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L 5 R 530/15

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 7. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der ... ... Kläger ist gelernter Schuhfacharbeiter und war zuletzt bis 2008 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Seitdem sucht er Arbeit.

Den am 7. Juni 2013 - wegen orthopädischer Leiden - gestellten (zweiten) Rentenantrag lehnte die Beklagte, gestützt auf das am 27. August 2013 von Dr. S., Facharzt für Orthopädie, erstellte Gutachten, mit Bescheid vom 19. September 2013 und Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2014 ab. Der Kläger könne eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten.

Auf die am 28. Februar 2014 erhobene Klage hat das Sozialgericht Chemnitz (SG) aus dem weiteren Verfahren S 32 SB 493/13 die Befundberichte von Dipl.-Med. O., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 23. Januar 2014, Dr. L., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 26. Februar 2014, und von Dr. Z., Fachärztin für Orthopädie, vom 7. März 2014 beigezogen sowie weitere Befundberichte von Dr. L., vom 15. Dezember 2014, und von Dr. Z., vom 7. März 2014, eingeholt. Des Weiteren hat es nach Untersuchung vom 13. März 2015 am 26. März 2015 von Dr. G., Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie und Spezielle Schmerztherapie, ein Gutachten erstellen lassen. Gestützt auf das Gutachten von Dr. G. hat das SG ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten unter Beachtung von Funktionseinschränkungen festgestellt, ihn beispielsweise auf die Tätigkeit eines Pförtners in Verwaltungsgebäuden verwiesen und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2015 abgewiesen.

Der Kläger trägt mit der am 15. Juni 2015 eingelegten Berufung vor, entgegen dem Gutachten von Dr. G. sei er nicht wegefähig. Unter dem Aktenzeichen L 6 SB 167/14 sei ein Gutachten von Dr. A. erstellt worden. Der Sachverständige beschreibe eine Schmerzchronifizierung, so dass der Kläger nach einem Zeitablauf von bis über 30 Minuten berufsuntypische Pausen einlegen müsse.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

  • den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 7. Mai 2015 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren und auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat aus dem Verfahren des Sächsischen Landessozialgerichts zum Aktenzeichen L 6 SB 167/14 das am 10. Juli 2015 von Dr. A. erstellte Gutachten beigezogen. Des Weiteren hat der Senat zur Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle und als Pförtner die berufskundlichen Gutachten der Diplom-Verwaltungswirtin H. vom 7. Januar 2000, 12. Mai 2005 und vom 5. Juni 2009, jeweils erstellt für das Sächsische Landessozialgericht in den Verfahren L 5 RJ 167/98, L 5 RJ 25/04 und L 5 R 142/08 sowie Auszüge aus "Berufe im Spiegel der Statistik 1999 - 2011" und aus dem Verfahren L 5 R 450/11 die Auskünfte der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom 23. Mai 2012 und des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft vom 6. Juni 2012 beigezogen.

Gegenstand der Entscheidung waren die Leistungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen. Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen und verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte entscheiden ohne mündlich zu verhandeln, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, weil dem Kläger kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zusteht.

Der Senat schließt sich den Feststellungen und Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid an und nimmt darauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird ausgeführt:

Das vom SG festgestellte mindestens sechsstündige Leistungsvermögen des Klägers für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ist nicht zu beanstanden. Bei Zustand nach valgisierender Tibiakopfosteotomie bei medialer Knorpelschädigung des rechten Kniegelenkes mit subjektiv ausgeprägten Gonalgien, leichter Einschränkung der Beugefähigkeit, ohne Reizerscheinungen, postoperativer Irritation des N. fibularis, Ramus superficialis und N. suralis, geringer Omarthrose rechts, Coxalgie beidseits ohne relevante Bewegungseinschränkungen und chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ist das Leistungsvermögen des Klägers dahingehend eingeschränkt, als nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, vordergründig im Sitzen, in geschlossenen Räumen, ohne Heben und Tragen von körperlich schweren Lasten, permanentes Heben und Tragen von mittelschweren Lasten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, kniende und hockende Arbeitshaltungen, Tätigkeiten mit dem Aussetzen von Nässe und Kälte sowie ohne überwiegend gehende und stehende Arbeitshaltung, verrichtet werden können. Unter Beachtung dieser qualitativen Funktionseinschränkungen ist dem Kläger jedoch seit der Rentenantragstellung ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen möglich und zumutbar. Motorische oder sensomotorische Störungen bzw. Ausfälle, die ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen begründen könnten, wurden in den Gutachten von Dr. G. und Dr. A. nicht festgestellt. Wie bereits Dr. G. befeindet Dr. A. (nur) gering bis maximal mäßiggradig ausgeprägte Verschleißerscheinungen. Die angegebene Einschränkung der Wegefähigkeit auf maximal 200 bis 300 Meter ist für den Sachverständigen orthopädisch nicht nachvollziehbar. Soweit Dr. A. eine chronische Schmerzstörung bekundet, wurde diese aus der Epikrise der Spezialklinik für Schmerz- und Palliativmedizin C.-R. (DRK-Krankenhaus) vom 12. März 2014 übernommen. Hierzu führt der Sachverständige weiter aus, dass - unter Berücksichtigung der Anamnese - nur eine leichtere psychovegetative beziehungsweise psychische Störung, ohne Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und ohne soziale Regression, vorliegt. Von der Schmerzklinik wurde in der Epikrise vom 30. April 2014 auch keine Empfehlung für eine psychologische Betreuung angegeben. Die chronische Schmerzstörung wurde bereits von Dr. G., der gegenüber dem Sachverständigen Dr. A. über eine Facharztausbildung für spezielle Schmerztherapie verfügt, berücksichtigt und sozialmedizinisch gewürdigt, ohne dass weitere Gutachten, insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet, für erforderlich erachtet wurden. Der Vortrag des Klägers, auf Grund der von Dr. A. beschriebenen Schmerzchronifizierung müsse er nach einem Zeitablauf von bis über 30 Minuten berufsuntypische Pausen einlegen, findet in diesem Gutachten keine Stütze.

Mit dem vorbezeichneten Leistungsvermögen ist der auf Grund seines Geburtsjahrganges auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger beispielsweise in der Lage, seit der Rentenantragstellung die Tätigkeit eines Pförtners in Verwaltungsgebäuden im Umfang von werktäglich sechs Stunden zu verrichten. Nach den beigezogenen berufskundlichen Gutachten der Diplom-Verwaltungswirtin H. vom 7. Januar 2000 und 12. Mai gehört zum Aufgabengebiet einer Pförtnerin im Wesentlichen das Empfangen und Weiterleiten von Besuchern, Betriebsangehörigen u.ä., gegebenenfalls das Prüfen von Legitimationen, Anmelden und Weiterleiten der Besucher, Ausstellen der Besucherscheine sowie das Erteilen von Auskünften. Je nach Arbeitsplatzgestaltung fallen auch das Bedienen der Telefonanlage, Postverteilung, Durchführung von Kontrollgängen an. Die Arbeit ist generell körperlich leicht und wird in der Pförtnerloge überwiegend im Sitzen, mit der Möglichkeit des Haltungswechsels zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, verrichtet. Auf Grund des Publikumsverkehrs kommt es zum Teil durch stoßweise Arbeitsbelastung (zum Beispiel Schichtwechsel, Arbeitsende) zu Zeitdruck. In psychischer Hinsicht sind Reaktionsvermögen, Entschlusskraft, Handlungsbereitschaft, Besonnenheit und Umsichtigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Unbestechlichkeit erforderlich. Für den Kläger kommt die Ausübungsform "Pförtner in Verwaltungsgebäuden" (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 81/95) in Betracht. Solche Pförtner werden beispielsweise im öffentlichen Dienst nach der Lohngruppe 2 Nr. 1.9 des "Tarifvertrags über das Lohngruppenverzeichnis der Länder zum MTArb (TV Lohngruppen-TdL)" vom 11. Juli 1966 in Verbindung mit §§ 4 Abs. 1,17 Abs. 1 des "Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L (= Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder) und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder)" vom 12. Oktober 2006 sowie - seit 1. Januar 2012 - nach der Entgeltgruppe 3 Nr. 3 der Anlage A zum TV-L vom 12. Oktober in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 4 vom 2. Januar 2012 bezahlt. Es handelt sich um eine Lohngruppe, die sich aus dem Niveau der einfachen (Hilfs-) Arbeiten heraushebt und bestimmt ist für "Arbeiter, für die eine eingehende Einarbeitung erforderlich ist". Eine besondere Berufsausbildung wird nicht vorausgesetzt und die nötige Einarbeitungszeit übersteigt in keinem Fall die Dauer von drei Monaten. Die charakteristischen Tätigkeiten von Pförtnern dieser Lohngruppe bestehen - im Gegensatz zu Pförtnern der Lohngruppen 2a Nr. 6.11 und 3 Nr. 6.24 sowie Nr. 6.25 des TV Lohngruppen-TdL beziehungsweise im Gegensatz zu Pförtnern der Entgeltgruppe 3 Nr. 1 der Anlage A zum TV-L vom 12. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 4 vom 2. Januar 2012 - in der reinen Überwachung und Abwicklung des Besucherverkehrs einer Dienststelle oder deren Einrichtung. Der Einsatz an verkehrsreichen Eingängen, wo es zu Zeitdruck und Stress kommen kann, einfacher oder erhöhter Fernsprechdienst, in nicht unerheblichem Umfang zu verrichtende schriftliche Arbeiten, Postverteilung oder die Durchführung von Kontrollgängen fallen nicht an. Die vom Kläger zu beachtenden qualitativen Funktionseinschränkungen: Heben und Tragen von körperlich schweren Lasten, permanentes Heben und Tragen von mittelschweren Lasten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, kniende und hockende Arbeitshaltungen, Tätigkeiten mit dem Aussetzen von Nässe und Kälte sowie überwiegend gehende und stehende Arbeitshaltung, werden bei dieser Tätigkeit nicht abverlangt.

Wesentliche Störungen auf psychiatrischem Gebiet, insbesondere hinsichtlich der Ein- und Umstellungsfähigkeit, wurden ärztlich nicht mitgeteilt.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine sonstige schwerwiegende Behinderung, die es dem Kläger auch bei mindestens sechsstündiger (vollschichtiger) Einsatzfähigkeit unmöglich macht, eine geeignete Erwerbstätigkeit, hier beispielsweise: Pförtner in Verwaltungsgebäuden aufzunehmen, so genannte "Katalogfalle" (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 - 4 a RJ 55/84 - SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 137) liegen nicht vor. Insbesondere ist er nicht am Zurücklegen des Arbeitsweges, also des Weges von seiner Wohnung bis zu einer etwaigen Arbeitsstätte (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 43/90 - SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10), gehindert und muss keine betriebsunüblichen Pausen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 5a RKn 18/83 - SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 43) während der Arbeitszeit einhalten.

Der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, und die Bundesagentur für Arbeit zu einer Vermittlung nicht in der Lage ist, ist kein Grund zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Denn bei mindestens sechsstündiger Erwerbsfähigkeit ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Im Gegensatz zum gehobenen Pförtner (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 1991, Az. 13/5 RJ 29/89) handelt sich bei der Tätigkeit als Pförtner in Verwaltungsgebäuden nicht ausschließlich um Schonarbeitsplätze. Nach dem beigezogenen berufskundlichen Gutachten der Sachverständigen Diplom-Verwaltungswirtin H. vom 12. Mai 2005 stehen sowohl für Tätigkeiten für so genannte einfache Pförtner als auch für Pförtner in Verwaltungsgebäuden Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang zur Verfügung, die grundsätzlich auch Außenstehenden zugänglich sind. Es handelt sich daher nicht um Schonarbeitsplätze, die nicht an Betriebsfremde vergeben würden. Nach den Angaben im berufskundlichen Dokument "Berufe im Spiegel der Statistik 1999 - 2011" ergibt sich, dass sich 2011 - gegenüber dem auf dem Jahr 2003 basierenden berufskundlichen Gutachten der Sachverständigen - die Anzahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pförtner (Berufsordnung 793) insgesamt sogar von 178.844 auf 185.298 erhöht hat. Davon waren zuletzt 17,6 Prozent in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt; in absoluten Zahlen waren danach 2011 rund 32.612 Pförtner in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt, so dass die berufskundlichen Feststellungen der Sachverständigen Hochheim weiterhin Gültigkeit haben. Auch nach den aktuellen vom Gericht in einem anderen Verfahren (Aktenzeichen: L 5 R 450/11) beigezogenen Auskünften der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom 23. Mai 2012 und des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft vom 6. Juni 2012 stehen derartige Arbeitsplätze weiterhin, insbesondere in Landesdienststellen mit Publikumsverkehr, zur Verfügung. Außerdem ergibt sich aus diesen Auskünften, dass Pförtner in Verwaltungsgebäuden vom Bund, den Ländern und den kommunalen Arbeitgebern eingestellt werden.

Bei in Tarifverträgen genannten Tätigkeiten besteht zudem die Vermutung, dass es Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl gibt (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 102 m.w.N.). Erwerbsunfähigkeit infolge Verschlossenheit des Arbeitsmarktes resultiert auch nicht daraus, dass ein Versicherter, der noch [vollschichtig] mindestens sechs Stunden arbeiten kann, arbeitslos ist und bei der Arbeitsplatzsuche der gesunden Konkurrenz den Vortritt lassen muss (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996, Az.: GS 2/95, Rz. 38,41).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

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