§ 100 SGB X: Auskunftspflicht des Arztes oder Angehörigen eines anderen Heilberufes
veröffentlicht am |
24.09.2022 |
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Änderung | Vollständig überarbeitet |
Stand | 21.07.2022 |
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Erstellungsgrundlage | in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.07.2017 in Kraft getreten am 25.05.2018 |
Rechtsgrundlage | |
Version | 004.00 |
- Inhalt der Regelung
- Allgemeines
- Auskunftsverpflichtung (Absatz 1)
- Auskunftsverweigerungsrecht (Absatz 2)
- Durchsetzen der Auskunftspflicht
Inhalt der Regelung
Ärztinnen/Ärzten und Angehörige anderer Heilberufe sind zur Auskunftserteilung gegenüber einem Sozialleistungsträger verpflichtet.
Die Voraussetzungen und den Umfang der zu erteilenden Auskünfte regelt § 100 Abs. 1 SGB X.
§ 100 Abs. 2 SGB X bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Auskunftsverweigerungsrecht besteht.
Ergänzende/korrespondierende Regelungen
§ 100 SGB X lässt eine Datenübermittlung unter anderem mit Einwilligung der Betroffenen zu. Art. 7 DSGVO in Verbindung mit § 67b SGB X konkretisiert die Anforderungen an eine Einwilligung.
§ 35 Abs. 2a SGB I weist darauf hin, dass die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, unberührt bleiben. Hinsichtlich der ärztlichen Schweigepflicht gilt zusätzlich § 203 StGB.
Die Auskunftspflicht besteht nur gegenüber den Leistungsträgern, die in § 12 SGB I definiert sind.
Allgemeines
§ 100 Abs. 1 SGB X bestimmt eine öffentlich-rechtliche Auskunftsverpflichtung der Ärzte/Ärztinnen und Angehörigen anderer Heilberufe. Er findet immer dann Anwendung, wenn spezialgesetzliche Vorschriften fehlen. Auch medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen werden vom Regelungsgegenstand des § 100 SGB X erfasst.
Auskunftsverpflichtung (Absatz 1)
Absatz 1 regelt, wer und unter welchen Voraussetzungen gegenüber einem Leistungsträger (§ 12 SGB I) zur Auskunft verpflichtet ist.
Auskunftspflichtige
Zur Auskunftserteilung nach § 100 Abs. 1 S. 1 SGB X sind verpflichtet:
- Ärztinnen/Ärzte - unabhängig von einem ”aktuellen Behandlungsverhältnis” -. Arzt/Ärztin im Sinn der Regelung ist, wer als solcher approbiert ist oder war.
- Angehörige eines anderen Heilberufs; dies sind im Sinne der Norm
- Krankenschwestern und -pfleger,
- Krankengymnastinnen/Krankengymnasten,
- Apothekerinnen/Apotheker
- Hebammen,
- medizinische Bademeisterinnen/Bademeister,
- Masseurinnen/Masseure
- medizinisch-technische Assistentinnen/Assistenten
- Logopädinnen/Logopäden,
- Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten,
- Ergotherapeutinnen/Ergotherapeuten und
- ähnliche Berufe, deren Ausübung der Verbesserung des medizinischen Leistungsvermögens dient und deren Ausübung eine staatlich genehmigte Ausbildung erfordert (vergleiche § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Nicht zu den Heilberufen im Sinne des § 100 Abs. 1 SGB X zählen Heilpraktikerinnen /Heilpraktiker und medizinische Hilfsberufe wie zum Beispiel Arzthelferinnen/Arzthelfer oder Zahntechnikerinnen/Zahntechniker.
Nach § 100 Abs. 1 S. 3 SGB X besteht eine Auskunftspflicht ebenfalls für Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. Die Auskunftspflicht betrifft lediglich die Institution, nicht einzelne Beschäftigte der Einrichtungen. Soweit die Mitarbeitenden des Krankenhauses, der Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung Ärzte/Ärztinnen sind oder einem anderen Heilberuf angehören, sind sie bereits nach § 100 Abs. 1 S. 1 SGB X zu Auskünften verpflichtet. Die Auskunftspflicht nach S. 3 ist durch die Personen zu erfüllen, die diese Einrichtungen als Organ kraft Gesetz oder aufgrund einer Vollmacht nach außen vertreten.
Nicht zur Auskunft Verpflichtete
Der in § 203 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 StGB genannte Personenkreis, zum Beispiel Diplompsychologinnen/Diplompsychologen, staatlich anerkannte Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter oder Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen und Beraterinnen/Berater für Suchtfragen, ist ebenfalls nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet.
- Hinweis zu Ärzten, die bei Sozialleistungsträgern beschäftigt sind
Die im Dienste eines Sozialleistungsträgers und seiner Einrichtungen stehenden Ärztinnen/Ärzte oder Angehörige eines anderen Heilberufs werden nicht von § 100 SGB X erfasst, da sie im Verhältnis zu diesem Sozialleistungsträger nicht „Dritte“ sind. Dieser Personenkreis ist aufgrund des bestehenden Dienstverhältnisses zur Weitergabe von Untersuchungsbefunden verpflichtet. Datenschutzrechtlich handelt es sich bei dieser Weitergabe nicht um eine Übermittlung, sondern um eine Nutzung im Sinne von nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO (GRA zu Art. 4 DSGVO).
Auskunftsberechtigte
Die Auskunftspflicht des § 100 SGB X gilt nur gegenüber den Leistungsträgern (Absatz 1 Satz 1). Welche Stellen dies sein können, ist in § 12 SGB I in Verbindung mit §§ 18 bis 29 SGB I geregelt.
Voraussetzungen der Auskunftspflicht
Voraussetzung ist stets ein Ersuchen („auf Verlangen“) im Einzelfall durch einen Leistungsträger. Eine besondere Form ist für das Auskunftsersuchen eines Sozialleistungsträgers nicht vorgeschrieben.
Beachte:
§ 100 SGB X bietet keine Ermächtigung, dass eine Ärztin/ein Arzt von sich aus tätig werden darf.
Die Auskunft muss zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe des Leistungsträgers nach dem SGB erforderlich sein. In dem Auskunftsersuchen muss die Aufgabe konkret benannt werden. Aufgaben der Rentenversicherung sind in diesem Zusammenhang insbesondere
- Entscheidungen über Leistungen zur Prävention, medizinischen Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Nachsorge, ergänzende Leistungen (§ 10 SGB VI) oder Erwerbsminderungsrenten (§ 43 SGB VI),
- Prüfen von Ansprüchen auf große Witwen-/Witwerrente wegen Erwerbsminderung (§ 46 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI),
- Prüfen des verlängerten Waisenrentenbezuges wegen Behinderung (§ 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. d SGB VI),
- Bearbeiten von Ersuchen der Grundsicherungsämter (§ 109a Abs. 2 SGB VI),
- Verfahren zur Entziehung einer Sozialleistung,
- Geltendmachung von Regressansprüchen nach § 116 SGB X.
Es ist so konkret wie möglich anzugeben, welche Daten für diese Aufgabenerfüllung benötigt werden.
Für eine zulässige Auskunftserteilung muss entweder eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage (Zulassung) (Abschnitt 3.4.1) oder eine Einwilligung der betroffenen Person (Abschnitt 3.4.2) vorliegen.
Gesetzliche Zulassung
Die Auskunftspflicht besteht, wenn dies durch Gesetze im formellen Sinne zugelassen ist. Verordnungen oder eine Satzung scheiden aus. Gesetzlich zugelassen ist gleichzusetzen mit dem befugten Offenbaren nach § 203 StGB.
Für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungsträger ist die Auskunftserteilung auf Grund von Regelungen im Vertragsarztrecht gesetzlich zugelassen.
Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen keine gesetzlichen Zulassungen im Sinne des § 100 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X zur Auskunftserteilung durch Ärztinnen/Ärzte oder Angehörige eines anderen Heilberufs.
Auskunftsersuchen der Rentenversicherungsträger dürfen daher nur dann zulässig beantwortet werden, wenn in den Ersuchen bestätigt wird, dass die betroffenen Personen in die Auskunftserteilung eingewilligt haben (Abschnitt 3.4.2).
Einwilligung der betroffenen Personen
Sofern keine gesetzliche Zulassung besteht (Abschnitt 3.4.1), ist Voraussetzung für ein Auskunftsersuchen immer die Einwilligung der betroffenen Person nach § 100 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB X.
Die Einwilligung wird im Regelfall im Rahmen des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I erfolgen. Insoweit sind die betroffenen Personen zur Mitwirkung bei der Aufklärung der medizinischen Umstände verpflichtet. Hierbei sind ”betroffene Personen” die Personen, auf deren gesundheitliche Verhältnisse sich die zu erteilende Auskunft beziehen muss.
Bei den Sozialleistungsträgern ist in diesem Zusammenhang die formularmäßige Einwilligung bei der Antragstellung der Regelfall. Die Einwilligung ist dann für das Verwaltungsverfahren bis zu dessen Abschluss erteilt.
Das Recht zur Einwilligung in die Auskunft über gesundheitsbezogene Sachverhalte ist ein höchstpersönliches Recht, das nur die betroffene Person selbst oder die gesetzlich Vertretenden und in besonderen Fällen der Betreuer/die Betreuerin ausüben kann, nicht jedoch Beauftragte oder Angehörige.
Die Einwilligung muss zu Nachweiszwecken grundsätzlich schriftlich oder in elektronischer Form erteilt werden. Die schriftliche Einwilligung ist vom Aussteller eigenhändig zu unterschreiben. Im Fall besonderer Umstände sind auch andere Formen der Einwilligung, zum Beispiel eine mündliche Einwilligung in protokollierter Form zulässig. Welche weiteren konkreten Anforderungen an eine wirksame Einwilligung zu stellen sind, kann der GRA zu Art. 7 DSGVO und der GRA zu § 67b SGB X entnommen werden.
Umfang der Auskunftspflicht
Die zu erteilende Auskunft ist auf Informationen und Einschätzungen mit Bezug auf die Gesundheit der betroffenen Person beschränkt. Der Umfang hat sich am Auskunftsersuchen der Leistungsträger zu orientieren, die in ihren Ersuchen konkret anzugeben haben, welche Daten sie im jeweiligen Einzelfall zur gesetzlichen Aufgabenerfüllung benötigen (Abschnitt 3.4).
Gegenstand der Auskunftsverpflichtung nach § 100 SGB X ist nur das Erteilen von Auskünften. Es besteht keine Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen oder zur Ermittlung von Sachverhalten, wenn die geforderten Auskünfte nicht verfügbar sind.
Auskunftsverweigerungsrecht (Absatz 2)
§ 100 Abs. 2 SGB X übernimmt § 65 Abs. 3 SGB I für die Auskunftspflichten der Ärztinnen/Ärzte. Er stellt klar, dass den Ärztinnen/Ärzten und Angehörigen eines anderen Heilberufs ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, sofern sie oder eine ihnen nahestehende Person durch die Auskunft der Gefahr einer Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit ausgesetzt würde. Dieses gesetzliche Auskunftsverweigerungsrecht beruht auf dem allgemein geltenden Grundsatz, dass niemand sich selbst oder eine ihm nahestehende Person einer strafbaren Handlung oder einer mit einem Bußgeld zu verfolgenden Ordnungswidrigkeit bezichtigen muss. Absatz 2 verweist - wie auch § 65 Abs. 3 SGB I - zum Begriff der nahe stehenden Person auf § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO. Danach gilt das Auskunftsverweigerungsrecht aus § 100 Abs. 2 SGB X für folgende Personen:
1. | Verlobte oder diejenigen, mit denen ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen; |
2. | Ehegattinnen/Ehegatten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; |
2a. | Lebenspartnerinnen/Lebenspartner, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht; |
3. | Personen, die in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren. |
Rechtlich umstritten ist, wie das Auskunftsverweigerungsrecht bei den nach § 100 Abs. 1 S. 3 SGB X auskunftspflichtigen Krankenhäusern, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen zu handhaben ist. Weil diese Institutionen mittels ihrer gesetzlichen Vertreterinnen/Vertreter handeln (Abschnitt 3.1), ist das Auskunftsverweigerungsrecht den Personen zuzubilligen, die für diese Institutionen nach außen die gesetzliche oder vertragliche Vertretungsbefugnis innehaben.
Durchsetzen der Auskunftspflicht
Die nach § 100 SGB X zu erteilenden Auskünfte sind, wie die nach den §§ 98 und 99 SGB X bestehenden Mitwirkungspflichten, echte Rechtspflichten („Auskunftspflicht“).
Im Falle nicht rechtmäßiger Auskunftsverweigerung eines Arztes bzw. Angehörigen eines anderen Heilberufes ist der gegebenenfalls notwendige Zwang den Gerichten vorbehalten. Der Rentenversicherungsträger kann im Rahmen der §§ 21, 22 SGB X das Sozialgericht oder Verwaltungsgericht um Vernehmung ersuchen.
Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.07.2017 (BGBI. I S. 2541) |
Inkrafttreten: 25.05.2018 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 18/12611 |
Durch Artikel 24 des Gesetzes wurden die bisherigen Regelungen beibehalten und lediglich redaktionell angepasst, insbesondere an die Begriffsbestimmungen aus Artikel 4 der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO). Die Anpassung erfolgte aufgrund der zum 24.05.2016 in Kraft getretenen DSGVO, die ab dem 25.05.2018 in jedem EU-Mitgliedstaat unmittelbar gilt.
Absatz 1 Satz 2 wurde überarbeitet und an die Vorgaben in Art. 7 DSGVO angepasst.
GRG vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2477) |
Inkrafttreten: 01.01.1989 Quelle zum Entwurf: BT-Drucksache 11/2493 |
Die Worte „Kur- und Spezialeinrichtungen“ wurden ersetzt durch „Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen“.
SGB X - Art. II - Übergangs- und Schlussvorschriften sowie Änderung von weiteren Gesetzen vom 04.11.1982 (BGBl. I S. 1450) |
Inkrafttreten: 01.07.1983 Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 9/95 und 9/1753 |