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§ 20 SGB X: Untersuchungsgrundsatz

Änderungsdienst
veröffentlicht am

12.11.2019

Änderung

Die GRA wurde mit dem Regioanalträger abgestimmt. Die Abschnitte 1, 3 bis 5, 7 und 8 wurden überarbeitet.

Dokumentdaten
Stand07.09.2016
Erstellungsgrundlage in der Fassung des SGB X vom 18.08.1980 in Kraft getreten am 01.01.1981
Rechtsgrundlage

§ 20 SGB X

Version001.01

Inhalt der Regelung

§ 20 SGB X normiert den Untersuchungsgrundsatz im Sozialverwaltungsverfahren.

Absatz 1 der Vorschrift schreibt das Amtsermittlungsprinzip für das Verfahren nach dem SGB X fest. Danach ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt dabei im eigenen Ermessen Art und Umfang der für die Erzielung eines sachgerechten Ergebnisses notwendigen Ermittlungen, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Die Behörde ist somit ”Herrin des Verfahrens”, solange dieses betrieben wird, sei es von Amts wegen oder auf Antrag durch die Beteiligten.

Der Untersuchungsgrundsatz beruht auf dem besonderen öffentlichen Interesse an der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung und insbesondere auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Im Verwaltungsverfahren entspricht der Amtsermittlungsgrundsatz den rechtsstaatlichen Erfordernissen am besten, da die richtige Entscheidung in der Regel eine vollständige und zutreffende Aufklärung des Sachverhalts voraussetzt.

Absatz 2 ergänzt den Untersuchungsgrundsatz ausdrücklich dahingehend, dass alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen sind, auch die für die Beteiligten günstigen.

Absatz 3 der Vorschrift enthält das Verbot an die Behörde, die Annahme von Erklärungen und Anträgen zu verweigern, weil sie sie für unzulässig oder unbegründet hält.

Ergänzende/korrespondierende Regelungen

§ 21 SGB X ergänzt und sichert den in § 20 SGB X festgelegten Untersuchungsgrundsatz

§ 23 SGB X beschreibt das reduzierte Beweismaß der Glaubhaftmachung

§ 67a Abs. 2 SGB X bestimmt die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Erhebung von Sozialdaten im Bereich der Sozialverwaltung (Ersterhebungsgrundsatz)

§§ 60 bis 64 SGB I legen dem Berechtigten, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, bestimmte Mitwirkungspflichten auf

§ 65 SGB I regelt die Grenzen der Mitwirkung

§ 18c Abs. 1 SGB IV bezieht sich auf den Nachweis des zu berücksichtigenden Einkommens bei Renten wegen Todes

§ 18e Abs. 2 SGB IV regelt die Mitteilungspflicht für Bezieher von Arbeitseinkommen

§ 28o Abs. 2 SGB IV regelt Auskunfts- und Vorlagepflichten des Arbeitnehmers gegenüber den zuständigen Versicherungsträgern auf deren Verlangen

§ 196 Abs. 1 SGB VI enthält Voraussetzungen und Inhalt der Auskunfts-, Mitteilungs- und Vorlagepflichten für Personen, für die keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Rahmen des Beitragseinzugsverfahrens zu entrichten sind

§ 190a SGB VI bezieht sich auf die Meldepflicht von versicherungspflichtigen Selbständigen

§ 149 Abs. 4 SGB VI regelt die Mitwirkungspflicht des Versicherten bei der Klärung seines Versicherungskontos

§ 1758 BGB enthält ein Ausforschungsverbot in Bezug auf eine Annahme als Kind (Adoption) und ihre Umstände

Allgemeines

In der gesetzlichen Rentenversicherung, die Teil der Leistungsverwaltung ist, wird eine Sachverhaltsermittlung in aller Regel deswegen erforderlich, weil im Rahmen des durch einen Antrag eingeleiteten Verwaltungsverfahrens geprüft werden muss, ob die Beteiligten (im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB X) die für die begehrte Leistung nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen. Diese Prüfung ist erforderlich, weil in der Leistungsverwaltung der Vorrang des Gesetzes gilt mit der Folge, dass entscheidungserhebliche Tatsachen zu ermitteln sind.

Umgekehrt ist auch vom Rentenversicherungsträger über Eingriffe zu Lasten der Beteiligten zu entscheiden (zum Beispiel im Rahmen der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach Maßgabe des § 45 SGB X, bei Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 bis 3 SGB X oder bei der Erhebung von Rentenversicherungsbeiträgen). Dass die in den jeweiligen Eingriffsermächtigungen vorausgesetzten Sachverhalte nicht ohne nähere Ermittlung vom Rentenversicherungsträger als wahr unterstellt werden dürfen, ergibt sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

Das Erfordernis der Sachverhaltsermittlung dient also der Vermeidung willkürlicher Entscheidungen sowohl zulasten als auch zugunsten der Bürger.

Untersuchungsgrundsatz

Wichtigstes Merkmal des Untersuchungsgrundsatzes sind die eigenen Ermittlungen durch die Behörde und nicht durch Beteiligte. Dabei ist sie an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Zur Klarstellung bestimmt § 20 Abs. 2 SGB X die Berücksichtigung aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände. Zu deren Kenntnis sind alle entscheidungserheblichen Umstände aufzuklären, unabhängig davon, ob Beteiligte sie behauptet haben.

Mit der Verpflichtung zur Ermittlung werden nicht die Beteiligten belastet, sondern der Rentenversicherungsträger als Behörde im Sinne des § 1 Abs. 2 SGB X. Hierin besteht der wesentliche Unterschied zwischen dem Untersuchungsgrundsatz (auch als Offizialmaxime oder Amtsermittlungsgrundsatz bezeichnet) und dem Beibringungsgrundsatz, der den Beteiligten die Obliegenheit auferlegt, die erforderlichen Sachverhaltsbehauptungen und Belege der zur Entscheidung aufgerufenen Stelle vorzulegen, da anderenfalls die begehrte Entscheidung nicht bewirkt werden kann.

Insgesamt erweist sich der Untersuchungsgrundsatz damit als bürgerfreundlich. Er wird im Verwaltungsverfahren ergänzt durch § 9 Satz 2 SGB X, demzufolge das Verwaltungsverfahren „einfach und zweckmäßig durchzuführen“ ist.

In den GRAen zu den spezialgesetzlichen Regelungen (zum Beispiel GRA zu § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI - Anrechnungszeiten Arbeitslosigkeit ) ist geregelt, welches „Beweismaß“ (zum Beispiel Nachweis) für die jeweils entscheidungserhebliche Tatsache gilt und welches „Beweismittel“ geeignet ist, den Wahrheitsgehalt dieser Tatsache zu belegen.

Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung

Beim Amtsermittlungsgrundsatz richten sich Art und Umfang der Ermittlung aller entscheidungserheblichen Tatsachen ausschließlich nach dem Verfahrensgegenstand. Das Ausmaß der Ermittlungen steht zwar im Ermessen der Behörde, richtet sich aber nach dem erforderlichen Beweismaß. Für Tatbestände oder Sachverhalte, die von niemandem bestritten werden und die sich nach dem Gesamtzusammenhang des Einzelfalles widerspruchsfrei darstellen, beschränkt sich die Ermittlungspflicht auf die Behebung eigener Zweifel. Der Behörde stehen die Beweismittel zur Verfügung, die nach § 21 SGB X in Frage kommen können.

Bei Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Danach müssen die Ermittlungen geeignet, erforderlich und angemessen sein im Hinblick auf Art, Umfang, Auswahl der Mittel, den Betroffenen und die Allgemeinheit möglichst gering zu belasten. Die Grundsätze der einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens sowie das Gebot, Leistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig zu erbringen (§ 9 Satz 2 SGB X und § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I), ist zu beachten.

Allerdings darf und muss die Behörde mit der vorhandenen Kapazität bei größtmöglicher Nähe zum Gesetz ihre Aufgaben möglichst ökonomisch erfüllen. So geht auch die Begründung zu § 24 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) - der dem § 20 SGB X wörtlich entspricht - davon aus, dass die Ermittlung des Sachverhalts aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes dort ihre Grenze findet, wo weitere Bemühungen im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar und zumutbar wären. In diesem Zusammenhang ist ferner § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X von Bedeutung, nach dem - im Falle der Zulässigkeit einer Glaubhaftmachung - als Beweismaß die überwiegende Wahrscheinlichkeit anstelle des Vollbeweises ausreicht.

Zur Sachverhaltsermittlung kann sich der Rentenversicherungsträger der Hilfe des zuständigen Versicherungsamtes bedienen. Auf Verlangen des Versicherungsträgers ist das zuständige Versicherungsamt im Sinne des § 92 SGB IV verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, Beweismittel beizufügen und sich, soweit erforderlich, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dies ergibt sich aus § 93 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Es ist in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt, ob er von der ihm darin eingeräumten Befugnis Gebrauch macht. Das Versicherungsamt darf das Ersuchen des Versicherungsträgers nicht ablehnen, ist jedoch andererseits an Anweisungen des Versicherungsträgers nicht gebunden, sondern bestimmt nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen, was zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist. Die Ermittlungen des Versicherungsamtes erstrecken sich auf alle Sachverhalte, die für das Ersuchen des Versicherungsträgers bedeutsam sind.

Beweislast

Bedeutsam für den/die Beteiligten und die Verwaltung ist die objektive Beweislast (materielle Beweislast oder Feststellungslast), wenn trotz Ausschöpfung aller Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen das Vorliegen bestimmter Tatsachen ungewiss geblieben ist. Die Folgen dieser Ungewissheit sind im Sozialgesetzbuch X nicht geregelt und daher nach allgemein geltenden Grundsätzen zu beantworten. Für die objektive Beweislast als materiell-rechtliche Frage gilt daher der Grundsatz, dass die Folgen einer misslungenen Beweiserhebung von demjenigen Beteiligten zu tragen sind, der hieraus einen Vorteil herleiten will (vergleiche BSG vom 24.04.1980, AZ: 1 RJ 54/79).

Der Beteiligte als Antragsteller muss die Nachteile der Beweislosigkeit anspruchsbegründender Tatsachen hinnehmen, der Beteiligte als Antragsgegener oder die Behörde die Nachteile der Beweislosigkeit rechtshindernder oder -aufhebender Tatsachen. So geht zum Beispiel die Ungewissheit über anspruchsbegründende Tatsachen bei Verfahren, die auf eine Sozialleistung abzielen, zu Lasten des Antragstellers, bei Verfahren, die auf eine Herabsetzung der Rentenhöhe abzielen, in der Regel zu Lasten des Sozialversicherungsträgers.

Die Grundsätze der objektiven Beweislast dürfen jedoch nicht zur Vernachlässigung der Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Beweiswürdigung führen.

Eine subjektive Beweislast (Beweisführungslast) haben die Beteiligten, auch wenn sie Antragsteller sind, nicht. Beteiligte als Antragsteller oder Leistungsbezieher haben nach §§ 60 bis 63 SGB I lediglich

  • Tatsachen anzugeben,
  • Auskünften durch Dritte zuzustimmen,
  • Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen,
  • Beweismittel zu bezeichnen, auf Verlangen vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen,
  • auf Verlangen persönlich zu erscheinen und
  • sich auf Verlangen einer Untersuchungsmaßnahme oder einer Heilbehandlung zu unterziehen.

Adressaten des Untersuchungsgrundsatzes

Die §§ 20 bis 23 SGB X benennen als Adressaten „die Behörde“. Welche Stellen beziehungsweise Personen innerhalb einer Behörde die entsprechenden Ermittlungen durchführen, ist im Gesetz nicht vorgegeben. Dies hängt vielmehr von der jeweiligen Behördenstruktur und -organisation ab. Bei den Rentenversicherungsträgern ist es die Sachbearbeitung (nicht andere Stellen wie zum Beispiel der Prüfer), die die konkrete Amtsermittlung durchführt. Die Sachbearbeitung ist es also auch, die in aller Regel die erforderlichen Beweismittel bestimmt und die Beweiswürdigung vornimmt.

Berücksichtigung aller Umstände (Absatz 2)

Absatz 2 ergänzt den Untersuchungsgrundsatz des Absatzes 1 dahingehend, dass die Behörde verpflichtet ist, alle - auch die für die Beteiligten günstigen - Umstände zu berücksichtigen. Das beinhaltet nicht etwa eine Verpflichtung der Sachbearbeitung, allen auch noch so entfernt liegenden Möglichkeiten nachzugehen. Vielmehr soll die Sachbearbeitung vor allem unparteiisch ermitteln.

Nach Abschluss der Sachverhaltsermittlung hat die Behörde aufgrund des Ermittlungsergebnisses in freier Beweiswürdigung zu entscheiden. Stehen unter Abwägung aller Umstände die maßgebenden Tatsachen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, kann von einem Nachweis ausgegangen werden (zur Glaubhaftmachung siehe § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Entgegennahme von Anträgen (Absatz 3)

Selbst wenn die Sachbearbeitung eines Rentenversicherungsträgers die von den Beteiligten eingereichten Erklärungen und Anträge im Einzelfall für unzulässig oder für unbegründet erachtet, so ist sie nach Absatz 3 gleichwohl gehindert, deren Entgegennahme zu verweigern. Die Sinnhaftigkeit von Anträgen oder Erklärungen der Beteiligten kann erst nach der Sachverhaltsaufklärung beurteilt werden.

Für die gesetzliche Rentenversicherung bedeutet die Regelung des Absatzes 3 in erster Linie, dass die den Antrag aufnehmende Stelle die Entgegennahme eines Rentenantrages nicht deshalb ablehnen darf, weil zum Beispiel die Wartezeit nicht erfüllt ist oder sonstige Voraussetzungen für einen geltend gemachten Anspruch offenbar nicht erfüllt sind.

Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885)

Inkrafttreten: 01.01.1990

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 11/7760

Nach dem Einigungsvertragsgesetz vom 23.09.1990 ist die Vorschrift in den neuen Bundesländern für den Bereich der Rentenversicherung ab 01.01.1991 anzuwenden.

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Verwaltungsverfahren vom 18.08.1980 (BGBl. I S. 1469, 2218)

Inkrafttreten: 01.01.1981

Quellen zum Entwurf: BT-Drucksache 7/910, Seite 48 f., 8/2034, Seite 32, BR-Drucksache 170/78, Seite 32

Mit dem SGB X ist die Vorschrift zum 01.01.1981 neu eingeführt worden. Eine Vorgängervorschrift existierte nicht. Sie stimmt wörtlich mit § 24 VwVfG überein.

Zusatzinformationen

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