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L 4 P 17/03

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit einer nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegeperson.

Die seit dem 1. Januar 1998 ohne Leistungsbezug arbeitslose Klägerin pflegte ihre Mutter, E F (im Folgenden die Versicherte), die bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert war. Die Versicherte wurde ... 1912 geboren und verstarb ... 2000. Sie litt an Angina pectoris, einem Zustand nach Herzinfarkten 1982 und 1998, an cerebralen Durchblutungsstörungen, Osteoporose, einer Hüftgelenkarthrose, Schwindelanfällen, Sprachstörungen und einer Blutzuckererkrankung, die seit Januar 1998 insulinpflichtig war. Am 21. Januar 1998 hatte die Versicherte bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld beantragt. Die Beklagte hatte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung S-A (MDK) mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Nach dem MDK-Gutachten vom 8. April 1998 bestand bei der Versicherten in der Grundpflege ein Hilfebedarf von täglich 50 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 315 Minuten wöchentlich. Als Pflegeperson benannte der MDK ausschließlich die Klägerin, wobei deren pflegerischer Aufwand mit mehr als 1,5 Stunden pro Tag (ca. 10,5 Stunden wöchentlich) bewertet wurde. Mit Bescheid vom 12. Mai 1998 hatte die Beklagte der Versicherten ab dem 22. Januar 1998 Leistungen nach der Pflegestufe I gewährt. Ab Januar 2000 hatte neben der Klägerin ein ambulanter Pflegedienst die Versicherte gepflegt.

Nachdem die Versicherte bei der Beklagten am 16. Februar 2000 einen Höherstufungsantrag gestellt und der MDK am 11. Juli 2000 - aufgrund des zwischenzeitlichen Todes der Versicherten - ein Gutachten nach Aktenlage erstellt hatte, in welchem wegen Herzinsuffizienz bei koronarer Herzkrankheit ab Februar 2000 die Pflegestufe III empfohlen worden war, hatte die Beklagte dieser Empfehlung entsprochen.

Am 20. März 2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versicherungspflicht für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen in der Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 15. November 2000 gab die Beklagte dem Antrag für den Zeitraum vom 1. Februar 2000 bis zum 13. Mai 2000 statt und führte entsprechende Beiträge an die Beigeladene ab. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag lehnte die Beklagte die Rentenversicherungspflicht für Zeiten vor dem 1. Februar 2000 hingegen ab.

Den hiergegen am 8. Dezember 2000 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2001 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus: Nach den Feststellungen des MDK habe die Klägerin vor dem 1. Februar 2000 keine Pflege im Umfang von mindestens 14 Stunden wöchentlich erbracht.

Die Klägerin hat am 27. April 2001 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben, um ihr Begehren weiter zu verfolgen. Zur Begründung der Klage führte sie aus, der Versicherten sei eine selbständige Nahrungsaufnahme nicht mehr möglich gewesen. Sie habe der Versicherten auch die Medikamente verabreicht und ab Mai 1998 zweimal täglich Insulin gespritzt. Zudem sei bei der Beurteilung des Pflegeaufwandes die Verabreichung des Nitragin-Sprays durch die Klägerin nicht berücksichtigt worden. Die Klägerin habe die Versicherte, mit der sie in einem Haushalt gelebt habe, rund um die Uhr umsorgt. So habe sie u. a. Wechselbäder bereitet und Unterstützung beim Waschen und Ankleiden geleistet. Um die Versicherte in den Garten bringen zu können, habe sie getragen werden müssen. Im Jahre 1999 habe sich der Zustand der Versicherten drastisch verschlechtert; es sei allerdings versäumt worden, bereits damals einen Höherstufungsantrag zu stellen.

Die Beklagte hat demgegenüber an ihrer Auffassung aus dem Vorverfahren festgehalten. Die von der Klägerin aufgeführten zusätzlichen Verrichtungen, insbesondere die Medikamentengabe, könnten deshalb nicht in die Beurteilung einfließen, weil es sich insoweit um nicht berücksichtigungsfähige Behandlungspflege handele.

Das Sozialgericht Magdeburg hat einen Befundbericht des behandelnden Hausarztes der Versicherten, Facharzt für Allgemeinmedizin S, eingeholt. Herr S teilte am 17. August 2002 auf Basis der bekannten gesundheitlichen Leiden eine progrediente Verschlechterung seit Mitte 1999 mit. Mit Urteil vom 13. August 2003 gab das Sozialgericht Magdeburg der Klage statt und verpflichtete die Beklagte unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide, für die Klägerin im Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis zum 31. Januar 2000 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in gesetzlicher Höhe abzuführen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Nach dem Gutachten des MDK vom 8. April 1998 habe seinerzeit bei der Versicherten ein Pflegebedarf von täglich 95 Minuten (50 Minuten Grundpflege und 45 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung) bestanden. Hieraus resultiere ein wöchentlicher Hilfebedarf von 11,08 Stunden (95 Minuten x 7 Tage : 60 Minuten). Da die Klägerin alleinige Pflegeperson gewesen sei, habe insoweit bereits eine über 11-stündige Pflegetätigkeit vorgelegen. Zur berücksichtigungsfähigen Pflegetätigkeit würden jedoch auch Zeiten der familiären, nachbarschaftlichen und sonstigen ehrenamtlichen Hilfe zählen. Der von der Klägerin im Zusammenhang mit der Medikamentengabe dargelegte Aufwand sei mit einem Zeitaufwand von mindestens einer halben Stunde täglich zu bemessen. Dass derartige Tätigkeiten im Rahmen der Beurteilung der Pflegestufen als Verrichtungen der Behandlungspflege keine Berücksichtigung fänden, sei deshalb unschädlich, weil bei der Beurteilung des Pflegeaufwandes der Pflegeperson ein anderer Maßstab gelte. Würden hierzu bereits Zeiten der familiären, nachbarschaftlichen und sonstigen ehrenamtlichen Hilfe zählen, müsse dies erst recht für den Aufwand der Behandlungspflege gelten. Da bei der Klägerin im Ergebnis eine mehr als 14-stündige Pflegetätigkeit vorgelegen habe und die Klägerin auch nicht erwerbstätig gewesen sei, sei die Beklagte zur Abführung der Rentenversicherungsbeiträge verpflichtet.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 12. September 2003 zugestellte Urteil am 7. Oktober 2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihre bisherige Rechtsansicht, wonach Leistungen der Behandlungspflege im Rahmen der Beurteilung der Mindestpflegezeit einer Pflegeperson nicht zu berücksichtigen seien. Zudem betreffe das Verfahren die Frage der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, sodass der zuständige Rentenversicherungsträger notwendig beizuladen sei. Allerdings sei die Klage bereits unzulässig. Zunächst sei nämlich vom Rentenversicherungsträger über die Frage der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. August 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise gegenüber der Beigeladenen festzustellen, dass sie während der Zeit vom 1. Mai 1998 bis zum 31. Januar 2000 in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war und Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten sind.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Am 27. Juni 2005 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen für den Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Januar 2000 die Feststellung ihrer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie vertritt die Ansicht, die Frage des wöchentlichen Pflegeaufwandes sei vorgreiflich für die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Die Beigeladene könne selbst erst nach einer Entscheidung der Beklagten tätig werden und treffe ihre Entscheidung ohne eigenständige Prüfungen und Ermittlungen. Erst wenn die Beklagte den wöchentlichen Pflegeaufwand festgestellt habe, könne die Beigeladene über den Antrag der Klägerin vom 27. Juni 2005 entscheiden. Zudem sei eine Entscheidung der Beigeladenen auch deshalb nicht möglich, weil die Berufung aufschiebende Wirkung habe. Im Übrigen sei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nach Ansicht der Beigeladenen zu entnehmen, dass eine Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung gegenüber der Beigeladenen ohne Durchführung eines Verwaltungsverfahrens seitens der Beigeladenen unzulässig sei.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und die Beigeladene mit Beschluss vom 3. Mai 2004 zum Verfahren hinzugezogen.

Weiterhin teilte Herr S am 6. Januar 2005 auf Anfrage des Senats mit, dass die von ihm im Befundbericht vom 17. August 2002 mitgeteilte Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherten auf dem Fortschreiten der Herzerkrankung und der Erkrankung des Muskel-Skelett-Systems beruht habe. Schon kleinere körperliche Belastungen, wie z. B. der Gang zur Toilette, hätten bei der Versicherten Luftnot hervorgerufen und einen Hilfebedarf ausgelöst. Die Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und der Hüftgelenke hätten eine Fortbewegung in der Wohnung zeitweise fast unmöglich gemacht. Insgesamt habe sich der Pflegeaufwand für die Klägerin erheblich erhöht. Seit dem Herzinfarkt vom 01.01.2000 (gemeint offenbar 01.02.2000) habe bei der Versicherten schon in Ruhe starke Luftnot und Bettlägerigkeit bestanden.

Schließlich hat der Senat mit den Beteiligten am 29. März 2006 in nichtöffentlicher Sitzung verhandelt. Wegen des Ergebnisses der Verhandlung, insbesondere der Ausführungen der Klägerin zum Umfang der Pflegetätigkeit wird auf das Sitzungsprotokoll verweisen.

Im Termin vom 29. März 2006 bzw. mit Schreiben vom 10. April 2006 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist im Sinne des Ausspruchs begründet. Die Klage gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 15. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2001 ist deshalb unzulässig, weil über die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht einer nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegeperson in der Rentenversicherung nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene zu befinden hat. Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. August 2003 war deshalb abzuändern. Da das Gericht im Ergebnis für den Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis zum 31. Januar 2000 jedoch zutreffend zu einer Mindestpflegezeit der Klägerin von wenigstens 14 Stunden wöchentlich gelangt ist, war die Beigeladene zu verurteilen, die Rentenversicherungspflicht für diesen Zeitraum festzustellen.

1. Die Beklagte ist für die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und die Höhe der zu entrichtenden Beiträge nicht zuständig. Vielmehr hat über die Versicherungs- und Beitragspflicht in einem Versicherungszweig derjenige Versicherungsträger zu entscheiden, bei dem die behauptete Versicherungspflicht bestehen würde, es sei denn, es gibt eine abweichende Zuständigkeitsregelung (st. Rspr. des BSG; siehe Urteil vom 22. März 2001 - B 12 P 3/00 R - SozR 3-2600 § 3 Nr. 5; Urteil vom 23. September 2003 - B 12 P 2/02 R - SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 oder Urteil vom 26. Mai 2004 - B 12 AL 4/03 R - SozR 4-2500 § 5 Nr. 2). Eine Berechtigung der Beklagten, Beitragspflicht und Beitragshöhe in der Rentenversicherung festzustellen, folgt insbesondere nicht aus § 170 Abs. 1 Nr. 6 a) Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI), wonach sie die Beiträge für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen zu tragen und deshalb nach § 173 SGB VI auch zu zahlen hat. Die Beitragstragungs- und Zahlungspflicht setzt die Versicherungspflicht voraus, über die im Streitfall der Rentenversicherungsträger - hier die Beigeladene - zu entscheiden hat. Demnach müsste die Beigeladene durch Verwaltungsakt über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Rentenversicherung entscheiden. Der gegen die Beklagte erhobenen Klage fehlt - auch nach Hinzuziehung der Beigeladenen - das Rechtsschutzinteresse. Sie ist unzulässig.

2. Der von der Klägerin gegenüber der Beigeladenen im Berufungsverfahren hilfsweise gestellte Antrag, festzustellen, dass sie im Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis zum 31. Januar 2000 versicherungspflichtig war und Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten waren, ist dagegen zulässig.

Hierbei handelt es sich insbesondere um keine unzulässige Klageänderung. Die Klägerin hat nur klargestellt, dass ein Feststellungsantrag, der schon in dem gegen die Beklagte gerichteten Klagebegehren enthalten war, nunmehr gegenüber der Beigeladenen weiterverfolgt wird. Zudem läge jedenfalls Sachdienlichkeit für eine Klageänderung vor (§ 99 Abs. 1 2. Alt. SGG). Im sozialgerichtlichen Verfahren richtet sich ein Antrag auch auf die Verurteilung des zuständigen Versicherungsträgers, wenn dieser beigeladen und seine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG zulässig ist. Ein beigeladener Versicherungsträger kann nach dieser Vorschrift nicht nur zur Leistung verurteilt werden. Vielmehr ist ihm gegenüber auch die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht zulässig. Das gilt auch dann, wenn der Versicherungsträger erst im Berufungsverfahren beigeladen wird.

Die Voraussetzungen des § 75 Abs. 5 SGG liegen hier vor. Das BSG hat § 75 Abs. 5 SGG über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich für Leistungs- und Verpflichtungsklagen (" verurteilt werden") in bestimmten Fällen auch auf Feststellungsklagen über die Versicherungs- und Beitragspflicht entsprechend angewandt (vgl. Urteil vom 12. Dezember 1964 - 3 RK 65/62 - BSGE 22, 173 (180) und das oben zitierte Urteil vom 22. März 2001, a. a. O.). Voraussetzung ist dabei, dass ein Versicherungsträger zuvor eine Entscheidung durch Verwaltungsakt getroffen hat, ohne dass zu diesem Zeitpunkt geklärt war, ob hierfür der eine oder aber der andere Versicherungsträger zuständig ist. Entscheidend ist mithin, dass überhaupt ein Verwaltungsverfahren - sei es auch vor dem materiell-rechtlich unzuständigen Versicherungsträger - stattgefunden hat (BSG, Urteile vom 23. September 2003 und 26. Mai 2004, s. o.;). So liegt es hier. Die Beklagte, an die sich die Klägerin zunächst gewandt hatte, hat ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheide nicht in Zweifel gezogen und ein Verwaltungsverfahren durchgeführt. Entgegen der Meinung der Beigeladenen genügt dieses Verwaltungsverfahren für einen zulässigen Feststellungsantrag bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung ihr gegenüber. Der Rechtsprechung des BSG ist gerade nicht zu entnehmen, dass vor einer Feststellung gegenüber der Beigeladenen nochmals die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens vor ihr als für die Entscheidung zuständigem Versicherungsträger erforderlich ist. Die Unzulässigkeit einer Feststellungsklage gegenüber einem beigeladenen Versicherungsträger hat das BSG nur in Fällen eindeutiger und ausdrücklicher gesetzlicher Zuständigkeitsregelung angenommen (Urteile vom 23. September 2003 - B 12 RA 3/02 R - SozR 4-2400 § 28 h Nr. 1 und vom 25. März 2004 - B 12 AL 5/03 R - SozR 4-2600 § 191 Nr. 1). Für das Verhältnis der Beklagten als Pflegekasse zur Beigeladenen als Rentenversicherungsträger fehlte es im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 15. November 2000 jedoch an einer klaren Zuständigkeitsregelung. Klarheit brachte letztlich erst das Urteil des BSG vom 22. März 2001 (s. o.). In dieser Situation greift der Regelungsgehalt des § 75 Abs. 5 SGG. Die Norm verfolgt den Zweck, eine unzutreffende Beurteilung der Zuständigkeit nicht in der Weise zu Lasten des Bürgers gehen zu lassen, als er im Prozess mit seinem Begehren gegen die unzuständigen Träger abgewiesen wird und ein neues Verfahren gegen den zuständigen Träger anstrengen muss. Vielmehr soll schon im ersten Prozess eine Entscheidung über das Begehren des Bürgers gegenüber dem zuständigen beigeladenen Versicherungsträger ermöglicht werden.

Auch das für die Feststellungsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin liegt vor. Es ergibt sich gerade aus der von der Beigeladenen vertretenen Rechtsansicht. Die Beigeladene vertritt die Ansicht, dass sie die Rentenversicherungspflicht nicht feststellen könne. Sie hält die Frage des wöchentlichen Pflegeaufwandes, über die nach ihrer Auffassung die Beklagte zu befinden habe und die sie ihrer eigenen Entscheidung ohne selbstständige Prüfung zugrunde zu legen gedenkt, im Hinblick auf die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für vorgreiflich. Sie sieht sich deshalb außerstande, über den Antrag der Klägerin vom 27. Juni 2005 zu entscheiden.

3. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die Klägerin war während des hier strittigen Zeitraums vom 1. Mai 1998 bis zum 31. Januar 2000 rentenversicherungspflichtig, sodass auch eine Beitragspflicht bestand.

Nach § 3 Satz 1 Nr. 1 a) SGB VI sind Personen in der Rentenversicherung in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie einen Pflegebedürftigen i. S. v. § 14 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung hat. Die entsprechenden Beiträge zur Rentenversicherung werden für diese versicherungspflichtigen Pflegepersonen nach den beitragspflichtigen Einnahmen erhoben (§ 161 Abs. 1 SGB VI). Die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen wiederum ist in § 166 Abs. 2 SGB VI geregelt. Die Versicherungspflicht der Pflegepersonen in der Rentenversicherung konkretisiert die leistungsrechtliche Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB XI, wonach die Pflegekassen und die privaten Versicherungsunternehmen, bei denen eine private Pflege-Pflichtversicherung durchgeführt wird, sowie die sonstigen in § 170 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI genannten Stellen zur Verbesserung der sozialen Sicherung einer Pflegeperson i. S. v. § 19 SGB XI Beiträge an den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichten, wenn die Pflegeperson regelmäßig nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Der Begriff der Pflegeperson i. S. v. § 19 SGB XI ist identisch mit demjenigen in § 3 Satz 1 Nr. 1 a) SGB VI. Maßgeblich für die Versicherungs- und Beitragspflicht der Pflegeperson in der Rentenversicherung ist damit letztlich, ob die pflegebedürftige Person wenigstens 14 Stunden wöchentlich gepflegt wird (Mindestpflegezeit).

Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum die Mindestpflegezeit überschritten. Dies gilt nicht erst seit dem Zeitpunkt der vom Hausarzt S bestätigten Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherten (Mitte 1999), sondern bereits ab Mai 1998. Der im MDK-Gutachten vom 8. April 1998 angegebene wöchentliche Pflegeaufwand von ca. 10,5 Stunden lässt sich schon deshalb nicht unbesehen auf § 19 SGB XI übertragen, weil das Gutachten in erster Linie der Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Versicherten zwecks Zuordnung zu einer Pflegestufe zum Inhalt hatte. Für die im Gutachten erfolgte Zuordnung zur Pflegestufe I (und damit für die Leistungsberechtigung der Versicherten) reicht nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI jedoch bereits eine wöchentliche Pflegezeit von 10,5 Stunden aus. Unter Berücksichtigung des im Gutachten angegebenen täglichen Pflegebedarfs von 95 Minuten (50 Minuten Grundpflege + 45 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung) errechnet sich ein wöchentlicher Hilfebedarf von 11,08 Stunden (95 Minuten x 7 Tage : 60 Minuten).

Aus der in § 19 Satz 1 SGB XI erfolgten Bezugnahme auf § 14 SGB XI ist jedoch nicht abzuleiten, dass die Mindestpflegezeit nur mit Hilfeleistungen bei den in § 14 SGB XI aufgeführten Verrichtungen erfüllt werden kann. Vielmehr ist § 19 SGB XI im Zusammenhang mit § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI zu sehen, wonach die Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher und teilstationärer Pflege die familiäre, nachbarschaftliche und ehrenamtliche Hilfe ergänzen. Einzubeziehen ist bei der Bemessung der Mindestpflegezeit damit auch die Zeit, die für ergänzende Pflege, Betreuung sowie zur Hilfe bei der Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse des Pflegebedürftigen benötigt wird. Erfasst wird damit auch der zeitliche Aufwand für Pflegeleistungen, die nicht aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden (Udsching, SGB XI, 2. Aufl., § 19 Rn. 14; Wilde in: Hauck/Wilde, SGB XI, Stand Mai 2006, § 19 Rn. 16; Gürtner in: Kass-Komm, § 19 SGB XI Rn. 8, jeweils m. w. N.). Der Pflegeaufwand i. S. v. § 19 SGB XI kann damit im Ergebnis sehr viel weiter gehen, als der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und ihrer Stufe maßgebliche Bedarf.

Ein solcher zusätzlicher Pflegeaufwand liegt hier vor. Die Klägerin hat glaubhaft dargelegt, dass sie für die Versicherte regelmäßig Hilfe zur Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse erbrachte. So hat sie die Versicherte zusammen mit ihrem Ehegatten regelmäßig im Haus und in den Garten getragen. Sie war während der Zeit der Nahrungsaufnahme durch die Versicherte zugegen. Die Klägerin geleitete die Versicherte nicht nur mehrmals täglich zur Toilette, sondern war während der Zeit des Wasserlassens bzw. des Stuhlgangs auch durchgehend anwesend. Schließlich übernahm die Klägerin die Bereitstellung und Reichung der Medikamente sowie die Gabe des Nitraginsprays. Ab Mai 1998 hat die Klägerin der Versicherten zweimal täglich Insulin gespritzt. Dies setzte die vorherige Blutzuckermessung und Vorbereitung der Injektionen voraus. Die Angaben der Klägerin werden durch die Mitteilungen des Hausarztes der Versicherten gestützt. Herr S teilte nicht nur einen ab Mitte 1999 wesentlich erhöhten Pflegeaufwand mit, sondern bestätigte zugleich einen bereits zuvor bestanden habenden erheblichen Pflegebedarf der Versicherten. Der Senat veranschlagt für die angeführten Hilfen einen zusätzlichen Zeitaufwand von mindestens einer halben Stunde täglich, der in der Sache auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird.

Der Umstand, dass die Medikamentengabe und die Verabreichung von Insulin nicht zu den in § 14 SGB XI genannten Verrichtungen, sondern zur Behandlungspflege nach § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zählt, ist unerheblich. Der im Rahmen von § 14 SGB XI einerseits und bei § 19 SGB XI andererseits berücksichtigungsfähige Zeitaufwand ist gerade nicht identisch (s. o.). Wenn bei der Bemessung der Mindestpflegezeit gemäß § 19 SGB XI schon sonstige familiäre, nachbarschaftliche und ehrenamtliche Pflege und Betreuung in Ansatz gebracht werden kann, muss dies erst recht für die Behandlungspflege gelten, die viel unmittelbarer am Pflegebedürftigen verrichtet wird. Im Übrigen hat die Abgrenzung der Bemessung des Pflegebedarfs von den Maßnahmen der Behandlungspflege wegen § 13 Abs. 2 SGB XI nur im Rahmen von § 14 SGB XI Bedeutung und dient letztlich dem Zweck, eine doppelte Leistungsinanspruchnahme zu vermeiden. Behandlungspflege, die als Pflegebedarf berücksichtigt wird und damit in die Zuordnung zu einer Pflegestufe einfließt, kann nicht gleichzeitig als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen werden. Bei § 19 SGB XI kommt eine doppelte Leistung aber gar nicht in Betracht. Denn bei den Leistungen, die einer Pflegeperson i. S. v. § 19 SGB XI nach § 44 SGB XI erbracht werden, handelt es sich um keine den §§ 36 ff. SGB XI vergleichbaren Leistungen, die ggf. in Konkurrenz zur häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V treten könnten.

Damit war die Klägerin als Pflegeperson für die Versicherte mindestens 14,5 Stunden wöchentlich tätig. Sie war in der Zeit vom 1. Mai 1998 bis zum 31. Januar 2000 auch nicht über 30 Stunden erwerbstätig, sondern vielmehr ohne Arbeit. Schließlich befand sich die Klägerin im streitrelevanten Zeitraum auch nicht im Urlaub, womit auch insoweit keine Abzüge vorzunehmen sind (vgl. hierzu näher BSG, Urteil vom 22. März 2001, a. a. O.). Im Ergebnis lagen im strittigen Zeitraum die Voraussetzungen der Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin vor, womit gegenüber der Beigeladenen die im Ausspruch enthaltene Feststellung vorzunehmen war und die Beklagte verpflichtet ist, an diese die Rentenversicherungsbeiträge in gesetzlicher Höhe abzuführen. Die Versicherungspflicht der Klägerin trat im Zeitpunkt der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen (hier also zum 1. Mai 1998) kraft Gesetzes ein, sodass der Umstand der durch die Klägerin am 20. März 2000 erfolgten Antragstellung unschädlich ist. Nach alledem war die Berufung der Beklagten begründet und der Feststellungsklage gegenüber der Beigeladenen stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass der Bescheid der Beklagten vom 15. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2001 einer materiell-rechtlichen Überprüfung in der Sache nicht standhielt und die Klägerin deshalb in ihren Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 SGG), weil ihr im streitgegenständlichen Zeitraum ein Anspruch auf Beitragsabführung zur Rentenversicherung zusteht. Damit hat die Klägerin mit ihrem Begehren letztlich vollumfänglich obsiegt, womit es angemessen erscheint, der Beklagten und der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten der Klägerin jeweils zum Teil, den der Senat hier mit je 1/2 bemisst, aufzuerlegen.

Die Revision wird zugelassen, da der Senat der Frage, ob Maßnahmen der Behandlungspflege im Rahmen der Berechnung der Mindestpflegezeit i. S. v. § 19 Satz 2 SGB XI Berücksichtigung finden, grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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