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L 4 RJ 58/04

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.05.2004 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 25.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2002 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.2003 gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI in der Rentenversicherung versicherungspflichtig war. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 3 Satz 1 Nr. 1 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson in der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.2003.

Die 1957 geborene und nicht erwerbstätige Klägerin ist die Mutter der am 10.01.1989 geborenen N Q (Pflegebedürftige). Bei der Pflegebedürftigen besteht eine Petersche Anomalie mit Blindheit auf dem rechten Auge und stark eingeschränktem Sehvermögen des linken Auges. Sie besuchte im streitigen Zeitraum die I-schule in I. Während dieser Zeit brachte die Klägerin die Pflegebedürftige mit dem PKW zu der ca. 6 bis 7 km von der gemeinsamen Wohnung entfernten Schule und dort bis in den Klassenraum. Nachmittags holte sie, die Pflegebedürftige dort wieder ab und fuhr mit ihr nach Hause. Nach ihren Angaben dauerte die Fahrt morgens etwa eine halbe Stunde. In der Schule wurde die Pflegebedürftige zusätzlich durch eine Sonderpädagogin aus einer Sehbehindertenschule in H betreut.

Nach Antrag auf Leistungen für Schwerpflegebedürftige (01.12.1993) und Begutachtung durch die Ärztin für Innere Medizin Dr. I (10.02.1994) bewilligte die Beigeladene ab 01.12.1993 monatliches Pflegegeld in Höhe von 400,00 DM (Bescheid vom 13.04.1994). Mit dem In-Kraft-Treten des Pflegeversicherungsgesetzes stellte sie automatisch ihre Leistung um und bewilligte Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01.04.1995. Die Zahlung befristete sie wegen einer vorgesehenen Nachuntersuchung vorläufig bis zum 29.02.1996 (Bescheid vom 25.08.1995). In einem Gutachten (30.08.1996) kam Dr. E zu der Beurteilung, der Grundpflegeaufwand liege pro Tag zur Zeit bei etwa 66 Minuten. Bei einem gleichaltrigen gesunden Kind liege dieser zwischen 0 und 105 Minuten, im Mittel deshalb bei 50 Minuten. Demnach verblieben 16 Minuten zusätzliche Grundpflege pro Tag, weshalb die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht erfüllt seien. Hauswirtschaftliche Versorgung werde nicht berücksichtigt, da kein über dem altersüblichem Maß liegender hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf nachgewiesen sei. Die Beigeladene gewährte Pflegegeld bis einschließlich September 1996 und lehnte Leistungen darüber hinaus ab (Bescheid vom 11.09.1996). Nach Widerspruch, Vorlage eines Pflegetagebuches und Begutachtung nach Aktenlage durch Dr. F (16.12.1996), der von einem noch erhöhtem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von maximal 65 Minuten täglich ausging, bewilligte die Beigeladene Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01.07.1996 (Bescheid vom 19.12.1996). Die Pflegebedürftige hielt den Widerspruch aufrecht und meinte, die Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegestufe II lägen vor. Der Arzt I1 und die Pflegefachkraft G kamen in einem Gutachten (14.04.1997) zu der Beurteilung, bei einem Grundpflegebedarf von insgesamt 26 Minuten und einem allenfalls minimalem Mehraufwand beim Aufräumen gegenüber Altersgenossen und somit fehlendem hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf liege erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht vor. Nach Hinweis auf erheblichen Betreuungsaufwand, u.a. ca. 2 Stunden täglich für die Begleitung der Pflegebedürftigen auf dem Schulweg und Begutachtung nach Aktenlage durch Dr. F (10.03.1998) wies die Beigeladene den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.03.1998). Die weiterhin vorgenommene Pflegegeldzahlung ende mit dem 31.03.1998, überzahlte Leistungen seien zu erstatten.

Mit der dagegen erhobenen Klage (S 4 P 36/98) wurde vorgetragen, der Pflegeaufwand betrage mindestens mehr als 2 Stunden Mehraufwand im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beigeladene, der Pflegebedürftigen Leistungen der Pflegestufe II auch ab dem 01.10.1996 weiter zu gewähren (Urteil vom 04.02.1999). Der Anspruch ergebe sich aus Artikel 45 Abs. 1 Satz 1 Pflegeversicherungsgesetz (automatische Überleitung nach dem bis 31.03.1995 geltenden Recht). Eine rechtliche Grundlage für die im Bescheid vom 25.08.1995 vorgenommene Befristung sei nicht erkennbar. Nach der Berufung der Beigeladenen (L 16 P 12/99) schlossen die dortigen Beteiligten vor dem Landessozialgericht (LSG) am 16.11.2000 folgenden Vergleich:

1. Die Beteiligten sind einig, dass über September 1996 hinaus bis jedenfalls Ende Dezember des Jahres 2001 Pflegebedürftigkeit der Stufe I vorgelegen hat bzw. vorliegt. Der Klägerin bleibt es unbenommen, zwischenzeitlich einen Verschlimmerungsantrag zu stellen.

2. Im übrigen wird die Beklagte für die Zeit ab Januar 2002 ohne Bindung an frühere Feststellungen prüfen, ob zumindest erhebliche Pflegebedürftigkeit noch anzunehmen sein wird.

3. Für die Zeit bis Ende 2001 hat die Beklagte - vorbehaltlich des evtl. Verschlimmerungsantrags - Pflegegeld nicht mehr zu erbringen; für die Vergangenheit hat die Klägerin erhaltene Leistungen nicht zurück zu erstatten.

4. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

Dazu gaben die dortigen Beteiligten an, Leistungen nach Pflegestufe II seien bis zum 31.12.1996, danach Leistungen nach Pflegestufe I geleistet worden. Die Beigeladene gewährte ab 01.04.1998 (nach Vollstreckungsandrohung) bis Ende 2000 wiederum monatlich 800,00 DM Pflegegeld nach Pflegestufe II und erbrachte ab 01.01.2002 wieder Leistungen nach Pflegestufe I (Bescheid vom 30.11.2001).

Am 31.03.2000 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen, Beiträge zur Rentenversicherung zu leisten. Die Beigeladene übersandte ein Pflegetagebuch und bat um Darlegung, welche Pflegetätigkeiten durchgeführt würden (12.04.2000). Die Klägerin sah keine Verpflichtung zur Führung eines Pflegetagebuches (Schreiben vom 02.05.2000). Die Beigeladene wies darauf hin, solange kein Nachweis erbracht werde und dadurch eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst nicht vorgenommen werden könne, könne auch keine Zahlung der Rentenbeiträge erfolgen (Schreiben vom 16.05.2000).

Im Dezember 2000 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen erneut, Beiträge zur Rentenversicherung zu leisten. Dazu vertrat sie weiter die Auffassung, es komme nicht auf das Führen eines Pflegetagebuches an, da nach dem vor dem LSG geschlossenen Vergleich bis Ende 2001 zumindest Pflegebedürftigkeit nach Stufe I vorgelegen habe.

Die Beigeladene veranlasste eine Begutachtung. Die Klägerin gab gegenüber dem Gutachter, dem Arzt I1, an, sie leiste den überwiegenden Teil der Versorgung. Sie begleite die Pflegebedürftige insbesondere bei den zeitintensiven zahlreichen Arztbesuchen mit Wartezeiten, verabreiche die Augentropfen und kontrolliere den Medikamentenplan. Ferner fahre sie die Pflegebedürftige zur Schule, bringe diese bis zum Klassenraum und hole sie dort auch wieder ab. In seinem Gutachten (30.04.2001) ging Herr I1 von einem Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege für 9 Minuten pro Tag, im Bereich der Ernährung von 5 Minuten pro Tag und - unter Berücksichtigung auch der Häufigkeit der Arztbesuche - im Bereich der Mobilität von 33 Minuten pro Tag aus, ferner von einem Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von 5,2 Stunden pro Woche. Er empfahl, die Pflegestufe I anzunehmen und im Oktober 2002 eine Wiederholungsbegutachtung vorzunehmen.

Die Klägerin übersandte ein Pflegetagebuch (23.02.2001). Unter Berücksichtigung der darin enthaltenen Angaben ging die Beigeladene davon aus, der tägliche Hilfebedarf bei der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung betrage ca. 41 Minuten, somit wöchentlich ca. 5 Stunden. Pflegeleistungen darüber hinaus seien nicht zu berücksichtigen. Da die Klägerin nicht wenigstens 14 Stunden wöchentlich Pflegeleistungen im Sinne der gesetzlichen Vorschriften erbringe, bestehe keine Rentenversicherungspflicht (Bescheid vom 27.04.2001).

Auf den Widerspruch der Klägerin hob die Beigeladene den Bescheid vom 27.04.2001 unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.03.2001 (B 12 P 3/00 R) wegen ihrer sachlichen Unzuständigkeit auf (Bescheid vom 04.02.2002). Den Vorgang leitete sie der Beklagten zu.

Sie veranlasste in 2003 eine erneute Begutachtung. Gegenüber dem Arzt I1 gab die Klägerin an, weiterhin leiste sie den überwiegenden Teil der Versorgung der Pflegebedürftigen. Sie begleite diese bei den häufigen Arztbesuchen inklusive Wartezeiten, bringe sie zur Schule, verabreiche die Augentropfen und kontrolliere den Medikamentenplan. Der Zeitaufwand liege zwischen 14 bis 21 Stunden pro Woche. In seinem Gutachten (24.01.2003) sah Herr I1 Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege für 7 Minuten, im Bereich der Ernährung für 5 Minuten und im Bereich der Mobilität für 16 Minuten pro Tag. Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung sei ein Zeitaufwand von 4 Stunden pro Woche zu berücksichtigen. Daraufhin lehnte die Beigeladene Leistungen aus der Pflegeversicherung für die Zeit ab 01.03.2003 ab (Bescheid vom 25.02.2003). Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 23.04.2003). Im darauf folgenden Klageverfahren (S 9 P 34/03) trug die Pflegebedürftige vor, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert, sondern verschlechtert. Weiterhin lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe I vor. Nach Eingang von Befundberichten von Prof. Dr. X (27.06.2003), Privatdozent Dr. K (17.07.2003) und Augenarzt Dr. C (12.08.2003) holte das SG auf Antrag der Pflegebedürftigen gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Arztes für Nervenheilkunde Dr. S (17.11.2003) ein. Der Sachverständige nahm einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege für 27 Minuten täglich an und äußerte hinsichtlich des hauswirtschaftlichen Bereiches im Wesentlichen Übereinstimmung mit dem Gutachten vom 24.01.2003. Daraufhin nahm die Pflegebedürftige die Klage zurück.

Nach Eingang der Unterlagen der Beigeladenen sowie von Unterlagen über eine Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung über Fragen der Rentenversicherungspflicht von Pflegepersonen am 17.07.2001 sowie einer zwischen dem VDR und den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. vereinbarten "Verfahrensbeschreibung zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht nicht erwerbsmäßig tätiger Pflegepersonen" vom 22.11.2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Beitragszahlung zur Rentenversicherung wegen nicht erwerbsmäßiger Pflege einer Pflegeperson ab (Bescheid vom 25.02.2002). Die Pflegetätigkeit der Klägerin liege nach den Ermittlungen der Beigeladenen unter 14 Stunden in der Woche.

Mit ihrem Widerspruch trug die Klägerin vor, entsprechend den Angaben in ihrem Pflegetagebuch seien mindestens 23,06 Stunden wöchentlich zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen seien nicht nur die in § 14 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) genannten Hilfeleistungen zu berücksichtigen. Für die Frage der Rentenversicherungspflicht sei vielmehr auch die Zeit maßgeblich, die für ergänzende Pflege und Betreuung im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI benötigt werde. Über den die Pflegebedürftigkeit begründenden Hilfebedarf hinaus sei auch die familiäre, nachbarschaftliche und sonstige ehrenamtliche Pflege und Betreuung zu berücksichtigen. Damit könne der Pflegeaufwand sehr viel weiter gehen, als der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und ihre Stufe maßgebliche Bedarf. Dieser müsse lediglich noch krankheits- oder behinderungsbedingt sein. Dies entspreche der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur. Dazu werde auf die Gesetzesmaterialien hingewiesen (BT-Drucksache 12/5262 Seite 101).

Die Beklagte wies den Rechtsbehelf zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.05.2002). Für die Feststellung der Versicherungspflicht sei sie zuständig. Dabei komme den Feststellungen der Pflegekassen zur Pflegebedürftigkeit, zur Pflegestufe und zum Umfang der von der Pflegeperson ausgeübten Pflegetätigkeiten im Verhältnis zur Rentenversicherung Tatbestandswirkung zu. Somit seien die von der Beigeladenen durchgeführten Ermittlungen für sie bindend. Nach dem durch die Beigeladene festgestellten Pflegeumfang von ca. 5 Stunden wöchentlich werde eine Versicherungspflicht nicht begründet.

Mit der am 27.05.2002 erhobenen Klage hat die Klägerin weiterhin ihre im Widerspruchsverfahren geäußerte Auffassung vertreten.

Das SG hat dem Begehren der Klägerin entnommen, sie beantrage die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 25.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2002 und die Feststellung der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung und die Zahlung entsprechender Rentenbeiträge aufgrund ihrer Pflegetätigkeit für ihre Tochter N, geb. 00.00.1989.

Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und vorgetragen, sie sei grundsätzlich an die Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse und der Pflegekasse gebunden und habe eigene tatsächliche Feststellungen nicht treffen können.

Die Beigeladene hat ausgeführt, auch für die Zeit, in der Leistungen nach der Pflegestufe II erbracht worden seien, habe tatsächlich lediglich ein Hilfebedarf bei der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung von insgesamt 24 Minuten täglich vorgelegen. Deshalb werde auch für diesen Zeitraum die Rentenversicherungspflicht abgelehnt.

Nach Durchführung eines Erörterungstermines und Hinweis auf ein Urteil des BSG vom 23.09.2003 (B 12 P 2/02 R) hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 07.05.2004, zugestellt am 26.05.2004).

Mit der am 09.06.2004 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, Sinn und Zweck des § 19 SGB XI sei die soziale Absicherung der Personen, die neben einer Pflegetätigkeit nicht oder nur in eingeschränktem Umfang erwerbstätig seien. Diese vom Gesetzgeber gewollte soziale Absicherung könne nur dann greifen, wenn nicht nur die "reinen Pflegezeiten" Anwendung finden würden. Darüber hinaus sei der erhebliche Betreuungsaufwand in vielen anderen Lebensbereichen zu berücksichtigen. Insgesamt betrage der Umfang der Pflegetätigkeit der Klägerin mehr als 14 Stunden wöchentlich. Ferner sei während des Zeitraumes, in dem die Beigeladene Pflegegeld nach der Pflegestufe II gezahlt habe, aufgrund dessen eine Bindungswirkung eingetreten, weshalb für diese Zeiten jedenfalls Rentenversicherungspflicht bestanden habe.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 07.05.2004 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 25.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2002 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.2003 gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI in der Rentenversicherung versicherungspflichtig war und hierfür Beiträge zu entrichten sind.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, ein 14-stündiger Pflegeaufwand pro Woche seitens der Klägerin sei nicht erkennbar. Hinsichtlich der Prüfung des Bestehens einer Versicherungspflicht sei sie an die Ermittlungen der Beigeladenen gebunden.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie hält ebenfalls das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, die erforderlichen 14 Wochenstunden müssten nur durch anerkannte Pflegeleistungen zusammenkommen. Deshalb schieden von vornherein alle Zeiten aus, in denen nicht zumindest die Pflegestufe II vorgelegen habe. Das bloße Auszahlen des Pflegegeldes nach der Pflegestufe II reiche jedenfalls dann nicht aus, wenn es nur auf formalen Gründen (Zahlung aufgrund der Übergangsregelung, aufgrund eines Vergleiches, aufgrund Bestandsschutzes oder wegen einer verspäteten Nachuntersuchung) beruhe. Voraussetzung für die Rentenversicherungspflicht sei, dass ein konkreter Pflegeaufwand notwendig sei und auch tatsächlich erbracht werde.

Die Beklagte hat einen Versicherungsverlauf (28.06.2004) vorgelegt. Demnach sind Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit vom 01.04.1995 bis 31.01.1997 gespeichert

Das Gericht hat die Akten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Akten des SG zu den Aktenzeichen S 4 P 36/98 und S 9 P 34/03 beigezogen und die Klägerin im Verhandlungstermin gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtakte und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie auf die beigezogenen Akten des SG Gelsenkirchen (S 4 P 36/98 und S 9 P 34/03) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Streitgegenstand ist - nach dem im Berufungsverfahren eingeschränkten Antrag - die Versicherungspflicht der Klägerin im Zeitraum vom 01.02.1997 bis 28.02.2003. Insoweit hat das SG die Klage zu Unrecht abgewiesen und sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Denn die Klägerin war in dem streitigen Zeitraum versicherungspflichtig gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI.

Nach § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI sind Personen in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 des Elften Buches nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung hat. In der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.2003 hat die Klägerin mit ihrer Tochter eine Pflegebedürftige im Sinne des § 14 SGB XI gepflegt. Die Pflege erfolgte nicht erwerbsmäßig. Während des gesamten Zeitraums bestand seitens der Pflegebedürftigen dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung. Dies ergibt sich aus den Bescheiden der Beigeladenen und dem vor dem LSG am 16.11.2000 geschlossenen Vergleich.

Nach Überzeugung des Senats hat die Klägerin in dieser Zeit die Pflegebedürftige auch wenigstens 14 Stunden wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI. Allerdings folgt dies - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht bereits daraus, dass - jedenfalls während eines Teilzeitraumes - tatsächlich Leistungen nach Pflegestufe II erbracht worden sind. Vielmehr setzt die Versicherungspflicht nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung in § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI tatsächliche Pflegeleistungen im Umfang von wenigstens 14 Stunden wöchentlich voraus.

Tatsächlich hat die Klägerin die Pflegebedürftige auch wenigstens 14 Stunden wöchentlich gepflegt. Denn entgegen den Auffassungen der Beklagten und der Beigeladenen sind im Rahmen der Regelung des § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI nicht lediglich die im Rahmen der Pflegeversicherung gemäß § 14 SGB XI zu berücksichtigenden Hilfeleistungen zugrunde zu legen.

Der in Rechtsprechung (LSG Niedersachen, Urteil vom 12.02.2002 - L 3 P 7/01 -) und Literatur (vgl. Verbandskommentar, § 3 Anm. 3.5; Klattenhoff in SGB VI § 6 Rdnr. 41; Herberlein/Pick in SGB V/SGB XI, § 19 SGB XI Rdnr. 29) vertretenen abweichenden Auffassung folgt der Senat nicht. Sie stützt sich im wesentlichen darauf, dass es für eine Berücksichtigung weitergehenden Hilfebedarfs keine Rechtsgrundlage gebe. Die Pflegeversicherung solle auch in Form der Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nur in Bezug auf die durch § 14 Abs. 4 SGB XI begrenzten Risiken in Anspruch genommen werden können. Mit der in der Literatur wohl überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar, § 19 SGB XI Rdnr. 8; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, § 3 SGB VI, IV 2.3; Gallon in LPK-SGB XI, § 19 Rdnr. 10; Wilde in Haack/Wilde, SGB XI, § 19 Rdnr. 16 m.w.N.) ist auch der Senat der Auffassung, dass der Begriff der Pflege in § 3 Satz Nr. 1 a SGB VI in einem ganzheitlichen Sinne aufzufassen und bei der Ermittlung der Mindeststundenzahl auch die Zeit mit zu rechnen ist, die für die - die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung - ergänzende Pflege und Betreuung im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI benötigt wird. Auch der zeitliche Aufwand für familiäre Pflege und Betreuung ist zu berücksichtigen, der nicht aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert wird. Dazu zählt insbesondere die Zeit, die die Pflegeperson für die notwendige Beförderung bzw. Begleitung der Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Schule und zurück zur Wohnung aufwendet (vgl. Wilde, in Hauck/Wilde, SGB XI, § 19 Rdnr. 16). Der einzubeziehende Pflegeaufwand kann damit sehr viel weitergehen, als der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und ihre Stufe maßgebliche Bedarf. Er muss jedoch noch krankheits- oder behinderungsbedingt sein.

Nach Auffassung des Senats stellt die Regelung des § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI - entgegen der abweichenden Auffassung in der Literatur - bei der vorzunehmenden Auslegung selbst die Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung von über den Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung hinausgehenden Hilfebedarf dar. Zwar ist dem Wortlaut der Regelung selbst dafür nichts zu entnehmen. Jedoch ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien der Wille des Gesetzgebers, bei der Feststellung der Mindeststundenzahl nicht nur die Arbeitszeit einzurechnen, die aufgrund Pflegeleistungen und hauswirtschaftlicher Versorgung im Sinne von § 14 Abs. 4 SGB XI anfällt und für die Feststellung des Grades der Pflegebedürftigkeit maßgeblich ist, sondern auch die Zeit, die für die ergänzende Pflege und Betreuung in Sinne von § 4 Absatz 2 Satz 1 SGB XI benötigt wird (BT-Drucksache 12/5262, Seite 101). Dieser hinsichtlich der Regelung in § 19 Satz 2 SGB XI geäußerte Wille des Gesetzgebers ist gleichermaßen im Rahmen des § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI zu berücksichtigen. Denn beide Regelungen setzten übereinstimmend die Pflege einer pflegebedürftigen Person von wenigstens 14 Stunden wöchentlich voraus. Zu berücksichtigen ist ferner auch der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommene Zweck, der mit der Einführung der Versicherungspflicht für Pflegepersonen verfolgt worden ist. Es sollte die Pflegebereitschaft im häuslichen Bereich gefördert und der hohe Einsatz der Pflegepersonen anerkannt und der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die vom Gesetzgeber als vorrangig erachtete häusliche Pflege meist nicht im Rahmen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, sondern im häuslichen Umfeld von Angehörigen und Nachbarn geleistet wird und häufig mit dem Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit und eine hieran anknüpfende eigene Alterssicherung verbunden ist (vgl. Wilde, aaO, § 19 Rdnr. 1; Brackmann, aaO, § 3 Rdnr. 37; Verbandskommentar, § 3 Anm. 3. 1). Weder § 19 SGB XI noch § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI begrenzt den Begriff der Pflege durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf die in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend genannten Verrichtungen des täglichen Lebens. Anders als in § 2 Abs. 1 Nr. 17 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) bzw. der vor 1997 geltenden Regelung des § 539 Abs. 1 Nr. 19 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist dieser Regelung keine Einschränkung auf Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung zu entnehmen. Hätte der Gesetzgeber im Rahmen der Versicherungspflicht wegen Pflegetätigkeiten i.S. von § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI eine Einschränkung auf Tätigkeiten im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung gewollt hätte es nahe gelegen, diese gesetzliche Regelung ähnlich wie in § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII, zu formulieren. Dies ist nicht erfolgt.

Ausgehend von dem in den von der Beigeladenen veranlassten Gutachten vom 16.12.1996, 14.04.1997, 30.04.2001 und 24.01.2003 festgestellten Bedarf der Pflegebedürftigen an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung, der allerdings nach Überzeugung des Senats hinsichtlich der beiden erstgenannten Gutachten entsprechend den Folgegutachten jeweils auch um einen hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf von zu mindest 34 Minuten täglich zu ergänzen ist, hat die Klägerin bereits allein unter Berücksichtigung der notwendigen täglichen - behinderungs- und nicht altersbedingten - Begleitung der Pflegebedürftigen auf dem Weg zu und von der Schule ihrer Tochter insgesamt wenigstens 14 Stunden wöchentlich gepflegt. Dabei legt der Senat die Angaben der Klägerin zugrunde, wonach die Fahrtzeit für eine Strecke ca. 30 Minuten betrug. Anlass zu Zweifeln an dieser - im Verlauf des Verfahrens mehrfach und übereinstimmend getätigten - Zeitangabe hat der Senat nicht. Einwendungen sind insoweit auch weder von der Beklagten noch von der Beigeladenen vorgebracht worden. Bereits für die reine Fahrtzeit ergibt sich damit ein (werk-) täglicher Zeitaufwand von etwa 2 Stunden. Darüber hinaus ist noch der Zeitaufwand für das Bringen zu und das Abholen aus dem Klassenraum zu berücksichtigen, der ebenfalls viermal täglich angefallen ist.

Da mit dem Zeitaufwand für die Grundpflege, die hauswirtschaftliche Versorgung und die Begleitung zur Schule bereits wenigstens 14 Stunden wöchentlich Pflegetätigkeit von der Klägerin geleistet worden ist, kann offen bleiben, ob der darüber hinaus geltend gemachte Zeitaufwand für die Begleitung einmal wöchentlich für 2 Stunden zum Heilschwimmen, einmal wöchentlich für 1 Stunde zur "Heileuretmie" und auch die Begleitung zum Besuch von Freundinnen und Klassenkameraden berücksichtigungsfähig ist.

Ferner kann der Senat offen lassen, ob ein Antrag auf Zahl von Beiträgen zur Rentenversicherung materielle Anspruchsvoraussetzung ist und eine Versicherungspflicht frühestens ab dem Monat der Antragstellung bewirkt, weil es sich bei der Versicherungspflicht der Pflegeperson um eine Leistung der Pflegeversicherung (§ 28 Abs. 1 Nr. 10 SGB XI) handele, die nach § 33 Abs. 1 SGB XI nur auf Antrag gewährt wird (vgl. Gürtner in Kassler Kommentar, § 3 Rdnr. 4; § 33 Rdnr. 5 ff; Brackmann, aaO, § 3 II 1.1 mit Hinweis auf BT-Drucksache 12/5262 S. 109, 116). Zwar hat die Klägerin nach dem Inhalt der Akten der Beigeladenen ausdrücklich erstmals am 31.03.2000 beantragt, Beiträge zur Rentenversicherung zu leisten. Dafür dürften die ablehnenden Bescheide der Beklagten und das nachfolgende Klageverfahren (S 4 P 36/98) von Bedeutung gewesen sein. Jedenfalls aber sind für die Klägerin ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlaufes bereits Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit von April 1995 bis Januar 1997 geleistet worden. Angesichts dessen ist ein neuer Antrag nach Januar 1997 jedenfalls entbehrlich gewesen. Deshalb ist nicht zu entscheiden, ob die Klägerin über den sogenannten "sozialrechtlichen Herstellungsanspruch" so zu stellen wäre, als ob sie rechtzeitig einen (weiteren) Antrag gestellt hätte.

Die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit der Klägerin gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI waren im streitigen Zeitraum nicht erfüllt. Sie hat keine geringfügige nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit im Sinne dieser Vorschrift ausgeübt. Eine nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit ist geringfügig, wenn die Beitragsbemessungsgrundlage für die Pflegetätigkeit (§ 166 Abs. 2 SGB VI) auf den Monat bezogen 400,00 Euro (ab 01.04.2003: Art. 4 des 2. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 - BGBl. I S. 4621), 325,00 Euro (ab 01.01.2002: Art. 7 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 - BGBl. I S. 1983), 630,00 DM (ab 01.04.1999: Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.03.1999 - BGBl. I S. 388) bzw. ein Siebtel der Bezugsgröße (§ 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV -) nicht übersteigt bzw. überstiegen hat. Auf den Monat bezogen hat die Beitragsbemessungsgrundlage für die Pflegetätigkeit der Klägerin die genannten Beträge jeweils überstiegen, ohne dass es darauf ankommt, ob auf die tatsächlichen Leistungen der Beigeladenen oder auf das Bestehen eines Rechtsanspruchs dieser gegenüber abzustellen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.

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