Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

18 UF 181/14

Tenor

1.Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Reutlingen vom 25.06.2014, 2 F 1178/13, im Tenor unter Ziff. 2. aufgehoben und zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht - Familiengericht - Reutlingen zurückverwiesen.
2.Gerichtskosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
3.Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens: 1.000,00 €

Gründe

I.

Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Familiengericht die Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners geschieden und den Versorgungsausgleich zwischen den Beteiligten durchgeführt. Dabei wurden im Wege der internen Teilung jeweils Anrechte der Antragstellerin und des Antragsgegners in der gesetzlichen Rentenversicherung geteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Familiengerichts Bezug genommen. Es wurde des Weiteren festgehalten, dass die Antragstellerin möglicherweise über Rentenanwartschaften in Kasachstan verfüge. Diese stünden der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht entgegen. Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs wegen Unbilligkeit nach § 19 Abs. 3 VersAusglG komme nicht in Betracht. Eine Billigkeitsprüfung nach dieser Vorschrift wäre vorzunehmen, wenn einer der Ehegatten Entgeltpunkte abgeben müsse und im Gegenzug ein ausländisches Anrecht im schuldrechtlichen Versorgungsausgleich erst in der Leistungsphase bezahlt werden könne. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Beide Ehegatten hätten gleichermaßen in Kasachstan und in Deutschland gearbeitet. Beide seien nun im Rentenalter. Die Leistungsphase habe damit begonnen oder stehe unmittelbar bevor. Daher könne eine Unbilligkeit nicht festgestellt werden.

Gegen die Durchführung des Versorgungsausgleichs richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Dieser beantragt, den Beschluss des Familiengerichts zum Versorgungsausgleich aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht zurückzuverweisen. Das Familiengericht sei seiner Pflicht zur Amtsaufklärung nach § 26 FamFG nicht nachgekommen. Die Frage, ob die Antragstellerin Rentenanwartschaften in Kasachstan erworben habe, müsse aufgeklärt werden. Vor Übersiedlung beider Eheleute nach Deutschland im Jahr 1994 habe die Antragstellerin über rund 20 Jahre hinweg rentenversicherungspflichtig in Kasachstan gearbeitet. Es sei unbillig, wenn der Antragsgegner von einer monatlichen Altersrente in Höhe von rund 800,00 € über den Versorgungsausgleich 200,00 € an die Antragstellerin abgeben müsse und im Gegenzug offenbleibe, ob die Antragstellerin weitere Rentenanwartschaften habe.

Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen. Sie führt aus, dass sie vor dem Umzug nach Deutschland etwa 5 Jahre in der heutigen Ukraine und etwa 20 Jahre im heutigen Kasachstan in unterschiedlichem Umfang gearbeitet habe. Dort erworbene Rentenansprüche seien aber laut von ihr selbst eingeholter Auskunft verfallen. Beim Antragsgegner seien erworbene Rentenansprüche von der Deutschen Rentenversicherung übernommen worden, während dies bei der Antragstellerin nicht der Fall gewesen sei. Wenn hierdurch der Antragsgegner höhere Ansprüche erworben habe, welche ausgeglichen würden, so sei dies im System des Versorgungsausgleichs angelegt und so hinzunehmen.

II.

Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet und führt nach Maßgabe der Entscheidungsformel zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit er den Versorgungsausgleich betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung.

Der Senat entscheidet hierüber gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung und weitere Anhörung der Beteiligten, weil der Sachverhalt ausreichend geklärt ist.

Der angegriffene Beschluss kann zum Versorgungsausgleich keinen Bestand haben, weil das Verfahren des Familiengerichts an einem wesentlichen Mangel leidet, für eine Entscheidung des Senats aufwändige Ermittlungen notwendig wären und der Antragsgegner die Zurückverweisung beantragt hat, § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG.

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Familiengericht verfahrensfehlerhaft nicht ermittelt hat, ob die Antragstellerin Rentenanwartschaften im Ausland erworben hat. Im Verfahren zur Regelung des Versorgungsausgleichs hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen vorzunehmen (§ 26 FamFG). Es stellt einen Verstoß gegen diesen Amtsermittlungsgrundsatz dar, wenn über Grund und Höhe der dem Versorgungsausgleich unterfallenden Anrechte keine oder keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden sind (OLG Saarbrücken, FamRZ 2011, 1735).

Das Familiengericht hätte ermitteln müssen, ob auf Seiten der Antragstellerin ausländische Anwartschaften bestehen. Die Antragstellerin hat unstreitig jahrelang rentenversicherungspflichtige Tätigkeiten in der damaligen UdSSR, auf dem heutigen Gebiet der Ukraine beziehungsweise Kasachstans, ausgeübt. Sie hat dies auch in ihrem Fragebogen zum Versorgungsausgleich - jedenfalls hinsichtlich einer Tätigkeit in einer Möbelfabrik in Kasachstan im Zeitraum 1971 bis 1994 - angegeben. Einen Nachweis darüber, dass entsprechende Anwartschaften ersatzlos verfallen sein sollen, hat sie im Verfahren nicht vorgelegt. Die Frage, ob solche Anwartschaften bestehen, ist daher offen und aufklärungsbedürftig.

Der Umstand, dass ausländische Anrechte nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG nicht im Versorgungsausgleich ausgleichsreif wären, führt nicht dazu, dass von einer Aufklärung im Hinblick auf solche Anrechte abgesehen werden könnte. Denn im Falle des Bestehens ausländischer Anrechte ist nach § 19 Abs. 3 VersAusglG zu prüfen, ob die Durchführung des Versorgungsausgleichs im Übrigen für den anderen Ehegatten unbillig wäre. Eine solche Prüfung ist insbesondere dann geboten, wenn ein Ehegatte nur ausgleichsreife inländische Anrechte erworben hat und durch die Teilung dieser Anrechte Versorgungsanwartschaften verlöre, gleichzeitig aber hinsichtlich der Teilhabe an etwaigen ausländischen Anrechten des anderen Ehegatten nach § 19 Abs. 4 VersAusglG auf die schwächeren schuldrechtlichen Ausgleichsansprüche nach der Scheidung verwiesen wäre.

Im vorliegenden Fall läge für den Fall, dass die Antragstellerin tatsächlich über weitere ausländische Anwartschaften verfügen sollte, eine solche Unbilligkeit zunächst schon deshalb auf der Hand, weil die Eheleute hinsichtlich ihrer Arbeitstätigkeit in Kasachstan nach dem deutschen Rentenrecht unterschiedlich behandelt werden. Während beim Antragsgegner die Zeiten in Kasachstan rentenrechtlich in der deutschen Rentenversicherung angerechnet und berücksichtigt werden und zu einer höheren Versorgung führen, ist dies bei der Antragstellerin nach der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung … vom 14.05.2014 (Sonderheft Versorgungsausgleich, Bl. 41) gerade nicht der Fall. Ihre in Kasachstan zurückgelegten Zeiten können nicht anerkannt werden, da sie nur Ehegatte eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes sei, nicht jedoch - wie der Antragsgegner - selber den Status eines Spätaussiedlers habe.

Sollten demnach Anrechte der Antragstellerin in Kasachstan bestehen, so wäre es unbillig, wenn der Antragsgegner seine auf die deutsche Rentenversicherung übertragenen Anrechte hälftig teilen müsste, während ein Ausgleich der Anrechte der Antragstellerin in Kasachstan unterbliebe. Zwar hätte der Antragsgegner in solch einem Fall einen Anspruch auf Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs nach den §§ 20 ff. VersAusglG. Dieser Anspruch setzt aber voraus, dass die Antragstellerin ihre Rentenansprüche gegenüber Kasachstan tatsächlich geltend macht. Der Antragsgegner könnte insoweit allenfalls die Antragstellerin gemäß § 4 VersAusglG unmittelbar auf Auskunftserteilung im Hinblick auf etwaige Versorgungsansprüche in Anspruch nehmen. Zur Inanspruchnahme der möglichen Rente kann er die Antragstellerin indes nicht zwingen. Ausgleichsansprüche nach der Scheidung gemäß § 20 VersAusglG kommen nicht in Betracht, wenn die ausgleichspflichtige Person die Realisierung ihres materiell-rechtlichen Versorgungsanspruchs unterlässt (vgl. Johannsen/Henrich-Holzwarth, Familienrecht, § 20 VersAusglG Rn. 14).

Zwar hat das Familiengericht zutreffend festgestellt, dass beide Eheleute bereits im Rentenalter und insoweit rentenbezugsberechtigt sind. In solch einem Fall kann in der Regel eine Billigkeitsprüfung nach § 19 Abs. 3 VersAusglG unterbleiben. Denn die Vorschrift will in erster Linie vermeiden, dass ein Ehegatte seine inländischen Anrechte sofort teilen muss und bei früherem Renteneintritt eine Beeinträchtigung seiner Altersversorgung in Kauf nehmen muss, während es über einen längeren Zeitraum ungewiss sein kann, ob ein schuldrechtlicher Versorgungsausgleich hinsichtlich der ausländischen Anrechte des anderen Ehegatten erfolgen wird. Diese Konfliktsituation besteht bei bereits eingetretenem beiderseitigen Rentenbezug nicht. Dennoch kann im vorliegenden Fall - wenn tatsächlich ausländische Anrechte bestehen sollten - eine Billigkeitsprüfung nach § 19 Abs. 3 VersAusglG in Betracht zu ziehen sein wegen des oben genannten Gesichtspunkts, dass ein möglicherweise bestehendes Anrecht auf Seiten der Antragstellerin nicht in Anspruch genommen wird. Um dies beurteilen zu können, ist zunächst das Bestehen des ausländischen Anrechts aufzuklären.

Nachdem das Familiengericht unter Verstoß gegen diese Grundsätze keine Ermittlungen zu Grund und Höhe der in Rede stehenden Anrechte der Antragstellerin angestellt hat, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur Nachholung der notwendigen Ermittlungen und erneuten Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Familiengericht zurückzuverweisen.

Die Nichterhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 FamGKG.

Zusatzinformationen