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L 4 R 27/08

Tenor

1.Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.11.2007 sowie die Bescheide der Beklagten vom 06.01.2005 und 20.12.2004 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.05.2005 und 15.04.2005 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin zu 1) im Zeitraum vom 22.08.2001 bis 30.09.2004 und der Kläger zu 2) im Zeitraum vom 27.11.2001 bis 30.09.2004 in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI versicherungspflichtig waren.
2.Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3.Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen.

Die 1924 geborene Mutter der Klägerin zu 1) und Schwiegermutter des Klägers zu 2), A K (Pflegebedürftige) bezieht seit dem 22.08.2001 von der Beigeladenen eine Kombination aus Sachleistungen und Pflegegeld unter Zuordnung zur Pflegestufe II gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Pflegeversicherung - (SGB XI). Im hier streitigen Zeitraum wurde sie von dem ambulanten Pflegedienst G der die tägliche Ganzkörperwäsche und das Anziehen übernahm, sowie darüber hinaus von der Klägerin zu 1) (22.08.2001 bis 30.09.2004) und von dem Kläger zu 2) (27.11.2001 bis 30.09.2004) im wöchentlichen Wechsel in ihrer eigenen Wohnung gepflegt.

Die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB XI beruhte auf einem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherer Rheinland-Pfalz (MDK) vom 22.10.2001. Die Pflegebedürftige hat am 21.07.2001 einen Schlaganfall erlitten und war zum Zeitpunkt der Begutachtung in keinster Weise in der Lage, die aktuelle Situation zu verstehen. Während der gesamten Begutachtung lief sie ständig in der Wohnung umher. Es bestanden ausgeprägte apraktische Störungen. Die Pflegebedürftige zeigte sich ablehnend und unkooperativ bei Pflegetätigkeiten. Aufgrund von Verwirrtheitszuständen der Pflegebedürftigen war eine psychosoziale Betreuung rund um die Uhr erforderlich. Als pflegebegründende Diagnosen werden eine Demenz, ein Apoplex sowie eine Harninkontinenz genannt. Der tägliche Pflegebedarf beträgt nach dem Ergebnis des Gutachtens 206 Min. (Körperpflege: 105 Min., Ernährung: 8 Min., Mobilität: 22 Min., Hauswirtschaft: 71 Min.). Von diesem wöchentlichen Pflegeaufwand von 24 Stunden wurden 3,5 Stunden wöchentlich vom Pflegedienst geleistet. Im Gutachten wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass in Anbetracht der Diagnosen mit einem Anstieg des Pflegebedarfes wenigstens längerfristig gerechnet werden müsse.

Die Beigeladene entrichtete für die Klägerin zu 1) sowie ab dem 27.11.2001 auch für den Kläger zu 2) Rentenversicherungsbeiträge für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen an die Beklagte. Mit Schreiben vom 16.11.2001 bzw. 10.12.2001 wurden die Kläger hiervon unterrichtet.

Mit Schreiben vom 19.11.2004 teilte die Beigeladene den Klägern mit, durch eine interne Überprüfung sei festgestellt worden, dass die Beiträge zur Rentenversicherung zu Unrecht entrichtet worden seien. Eine Versicherungspflicht habe nicht bestanden, deshalb sei man verpflichtet, die Verwaltungsakte vom 16.11.2001 bzw. 10.12.2001 aufzuheben. Nach dem MDK-Gutachten liege nur eine Pflegebedürftigkeit von 24 Stunden in der Woche vor. Hiervon habe der Pflegedienst 3,5 Stunden übernommen. Der für die Kläger verbleibende Pflegeaufwand habe somit ca. 21 Stunden betragen. Da die Pflege jeweils zu gleichen Teilen durchgeführt worden sei, betrage die wöchentliche Pflegezeit 10,5 Stunden. Erforderlich seien jedoch 14 Stunden pro Woche. Sie werde die Beiträge für die streitigen Zeiten beim Rentenversicherungsträger geltend machen. Dies erfolgte sodann mit Schreiben an die Beklagte vom 30.11.2004 und 17.12.2004.

Die Kläger teilten der Beigeladenen daraufhin mit, mit dieser Entscheidung seien sie nicht einverstanden. Ihnen sei telefonisch zugesichert worden, dass die Zahlung zur sozialen Absicherung nicht rückgängig gemacht werde. Man habe sich auf die Fachkompetenz der Mitarbeiter der Beigeladenen verlassen. Der Beigeladenen sei auch mitgeteilt worden, dass die Pflege im wöchentlichen Wechsel erfolge (somit 21 Stunden wöchentlich). Eine andere zeitliche Regelung sei jederzeit möglich gewesen. Die Beigeladene leitete die Schreiben der Kläger an die Beklagte mit der Bitte um Entscheidung weiter.

Mit Bescheiden vom 20.12.2004 (Kläger zu 2)) und 06.01.2005 (Klägerin zu 1)) lehnte die Beklagte die Feststellung einer Versicherungspflicht ab, da die Voraussetzungen des § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI nicht erfüllt seien. Nach dieser Vorschrift seien Personen in der Zeit versicherungspflichtig, in der ein Pflegebedürftiger i. S. v. § 14 SGB XI nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung gepflegt werde. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil nach den Feststellungen der Pflegekasse die wöchentliche Pflegetätigkeit unter 14 Stunden in der Woche liege (§ 19 S. 2 SGB XI). Die Widersprüche der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 15.04.2005 (Kläger zu 2)) und vom 11.05.2005 (Klägerin zu 1)) zurück.

Die dagegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 13.12.2005 gemäß § 113 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Kläger haben vorgetragen, bereits im MDK-Gutachten vom Oktober 2005 sei eine Demenzerkrankung diagnostiziert und weiter ausgeführt worden, dass sich der Pflegebedarf rasch erhöhe. Der tatsächliche Pflegeaufwand habe viel höher gelegen. Dies sei weiter aufzuklären, zumal nach Zuerkennung der Pflegestufe II keine Notwendigkeit bestanden habe, eine Nachbegutachtung zu veranlassen oder weitere Informationen zu sammeln. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie nach der Mitteilung der Beigeladenen davon ausgegangen seien, dass Versicherungspflicht bestehe. Dies könne nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es bestehe Vertrauensschutz, zumindest in analoger Anwendung der §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Wolle die Beklagte von einer einmal getroffenen Entscheidung wieder abrücken, so sei es an ihr, den Nachweis zu führen, dass die maßgeblichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Ein solcher Nachweis fehle.

Mit Urteil vom 29.11.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Nach § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI seien Personen in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie einen Pflegebedürftigen i. S. v. § 14 SGB XI nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in der häuslichen Umgebung pflegten. Zur Beurteilung der Versicherungspflicht in den Fällen, in denen die Pflege eines Pflegebedürftigen von mehreren Personen im turnusmäßigen Wechsel ausgeübt werde, sei auf die "Regelmäßigkeit" als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal abzustellen. Danach müsse die Pflegeperson regelmäßig wöchentlich im Umfang von 14 Stunden die Pflege ausführen. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der zeitliche Umfang habe nach dem MDK-Gutachten nicht bei durchschnittlich 14 Stunden je Pflegeperson gelegen, sondern nur insgesamt bei 18 Stunden und 26 Min. für die Kläger. Dieser Pflegeumfang liege zwar in der Woche über 14 Stunden, aber deutlich unterhalb des hier wegen des wöchentlichen Pflegewechsels zwischen den Klägern erforderlichen 28 Stunden. Auch unter Berücksichtigung der von Seiten der Kläger glaubhaft geschilderten Unruhe der Pflegebedürftigen werde kein regelmäßiger wöchentlicher Pflegeaufwand von insgesamt 28 Stunden erreicht. Entgegen der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.06.2005) sei nur die Zeit für die Durchführung von Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung zu berücksichtigen und nicht darüber hinaus auch die ergänzende Pflege und Betreuung (Kommunikation, Beförderung und Begleitung, allgemeine Aufsicht). Für eine solche Ausweitung der Versicherungspflicht bestehe keine rechtliche Grundlage. Entgegen der Auffassung der Kläger bestehe auch kein Vertrauensschutz aufgrund des Umstandes, dass die Beigeladene zunächst irrtümlich von einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgegangen sei. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung stelle der zuständige Rentenversicherungsträger die Versicherungs- und Beitragspflicht einer nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegeperson fest. Der Rentenversicherungsträger sei an einer solchen Feststellung auch nicht gehindert, wenn zuvor eine abweichende Beurteilung der Pflegekasse erfolgt sei. Die §§ 44 ff. SGB X seien nicht anwendbar.

Am 14.01.2008 haben die Kläger gegen das am 20.12.2007 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Die Kläger tragen vor, aus dem Urteil des LSG NRW vom 03.06.2005 ergebe sich, dass die gesamte Hilfstätigkeit zu berücksichtigen sei. Auch in den Gesetzesmaterialien werde ausgeführt, dass bei der Feststellung der Mindeststundenzahl nicht nur die Arbeitszeit einzubeziehen sei, die aufgrund von Pflegeleistungen und hauswirtschaftlicher Versorgung i. S. v. § 14 Abs. 4 SGB XI anfalle und für die Feststellung des Grades der Pflegebedürftigkeit maßgeblich sei, sondern auch die Zeit, die für die ergänzende Pflege und Betreuung i. S. v. § 4 Abs. 2 S. 1 SGB XI benötigt werde. Dies habe das Sozialgericht verkannt. Im Übrigen habe sich das Sozialgericht nicht alleine auf das MDK-Gutachten stützen dürfen. Die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit stelle nur darauf ab, ob eine bestimmte Zielgröße erreicht werde. Sei dies der Fall, habe der Pflegebedürftige kein rechtliches Interesse daran, genauere Feststellungen hinsichtlich des konkreten Pflegebedarfs treffen zu lassen, da die gewünschte Pflegestufe erreicht worden sei. Der genaue zeitliche Umfang der Pflegebedürftigkeit hätte deshalb weiter aufgeklärt werden müssen. Schließlich seien auch Vertrauensschutzgesichtspunkte zu beachten. Sie hätten sich darauf verlassen, dass es bei der von der Beigeladenen getroffenen Entscheidung bleiben würde. Durch diese Entscheidung seien sie davon abgehalten worden, Begutachtungen über den eigentlichen für die Feststellung der Pflegestufe notwendigen Rahmen durchführen zu lassen. Dies könne sich nicht zu ihrem Nachteil auswirken. Im Übrigen sei insgesamt ein ganz erheblicher wöchentlicher Pflegeaufwand erforderlich gewesen, der fast einer Vollzeitpflege geglichen habe. Jeden Tag seien zunächst am Morgen das Frühstück zubereitet und einige Haushaltstätigkeiten verrichtet worden. Gegen 10.00 Uhr sei die Pflegebedürftige "frisch gemacht" worden. Ohne ihre Anwesenheit hätte die Pflegebedürftige keine Mittagsmahlzeit zu sich genommen. Mittags und Nachmittags habe die Mutter zudem erneut frisch gemacht werden müssen. Abends seien die Zubereitung einer Mahlzeit, das Fertigmachen für die Nachtruhe und erneute Reinigungsmaßnahmen erforderlich gewesen. Die Einnahme der notwendigen Medikamente habe vorbereitet und überwacht werden müssen. Am späten Abend habe dann noch eine Kontrolle stattgefunden, ob alles seine Ordnung habe. Neben diesen Tätigkeiten seien noch das Wäsche Waschen, das Einkaufen, die Begleitung bei Spaziergängen, Arzt- und Frisörbesuche angefallen.

Die Kläger beantragen,

  • das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29.11.2007 sowie die Bescheide vom 06.01.2005 und 20.12.2004 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.05.2005 und 15.04.2005 aufzuheben und festzustellen, dass vom 22.08.2001 bis 30.09.2004 (Klägerin zu 1)) bzw. vom 27.11.2001 bis 30.09.2004 (Kläger zu 2)) in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI Versicherungspflicht bestanden hat.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie sind der Ansicht, das angefochtene Urteil sei zutreffend. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des BSG vom 29.09.2003. Danach sei nämlich allein der Pflegeaufwand i. S. v. § 14 Abs. 1 und 4 SGB XI für die Bestimmung des zeitlichen Pflegeaufwandes maßgebend.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der die Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig; im hier streitigen Zeitraum waren die Klägerin zu 1) (22.08.2001 bis 30.09.2004) und der Kläger zu 2) (27.11.2001 bis 30.09.2004) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen. Gemäß § 199 S. 2 SGB VI können die Versicherten von den Trägern der Rentenversicherung die Feststellung verlangen, dass während einer ordnungsgemäß gemeldeten Beschäftigungszeit ein gültiges Beschäftigungsverhältnis bestanden hat. Nach S. 3 dieser Vorschrift gilt S. 2 auch für Zeiten einer nicht erwerbsmäßigen häuslichen Pflege, wie im vorliegenden Fall.

Gemäß § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI sind Personen in der Rentenversicherung in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie einen Pflegebedürftigen i. S. v. § 14 SGB XI nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung hat. Die Versicherungspflicht der Pflegepersonen in der Rentenversicherung konkretisiert die leistungsrechtliche Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB XI, wonach u. a. die Pflegekassen zur Verbesserung der sozialen Sicherung einer Pflegeperson i. S. v. § 19 SGB XI Beiträge an den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichten, wenn die Pflegeperson regelmäßig nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Der Begriff der Pflegeperson i. S. v. § 19 SGB XI ist identisch mit demjenigen in § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI. Maßgeblich für die Versicherungs- und Beitragspflicht der Pflegeperson in der Rentenversicherung ist damit, ob die pflegebedürftige Person wenigstens 14 Stunden wöchentlich gepflegt wird (Mindestpflegezeit). Da die Pflege im vorliegenden Fall von der Klägerin und dem Kläger im wöchentlichen Wechsel vorgenommen wurde, ist - worauf bereits das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend hingewiesen hat und was zwischen den Beteiligten im Übrigen auch unstreitig ist - eine wöchentliche Pflegezeit von insgesamt 28 Stunden erforderlich.

Diese Voraussetzungen können im hier streitigen Zeitraum zwar nicht bereits deshalb als erfüllt angesehen werden, weil die Beigeladene die Kläger mit - nicht in den Akten befindlichen - Schreiben vom 16.11.2001 bzw. 10.12.2001 über ihre Versicherungspflicht informiert hat und entsprechende Beiträge an die Beklagte überwiesen worden sind.

Die Beigeladene ist für die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nicht zuständig. Vielmehr hat über die Versicherungs- und Beitragspflicht in einem Versicherungszweig derjenige Versicherungsträger zu entscheiden, bei dem die behauptete Versicherungspflicht bestehen würde, es sei denn, es gibt eine abweichende Zuständigkeitsregelung (st. Rsp. des BSG; s. Urteil vom 22.03.2001 - B 12 P 3/00 R - SozR 3 - 2600 § 3 Nr. 5; Urteil vom 23.09.2003 - B 12 P 2/02 R - SozR 4 - 2600 § 3 Nr. 1; Urteil vom 26.05.2004 - B 12 AL 4/03 R - SozR 4 - 2500 § 5 Nr. 2). Eine Berechtigung der Beigeladenen, die Beitragspflicht in der Rentenversicherung festzustellen, folgt auch nicht aus § 170 Abs. 1 Nr. 6a SGB VI, wonach sie die Beiträge für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen zu tragen und deshalb nach § 173 SGB VI auch zu zahlen hat. Die Zahlungspflicht setzt die Versicherungspflicht voraus, über die im Streitfall der Rentenversicherungsträger - hier die Beklagte - zu entscheiden hat. Demnach musste die Beklagte durch Verwaltungsakt über die Versicherungspflicht der Klägerin zu 1) in der Rentenversicherung entscheiden. Die Entscheidung der Beigeladenen bindet die Beklagte nicht und aus der Entscheidung einer unzuständigen Behörde resultiert auch kein Vertrauensschutz zu Gunsten der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2), ebenso wenig wie aus einer fehlerhaften Entscheidung eines Arbeitgebers über das Vorliegen der Versicherungspflicht (vgl. BSG, a. a. O.)

Die Information der Beigeladenen über die Versicherungspflicht der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2) im Jahre 2001 war jedoch zutreffend, da die Voraussetzungen des § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI erfüllt sind.

Die nichterwerbstätigen Kläger haben im hier streitigen Zeitraum die Mindestpflegezeit überschritten. Der im MDK-Gutachten vom 22.10.2001 angegebene wöchentliche Pflegeaufwand von ca. 24 Stunden lässt sich nicht auf § 19 SGB XI übertragen, weil das Gutachten in erster Linie der Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Versicherten zwecks Zuordnung zu einer Pflegestufe zum Inhalt hatte. Aus der in § 19 S. 1 SGB XI erfolgten Bezugnahme auf § 14 SGB XI ist nicht abzuleiten, dass die Mindestpflegezeit nur mit Hilfeleistungen bei den in § 14 SGB XI aufgeführten Verrichtungen erfüllt werden kann. Vielmehr ist § 19 SGB XI im Zusammenhang mit § 4 Abs. 2 S. 1 SGB XI zu sehen, wonach die Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher und teilstationärer Pflege die familiäre, nachbarschaftliche und ehrenamtliche Hilfe ergänzen. Einzubeziehen ist bei der Bemessung der Mindestpflegezeit damit auch die Zeit, die für ergänzende Pflege, Betreuung sowie zur Hilfe bei der Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse des Pflegebedürftigen benötigt wird. Erfasst wird damit auch der zeitliche Aufwand der Pflegeleistungen, die nicht aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden (herrschende Meinung: Udsching, SGB XI, 2. Aufl., § 19 Rn. 14; Wilde, in: Hauck/Wilde, SGB XI, Stand Mai 2006, § 19 Rn. 16; Bürdner, in: KassKomm. § 19 SGB XI Rn. 8, LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.06.2005, L 4 RJ 58/04; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.09.2006, L 4 P 17/03). Der hiervon abweichenden Auffassung (LSG Niedersachsen, Urteil vom 12.02.2002 - L 3 P 7/01; Klattenhoff in SGB VI, § 6 Rn. 41) folgt der Senat nicht. Diese Ansicht stützt sich im Wesentlichen darauf, dass es für eine Berücksichtigung weitergehenden Hilfebedarfs keine Rechtsgrundlage gebe. Nach Auffassung des Senats stellt die Regelung des § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI jedoch bei der vorzunehmenden Auslegung selbst die Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung von über den Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung hinausgehenden Hilfebedarf dar. In den Gesetzesmaterialien wird ausgeführt, dass bei der Feststellung der Mindeststundenzahl nicht nur die Arbeitszeit einzurechnen ist, die aufgrund Pflegeleistungen und hauswirtschaftlicher Versorgung i. S. v. § 14 Abs. 4 SGB XI anfällt und für die Feststellung des Grades der Pflegebedürftigkeit maßgeblich ist, sondern auch die Zeit, die für die ergänzende Pflege und Betreuung i. S. v. § 4 Abs. 2 S. 1 SGB XI benötigt wird (BT-Drs. 12/5262, S. 101). Dieser hinsichtlich der Regelung in § 19 S. 2 SGB XI geäußerte Wille des Gesetzgebers ist gleichermaßen im Rahmen des § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI zu berücksichtigen. Denn beide Regelungen setzen übereinstimmend die Pflege einer pflegebedürftigen Person von wenigstens 14 Stunden wöchentlich voraus (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.). Zu berücksichtigen ist ferner auch der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommene Zweck, der mit der Einführung der Versicherungspflicht für Pflegepersonen verfolgt worden ist. Es sollten die Pflegebereitschaft im häuslichen Bereich gefördert, der hohe Einsatz der Pflegepersonen anerkannt und der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die vom Gesetzgeber als vorrangig erachtete häusliche Pflege meist nicht im Rahmen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, sondern im häuslichen Umfeld von Angehörigen und Nachbarn geleistet wird und häufig mit dem Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit und eine hieran anknüpfende eigene Alterssicherung verbunden ist (vgl. NRW Nordrhein-Westfalen, a. a. O. mit zahlreichen Nachweisen). Weder § 19 SGB XI noch § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI begrenzen den Begriff der Pflege durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf die in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend genannten Verrichtungen des täglichen Lebens. Anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII) ist dieser Regelung keine Einschränkung auf Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung zu entnehmen. Hätte der Gesetzgeber im Rahmen der Versicherungspflicht wegen Pflegetätigkeiten i. S. v. § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI eine Einschränkung auf Tätigkeiten im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung gewollt, hätte es nahe gelegen, diese gesetzliche Regelung ähnlich wie in § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII zu formulieren. Dies ist nicht erfolgt.

Der Pflegeaufwand i. S. v. § 19 SGB XI und somit auch i. S. v. § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI kann daher sehr viel weiter gehen als der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und ihrer Stufe maßgebliche Bedarf. Ein solcher zusätzlicher Pflegeaufwand liegt hier vor. Die Kläger - insbesondere die in der mündlichen Verhandlung vom Senat zum gesamten Umfang des Pflegeaufwands gehörte Klägerin zu 1) - haben glaubhaft dargelegt, dass sie für die Pflegebedürftige regelmäßig Hilfe zur Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse erbrachten. Eine Pflegeperson wohnte im Haus der Pflegebedürftigen und abends oder nachts musste zusätzlich beobachtet werden, ob sich im Haus etwas tut. Aufgrund der Demenzerkrankung musste die Pflegebedürftige verstärkt überwacht werden, weil sie unbeobachtet das Haus verließ, auch bei Regen, Gewitter, oft bis auf die Haut durchnässt. Die Windeln der Pflegebedürftigen mussten morgens, mittags, nachmittags und abends gewechselt werden, da sie sehr viel Wasser trank. Das zunächst bestellte Essen auf Rädern hat die Pflegebedürftige nicht mehr zu sich genommen. Essen musste daher von den Klägern immer frisch zubereitet werden. Die Einnahme der Medikamente musste ständig beaufsichtigt werden, da die Pflegebedürftige auf die Einnahme von Blutgerinnungshemmern angewiesen ist. Bei wöchentlichen Arztbesuchen wurde die Pflegebedürftige begleitet. Da die Pflegebedürftige auch nachts gelegentlich versuchte, das Haus zu verlassen, mussten auch hiergegen Vorkehrungen getroffen werden. Die Kläger begleiteten die Pflegebedürftige häufig zum Arzt, zum Frisör oder zur Fußpflege. Spaziergänge, insbesondere zum Friedhof, wurden unternommen. Die Anwesenheit bei allen Mahlzeiten diente der Kommunikation; ohne die Anwesenheit einer der Kläger hätte die Pflegeperson keine Mahlzeit zu sich genommen. Der Senat veranschlagt für die angeführten Hilfen einen zusätzlichen Zeitaufwand von mindestens zwei Stunden täglich. Damit waren die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) als Pflegepersonen für die Versicherte nicht nur zusammen 18 Stunden und 26 Min. - wie vom Sozialgericht dargelegt - oder 20,5 Stunden wie von der Beklagten berücksichtigt, sondern zusätzlich 14 Stunden (7 x 2 Stunden täglich) und somit insgesamt mehr als 32 bzw. 34,5 Stunden pflegerisch tätig. Da ein wöchentlicher Wechsel bei der Pflege stattfand, entfallen auf die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) jeweils 16 Stunden bzw. 17,25 Stunden. Der notwendige Zeitaufwand von 14 Stunden pro Woche wird somit überschritten.

Da auch die sonstigen Voraussetzungen des § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - erfüllt sind, bestand im hier streitigen Zeitraum Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.

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