Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

§ 102 SGG: Klagerücknahme

Änderungsdienst
veröffentlicht am

25.01.2021

Änderung

Neu aufgenommen

Dokumentdaten
Stand19.01.2021
Erstellungsgrundlage in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 in Kraft getreten am 01.04.2008
Rechtsgrundlage

§ 102 SGG

Version001.00

Inhalt der Regelung

§ 102 SGG regelt mit

  • Absatz 1 die Rücknahme der Klage durch den Kläger (siehe Abschnitt 2),
  • Absatz 2 die Fiktion der Klagerücknahme (siehe Abschnitt 3) und
  • Absatz 3 die Einstellung des sozialgerichtlichen Verfahrens in den Fällen der Absätze 1 und 2 durch Beschluss (siehe Abschnitt 4).

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

§ 119 BGBAnfechtbarkeit wegen Irrtums
§ 133 BGBAuslegung einer Willenserklärung
§ 122 SGGSitzungsprotokoll
§ 183 SGGKostenfreiheit des Verfahrens
§ 193 SGGEntscheidung über Kostenerstattung
§ 197a SGGAnwendung des Gerichtskostengesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung
§ 202 SGGEntsprechende Anwendung des GVG und der ZPO
§ 155 VwGOTeilung der Kosten
§ 161 VwGOEntscheidung über Kosten; Erledigung der Hauptsache; Erledigungserklärung
§ 91a ZPOKosten bei Erledigung der Hauptsache
§ 160 ZPOInhalt des Protokolls
§ 269 ZPOKlagerücknahme

Klagerücknahme

Die Klagerücknahme (siehe Abschnitt 2.1) ist als freie Entscheidung Ausfluss der klägerischen Dispositionsmaxime. Statt einer Klagerücknahme kann auch eine Erledigungserklärung abgegeben werden (siehe Abschnitt 2.2).

Klagerücknahme als Prozesserklärung nach Absatz 1

Die Klagerücknahme ist eine einseitige bedingungsfeindliche Prozesserklärung.

Bei der Auslegung einer Klagerücknahme ist § 133 BGB heranzuziehen, damit das wirklich Gewollte bestimmt werden kann (BSG vom 25.10.2012, AZ: B 9 SB 70/11 B, juris Rn. 7). Dabei sind das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und das Rechtsstaatsprinzip zu beachten (BSG vom 25.10.2012, AZ: B 9 SB 70/11 B, juris Rn. 7; BSG vom 15.08.2018, AZ: B 13 R 66/18 B, juris, Rn. 11).

Die Klagerücknahme erfolgt ausschließlich als

  • schriftliche Erklärung gegenüber dem Sozialgericht,
  • zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts (§ 202 S. 1 SGG in Verbindung mit § 269 Abs. 2 S. 1 und 2 ZPO) oder
  • zu Protokoll im Termin vor dem Sozialgericht (§ 122 SGG in Verbindung mit § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO).

Eine Erklärung gegenüber dem Beklagten entfaltet keine Wirkung.

Die Klagerücknahme ist unwiderruflich (BSG vom 17.12.2015, AZ: B 2 U 150/15 B, juris Rn. 14). Sie kann nicht wegen Irrtums nach oder analog den §§ 119 ff. BGB angefochten werden (BSG vom 13.07.2017, AZ: B 8 SO 1/16 R, juris Rn. 15).

Die Klagerücknahme ist von der Klageerhebung (§¿269 Abs.¿3 S.¿3 letzter Hs. ZPO) bis zur Rechtskraft des Urteils möglich (BSG vom 01.07.2010, AZ: B 13 R 58/09 R, juris Rn. 36).

Mit der Klagerücknahme erledigt sich der Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs. 1 S. 2 SGG).

Durch die Klagerücknahme verlieren die bis dahin ergangenen Gerichtsentscheidungen ihre Wirkung, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (§ 202 S. 1 SGG in Verbindung mit § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO; BSG vom 01.07.2010, AZ: B 13 R 58/09 R, juris Rn. 36).

Mit der Klagerücknahme werden die angefochtenen Bescheide (§ 95 SGG) ebenso wie die streitgegenständlichen Bescheide (§ 96 Abs. 1 SGG) bestandskräftig (siehe GRA zu § 77 SGG, Abschnitt 2).

Klagerücknahme als Erledigungserklärung

Das 6. SGGÄndG hat die übereinstimmende und einseitige klägerische Erledigungserklärung zum 02.01.2002 als Rechtsinstitute in das sozialgerichtliche Verfahren eingeführt. Wird statt einer Klagerücknahme eine derartige Erledigungserklärung abgegeben, so ist zu unterscheiden zwischen den

In den kostenprivilegierten Verfahren (§ 183 SGG) ist eine einseitige Erledigungserklärung als Klagerücknahme zu behandeln, weil an die Unterscheidung zwischen Erledigungserklärung und Klagerücknahme keine Kostenfolge gebunden ist; vielmehr bedarf es in beiden Fällen auf Antrag einer Kostenentscheidung nach § 102 Abs. 3 SGG (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 102 SGG (Stand: 16.11.2020), Rn. 30).

In gerichtskostenpflichtigen Verfahren gilt etwas anderes, weil hier eine Klagerücknahme zwingend zur Kostentragung des Klägers führt (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO), nicht jedoch eine Erledigungserklärung. Eine einseitige Erledigungserklärung kann daher in gerichtskostenpflichtigen Verfahren nicht als Klagerücknahme behandelt werden.

Die (einseitige) Erledigungserklärung des Klägers führt daher nur dann zur Erledigung des Rechtsstreites, wenn der Beklagte

  • der Erledigungserklärung des Klägers (zumindest konkludent) zustimmt (beidseitige Erledigungserklärung) oder
  • der Erledigungserklärung nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes des Klägers widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen wird (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 161 Abs. 2 S. 2 VwGO).

Das Gericht entscheidet dann nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO), (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 102 SGG (Stand: 16.11.2020), Rn. 31).

Klagerücknahmefiktion nach Abs. 2

Die Klagerücknahmefiktion dient der Vereinfachung und Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens. Sie ist bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geeignet, die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten (BSG vom 04.04.2017, AZ: B 4 AS 2/16 R, Rn. 20 mit Hinweis auf BT-Drucksache16/7716 S 1 f, 12 ff).

Als Ausnahmevorschrift sind ihre Voraussetzungen jedoch eng auszulegen (BVerfG vom 17.09.2012, AZ: 1 BvR 2254/11, NVwZ 2013, 136, 138; BSG vom 01.07.2010, AZ: B 13 R 58/09 R, juris Rn. 42, 43).

Es bedarf deshalb einer deutlichen Betreibensaufforderung, versehen mit einer eindeutigen Rechtsfolgenbelehrung durch das Sozialgericht (BSG vom 01.07.2010, AZ: B 13 R 58/09 R, juris Rn. 49). Die Betreibensaufforderung des Kammervorsitzenden ist als prozessleitende Verfügung unanfechtbar (§ 172 Abs. 2 SGG).

Die Vermutung, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung weggefallen ist, verlangt vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG bestimmte am Einzelfall orientierte sachlich begründete Anhaltspunkte („begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses“, BT-Drucksache 16/7716).

Regelmäßig wird ein mangelndes Interesse, das etwa durch Verfahrensverschleppung, unkooperatives Verhalten oder Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Ausdruck kommt, nicht ausreichen. Das gilt auch für Nachlässigkeit oder Überforderung des Prozessbevollmächtigten.

§ 102 Abs. 2 SGG ist deshalb kein Mittel zur Sanktionierung eines Verstoßes gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder eines unkooperativen Verhaltens eines Beteiligten.

Mit Zugang der Betreibensaufforderung bei dem Kläger beginnt die Dreimonatsfrist. Die Fristberechnung orientiert sich an § 64 SGG. Die Dreimonatsfrist ist als gesetzliche Ausschlussfrist ausgestaltet, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG regelmäßig nicht statthaft ist.

Das vom Sozialgericht festzustellende Nichtbetreiben der Klage kann frühestens nach Ablauf der Dreimonatsfrist erfolgen.

Beschluss nach Abs. 3

Auf Antrag (§ 102 Abs. 3 S. 1 SGG) besteht in den Fällen der erklärten oder fiktiven Klagerücknahme die Option der Verfahrenseinstellung durch Beschluss.

Ein Einstellungsbeschluss ist deklaratorisch. Deklaratorisch meint, dass der Beschluss allein die Klagerücknahme feststellt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 102 Abs. 3 S. 2 SGG) und entscheidet zugleich über die Kosten des Verfahrens.

Streit über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme

Entsteht Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme setzt das Gericht das Verfahren auf Antrag eines der Beteiligten fort. Dies gilt auch, wenn das Gericht zuvor durch Beschluss die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt hat; zur Klarstellung ist der Beschluss aufzuheben (Roller in: Berchtold, SGG 2021, § 102 Rn. 14, beck-online).

Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444)

Inkrafttreten: 01.04.2008

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 16/7716 und 16/8217

Mit Artikel 1 Nummer 17 SGGArbGGÄndG ist § 102 SGG wie folgt geändert worden:

a) Die Sätze 1 und 2 werden Absatz 1.

b) Satz 3 wird aufgehoben.

c) Folgende Absätze 2 und 3 werden angefügt:

„(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren auf Antrag durch Beschluss ein und entscheidet über Kosten, soweit diese entstanden sind. Der Beschluss ist unanfechtbar."

Sechstes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144)

Inkrafttreten: 02.01.2002

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 14/5943 und 14/6335

Satz 1 ist dahingehend geändert worden, dass die Klagerücknahme bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig ist.

Zusatzinformationen

Rechtsgrundlage

§ 102 SGG