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L 8 An 80/77

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger anstelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zusteht.

Der am 28 Mai 1912 geborene Kläger ist seit dem 1. Januar 1954 Komplementär der Firma W. V. KG - Großhandelsvertretungen - in M. Sein Sohn H. V. ist seit Februar 1969 als Einzelprokurist der Firma im Handelsregister eingetragen. Seit Juni 1977 bezieht der Kläger Altersruhegeld von der Beklagten.

Am 16. April 1975 hatte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung der Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt. Die Beklagte hatte den ärztlichen Entlassungsbericht über das Heilverfahren, das der Kläger in der Zeit vom 26. Februar bis 9. April 1975 auf ihre Kosten in Bad Wildungen durchgeführt hatte, beigezogen. In dem Bericht hatten die Ärzte Dr. C., Dr. S. und Dr. E. folgende Diagnose gestellt: Abgelaufener Hinterwandinfarkt 1973, Coronarsklerose, Aneurysmaresektion. im Bereich der Aorta abd. und der Aorta iliaca beiderseits, periphere arterielle Durchblutungsstörungen beiderseits, Harnwegsinfekt. Sie hatten den Kläger, arbeitsunfähig entlassen und die Ansicht vertreten, daß er nur noch weniger als zwei Stunden tätig sein bzw. keine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.

Aufgrund dieses Berichtes gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 1. Oktober 1975 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 10. April 1975 und lehnte zugleich die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab, weil der Kläger noch eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübe.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 20. Oktober 1975 Klage erhoben und die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente begehrt mit der Begründung, er könne wegen der ärztlich bestätigten Erwerbsunfähigkeit keine Tätigkeit mehr ausüben. Sein Sohn führe das Geschäft. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 1975 zu verurteilen, ihm anstelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, daß der Kläger noch eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ausübe, da er als Komplementär und damit vollhaftender Gesellschafter der W. V. KG eingetragen sei.

Durch Urteil vom 17. März 1977 hat das Sozialgericht (SG) Münster die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das am 19. April 1977 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Mai 1977 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sein Vorbringen in erster Instanz wiederholt und behauptet, er habe seit April 1975 keinerlei Tätigkeit für die Firma W. V. KG mehr ausgeübt.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. März 1977 abzuändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 1975 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 10. April 1975 bis 31. Mai 1977 anstelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und vertritt die Ansicht, daß der Komplementär einer KG jedenfalls solange eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübe, wie er nicht im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich von der Geschäftsführung ausgeschlossen sei. Wegen der in § 114 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) festgelegten Verpflichtung zur Geschäftsführung liege zumindest noch direktives Handeln vor, das als selbständige Erwerbstätigkeit zu werten sei.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der den Kläger betreffenden Rentenakten und der die W. V. KG betreffenden Akten des Finanzamts M.- Außenstadt, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht die begehrte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu, da er in der streitigen Zeit von April 1975 bis Mai 1977 nicht erwerbsunfähig im Sinne .des § 24 Abs. 2 AVG gewesen ist.

Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 AVG ist erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Nicht erwerbsunfähig ist nach § 24 Abs. 2 Satz 2 AVG, wer eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt. Der Kläger war nach dieser Vorschrift in der streitigen Zeit nicht erwerbsunfähig, denn er hat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt.

Ein Versicherter übt eine selbständige Erwerbstätigkeit aus, wenn er im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwerbstätig ist (BSGE 39 S. 152). Ein gewerblicher Unternehmer übt eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 2 AVG aus, solange auf den Geschäftsbetrieb gerichtete Handlungen in seinem Namen vorgenommen werden. Ob und in welcher Weise er selbst sich nach außen oder innen am Geschäftsbetrieb tätig beteiligt hat, ist nicht von Bedeutung (BSG Urteil vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 6/77 -). Es genügt., daß er kraft seiner Unternehmerstellung den notwendigen Einfluß zu nehmen vermag. Er kann deshalb auch das Geschäft durch andere betreiben lassen; solange er der Unternehmer bleibt, ist ihm der Geschäftsbetrieb als selbständige Erwerbstätigkeit zuzurechnen (BSG a.a.O.).

Der Kläger ist in der streitigen Zeit als Komplementär der W. V. KG gewerblicher Unternehmer gewesen. Als einzigem persönlich haftendem Gesellschafter oblag ihm die Geschäftsführungsbefugnis nach §§ 114, 164 HGB, worauf bereits das SG und die Beklagte zutreffend hingewiesen haben. Er konnte aufgrund seiner Gesellschafterstellung den entscheidenden Einfluß auf das Unternehmen ausüben und. die erforderlichen Willensentscheidungen eigenverantwortlich und persönlich unabhängig treffen. Die dem Sohn erteilte Einzelprokura hinderte ihn nicht, Einzelentscheidungen für das Unternehmen selbst zu treffen. Er war auch jederzeit allein befugt, die Prokura zu widerrufen (§§ 116, 164 HGB).

Die Stellung des Klägers als Komplementär entsprach somit der eines selbständigen Einzelunternehmers, zumal er als persönlich haftender Gesellschafter vom wirtschaftlichen Ergebnis des Betriebes des Handelsgewerbes den unmittelbaren Vor- oder Nachteil hatte. Solange für die Firma W. V. KG Geschäfte vorgenommen worden sind, sind sie ihm als Komplementär der Gesellschaft als selbständige Erwerbstätigkeit zuzurechnen,, wobei es nicht darauf ankommt, ob und in welchem Umfang er selbst tätig gewesen ist.

Der Kläger hat selbst in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß in der gesamten streitigen Zeit für die Firma W. V. KG Geschäfte getätigt worden sind, Dies ergibt sich im übrigen auch aus den beigezogenen Akten des Finanzamtes M., wonach in, den Jahren 1975 und 1976 von der Firma W. V. KG Erträge von 330.628,64 DM und 443.909,21 DM (Gesellschaftsgewinn 47.469,28 DM und 89.092,33 DM) erreicht worden sind. Diese für die Firma W. V. KG getätigten Geschäfte, von deren Ergebnis der Kläger als Komplementär unmittelbar betroffen war, sind dem Kläger, auch wenn er persönlich nicht mitgearbeitet hat, als Erwerbstätigkeit, aus der er Einkünfte erzielen konnte und - wie den Steuerakten zu entnehmen ist - auch erzielt hat, zuzurechnen. Damit ist die Annahme der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 24 Abs. 2 AVG ausgeschlossen. Die Berufung mußte zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlaß, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.

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