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L 5 R 17/11 B ER

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einstellung der Verrechnung einer Forderung mit der von der Antragsgegnerin ihm gewährten Rente.

Der 1945 geborene Antragsteller bezieht seit Oktober 2005 von der Antragsgegnerin Rente, zunächst als Rente wegen voller Erwerbsminderung und seit Februar 2010 als Regelaltersrente. Rentenhöhe ist derzeit 1.335,60 EUR abzüglich Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 131,55 EUR (105,51 EUR Krankenversicherungsbeitrag, 26,04 EUR Pflegeversicherungsbeitrag; Rentenbescheid vom 22. Oktober 2009).

Die Berufsgenossenschaft Handel- und Warendistribution (früher: Großhandels- und Lagerei-BG) hatte bei der Beklagten ein Verrechnungsersuchen gestellt. Dem lag ein von ihr geltend gemachter Beitragsanspruch zur Unfallversicherung für die Zeit vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 1993 in Höhe von 71.500,33 EUR zugrunde. Dem Verrechnungsersuchen entsprach die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. Mai 2007 in Höhe von monatlich 476,15 EUR ab 1. August 2007. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2009 zurück und teilte darin mit, dass eine Umsetzung aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches bisher nicht erfolge. Zugrunde liege der Verrechnung eine Bedarfsbescheinigung der Stadt Geesthacht vom 3. Juli 2006, wonach das Einkommen der Eheleute Dahms den Hilfebedarf um 476,15 EUR übersteige. Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Lübeck am 30. September 2009 erhoben(S 45 R 472/09). In dem Klageverfahren hat die Antragsgegnerin den Rentenbescheid vom 22. Oktober 2009 vorgelegt und die Auffassung vertreten, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung entfalte. Der Antragsteller habe gegen die in dem Rentenbescheid ebenfalls enthaltene Zahlungsregelung zugunsten der G.- und L.-BG am 16. November 2009 Widerspruch erhoben und auf die aufschiebende Wirkung hingewiesen. In dem Klageverfahren hat das Gericht mit Verfügung vom 17. Februar 2010 den Beteiligten seine vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass die Klage aufschiebende Wirkung habe. Die Antragsgegnerin hat daraufhin erwidert, sie sei anderer Auffassung und zudem der Auffassung, dass an der sofortigen Vollziehung ein besonderes Interesse bestehe.

Am 22. März 2010 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Lübeck den vorsorglichen Antrag gestellt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und die durch die Beklagte vorgenommene Vollziehung aufzuheben.

Er vertrete weiterhin die Auffassung, dass es sich nicht um einen Fall der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten handele. Es werde kein Beitragsbescheid angefochten. Vielmehr begehre er Leistungen gegenüber der Antragsgegnerin aufgrund seiner Beitragszahlungen. Im Übrigen habe er monatlich zahlreiche Aufwendungen für ein eigenes Zimmer aufgrund seiner Schlafapnoe, Zahnersatz und besondere Kosten aufgrund seiner Erkrankung zu erbringen. Freiwillig zahle er an die Bundesagentur 50,00 EUR monatlich bis zum 31. Dezember 2010. Außerdem dürfe die Verrechnung nicht dazu führen, dass der Familienunterhalt nicht mehr gesichert sei. Dabei könne die Ehefrau nicht auf das Niveau der Grundsicherung verwiesen werden. Rechnerisch müsse er Unterhalt an seine Ehefrau in Höhe von 386,00 EUR zahlen.

Die Antragsgegnerin hat im Klageverfahren eine Neuberechnung der Bedarfsberechnung durch die Stadt La. für die Zeit ab 1. Januar 2010 vorgelegt und vorgetragen, der sich aus dieser Berechnung ergebende geringere Verrechnungsbetrag von 269,99 EUR werde für die Zeit ab Januar 2010 anstelle der bisherigen 476,15 EUR zugrunde gelegt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2010 den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die streitige Verrechnung falle sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Gesetzeszweck unter den Begriff der Anforderung von Beiträgen. Hierunter seien nicht nur Geldforderungen zu verstehen, sondern alle Verwaltungsakte, die zur Realisierung des behördlichen Anspruchs auf öffentliche Abgaben ergingen. Dabei sei nicht zu unterscheiden, ob die Berufsgenossenschaft selbst durch Verwaltungsakt als einziehende Stelle die Sozialversicherungsbeiträge geltend mache oder ob sie versuche, ihren Anspruch per Verrechnung über die Antragsgegnerin durchzusetzen. Nach summarischer Prüfung sei ein Erfolg des Rechtsmittels unwahrscheinlich. Vor dem Hintergrund der Bedarfsbescheinigung der Stadt La. seien durchgreifende Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Verrechnung nicht ersichtlich. Der Leistungsberechtigte müsse selbst den Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit erbringen. Dies habe der Antragsteller bisher nicht geschafft. Der Beschluss ist dem Antragsteller am 9. Dezember 2010 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich seine am 10. Januar 2011 (einem Montag) beim Sozialgericht Lübeck eingegangene Beschwerde, in der er sich zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen bezieht.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig aber unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.

Zutreffend geht das Sozialgericht von der Rechtsgrundlage des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus. Die Frage, ob einstweiliger Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung oder der Herstellung der aufschiebenden Wirkung zu erfolgen hat, hängt davon ab, ob es sich bei der Verrechnung um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht. Diese Entscheidung ist derzeit beim Großen Senat des Bundessozialgerichts anhängig (GS 2/10). Die Antragsgegnerin hat die Verrechnung mit ihren Bescheiden vom 11. Mai 2007, 27. August 2009 und dem Rentenbescheid vorgenommen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Anfechtungsklage. Mithin kann dahingestellt bleiben, ob eine Verrechnung lediglich eine rechtsgeschäftliche Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts darstellt oder eine Einzelfallentscheidung, die den Erlass eines Verwaltungsaktes erfordert (vgl. Urteil des Senats vom 14. Februar 2007 - L 5 KR 59/06 -).

Zutreffend führt das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss auch aus, dass die grundsätzlich bestehende aufschiebende Wirkung des Widerspruchs beziehungsweise der Anfechtungsklage entfällt, weil eine Verrechnung mit Sozialversicherungsbeiträgen erfolgt. Die Auffassung des Antragstellers, es handle sich gerade nicht um einen Fall der Entscheidung über Beitragspflichten, ist nicht nachzuvollziehen. „Anforderung“ im Sinne d. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG erfasst nicht nur das Geltendmachen einer Geldforderung, sondern alle Verwaltungsakte, die zur Realisierung des behördlichen Anspruchs auf öffentliche Abgaben ergehen (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG-Kommentar, § 86a Rz 13a). Darunter fallen auch die Aufrechnung nach § 51 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) beziehungsweise die hier streitige Verrechnung nach § 52 SGB I (vgl. Beschluss des Senats vom 7. Dezember 2010 - L R 205/10 B ER).

Die aufschiebende Wirkung ist gleichwohl anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 86a Abs. 3 Satz 2 SGG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit in diesem Sinne liegen vor, wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg des Widerspruchs beziehungsweise des Klageverfahrens wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Auch dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend verneint. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Begründung des Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) Bezug und weist ergänzend auf Folgendes hin:

Die Begründung des Antragstellers bezieht sich im Wesentlichen darauf, er werde durch die Verrechnung sozialhilfebedürftig. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Nach § 51 Abs. 2 SGB I, der auch für die Verrechnung gemäß § 52 SGB I maßgebend ist, kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des 2. oder 12. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II, SGB XII) wird. Abs. 2 des § 51 enthält damit eine von Abs. 1 der Vorschrift mit der dortigen Pfändungsgrenze abweichende Sonderregelung (Privilegierung) für die Aufrechnung (Verrechnung) mit Erstattungs- und Beitragsansprüchen. Diese Sonderregelung findet aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen ihre Berechtigung und begünstigt Leistungsträger gegenüber anderen Gläubigern, die nach § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuches an die Pfändungsgrenzen gebunden sind. Die Regelung dient dem Schutz der finanziellen Interessen der Versichertengemeinschaft. Bei Beitrags- und Erstattungsansprüchen soll der Berechtigte nicht einerseits eine Sozialleistung erhalten und andererseits den Leistungsträger auf Pfändungsschutz verweisen können. Gleichwohl enthält auch § 51 Abs. 2 SGB I nicht eine vollständige Aufrechnungs- beziehungsweise Verrechnungsbefugnis des Leistungsträgers. Diese findet vielmehr eine zweifache Grenze, nämlich absolut in der Hälfte der laufenden Geldleistungen, bis zu der aufgerechnet werden kann und als weitere relative Begrenzung den - hier streitigen - Nichteintritt der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II und dem SGB XII, wobei für die zweite Grenze der Nachweis durch den Leistungsberechtigten zu erbringen ist. Beide Grenzen überschreitet die Antragsgegnerin mit der Verrechnung nicht.

Soweit der Antragsteller auf (rechnerische) Unterhaltsansprüche seiner Ehefrau hinweist und diese einkommensmindernd berücksichtigt wissen will, hat er schon nicht den Nachweis erbracht, dass er zu Unterhaltszahlungen in Höhe der von ihm behaupteten 386,00 EUR verpflichtet wäre. So fehlt bei dieser Berechnung schon der zugrundezulegende Selbstbehalt, den ein Unterhaltsverpflichteter geltend machen kann. Maßgebend ist aber, dass er tatsächlich solche Unterhaltszahlungen seiner Ehefrau gegenüber nicht erbringt und er auch nicht zu diesen verpflichtet ist. Die bloß rechnerische Berücksichtigung durch ihn verkennt die Grenze des § 51 Abs. 2 SGB I, nach der nur der Nachweis der Hilfebedürftigkeit „des Leistungsberechtigten“ der Aufrechnung/Verrechnung entgegensteht. Eine Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ist jedoch nicht ersichtlich, wie die Berechnung der Stadt Lauenburg verdeutlicht. Zutreffend wird darin wegen der Heranziehung der SGB II, SGB XII auf die Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft abgestellt (vgl. Beschluss des Senats vom 7. Dezember 2010 a. a. O.; LSG Sachsen-Anhalt, 23. April 2009 - L 3 R 379/07; LSG Baden-Württemberg, 27. Oktober 2008 - L 13 AS 4562/08 ER-B; Timme in LPK-SGB I § 51 Rz 17). Auf den Vorrang der Leistungsträger durch § 51 Abs. 2 SGB I gegenüber anderen Gläubigern des Antragstellers hat der Senat auch in dem Beschluss vom 7. Dezember 2010 (L 5 R 205/10 B ER) hingewiesen. Es ist sowohl dem SGB II als auch dem SGB XII immanent, dass die Vermögenslagen der Bedarfsgemeinschaft neben den Personen, zu denen auch die Ehefrau des Antragstellers zählen würde, bei der Berücksichtigung des Anspruchs auf Grundsicherung zu berücksichtigen sind. Dem kann sich der Antragsteller nicht entziehen. Ob die Anerkennung der vollen Unterkunftskosten vor dem Hintergrund des § 22 SGB II rechtmäßig ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da diese Anrechnung zugunsten des Antragstellers erfolgt.

Soweit er einen besonderen Mehraufwand in seinem Schriftsatz vom 17. März 2010 geltend macht, vermag dies seinen Anspruch auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung ebenfalls nicht zu begründen. Der Antragsteller hat nicht den Nachweis dafür erbracht, dass die dort angeführten Kosten, bei denen es sich zudem teilweise um freiwillige Zahlungen handelt, bei der Berücksichtigung des Grundsicherungsanspruchs zu berücksichtigen sind. Auch die von ihm veranlasste Berechnung der Grundsicherungsleistung durch die Stadt La. berücksichtigt diese Ausgaben nicht.

Danach fehlt es nach der im Rahmen des § 86 Abs. 3 Satz 2 SGG gebotenen summarischen Prüfung des Erfolges des Rechtsmittels an den ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Eine nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne der Vorschrift vermag der Senat auch vor dem Hintergrund der absoluten Grenze der Verrechnung bei der Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten ebenfalls nicht zu erkennen.

Die Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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