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1 C 2/84

Tatbestand

Der Kläger, ein gelernter Kraftfahrzeugschlosser, betreibt eine Selbstbedienungstankstelle mit zwei Zapfsäulen und einen Gebrauchtwagenhandel. In seinem Betrieb sind außer ihm ganztägig zwei Hilfskräfte beschäftigt. Nachdem festgestellt worden war, daß er auch zum Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk gehörende Reparaturarbeiten (Erneuerung von Stoßdämpfern, Kotflügeln, Einbau einer neuen Kupplung, Austausch eines Motors) ausgeführt hatte, untersagte ihm die Beklagte die Fortsetzung des Betriebs des Kraftfahrzeugmechanikerhandwerks.

Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage, mit der der Kläger geltend machte, der Reparaturbetrieb überschreite weder dem Umsatz noch der Arbeitszeit nach die gesetzliche Unerheblichkeitsgrenze und seine beiden Hilfskräfte seien nur zu einem geringen Teil ihrer Arbeitszeit mit Kraftfahrzeugreparaturen beschäftigt, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kraftfahrzeugreparaturbetrieb des Klägers sei kein handwerklicher Nebenbetrieb der Tankstelle, sondern ein selbständiger Betrieb des Kraftfahrzeugmechanikerhandwerks. Da der Kläger die Voraussetzungen für seine Eintragung in die Handwerksrolle nicht erfülle, sei die Untersagungsverfügung rechtmäßig. Ein handwerklicher Nebenbetrieb setze voraus, daß zwischen ihm und dem Hauptbetrieb nicht nur wirtschaftlich und organisatorisch, sondern auch in fachlicher Hinsicht eine Verbindung bestehe, wobei dem Nebenbetrieb nur eine untergeordnete, dienende Funktion zukomme. Das Schwergewicht der Verbundenheit müsse auf fachlichem Gebiet liegen. Andernfalls könnte durch wirtschaftliche und organisatorische Einbeziehung eines Handwerksbetriebs in ein bestehendes Unternehmen jedes beliebige Handwerk unter Umgehung tragender Grundsätze des Handwerksrechts ausgeübt werden. Der Handwerksbetrieb müsse daher gerade in fachlicher Hinsicht um der unternehmerischen Zweckbestimmung des Hauptbetriebs willen geführt werden. Dies sei unter Anlegung eines strengen Maßstabes allein nach objektiven Kriterien zu beurteilen und setze voraus, daß aus der Art des Hauptbetriebs, aus seiner fachlichen Leistung unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung ein echtes Bedürfnis für die Angliederung eines handwerklichen Nebenbetriebs bestehe. Es müsse sich in fachlicher Hinsicht gleichsam aufdrängen, das Betriebsprogramm des Hauptunternehmens durch den handwerklichen Nebenbetrieb zu ergänzen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Der Betrieb einer Tankstelle erfahre durch die Verbindung einer Kraftfahrzeugreparaturwerkstätte vom fachlichen Standpunkt aus nicht eine durch die eigenen Arbeitsabläufe vorgegebene Ergänzung, sondern werde durch einen Betrieb erweitert, der auf ein ganz anderes Arbeitsergebnis abziele. Eine Tankstelle sei im wesentlichen darauf gerichtet, die zur Aufrechterhaltung des laufenden Fahrbetriebs und zur Werterhaltung notwendigen Leistungen an Kraftfahrzeugen zu erbringen; das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk sei dadurch gekennzeichnet, daß durch Reparaturen die Verkehrsfähigkeit der Fahrzeuge erst wieder hergestellt werden solle. Angesichts dieser qualitativ anders ausgerichteten Zielsetzungen komme der Tätigkeit des Kraftfahrzeugmechanikers im Verhältnis zu den Dienstleistungen des Tankwarts in fachlicher Hinsicht keine nur untergeordnete Funktion zu. Bei der teilweisen Überschneidung beider Berufsbilder handele es sich nur um unwesentliche Berührungspunkte zweier auf verschiedene Arbeitsergebnisse ausgerichteter Tätigkeitsbereiche. Dieses Ergebnis werde bestätigt durch die wirtschaftlich-unternehmerische Bedeutung des einer Tankstelle angegliederten Kraftfahrzeugreparaturbetriebs. Angesichts der Tatsache, daß der Kunde die Dienstleistungen der Tankstelle ihrer Natur nach regelmäßig in Anspruch nehmen müsse, während er auf die Reparaturwerkstätte nur im Falle von Betriebsstörungen angewiesen sei, könne nicht davon gesprochen werden, daß der Reparaturbetrieb dem unternehmerischen Zweck der Tankstelle diene. Vielmehr sei gerade der Tankstellenbetrieb dazu bestimmt, den Umsatz des Handwerksbetriebs zu fördern, indem er diesem seine eigene Kundschaft zuführe. Dagegen könne nicht ernstlich angenommen werden, daß die Tankstelle maßgeblich deswegen benutzt werde, weil sich dort auch ein Reparaturbetrieb befinde.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsurteil lege die vom Gesetz geforderte Verbundenheit zwischen Haupt- und Nebenbetrieb zu eng aus. Die angefochtenen Bescheide seien aber auch deshalb rechtswidrig, weil sie keine Ermessenserwägungen erkennen ließen.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Dezember 1981 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 10. November 1980 zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Berufungsurteil und beantragen,

  • die Revision zurückzuweisen.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren.

Entscheidungsgründe

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

1. Der Auffassung der Revision, die angefochtenen Verwaltungsakte seien schon wegen Nichtausübung des Ermessens, Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot rechtswidrig, kann allerdings nicht gefolgt werden.

Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO kann die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs eines Handwerks, der entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes ausgeübt wird, untersagen. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung im konkreten Fall vor, so entspricht es dem Sinn und Zweck des § 1 HwO, in aller Regel die unerlaubte Berufsausübung zu untersagen. Der Umstand, daß der für die Rechtmäßigkeit der Untersagung maßgebliche Widerspruchsbescheid der Beklagten sich entsprechend dem Vorbringen des Klägers lediglich zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO äußert, rechtfertigt nicht die Schlußfolgerung, die Beklagte habe diese Vorschrift nicht als Ermessensvorschrift angewandt. Die Untersagungsverfügung ist weder unbestimmt noch unverhältnismäßig. Sie ist hinreichend bestimmt, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts aus der Sicht des Kraftfahrzeugmechanikerhandwerks der Bereich, in dem sich die in Rede stehenden Gewerbe überschneiden, eine nur unbedeutende, der Handwerksordnung nicht unterfallende Tätigkeit umfaßt, so daß die Verfügung keinen berechtigten Zweifel darüber aufkommen läßt, welche Tätigkeit der Kläger weiterhin ausüben darf und welche ihm untersagt ist. Die geltend gemachte Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme liegt deswegen nicht vor, weil nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO die Tatsache, daß der Kläger die Gesellenprüfung im Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk abgelegt hat, der Untersagung einer unerlaubten selbständigen Ausübung dieses Handwerks nicht entgegensteht und dem Kläger, wenn er ein Handwerk entgegen den gesetzlichen Vorschriften betrieb, nicht zunächst Zeit gelassen werden mußte, die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle zu erfüllen.

2. Die Revision hat dagegen Erfolg, soweit sie sich gegen die dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Auslegung des § 2 Nr. 3 HwO wendet.

Nach § 2 Nr. 3 HwO gelten die Vorschriften dieses Gesetzes auch für handwerkliche Nebenbetriebe, die mit einem Unternehmen des Handwerks, der Industrie, des Handels, der Landwirtschaft oder sonstiger Wirtschafts- und Berufszweige verbunden sind. Ein solcher Betrieb liegt nach § 3 Abs. 1 HwO u.a. vor, wenn in ihm Leistungen für Dritte handwerksmäßig bewirkt werden, es sei denn, daß diese Tätigkeit nur in unerheblichem Umfange (§ 3 Abs. 2 HwO ) ausgeübt wird, oder daß es sich um einen Hilfsbetrieb (§ 3 Abs. 3 HwO) handelt. Zu Recht vertritt das Berufungsgericht aufgrund seiner Feststellungen, daß der Kläger wesentliche Arbeiten des Kraftfahrzeugmechanikerhandwerks verrichtet und mit diesem Handwerk nicht in der Handwerksrolle eingetragen ist, die Auffassung, daß der Kläger dieses Gewerbe nur betreiben darf, wenn insoweit ein handwerklicher Nebenbetrieb im Sinne der §§ 2 Nr. 3, 3 Abs. 1 und 2 HwO vorliegt. Dies setzt voraus, daß die Reparaturwerkstatt mit der Tankstelle (oder dem Gebrauchtwagenhandel) als dem Hauptbetrieb des Klägers verbunden und in ihrer Bedeutung den wirtschaftlich-unternehmerischen Zwecken der Tankstelle (oder des Gebrauchtwagenhandels) untergeordnet ist, diesen lediglich dient und mit den von ihr erbrachten Leistungen dazu beiträgt, die Wirtschaftlichkeit und den Gewinn des Hauptbetriebs zu steigern (BVerwGE 67, 273 (278 f.)).

a) Die Frage, ob in wirtschaftlicher Hinsicht das Schwergewicht des Unternehmens auf der Tankstelle oder dem Gebrauchtwagenhandel liegt, einer dieser Betriebe also der Hauptbetrieb des Kläger ist, läßt sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, das aus anderen Gründen die Reparaturwerkstatt nicht als handwerklichen Nebenbetrieb gewertet hat, nicht abschließend beurteilen. Der Zurückverweisung der Sache zu weiteren Feststellungen hierüber bedürfte es nicht, wenn der Auffassung des Berufungsgerichts, die Reparaturwerkstatt des Klägers sei mangels fachlicher Verbundenheit mit der Tankstelle (oder dem Gebrauchtwagenhandel) kein handwerklicher Nebenbetrieb, beizupflichten wäre. Jedoch ist auch die Beurteilung dieser Frage aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht möglich.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O. S. 279), an der der erkennende Senat festhält, ist die für das Vorliegen eines handwerklichen Nebenbetriebs erforderliche fachliche Verbundenheit hier gegeben, wenn die für Dritte bewirkten Leistungen der Reparaturwerkstatt vom wirtschaftlichen Standpunkt und vom Interesse des Kunden her gesehen eine sinnvolle Ergänzung und Erweiterung des Leistungsangebots der Tankstelle (oder des Gebrauchtwagenhandels) darstellen. Eine Ergänzung ist sinnvoll, wenn ein wechselseitiger Zusammenhang bei Inanspruchnahme der Leistungen der beiden Betriebe besteht. Wenn die Inanspruchnahme der Leistungen des einen Betriebs wirtschaftlich keine erheblichen Auswirkungen auf die Inanspruchnahme der Leistungen des anderen Betriebs hat, mögen zwar die Leistungen dieser Betriebe in bestimmter Hinsicht (etwa Branchenähnlichkeit oder Befriedigung ähnlicher oder gleichartiger Kundenwünsche) in fachlichem Zusammenhang miteinander stehen, damit liegt aber die erforderliche Verbundenheit der Betriebe noch nicht vor.

Der Standpunkt des Berufungsgerichts, der handwerkliche Nebenbetrieb sei dadurch gekennzeichnet, daß er gerade in fachlicher Hinsicht um der unternehmerischen Zweckbestimmung des Hauptbetriebs willen geführt werde, ist nicht zu beanstanden. Nicht zugestimmt werden kann den hieran anknüpfenden Ausführungen des Berufungsurteils darüber, daß dies sich im Einzelfall gleichsam aufdrängen müsse und in vorliegender Sache hiervon keine Rede sein könne, weil ein Tankstellenbetrieb durch die Verbindung mit einer Kraftfahrzeugwerkstatt vom fachlichen Standpunkt aus keine durch die eigenen Arbeitsabläufe vorgegebene Ergänzung erfahre, vielmehr durch einen zweiten Betrieb erweitert werde, der auf ein qualitativ ganz anderes Arbeitsergebnis abziele. Dieser Auffassung hält der Oberbundesanwalt - wie auch die Revision - zu Recht entgegen, sie führe tatsächlich dazu, daß in einem Haupt- und Nebenbetrieb nur weitgehend deckungsgleiche Tätigkeitsfelder ausgeübt werden könnten; ein Nebenbetrieb zeichne sich demgegenüber aber durch eine gewisse funktionelle Selbständigkeit aus. Der Gesamtbetrieb müsse auf etwas anderes gerichtet sein als die im Nebenbetrieb erbrachten handwerklichen Leistungen. Dies schließe eine zu weitgehende Übereinstimmung zwischen Produktionsvorgang und Arbeitserlaubnis im Haupt- und Nebenbetrieb aus. Das Berufungsgericht betrachtet die Frage der fachlichen Verbundenheit zu Unrecht im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt eines qualitativen Vergleichs der Arbeitsabläufe und -ergebnisse der beiden Betriebe, verlangt eine auch diesbezüglich untergeordnete, dienende Funktion des Nebenbetriebs und vernachlässigt damit die für den handwerklichen Nebenbetrieb erhebliche Berücksichtigung der Kunden- und Marktbedürfnisse.

Eine abschließende Beantwortung der Frage der fachlichen Verbundenheit der Tankstelle und Kraftfahrzeugwerkstatt des Klägers ist aufgrund der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht möglich. Aus der Sicht der Kunden könnte die Reparaturwerkstatt des Klägers das Betriebsprogramm seiner Tankstelle in fachlicher Hinsicht sinnvoll ergänzen etwa dann, wenn nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts dem Berufsbild des Tankwarts zuzuordnende Arbeiten in Auftrag gegeben werden, bei deren Ausführung eine Störung oder Schäden festgestellt werden, die sich leicht an Ort und Stelle beheben lassen. Dies gilt ferner, wenn im Falle einer noch unbekannten Störungsursache Arbeitsleistungen erforderlich werden können, die sowohl vom Berufsbild des Tankwarts als auch dem des Kraftfahrzeugmechanikers erfaßt werden. Für eine sinnvolle Ergänzung in fachlicher Hinsicht spräche auch der vom Oberbundesanwalt erwähnte Gesichtspunkt, daß diese Erweiterung des Betriebsprogramms um gewisse Reparaturleistungen es einer Tankstelle - bedingt durch deren konkrete Lage und Konkurrenzsituation - erleichtert, in verstärktem Umfang Stammkunden für ihr eigentliches Betriebsprogramm zu gewinnen. Hingegen bestünde keine fachliche Verbindung beider Betriebsteile, wenn und soweit der Kläger - ohne den beschriebenen Zusammenhang - gleichsam parallel zu seinem Tankstellenbetrieb - wie ein reiner Kraftfahrzeugreparaturbetrieb - allein dem Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk zuzuordnende Reparaturaufträge übernehmen sollte. In diese Richtung deuten teilweise die von der Beklagten bislang ermittelten fünf Fälle. Eine abschließende Beurteilung des Gesamtcharakters der Reparaturtätigkeit des Klägers lassen sie aber nicht zu: In zwei Fällen handelte es sich zudem um die Reparatur von Fahrzeugen, die der Kläger in Zahlung genommen hatte, wobei sich die von den Vorinstanzen bislang noch nicht geprüfte Frage nach der rechtlichen Einordnung dieser von der Untersagungsverfügung erfaßten Reparaturtätigkeit im Verhältnis zu dem Gebrauchtwagenhandel des Klägers stellt (vgl. Urteil vom 9. Mai 1986 - BVerwG 1 C 3.84 -).

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