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VIII C 361/59

Aus den Gründen

Der Antrag des Ehemanns der Kl. auf Ausstellung des Vertriebenenausweises B wurde abgelehnt. Er legte Beschw. ein, verstarb jedoch, bevor darüber entschieden war. Die zur Erbschaft berufenen Personen, darunter die Kl., schlugen die Erbschaft aus. Der Bevollmächtigte des verstorbenen Ehemannes stellte den Antrag, umgehend eine Entscheidung über die Beschwerde zu treffen und ihm diese zuzustellen. Gleichzeitig teilte er mit, daß er auch die Kl. vertrete; diese habe ein unmittelbares rechtliches Interesse an der Entscheidung über die Vertriebeneneigenschaft ihres Ehemannes. Die Beschwerde des verstorbenen Antragstellers wurde zurückgewiesen.

Die Klägerin erhob Klage und machte geltend, sie habe trotz Ausschlagung der Erbschaft Anspruch auf Kriegsschadenrente nach den §§ 261, 272 LAG, wenn ihr Ehemann Vertriebener gewesen sei. Sie werde deshalb durch die angefochtenen Bescheide, in denen ihrem Ehemann die Vertriebeneneigenschaft zu Unrecht abgesprochen worden sei, in ihren Rechten beeinträchtigt. Ein Anlaß für die Feststellung, daß den Hinterbliebenen keine Bescheinigung über die Vertriebeneneigenschaft des Verstorbenen erteilt werden könne, habe nicht bestanden; kein Hinterbliebener habe die Erteilung einer solchen Bescheinigung beantragt. Das VG gab der Klage statt. Die Berufung der bekl. Behörde wurde zurückgewiesen. Auf die Revision der Bekl. wurden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gegenstand der Klage ist der auf den Ausweisantrag des verstorbenen Ehemannes der Klägerin ergangene Ablehnungsbescheid der Beklagten in der Gestalt, die er durch den Beschwerdebescheid erhalten hat (vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 45; ferner die Fassung des § 79 Abs. 1 Ziff. 1 VwG0). Keinen Gegenstand des Rechtsstreits bildet dagegen die Verpflichtung der Bekl., der Kl. eine Bescheinigung über die Vertriebeneneigenschaft ihres verstorbenen Ehemannes zu erteilen. Ein solcher Anspruch ist mit der Klage nicht geltend gemacht worden. Ebensowenig verfolgt die Kl. mit der Klage den Anspruch ihres verstorbenen Ehemannes auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises. Sie hat selbst eingeräumt, daß ein solcher Ausweis wegen seiner höchstpersönlichen Natur weder einem Verstorbenen noch seinen Hinterbliebenen erteilt werden kann. Da die Kl. mit der Klage also keinen Verpflichtungsanspruch gegen die Bekl. verfolgt, sich vielmehr auf den Antrag beschränkt, den Ablehnungsbescheid der Bekl. und den dazu ergangenen Beschwerdebescheid aufzuheben, handelt es sich um eine Anfechtungsklage. Sie ist nach § 35 Abs. 1 VGG gegeben, wenn jemand behauptet, durch einen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

Die Kl. wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt in ihren Rechten nicht verletzt. Die Ehefrau eines Vertriebenen hat weder zu Lebzeiten ihres Ehemannes noch nach dessen Tode - unbeschadet der ihr aus §§ 261 Abs. 2, 272 Abs. 2 LAG zustehenden Rechte - einen Rechtsanspruch darauf, daß ihrem Ehemann ein Vertriebenenausweis erteilt oder seinem Antrage auf Ausstellung eines solchen Ausweises stattgegeben wird. Das folgt aus der höchstpersönlichen Natur des Antragsrechts, das die Vertriebeneneigenschaft des Antragstellers voraussetzt, und an diese gebunden ist. Höchstpersönliche Rechte haften ihrem Wesen nach an der Person ihres Trägers. Sie können weder durch Rechtsgeschäft unter Lebenden übertragen werden noch nach dem Tode des Rechtsträgers, sei es im Wege der Gesamt- oder sei es im Wege der Einzelrechtsnachfolge, auf dessen Rechtsnachfolger oder Dritte übergehen. Die durch die angefochtenen Verwaltungsakte ausgesprochene Versagung des Vertriebenenausweises betrifft daher kein Recht, das der Kl. zustand oder nach dem Tode des Ehemannes auf sie übergehen konnte.

Zur Begründung der Klage kann die Kl. aber auch nicht geltend machen, sie werde in der ihr durch §§ 261 Abs. 2, 272 Abs. 2 LAG eingeräumten Rechtsstellung beeinträchtigt. Nach § 261 Abs. 1 LAG wird Kriegsschadenrente unter den dort bezeichneten Voraussetzungen, u.a. auch zur Abgeltung von Vertriebenenschäden gewährt. Nach Abs. 2 Satz 1 der Bestimmung erhält nach dem Tode des Geschädigten auch dessen Ehefrau Kriegsschadenrente, sofern sie im Zeitpunkt des Todes nicht dauernd von ihm getrennt gelebt hat. Nach § 272 LAG wird Unterhaltshilfe auf Lebenszeit gewährt, wenn durch die Schädigung die Existenzgrundlage des Geschädigten auf die Dauer vernichtet worden ist. Bei Vermögensschäden wird die dauernde Vernichtung der Existenzgrundlage des Berechtigten vermutet, wenn er Vertriebener ist. Stirbt der Berechtigte, so gehen seine Ansprüche unter den in § 272 Abs. 2 LAG näher bezeichneten Voraussetzungen auf seine Ehefrau über. Daraus folgt, daß die Kl. Ansprüche aus §§ 261, 272 LAG nur herleiten kann, wenn ihr Ehemann Vertriebener war. Die der Kl. nach den genannten Bestimmungen zustehenden Rechte werden aber durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht geschmälert.

Allerdings ist nach § 15 Abs. 5 BVFG i.d.F. v. 14.8.1957 (BGBl. I S. 1215) die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling nach dem BVFG oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Nach der Fassung des Gesetzes gilt das nicht nur für positive, sondern auch für negative Entscheidungen über die Ausstellung des Ausweises. Diese verbindliche Wirkung kommt aber, ohne daß dies im Gesetz hätte näher zum Ausdruck gebracht werden müssen, nur einer rechtsbeständigen Entscheidung zu. Ein nicht rechtsbeständig gewordener Verwaltungsakt kann bereits nach allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts keine verbindlichen Wirkungen äußern.

Der Ablehnungsbescheid der Bekl. ist zu Lebzeiten des Antragstellers nicht rechtsbeständig geworden, weil er von dem Antragsteller mit der Beschwerde angefochten worden war und der Antragsteller starb, bevor über die Beschwerde entschieden worden war. Mithin konnte der Ablehnungsbescheid zu diesem Zeitpunkt auch noch keine verbindlichen Wirkungen äußern. Das war aber der Zeitpunkt, als der Kl. die Ansprüche aus §§ 261, 272 LAG zuwuchsen. Daraus folgt, daß die Rechtsstellung, die die Kl. durch den Tod ihres Ehemannes nach §§ 261, 272 LAG erlangt hat, im Augenblick ihrer Entstehung noch nicht durch eine nach § 15 Abs. 5 BVFG verbindliche negative Entscheidung über den Ausweisantrag ihres Ehemannes belastet war.

Der Beschwerdebescheid hat daran nichts geändert. Soweit dieser den Ausweisantrag des verstorbenen Ehemannes und die von ihm erhobene Beschwerde betrifft, besagt er zunächst nur, daß der Antrag auf Erteilung des Vertriebenenausweises wegen der höchstpersönlichen Natur eines solchen Ausweises abgelehnt werden müsse, weil der Antragsteller verstorben sei. Hierdurch wird, soweit überhaupt dieser Entscheidung nach § 15 Abs. 5 BVFG verbindliche Wirkung beizumessen ist, also lediglich gesagt, daß über den Antrag des Ehemannes, ihm den Ausweis zu erteilen, nicht mehr sachlich entschieden werden konnte, weil der Antragsteller inzwischen verstorben war. Durch den Tod war aber auch sein Antragsrecht erloschen und seine Beschwerde mithin gegenstandslos geworden. Soweit mithin der Ablehnungsbescheid v. 16.4.1956 durch den Beschwerdebescheid v. 9.1.1958 den Schein einer Rechtsbeständigkeit erlangt haben sollte, geschah das aus den vorstehend dargelegten Gründen des Beschwerdebescheides. Nur mit diesem Inhalt ist der Erstbescheid v. 16.4.1956 aufrechterhalten worden. In dieser Gestalt trifft er aber weder eine positive noch eine negative Entscheidung darüber, ob der verstorbene Antragsteller Vertriebener war. Er hinderte mithin nicht nur nicht die in § 15 Abs. 5 BVFG bezeichneten, für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen an Vertriebene zuständigen Behörden, nunmehr in eigener Verantwortung die Vertriebeneneigenschaft des verstorbenen Ehemannes der Kl. zu prüfen, sondern machte ihnen diese Prüfung zur Pflicht. Die verbindliche Wirkung eines nach § 15 BVFG erlassenen Verwaltungsaktes kann nicht weiter reichen als die für die Entscheidung maßgebenden Gründe. Ebensowenig wird die Kl. in den ihr nach §§ 261, 272 LAG zustehenden Rechten beeinträchtigt, soweit in den Gründen des Beschwerdebescheides ausgeführt wird, der Kl. könne auch nicht die sonst übliche Bescheinigung des Inhalts ausgestellt werden, daß der Antragsteller den Ausweis erhalten hätte, wenn er nicht gestorben wäre. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Flüchtlingsbehörden überhaupt berechtigt sind, solche im BVFG nicht vorgesehenen Bescheinigungen über die Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft eines verstorbenen Antragstellers auszustellen. Jedenfalls ist aber eine solche Bescheinigung nicht eine „Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises“ im Sinne des § 15 Abs. 5 BVFG; denn über die Ausstellung des Ausweises kann, wie im Berufungsurteil zutreffend dargelegt worden ist, wegen der höchstpersönlichen Natur des Anspruchs nur gegenüber dem Vertriebenen oder Flüchtling selbst, also nur zu seinen Lebzeiten, entschieden werden, nicht aber nach seinem Tode und gegenüber einem Dritten. Inhaltlich wird durch eine solche Bescheinigung auch nicht über die Ausstellung des Ausweises entschieden. Bereits die Form der Bescheinigung gibt kund, daß über den Ausweisantrag selbst nicht entschieden worden ist und auch keine Entscheidung getroffen werden sollte. Inhaltlich ist sie lediglich eine behördliche Äußerung darüber, wie sie entschieden haben würde, wenn der Antragsteller nicht gestorben wäre. Sie hat dadurch also nur den Wert eines behördenseitig erstatteten Sachverständigengutachtens. - Durch §§ 261, 272 LAG erlangt die Kl. auch nicht die Rechtsstellung, die nach § 7 BVFG nach der Vertreibung geborene oder legitimierte Kinder eines Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtlings erlangen. Das ergibt sich zudem aus § 8 BVFG. Aber selbst die nah § 7 BVFG Berechtigten können nicht die Erteilung eines Ausweises über die Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft ihrer verstorbenen Eltern beantragen, sondern nur die Ausstellung eines Vertriebenen- oder Flüchtlingsausweises für ihre Person, wobei dann allerdings als rechtliche Vorfrage von der Ausweisbehörde zu prüfen ist, ob der verstorbene Elternteil, von dem die Flüchtlings- oder Vertriebeneneigenschaft abgeleitet wird, Vertriebener oder Flüchtling gewesen ist. Die Bescheinigung der Flüchtlingsbehörde über die Vertriebeneneigenschaft eines Antragstellers mag dessen Rechtsnachfolgern oder sonstigen Personen, die aus der Vertriebeneneigenschaft des Verstorbenen eigene Rechte herleiten können, zwar die Verfolgung solcher Rechte bei anderen Behörden erleichtern. An der verbindlichen Wirkung, mit der § 15 Abs. 5 BVFG die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises ausstattet, nimmt sie jedoch nicht teil. Das gilt auch für die Versagung einer solchen Bescheinigung, zumal dann, wenn die Versagung damit begründet wird, daß die die Erteilung einer solchen Bescheinigung beantragende Person nicht Rechtsnachfolger des verstorbenen Antragstellers geworden sei und daher auch kein schutzwürdiges Interesse an der Erteilung einer solchen Bescheinigung habe.

Die Kl. wird schließlich in der ihr durch §§ 261, 272 LAG eingeräumten Rechtsstellung auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß in dem auf Drängen ihres Bevollmächtigten ergangenen Beschwerdebescheid abschließend festgestellt wird, ihr verstorbener Ehemann sei kein Vertriebener gewesen. Diese Feststellung sollte offensichtlich eine weitere Begründung für die Versagung der Bescheinigung über die Vertriebeneneigenschaft des verstorbenen Ehemannes der Kl. sein. Auch diese Feststellung hat nur den Wert einer gutachtlichen Äußerung. Sie kann nicht bewirken, daß der Bescheid v. 9.1.1958 unter die in § 15 Abs. 5 BVFG bezeichneten Entscheidungen fällt. Auch insoweit befreit der Beschwerdebescheid die nach dem Lastenausgleichsgesetz zuständigen Stellen daher nicht von der Pflicht, in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Ehemann der Kl. Vertriebener war, soweit die Kl. Ansprüche aus §§ 261, 272 LAG verfolgt.

Zwar wird es in Lehre und Rspr. anerkannt, daß eine Rechtsbeeinträchtigung auch durch den Anschein eines belastenden Verwaltungsaktes hervorgerufen werden kann. Der Ablehnungsbescheid v. 16.4.1956 vermag aber weder für sich allein noch in der Gestalt, die er durch den Beschwerdebescheid v. 9.1.1958 erhalten hat, den Schein einer die Rechtsstellung der Kl. beeinträchtigenden verbindlichen Kraft zu entfalten. Soweit die Kl. Rechte aus §§ 261, 272 Abs. 2 LAG herleitet, muß sie sich auf den Tod ihres Ehemannes berufen. Schon dadurch wird dargetan, daß zu seinen Lebzeiten noch nicht verbindlich über den Ausweisantrag entschieden worden ist. Der Anschein einer nach dem Tode des Ehemannes ergangenen verbindlichen Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises kann aber erst recht nicht durch den Beschwerdebescheid hervorgerufen werden, weil in ihm eine Entscheidung über den Ausweisantrag unter Hinweis auf den Tod des Antragstellers ausdrücklich abgelehnt worden ist. Soweit durch den Beschwerdebescheid endlich die Erteilung einer Bescheinigung über die Vertriebeneneigenschaft des verstorbenen Ehemannes an die Kl. abgelehnt worden ist, kann der Beschwerdebescheid den Schein einer nach § 15 Abs. 5 BVFG verbindlichen Entscheidung schon deshalb nicht entfalten, weil es sich dabei nicht um eine Entscheidung der in § 15 Abs. 5 BVFG bezeichneten Art handelt und dem Beschwerdebescheid insoweit nur der Wert eines Sachverständigengutachtens beizumessen ist, dem keine verbindliche Wirkung zukommt.

Nach alledem wird die Kl. dadurch, daß ihrem Antrag entsprechend in der vorliegenden Form über die Beschwerde ihres Ehemannes entschieden worden ist, nicht in ihren Rechten aus §§ 261, 272 Abs. 2 LAG beeinträchtigt.

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