob der Versicherte der Klägerin z. Z. seines Todes nach den Vorschriften des EheGes Unterhalt zu leisten hatte, konnte hingegen nicht mehr geprüft werden, weil diese Rechtsfrage durch das LSG-Urteil 1956 bereits rechtskräftig verneint worden ist und die SG.e an diese Entsch. gebunden sind (Art. 2 § 44 Satz 2 ArVNG). Da der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt nicht geleistet hat, wie das Berufungsgericht unangefochten festgestellt hat, war nur noch zu prüfen, ob der Versicherte der Klägerin z. Z. seines Todes Unterhalt aus sonstigen Gründen „zu leisten hatte“. Diese Voraussetzung hat das LSG als erfüllt angesehen, weil der Unterhaltsvergleich v. 2.2.1942 einen sonstigen Grund i.S. des § 1265 RVO darstelle. Dem konnte der Senat nicht ohne weiteres folgen.

Es konnte auf sich beruhen, ob der vor dem Landgericht B. am 2.2.1942 zu Protokoll des Gerichts geschlossene Unterhaltsvergleich einen Prozeßvergleich und damit einen Vollstreckungstitel i.S. des § 794 Nr. 1 ZPO darstellt oder nur einen in Form der gerichtl. Protokollierung geschlossenen bürgerlich-rechtl. Unterhaltsvertrag, was davon abhängt, ob er vor oder nach Rechtskraft des Ehescheidungsurteils zu Protokoll des Gerichts erklärt worden ist (BGH 15, 195 ff.; Baumbach / Lauterbach ZPO 26. Aufl. § 617 Anm. 4 A). Handelt es sich bei dem Unterhaltsvergleich um einen Prozeßvergleich und Vollstreckungstitel, so kommt ihm die Bedeutung eines sonstigen Grundes i.S. des § 1265 RVO nicht zu, wenn der Versicherte wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse z. Z. seines Todes die Wirkung des Vollstreckungstitels gem. den §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können (Gr. Senat in BSG 20, 1 ff.). Ist der Unterhaltsvergleich aber als bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsvertrag anzusehen, so kommt auch er als sonstiger Grund i.S. des § 1265 RVO nicht in Betracht, wenn wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unter Anwendung des § 242 BGB z. Z. des Todes des Versicherten eine Unterhaltspflicht aus dem Unterhaltsvertrag nicht mehr bestanden hat. Diese Grundsätze hat das LSG auch nicht verkannt, jedoch angenommen, daß für den Versicherten auf Grund der in dem Unterhaltsvergleich getroffenen besonderen Abreden das Recht ausgeschlossen gewesen sei, sich auf den Einwand einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i.S. der §§ 323, 767 ZPO und auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 242 BGB zu berufen. Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen; denn nach dem Unterhaltsvertrag sollte weder eine Änderung des Einkommens des Versicherten noch seine erneute Eheschließung den Anspruch der Klägerin auf eine Unterhaltsrente von 20 RM wöchentl. beeinträchtigen; der Unterhaltsanspruch der Klägerin sollte in diesen Fällen von der Leistungsfähigkeit des Versicherten und der Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin unabhängig sein. Das LSG hat auch in Erwägung gezogen, ob trotz dieser Abreden in dem Unterhaltsvergleich der Versicherte sich hätte darauf berufen können, daß sich wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aus dem Unterhaltsvergleich durch die Klägerin als unzulässige Rechtsausübung dargestellt hätte. Es hat jedoch eine eigene Prüfung und Entsch. dieser Rechtsfrage offenbar in der Annahme nicht vorgenommen, daß das Nichtbestehen der Unterhaltspflicht aus dem Unterhaltsvergleich erst hätte berücksichtigt werden können, nachdem durch eine besondere gerichtliche Entsch. festgestellt worden wäre, daß die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aus dem Unterhaltsvergleich sich als unzulässige Rechtsausübung darstelle und eine Unterhaltspflicht aus diesem Grunde nicht mehr bestehe. In der Rechtslehre ist die Frage auch umstritten, ob das Vorliegen der Voraussetzungen einer mißbräuchlichen Rechtsausübung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse kraft des zwingenden Rechts des § 242 BGB unmittelbar eine Beschränkung oder einen völligen Wegfall des Unterhaltsanspruchs bedingt, also eine Änderung des Anspruchsinhalts zur Folge hat, ohne daß es dafür eines besonderen gerichtlichen Ausspruchs bedarf (so Palandt BGB 21. Aufl. § 242 Anm. 6 c), oder ob dem Schuldner im Falle einer unzulässigen Rechtsausübung nur eine Einrede zusteht und das Nichtbestehen der Verpflichtung aus dem Unterhaltsvergleich erst berücksichtigt werden kann, wenn in einem gerichtl. Verfahren entschieden ist, daß die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung durchgreift und deshalb eine Unterhaltspflicht nicht besteht (so Staudinger, Recht der Schuldverhältnisse III Teil 1 b 1961, § 242 B 525, E 243). Für die Frage jedoch, ob der Versicherte gem. § 1265 RVO z. Z. seines Todes auf Grund des Unterhaltsvergleichs der Klägerin als eines sonstigen Grundes Unterhalt zu leisten hatte, ist allein entscheidend, ob für den Versicherten zu diesem Zeitpunkt eine Pflicht zur Unterhaltsgewährung aus dem Unterhaltsvertrag bestanden hat oder nicht. Eine solche Unterhaltspflicht ist aber bereits dann nicht gegeben, wenn der Versicherte z. Z. seines Todes der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch die Klägerin die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung mit Erfolg hätte entgegenhalten und eine Feststellungsklage mit dem Ergebnis hätte durchführen können, daß eine Unterhaltspflicht aus dem Unterhaltsvergleich nicht besteht. Hier haben dieselben Grundsätze Anwendung zu finden, die der Gr. Senat des BSG a.a.O. zu der Frage entwickelt hat, unter welchen Umständen einem Vollstreckungstitel die Bedeutung eines sonstigen Grundes i.S. des § 1265 RVO ausnahmsweise nicht zukommt, nämlich, wenn der Versicherte z. Z. seines Todes die Wirkungen des Vollstreckungstitels nach §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können. Wie es bei einem Vollstreckungstitel, der bis zum Tode des Versicherten rechtsgültig fortbestanden hat, nicht darauf ankommt, ob er die Abänderungsklage oder die Vollstreckungsgegenklage schon mit Erfolg durchgeführt hatte, so ist es auch bei einem Unterhaltsvertrag nicht erforderlich, daß der Versicherte zu seinen Lebzeiten die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung bereits mit Erfolg geltend gemacht hat. Es genügt, wenn er sie hätte geltend machen können.

Da die zu § 242 BGB entwickelten Grundsätze über die unzulässige Rechtsausübung sowohl auf den Prozeßvergleich als auch auf die übrigen Vergleiche zur Anwendung gelangen, war daher zu prüfen, ob es nach Treu und Glauben eine unzulässige Rechtsausübung gewesen wäre, wenn die Klägerin aus dem Unterhaltsvergleich z. Z. des Todes des Versicherten einen Unterhaltsanspruch erhoben hätte. Hierzu hat RG 160, 40, 49 bereits ausgeführt, daß auch ein Unterhaltsvertrag dem allg., die gesamte Rechtsordnung beherrschenden, sich aus § 242 BGB ergebenden Grundsatz unterworfen ist, daß niemand sein Recht gegen Treu und Glauben geltend machen darf. Wenn die Zahlung einer unabänderlichen Unterhaltsrente vereinbart und damit die Berufung auf den Einwand der wesentlichen Veränderung der Verhältnisse vertraglich ausgeschlossen ist, so ist der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründet, wenn die Erfüllung des Unterhaltsvertrages die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährden würde. Benötigt der Verpflichtete die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu seinem eigenen notdürftigen Unterhalt und dem seiner nächsten Angehörigen, die auf ihn angewiesen sind, so würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wollte man den Schuldner gleichwohl zur Weiterzahlung der vertraglichen Unterhaltsrente für verpflichtet halten. Selbst wenn also der Einwand einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse vertraglich ausgeschlossen ist, müssen dem zum Unterhalt Verpflichteten die Mittel verbleiben, die er für seinen eigenen, die Lebensexistenz sichernden Unterhalt benötigt. Sind darüber hinaus Mittel nicht vorhanden, so besteht ein Anspruch auf die vertraglich zugesicherte Unterhaltsrente nicht.

Die Entsch. darüber, ob der Versicherte z. Z. seines Todes aus dem Unterhaltsvergleich v. 2.2.1942 der Klägerin Unterhalt zu leisten hatte, hängt also davon ab, ob der Versicherte in diesem Zeitpunkt hierzu fähig war, ohne seinen eigenen notdürftigen Unterhalt und den seiner nächsten Angehörigen zu gefährden. Nur wenn der Versicherte z. Z. seines Todes über solche Mittel verfügte, die er ohne Gefährdung seiner Lebensexistenz an die Klägerin hätte abzweigen können, käme dem Unterhaltsvergleich die Bedeutung eines sonstigen Grundes i.S. des § 1265 RVO zu. Das LSG durfte deshalb die Prüfung und Entsch. dieser Frage nicht dahingestellt lassen, sondern hätte die dafür erforderlichen Tatsachen feststellen müssen.

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