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IV ZR 200/93

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Versorgungsrente, die der beklagte Versorgungsverband an den Kläger zu zahlen hat.

Der bei dem Beklagten zusatzversicherte Kläger erhält seit dem 1. Dezember 1991 aus der Zusatzversicherung Versorgungsrente. Mit Entscheidung vom 27. März 1992 errechnete der Beklagte eine dem Kläger ab 1. Dezember 1991 monatlich zustehende Versorgungsrente von 1.108,59 DM. Der Beklagte kürzte dabei die dem Kläger an sich zustehende Rente um 193,86 DM im Hinblick auf einen zugunsten der geschiedenen Ehefrau des Klägers L. G., heute P., durchgeführten Versorgungsausgleich. Die Ehe des Klägers wurde am 19. Dezember 1984 rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsurteil erfolgte ein Versorgungsausgleich zugunsten der Ehefrau des Klägers. Sie ist am 8. Juli 1937 geboren und kann bisher aufgrund des Versorgungsausgleichs noch keine Rente erhalten.

Am 9. Juli 1985 verglichen sich der Kläger und seine geschiedene Ehefrau dahin, daß der Kläger an sie 15.000 DM in zwei Raten, die letzte fällig am 31. Dezember 1985, als Unterhaltsabfindung gegen Verzicht auf weiteren Unterhalt zahlte. Der Kläger erbrachte die Abfindung.

Er ist der Ansicht, daß die wegen des Versorgungsausgleichs erfolgte Kürzung seiner Versorgungsrente so lange, wie seine frühere Ehefrau aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch keine Rente erhalten könne, gemäß § 5 Abs. 1 VAHRG unberechtigt sei. Der Fall des Verzichts auf Unterhalt gegen Abfindung müsse so wie der Fall der fortlaufenden Unterhaltsverpflichtung behandelt werden.

Der Kläger verlangt Zahlung rückständiger Versorgungsrente in Höhe von 1.744,74 DM (monatlich 193,86 DM für den Zeitraum Dezember 1991 bis August 1992) sowie Feststellung, daß der Beklagte ihm so lange die ungekürzte Versorgungsrente zahlen müsse, bis bei seiner geschiedenen Ehefrau der Leistungsfall eingetreten sei. Bei dem Landgericht und dem Oberlandesgericht blieb die Klage ohne Erfolg. Mit seiner zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die geltend gemachten Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist überwiegend begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Versorgungsrente so lange ungekürzt zu gewähren, bis seine frühere Ehefrau aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Rente beziehen kann. Soweit der Beklagte rückständige Versorgungsrente ausgleichen muß, sind die Nachzahlungen allerdings nur zur Hälfte an den Kläger zu erbringen.

1. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers darauf verneint, daß die Kürzung der Rente ausgesetzt wird, bis die frühere Ehefrau des Klägers Rente aufgrund der auf sie übertragenen Anwartschaft beziehen kann. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 VAHRG lägen nicht vor, weil der Kläger nicht zum Unterhalt verpflichtet sei. Zwar sei die Unterhaltspflicht des Klägers aufgrund des Verzichts seiner früheren Ehefrau nur erloschen, weil der Kläger eine Unterhaltsabfindung gezahlt habe. Auf diesen Fall sei aber § 5 Abs. 1 VAHRG weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Wenn der zum Versorgungsausgleich verpflichtete Ehegatte zur Unterhaltszahlung nicht mehr verpflichtet sei, bestehe zur Stärkung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Veranlassung. Das gelte auch dann, wenn der frühere Ehegatte auf Unterhaltsleistungen gegen eine Abfindung verzichtet habe. In diesem Falle sei weder der Lebensunterhalt des ausgleichsverpflichteten Ehegatten durch Unterhaltsleistungen gemindert, noch könne ein Unterhaltsdefizit des ausgleichsberechtigten Ehegatten entstehen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Der Kläger kann sich für seinen Anspruch, die Kürzung seiner Zusatzversorgung auszusetzen, auf § 5 Abs. 1 VAHRG stützen. Danach wird die Versorgung des Ausgleichsverpflichteten nicht gekürzt, solange der Berechtigte keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat. Dementsprechend kann die Kürzung einer Versorgung grundsätzlich nicht nach § 5 Abs. 1 VAHRG wegfallen, wenn der Berechtigte auf Unterhaltsansprüche wirksam verzichtet hat und der Ausgleichsverpflichtete deshalb nicht mehr zu fortlaufenden Unterhaltsleistungen verpflichtet ist (vgl. Bergner, DRV 1983, 215, 239; Langenfeld, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen 2. Aufl. Rdn. 802; Lynker, JurBüro 1983, 1459; Soergel/Häberle, BGB 12. Aufl. § 1585c Rdn. 12; Soergel/Schmeiduch, BGB 12. Aufl. § 5 VAHRG Rdn. 12). Anders ist der Fall aber zu beurteilen, wenn der Berechtigte den Verzicht nur gegen eine Abfindung erklärt hat, d.h. wenn er im Rahmen eines Vergleichs nach § 1585c BGB statt eines Anspruchs auf fortlaufenden Unterhalt einen Anspruch auf Unterhaltsabfindung erworben hat. In diesem Fall ergibt die Auslegung des § 5 Abs. 1 VAHRG, daß der zum Versorgungsausgleich Verpflichtete einen Anspruch darauf hat, daß die Kürzung der Versorgungsbezüge so lange ausgesetzt wird, bis der berechtigte frühere Ehegatte selbst eine Rente erhalten kann (ebenso BSG, Urteil vom 8.12.1993 - 8 RKn 6/93 - SozR 3-5795 § 5 VAHRG Nr. 1; Palandt/ Diederichsen, BGB 53. Aufl. Anhang III zu § 1587b, § 5 VAHRG Rdn. 3; a.A. VGH Bad.-Württ. FamRZ 1989, 515; Erman/v. Maydell, BGB 9. Aufl. Anh. zu § 1587b BGB, § 5 VAHRG Rdn. 4; Gräper in MünchKomm, BGB 3. Aufl. § 5 VAHRG Rdn. 31; Maier/Michaelis, Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung 3. Aufl. S. 489; Johannsen/Heinrich/Hahne, Eherecht 2. Aufl. § 5 VAHRG Rdn. 8).

b) Mit § 5 VAHRG wollte der Gesetzgeber der Forderung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 53, 257) entsprechen, die Bestimmungen über die Übertragung und Begründung von Rentenanwartschaften, die durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 eingeführt worden sind, durch Regelungen zu ergänzen, um nachträglich eintretenden grundgesetzwidrigen Auswirkungen des Versorgungsausgleichs zu begegnen (vgl. BT-Drucks. 9/2296 S. 14). Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1980 (aaO S. 303f.) ausgeführt, zu einem verfassungswidrigen Zustand könne es kommen, wenn beim Ausgleichspflichtigen vor dem Ausgleichsberechtigten ein Versicherungsfall eintrete. Hier liege das Schwergewicht bei den Fällen, in denen der ausgleichsberechtigte Teil, dem die übertragenen Werteinheiten noch nicht zugute kommen, auf Unterhaltsleistungen des Ausgleichsverpflichteten angewiesen sei. Zur Rechtfertigung könne nicht eingewandt werden, daß sich das Unterhaltsdefizit zu Lasten des Ausgleichsberechtigten auswirke und jedenfalls der ausgleichspflichtige Partner, dessen rentenversicherungsrechtliche Position durch Art. 14 Abs. 1 GG garantiert werde, geschont bleibe. In diesen Fällen sei nicht auszuschließen, daß der ausgleichsverpflichtete Ehegatte trotz seiner gekürzten Rente zu Unterhaltsleistungen noch verpflichtet und in der Lage sei, so daß er in der Freiheit seiner Lebensführung weiter eingeschränkt werde.

Da das Bundesverfassungsgericht davon spricht, der "Schwerpunkt" liege bei den näher angeführten Fällen, erscheint es schon zweifelhaft, daß mit § 5 VAHRG nur die vom Bundesverfassungsgericht konkret angeführten Fallbeispiele hätten geregelt werden sollen. Vielmehr liegt es nahe anzunehmen, daß auch Fälle anderer Ausgestaltung, die zwar nicht zum Schwerpunkt gehören, aber durch den Versorgungsausgleich ebenfalls verfassungswidrige Auswirkungen haben können, von § 5 VAHRG mitumfaßt sein sollten. Jedenfalls ist auch dann, wenn der Ausgleichsverpflichtete den Unterhaltsanspruch des berechtigten Ehegatten im Wege eines Vergleichs durch eine Unterhaltsabfindung ausgleicht, nicht ausgeschlossen, daß der Verpflichtete über den Zeitpunkt seiner Leistung hinaus in seiner Lebensführung eingeschränkt ist. Das übersieht die Gegenansicht. Der Verpflichtete kann durch die Leistung einer Abfindung im Einzelfall erheblichen Belastungen ausgesetzt sein, die einer fortlaufenden Unterhaltszahlung gleichkommen können. Das ist z.B. der Fall, wenn der Verpflichtete ein Darlehen hat aufnehmen müssen, um seiner Leistungspflicht aus dem Vergleich nachkommen zu können. Aber auch wenn der Verpflichtete die Abfindung aus eigenen Mitteln finanzieren konnte, muß er in der Folgezeit auf die sonst erwirtschafteten Erträge aus dem Abfindungsbetrag verzichten. Wie schwer die Abfindung den Verpflichteten belastet, hängt von seiner übrigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab. Auch kann der Zeitpunkt eine Rolle spielen, zu dem die Abfindung gezahlt wurde. Die Belastung wird um so stärker sein, je näher der Zeitpunkt an dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben liegt. Des weiteren kann von Bedeutung sein, ob der Verpflichtete die Abfindung in einem Betrag oder in mehreren auf eine längere Zeit verteilten Raten zu leisten hat.

Die Entscheidung, ob bei der vergleichsweisen Ablösung der Unterhaltspflicht durch eine Abfindung § 5 Abs. 1 VAHRG eingreift, kann jedoch nicht von solchen Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht werden. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift eine pauschalierende Regelung getroffen, bei der es auf besondere Umstände des Einzelfalls nicht ankommen soll. So ist für die Anwendung des § 5 VAHRG nicht von Belang, in welcher Höhe der Berechtigte gegen den Verpflichteten einen Unterhaltsanspruch hat (BT-Drucks. 9/2296 S. 14) und ob dieser Anspruch in Verbindung mit der Kürzung der Rente beim Verpflichteten tatsächlich eine Beeinträchtigung seiner Lebensführung bewirkt. Entscheidend ist, daß bei dieser Fallgruppe solche Beeinträchtigungen eintreten können. Das aber ist auch bei der Fallgruppe denkbar, in der die Unterhaltsleistungen durch eine Abfindung ersetzt werden, und zwar nicht nur in Ausnahmefällen.

Demgemäß ist das Tatbestandsmerkmal des § 5 Abs. 1 VAHRG "gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat" so zu verstehen, daß es genügt, wenn der Berechtigte einen Unterhaltsanspruch hatte, und dieser nur deshalb nicht mehr besteht, weil er durch einen Anspruch auf eine Unterhaltsabfindung abgelöst wurde. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung kann es nicht darauf ankommen, ob und in welcher Weise der Unterhaltsanspruch bereits getilgt wurde, wenn der Anspruch ursprünglich bestanden hat (vgl. auch BSG aaO).

Allerdings wird nach § 5 Abs. 1 VAHRG die Versorgung des Verpflichteten nur "so lange" nicht gekürzt, wie dieser dem Berechtigten zum Unterhalt verpflichtet ist. Endet die Unterhaltsverpflichtung, fällt auch der Anspruch auf ungekürzte Versorgung weg. Von dieser zeitlichen Begrenzung wird der Anspruch des Verpflichteten auf ungekürzte Versorgung im Falle der Unterhaltsabfindung grundsätzlich nicht berührt. Die Parteien eines Abfindungsvergleichs gehen im allgemeinen von einer zeitlich unbegrenzten Unterhaltspflicht aus. Anders kann der Fall zu beurteilen sein, wenn dem Vergleich Anhaltspunkte zu entnehmen sind, die darauf schließen lassen, daß die Parteien bei der Bemessung der Abfindung eine zeitliche Grenze der Unterhaltspflicht berücksichtigt haben. Im vorliegenden Fall sind solche Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Die Parteien haben einen umfassenden Unterhaltsvergleich geschlossen, mit dem die geschiedene Ehefrau des Klägers für Vergangenheit und Zukunft, auch für den Fall der Not, auf Unterhalt verzichtet hat.

c) Von den sich ergebenden Nachzahlungen hat der Kläger aber nur Anspruch auf hälftige Auszahlung an ihn. Das folgt aus § 6 VAHRG, wonach sich aus § 5 VAHRG ergebende Nachzahlungen an den Verpflichteten und den Berechtigten je zur Hälfte zu leisten sind. Dies gilt auch dann, wenn der Ausgleichsberechtigte gegen den Verpflichteten keinen Anspruch auf den Auszahlungsbetrag hat - etwa weil der Verpflichtete den auch unter Berücksichtigung der höheren Rente zustehenden Unterhaltsbetrag bereits gezahlt hat (ebenso BSG aaO). Auch § 6 VAHRG ist eine pauschalierende Regelung. Durch sie soll vermieden werden, daß die Versorgungsträger zu prüfen haben, welche finanziellen Auswirkungen durch die vorausgegangene Kürzung der Versorgung im einzelnen entstanden sind (vgl. BSG, SozR 3-5795 § 6 VAHRG Nr. 2 S. 10). Dem Ausgleichsverpflichteten steht es allerdings frei, dem Versorgungsträger eine Erklärung - hier der Berechtigten - vorzulegen, aus der sich deren Einverständnis zur Auszahlung der vollen Nachzahlung an den Verpflichteten ergibt.

Der Kläger hat danach für die Zeit von Dezember 1991 bis August 1992 nur einen Nachzahlungsanspruch von 872,37 DM. Auch für die seit September 1992 aufgelaufenen Nachzahlungsansprüche kann der Kläger nur die Hälfte des Betrages verlangen. § 6 VAHRG erfaßt auch Nachzahlungen, die sich erst durch die Dauer des Rentenverfahrens einschließlich der prozessualen Geltendmachung der Rente ergeben (BSG, Urteil vom 8.12.1993 aaO m.w.N.).

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