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L 4 R 477/13

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11.10.2013 wird zurückgewiesen.
  2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte ihre Versicherungspflicht als selbständige Lehrerin für die Zeit ab dem 01.01.1984 festgestellt hat.

Die 1955 geborene Klägerin legte 1976 die Prüfung zur Staatlich geprüften Gymnastiklehrerin ab. Eigenen Angaben zufolge war sie in den Jahren 1984 bis 1989 als Referentin für eine Volkshochschule mit geringfügigen Einkünften tätig. Ab 1994 praktizierte sie als selbständige Gymnastiklehrerin. Bis zum Jahr 2001 erfolgte die Tätigkeit auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung. Ab 2005 war dies nicht mehr der Fall. Einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt sie nicht. Ihre Tätigkeit beschrieb die Klägerin dahingehend, dass sie Übungen mit ihren Kunden durchführe mit dem Ziel, deren körperliches Wohlbefinden zu steigern. Die Übungen erfolgen dabei nach einem von der Klägerin aufgestellten sog. „Therapieplan“, wobei ärztliche Diagnosen von ihr nicht gestellt werden.

Nachdem die Klägerin in einem Verfahren zur Feststellung von Kindererziehungs- /Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung angegeben hatte, von 1984 bis 2010 als Sport- und Gymnastiklehrerin tätig gewesen zu sein, übersandte ihr die Beklagte einen Fragebogen zur Feststellung der Pflichtversicherung kraft Gesetzes als selbständig Tätige. In diesem teilte die Klägerin mit, dass sie für eine große Anzahl von Privatkunden tätig sei Ihre Tätigkeit sei eine „heilpraktische Anwendung“.

Mit Bescheid vom 10.01.2011 stellte die Beklagte für die Zeit ab dem 01.01.1984 die Sozialversicherungspflicht der Klägerin nach „§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI“ fest. Zugleich setzte sie die Höhe der nach § 169 SGB VI zu, zahlenden Beiträge für die Zeit ab dem 01.01.2007 bis zum 31.01.2011 in Höhe von insgesamt 24.412,45 € fest. Für die davor liegenden Zeiträume ging sie vom Nichtbestehen einer Beitragspflicht unter anderem wegen geringfügiger selbstständiger Tätigkeit beziehungsweise wegen Eintritts der Verjährung aus.

Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin unter anderem damit, dass ihre Tätigkeit nicht dem Bereich der Wissensvermittlung zuzuordnen sei. Vielmehr führe sie Gesundheitsübungen nach einem eigenen Therapieplan durch. So würden zum Beispiel spezielle Beckenbodenübungen, Übungen gegen Stuhlinkontinenz, für Rückengesundheit und gegen Migräne gemacht. Auch würden Übungen zur Atemtechnik etwa bei Asthmaleiden oder bronchialen Erkrankungen der Kunden angeboten. Sie werde dabei aufgrund eigener Diagnosen und eines eigenen Therapieplanes tätig, so dass von einer Versicherungsfreiheit in Anlehnung an die Einstufung nichtärztlicher Heilberufe, wie etwa bei Psychologen, Heilpädagogen und Logopäden auszugehen sei.

Mit Bescheid vom 28.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Versicherungspflicht der Klägerin auf § 2 Nr. 1 SGB VI beruhe. Der Begriff des Lehrers sei weit auszulegen und erfasse daher auch Unterweisung in körperlichen Übungen und mechanischen Tätigkeiten. Es werde jegliches Übermitteln von Wissen, Können und Fertigkeiten umfasst, wobei Art und Umfang der Unterweisung nur von untergeordneter Bedeutung sei. Die Beitragserhebung für den noch nicht verjährten Zeitraum ab dem 01.01.2007 sei mithin zu Recht erfolgt.

Die Klägerin hat am 20.12.2011 Klage zum Sozialgericht (SG) Speyer erhoben.

Zu deren Begründung hat sie ausgeführt, dass ihrer Tätigkeit derjenigen eines Heilpädagogen gleichzustellen sei. Diese seien jedoch nichtversicherungspflichtig. Ihre Tätigkeit beruhe auf eigener Diagnostik und einem eigenen Therapieplan. Es bestehe mithin weder aus § 2 S. 1 Nr. 1 noch aus Nr. 2 SGB VI eine Versicherungspflicht.

Mit Urteil vom 11.10.2013 hat das SG die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Die Versicherungspflicht der Klägerin folge aus § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI. Dabei sei der Begriff des Lehrers in einem weiten Sinne zu verstehen. Seine Tätigkeit umfasse jede Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, gleich auf welchem Gebiet. Es könnten sowohl Kenntnisse auf dem Gebiet der Wissenschaft und Theorie (Lehrer an jeder Art schulischer Einrichtung oder Unternehmung, Nachhilfelehrer, Repetitoren) als auch Fähigkeiten auf praktischem Gebiet im beruflichen wie im privaten Bereich (Sport und Freizeitgestaltung jeder Art, Vermittlung sonstiger Qualifikationen) vermittelt werden. Dabei dürfe die Vermittlung nicht nur ein rein untergeordneter Teil der selbständigen Tätigkeit sein. Die Klägerin, die ausgebildete Gymnastiklehrerin sei, vermittle ihren Kunden Fähigkeiten. Die Übungen insbesondere zu Bewegungsabläufen, die sie mit ihnen durchführe, se i-' en 'Ohne Probleme durch diese nach einer entsprechenden Lernphase selbst durchführbar. Insoweit sei zu beachten, dass die Reproduzierbarkeit der Übungen für die Annahme der Vermittlung einer praktischen Fähigkeit nicht einmal erforderlich sei. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Vermittlung der Übungen, die die Klägerin nach den Bedürfnissen ihrer Kunden auswähle, im Hintergrund stehe. Insbesondere bei den von der Klägerin angegebenen Bereichen der Übungen gegen Rückenbeschwerden, bei Migräne oder zur Einübung von Atemtechniken stehe das Erlernen der Übungen zur späteren Durchführung in eigener Regie im Vordergrund. Die Tätigkeit der Klägerin sei auch nicht mit derjenigen in ärztlichen, Heilberufen vergleichbar, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt heraus eine Versicherungspflicht nicht zu verneinen sei. Die Klägerin, die über keine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz verfüge, sei nicht mit den Heilkundigen vergleichbar, die aus dem Regelungsbereich der Versicherungspflicht herausgenommen seien. Als derartige Heilkundige würden Personen wie etwa Ärzte oder Heilpraktiker verstanden, die eigenständig diagnostische Feststellungen und Therapieentscheidungen zu treffen befugt seien. AIS staatlich geprüfte Gymnastiklehrerin stelle die Klägerin jedoch weder eigene Diagnosen im medizinischen Sinn, noch übe sie Heilkunde wie eine Heilpraktikerin aus. Ein Befreiungstatbestand im Sinne von § 6 SGB VI sei ebenfalls nicht erkennbar.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 15.10.2013 zugestellte Urteil am 07.11.2013 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Zu deren Begründung trägt sie vor, dass sie im Rahmen der Behandlung von Krankheitssymptomen, wie etwa bei Migräne oder Rückenbeschwerden, tätig werde. Sie gehöre daher nicht zum Kreis der Versicherten nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI. Sie übe ihre Tätigkeit für Kursgruppen aus. Die Gruppenmitglieder kämen, um gemeinsame Übungen auszuführen. Das gesellige Beisammensein sei nicht auf die Übungen beschränkt, sondern es würden auch gemeinsame Ausflüge unternommen. Es liege mithin eine versicherungsfreie Form der Freizeitgestaltung vor.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11.10.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz zulässige Berufung der Klägerin führt in der Sache nicht zum Erfolg. Das Sozialgericht ist in seiner angefochtenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als selbstständige Gymnastiklehrerin versicherungspflichtig nach § 2 Nr. 1 SGB VI ist. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Darlegungen in der angefochtenen Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug und ergänzt noch Folgendes:

Die Klägerin beschäftigt bei ihrer Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Ihren eigenen Angaben zufolge im Verwaltungs- und nachfolgenden Gerichtsverfahren besteht ihre Tätigkeit in der Durchführung von Übungen mit ihren Kunden, mit dem Ziel, deren körperliches Wohlbefinden zu steigern. Die Übungen erfolgen dabei nach einem von der Klägerin aufgestellten sog. „Therapieplan“, wobei medizinische Diagnosen in Ermangelung einer Ausbildung als Ärztin oder Heilpraktikerin von ihr nicht gestellt werden. Ausweislich der bei den Akten befindlichen, im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten drei „Therapiepläne“ betreffend Übungen bei Migränekopfschmerzen und Verspannungen im Schulter/Nackenbereich, Übungen zur Tonusminderung und bei Stuhlinkontinenz sowie Asthma bronchiale, Rückenschmerzen, starken Muskelverspannungen und Kurzatmung führt die Klägerin mit den Kunden gymnastische Übungen durch, die zu einer Verbesserung von deren körperlicher Situation beitragen sollen. Die Übungen sind in den „Therapieplänen“ im Einzelnen beschrieben. Durch diese Übungen werden z.B. bestimmte Muskelgruppen gestärkt, etwa um muskulären Dysbalancen entgegenzuwirken oder mit Hilfe bewusster Atemübungen gestörte Muskelfunktionen zu verbessern, eine verbesserte Regulierung des Stoffwechsels unter Durchblutung zu erreichen oder zu einer verbesserten Atemtechnik zu gelangen. Diese Übungen sind so gestaltet, dass sie zur Überzeugung des Senats von den Kunden der Klägerin nach einer gewissen Lernphase selbstständig durchführbar sind und etwa zuhause bei Bedarf angewandt werden können. Die Klägerin vermittelt damit nach Auffassung des Senats Kenntnisse zu körperlichen Bewegungsabläufen, etwa durch das Training bestimmter Muskelgruppen. Dies geschieht sowohl im Wege des Einzel- als auch des Gruppenunterrichts. Dass im Vordergrund der von der Klägerin abgehaltenen Kurse (allein) die Motivation der Kursteilnehmer steht, ist für den Senat nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie als Mittel der Motivation eine feste Terminierung der Kurseinheiten und eine verbale Animation der Kursteilnehmer sowie ihre Vorbildfunktion durch eigene Ausübung der Übungen einsetze. Diese Gesichtspunkte stehen jedoch vorliegend der Annahme einer Versicherungspflicht als selbständige Lehrerin nicht entgegen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, ist eine weite Auslegung des Lehrerbegriffs geboten, um die typisierte Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises zu berücksichtigen (vgl. etwa BSG, Urt. v. 22.06.2005- B 12 RA 6/04 R -). Unter den Begriff der selbstständig tätigen Lehrer fallen hiernach alle Personen, die im Rahmen einer Aus- oder Fortbildung durch theoretischen oder praktischen Unterricht Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen vermitteln. Der in langer Tradition entwickelte sozialversicherungsrechtliche Lehrerbegriff ist ein weiterer, als der im allgemeinen Sprachgebrauch verwandte. Als Lehrtätigkeit sind das - auch flüchtige - Übermitteln von Wissen und die Unterweisung von praktischen Tätigkeiten zu verstehen. Der Begriff der Lehrtätigkeit umfasst sowohl die Vermittlung von theoretischen Kenntnissen als auch die Unterweisung von körperlichen Tätigkeiten. Unerheblich ist, auf welchen Gebieten die Wissensvermittlung erfolgt und auf welche Weise die zur Vermittlung erforderlichen fachlichen oder pädagogischen Kenntnisse erworben wurden. Schließlich enthält das SGB VI keine Vorgaben zu den Lehrinhalten, der Form des Unterrichts (Ort, Zeit und Anzahl der Teilnehmer), der Qualifikation des Lehrers und einer Leistungskontrolle der Teilnehmer. Für die Begründung der Versicherungspflicht ist auch nicht erheblich, welche berufliche Eigenbezeichnung vom Versicherten angegeben wurde. Es spielt keine Rolle, welches Niveau die ausgeübte Tätigkeit hat. Die der Tätigkeit zu Grunde liegende Methode der Wissensvermittlung ist für die Beurteilung nicht entscheidend. Vielmehr kommt es auf das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit an.

Wie das Sozialgericht ist auch der Senat überzeugt, dass die Klägerin im Rahmen ihrer selbstständigen Tätigkeit als Lehrerin im Sinne des § 2 S. i Nr. 1 SGB VI tätig ist, da sie dritten Personen Gymnastikunterricht erteilt und dafür Stunden abhält. Der von ihr erteilte Unterricht - für den sie im Übrigen, ohne dass es rechtlich darauf ankommt, eine mehrjährige staatliche Ausbildung erfolgreich absolviert hat - hat die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum. Inhalt, die der Vermittlung von körperlichen Bewegungsabläufen dienen. Entsprechend hat die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 12.11.2014 ihre Tätigkeit beschrieben. Die unterrichteten Bewegungsabläufe sind im Einzelnen durchaus geeignet, das körperliche Wohlbefinden der Kunden der Klägerin zu verbessern. Dabei vermittelt die Klägerin ihren Kunden auch Wissen über die zur Behebung ihrer gesundheitlichen Störungen notwendigen und angezeigten Bewegungsabläufe. Dass dabei insbesondere auch im Unterricht motivierende Elemente eingesetzt werden, steht zur Überzeugung des Senats einer Versicherungspflicht nicht entgegen. Anders als in dem vom LSG Nordrhein-Westfalen entschiedenen Fall eines sog. Spinning-Trainers (vgl. Urt. v. 18.03.2013 - L 3 R 713/12 - ) steht bei der Klägerin wie zuvor dargelegt nicht allein die Motivation der Kursteilnehmer im Vordergrund, diese dazu zu animieren, ihre körperliche Fitness zu verbessern. Dass die Schaffung motivierende Umstände für ein gutes Kursklima insbesondere im Rahmen des Gruppenunterrichts und die Vermittlung von Bewegungsabläufen einen Beitrag leisten kann, steht zur Überzeugung des Senats außer Frage. Der Begriff der „Motivation“ ist vorliegend jedoch nicht geeignet, die Versicherungspflicht der Klägerin als selbständige Lehrerin auszuschließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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