Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

1 RA 168/60

Gründe

Der Kläger war Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter einer inzwischen aufgelösten GmbH. Er bezieht seit dem Jahre 1954 eine Rente aus der AnV. Mit Bescheid vom 31.10.1957 teilte die beklagte BfA dem Kläger mit, daß die GmbH der AOK E. an Sozialversicherungsbeiträgen rund 21.000,00 DM schulde; da der Kläger hierfür persönlich hafte, behalte sie - gemäß § 78 AVG i.V.m. Art. 2 § 25 AnVNG - an seiner Rente vom 1.9.1957 an bis zur Abdeckung der Beitragsschulden monatlich jeweils einen Teilbetrag ein.

Das SG hob den Bescheid auf. Auf die Berufung der Beklagten stellte ihn das LSG wieder her, soweit darin Beitragsschulden zur AnV aufgerechnet wurden. Die Beteiligten streiten noch darüber, ob die Beklagte wenigstens in diesem Umfang aufrechnen durfte.

Auf die zulässige Revision des Klägers ist das Berufungsurteil im angefochtenen Teil - soweit es der Berufung der Beklagten stattgegeben hat - aufzuheben. Das LSG muß nochmals verhandeln und entscheiden, ob der Bescheid vom 31.10.1957 rechtmäßig ist, soweit die Beklagte mit den Beitragsschulden zur AnV gegen den Rentenanspruch des Klägers aufgerechnet hat.

Die Befugnis der SGe, über den Klageanspruch zu entscheiden, wird durch den Hinweis des Klägers auf den angeblich bürgerlich-rechtlichen Charakter der von der Beklagten geltend gemachten Gegenforderung nicht in Zweifel gezogen. Es ist nicht klar, ob der Kläger in diesem Einwand schon die Zulässigkeit seiner eigenen Klage bestreiten will. Jedenfalls ist für sie der Rechtsweg in den SGen gegeben, weil die Anfechtungsklage, die der Kläger gegen den die Aufrechnung verfügenden Verwaltungsakt der Beklagten erhoben hat (§ 54 Abs. 1 SGG), eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der SozVer. (§ 51 Abs. 1 SGG) betrifft. Die Beteiligten streiten, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Dieser Verwaltungsakt regelt die Erfüllung eines Rentenanspruchs aus der AnV, mithin eine Angelegenheit der SozVer. Alle übrigen Streitfragen sind nur Vorfragen der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts, die die Zulässigkeit der Klage nicht berühren.

Nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen entscheiden die Gerichte über alle Vorfragen selbst, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Letzteres ist hier nicht der Fall. Es braucht insbesondere nicht entschieden zu werden, ob die Sozialgerichte, wenn umstrittene bürgerlich-rechtliche Forderungen aufgerechnet werden, ebenso wie die Zivilgerichte bei der Aufrechnung mit streitigen öffentlich-rechtlichen Forderungen (BGB 16, 124), bis zur Entscheidung des anderen Gerichtszweiges das Verfahren aussetzen müßten. Denn die Gegenforderung um die es hier geht, ist ebenfalls eine öffentlich-rechtliche Forderung aus dem Bereich der Sozialversicherung. Einzelne Ausführungen der Beteiligten dürfen nicht darüber täuschen, daß die Beklagte den Kläger als Mitschuldner einer gegen die GmbH gerichteten Beitragsforderung und nicht als Schadensstifter aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB, vgl. hierzu BHG NJW 1962, 200) in Anspruch nimmt. Nach § 78 AVG könnte sie mit einem - bürgerlich-rechtlichen - Schadensersatzanspruch auch gar nicht aufrechnen. Wer die Beiträge zur AnV schuldet, ist aber im Recht der Sozialversicherung geregelt.

In der Sache ist der Ausgangspunkt des LSG ebenfalls zutreffend. Die Beklagte durfte gemäß § 78 AVG gegen den Rentenanspruch des Klägers - nur - aufrechnen, wenn dieser der Beklagten die Beiträge zur AnV schuldete (BSG 15, 36; SozR § 1299 RVO Bl. Aa 4 Nr. 2). Das LSG hat nicht verkannt, daß für die wohl 1952/1953 entstandenen Beitragsschulden an sich die aufgelöste GmbH einzustehen hatte, weil sie der Arbeitgeber i.S. des § 182 AVG a.F. der bei der Gesellschaft Beschäftigten gewesen ist (vgl. EuM Bd. 41, 508). Die Mithaftung des Klägers hat das LSG aus dessen Stellung als alleiniger Gesellschafter hergeleitet; als früherer Geschäftsführer wäre der Kläger dagegen - trotz der Strafvorschriften in §§ 205 AVG a.F., 1488, 1492, 533, 536 Nr. 2 RVO a.F. - in keinem Falle Mitschuldner der Beiträge gewesen.

Zu Recht hat das LSG angenommen, daß auch im öffentlichen Recht der Gläubiger einer Forderung gegen eine juristische Person unter besonderen Umständen auf die hinter der juristischen Person stehenden Kräfte „durchgreifen“ kann. Die in der Rechtsprechung der Zivilgerichte entwickelten Grundsätze (BGH 22, 226; BB 1958, 169 und 1961, 988) gelten hier genauso. Auch im öffentlichen Recht ist es notwendig, Rechtsmißbräuche zu verhüten und Entscheidungen zu treffen, die dem Zweck der Rechtsordnung entsprechen. Der Alleingesellschafter einer GmbH haftet daher für öffentlich-rechtliche Forderungen gegen die GmbH neben dieser mit, wenn seine Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der GmbH (§ 13 GmbH-Gesetz) sich als Rechtsmißbrauch darstellen würde.

Wann ein solcher Rechtsmißbrauch vorliegt, entscheiden die Umstände des Einzelfalls. Allgemeine Richtlinien lassen sich dafür nicht geben. Mit dem BGH besteht jedoch Anlaß, vor einem leichtfertigen Übergehen der juristischen Person zu warnen. Wenn auch der Durchgriff auf den Gesellschafter nicht nur bei einem absichtlichen Rechtsmißbrauch statthaft ist, so reichen andererseits rein objektive Gesichtspunkte zur Annahme eines Rechtsmißbrauchs nicht aus. Es genügt daher nicht, daß der Kläger als Alleingesellschafter und gleichzeitiger Geschäftsführer die GmbH beherrschte und als Geschäftsführer für die Erfüllung der der GmbH erwachsenen Verbindlichkeiten sorgen mußte. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte verlangt mit Recht das Hinzutreten weiterer - qualifizierender, subjektiver - Umstände, die das Verhalten des Alleingesellschafters erst als Rechtsmißbrauch kennzeichnen. Die vorwerfbare Handlungsweise muß sich dabei immer auf die streitige Forderung beziehen. Im vorliegenden Falle scheiden deshalb, weil die Beitragsschulden kraft Gesetzes entstanden sind, die Umstände aus, die bei rechtsgeschäftlichem Handeln bedeutsam wären - Rechtsschein usw. -. Dem Kläger könnte aber etwa zur Last gelegt werden, daß er es hätte vermeiden können und müssen, daß die Beitragsschulden bei der GmbH entstanden und dann nicht erfüllt werden konnten. War die Gesellschaft schon vor der Entstehung dieser Schulden nicht mehr lebensfähig und mußte dies der Kläger - als Alleingesellschafter oder als Geschäftsführer - erkennen, so hätte er die geschäftliche Tätigkeit der GmbH und, worauf es hier besonders ankommt, die versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse der Angestellten beenden müssen.

In dem angefochtenen Urteil fehlen ausreichende Feststellungen, ob die Berufung des Klägers auf die rechtliche Selbständigkeit der GmbH gegenüber den Beitragsschulden zur AnV in diesem Sinne ein Rechtsmißbrauch ist. (Wird ausgeführt).

Zusatzinformationen