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L 16 R 953/16

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 8. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Überprüfungsverfahren die Aufhebung eines Bescheides der Beklagten über die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1963 geborene, ledige Kläger bezeichnet sich selbst als Völkerrechtssubjekt „Selbstverwaltung R G“, vertreten durch den Generalbevollmächtigten G.

Er bezog zunächst Leistungen nach dem SGB II. Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit Berlin Nord beauftragte die Ärztin B mit der Erstellung eines Gutachtens über den Gesundheitszustand des Klägers. Frau B erstattete dieses Gutachten am 14. Dezember 2010 nach Aktenlage unter Berücksichtigung eines von der Ärztin für Nervenheilkunde Dr. H nach Untersuchung des Klägers am 29. November 2010 erstellten Zusatzgutachtens. Sie kam darin zu dem Ergebnis, der Kläger sei voraussichtlich auf Dauer nur noch in der Lage, täglich weniger als drei Stunden erwerbstätig zu sein. Er leide seit längerer Zeit an einer seelischen Symptomatik, aufgrund des langen Krankheitsverlaufs und der fehlenden Krankheitseinsicht sowie des fehlenden Leidensdrucks sei nicht mit einer Besserung dieser Symptomatik zu rechnen. Das Jobcenter Pankow forderte den Kläger daraufhin auf, bei der Beklagten einen Antrag auf Rente zu stellen. Aufgrund dieses vom Kläger am 1. Januar 2011 (Eingang am 7. und 28. Februar 2011) bei der Beklagten gestellten Antrags auf Rente wegen Erwerbsminderung beziehungsweise Berufsunfähigkeit und nach Feststellung der Beratenden Abteilungsärztin der Beklagten Frau Dr. T vom 11. Mai 2011, wonach der Kläger wegen eines chronifizierten Leidens nur noch über ein aufgehobenes Leistungsvermögen verfüge, gewährte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 27. Mai 2011 ab dem 1. Dezember 2010 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit welchem er sich gegen die „Zwangsverrentung“ wandte, da er weiterhin über seine volle psychisch-seelische Leistungsfähigkeit verfüge und er auch nicht an einer schweren seelischen Erkrankung leide. Am 28. September 2011 erstellte die Beratende Abteilungsärztin der Beklagten Frau Dr. T eine gutachterliche Stellungnahme unter Berücksichtigung eines von der Psychiaterin Dr. S aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 25. März 2011 am 7. April 2011 erstellten „psychiatrischen Zusatzgutachtens“, wonach der Kläger voll erwerbsfähig sei, fest, die Ausführungen der Frau Dr. H seinen überholt, vielmehr sei den Feststellungen der Frau Dr. S, wonach keine Erwerbsminderung vorliege, zu folgen. Nach einer Überprüfung ihres Votums führte Frau Dr. T am 12. Oktober 2011 aus, es verbleibe bei den Feststellungen der Frau Dr. H, ihr eigenes Votum vom 26. September 2011 sei ungültig. Denn das Gutachten von Frau Dr. S sei von dieser ohne Beauftragung durch die Bundesagentur für Arbeit erstellt worden und nicht vertretbar, da es sich dabei lediglich um eine Momentaufnahme handle, die den gesamten Krankheitsverlauf nicht berücksichtige. In Anbetracht des Verlaufs und der Inhalte der Korrespondenz sei vielmehr die Einschätzung der Frau Dr. H plausibel. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 11. November 2011 als unbegründet zurück und führte aus, eine Rücknahme des Rentenantrages des Klägers könne nur mit Zustimmung des früheren Leistungsträgers erfolgen, eine solche liege jedoch nicht vor. Die Rente des Klägers sei im Übrigen zutreffend festgestellt worden.

Im sich anschließenden Klageverfahren wies das Sozialgericht die zum Aktenzeichen S 31 R 6160/11 erhobene Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. September 2012 als unbegründet zurück, die zum Aktenzeichen L 16 R 806/12 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegte Berufung blieb ebenfalls erfolglos (Urteil vom 3. September 2014). Dem Gesamtergebnis der Ermittlungen sei zu entnehmen, dass der Kläger nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II mangels Erwerbsfähigkeit nicht nach dem SGB II leistungsberechtigt und der Bescheid der Beklagten deshalb rechtmäßig sei. Denn der Kläger sei nach den Feststellungen im Gutachten der Ärztin B jedenfalls seit dem 19. November 2010 (dem Tag der Untersuchung der Fachärztin für Nervenheilkunde Dr. H) auf Dauer weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig und damit voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Da der Kläger es gegenüber dem Gericht mehrfach abgelehnt habe, sich erneut psychiatrisch begutachten zu lassen, sei eine erneute Beweiserhebung über den Gesundheitszustand des Klägers nicht möglich gewesen. Das Bundessozialgericht verwarf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 26. Januar 2015.

Im Mai 2016 stellte der Kläger im Rahmen eines Berufungsverfahrens bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zum Aktenzeichen L 10 AS 1092/16 einen Überprüfungsantrag hinsichtlich des Bescheides vom 27. Mai 2011, welchen die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 2016 ablehnte. Der Bescheid vom 27. Mai 2011 über die Gewährung einer Rente sei rechtmäßig und deshalb nicht zurückzunehmen. Der Gesundheitszustand des Klägers sei zutreffend beurteilt worden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 14. September 2016 unter Verweis auf die bereits abgeschlossenen Verfahren zum Aktenzeichen L 16 R 806/12 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 27. Mai 2011 gem. § 44 SGB X lägen nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 16. September 2016 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit welcher er die Feststellung begehrt hat, dass er voll erwerbsfähig und deshalb der Rentenbescheid rückwirkend aufzuheben sei, hilfsweise, ihm eine Rente in angemessener Höhe oder einen festzustellenden Einmalbetrag zu zahlen. Durch Gerichtsbescheid vom 8. November 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht vorlägen. Der angefochtene Bescheid sei deshalb rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Weiterer Anlass zu Ermittlungen habe nicht bestanden, weil die aufgeworfenen Fragen bereits Gegenstand eines rechtskräftig beendeten Klageverfahrens gewesen seien.

Daraufhin hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend, das Sozialgericht habe fehlerhaft von einer Beweisaufnahme von Amts wegen abgesehen und das Votum der Abteilungsärztin der Beklagten Dr. T vom 26. September 2011 nicht berücksichtigt. Er sei auch nicht mit einer Untersuchung am 19. November 2010 einverstanden gewesen. Da ihm keine Untersuchung angeboten worden sei, habe das Sozialgericht auch nicht zu seinen Ungunsten entscheiden dürfen. Es werde versucht, ihn zu psychiatrisieren und zu entrechten. Ein faires Verfahren habe nicht stattgefunden. Die Beklagte habe ihn nie als psychisch krank bewertet und eingestuft. Eine Untersuchung seines Leistungsvermögens habe nie stattgefunden. Nach einem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Februar 2017 zum Aktenzeichen L 32 AS 2765/16 B PKH in einem Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, in welchem der Kläger von der Bundesagentur für Arbeit die Erstattung von Bewerbungskosten (Anträge vom 10. August 2010 und 8. Juli 2011) begehrt, seien weitere medizinische Ermittlungen notwendig, um im dortigen Verfahren festzustellen, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfülle. Denn der Sachverhalt könne angesichts der widersprechenden und teilweise nicht einmal vorliegenden Gutachten nicht als geklärt gelten. Zumindest müsse ein Gutachten nach Aktenlage erstellt werden. Gleiches gelte auch für das vorliegende Verfahren.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

  • den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 8. November 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 27. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2011 zurückzunehmen, hilfsweise dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 27. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 11 eine höhere Rente zu gewähren, hilfsweise ihm einen Einmalbetrag zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend.

Durch Beschluss vom 23. Januar 2017 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 27. Mai 2011, denn die darin verfügte Bewilligung der Rente wegen Erwerbsminderung ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 27. Mai 2011 ist § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Der Bescheid vom 27. Mai 2011 ist jedoch rechtmäßig, weshalb ein Anspruch auf Rücknahme nicht besteht.

Der Rechtmäßigkeit des Bescheides insbesondere steht nicht entgegen, dass der Kläger an seinen bei der Beklagten gestellten Antrag auf Bewilligung der Rente nicht mehr gebunden sein will, weil er meint, die Beklagte habe seinen damaligen Gesundheitszustand unzutreffend beurteilt. Eine Beweiserhebung über den damaligen Gesundheitszustand des Klägers ist im vorliegenden Verfahren bereits deshalb nicht erforderlich, weil der Kläger den Antrag auf Bewilligung der Rente bei der Beklagten auf schriftliche Aufforderung des Jobcenters gestellt hat und er diesen Antrag nunmehr ohne die Zustimmung des Trägers der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) nicht mehr wirksam zurücknehmen kann (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2008, B 13 R 37/07 R, juris; zu § 51 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung). Denn die von ihm beantragte Rente wurde von der Beklagten zwischenzeitlich bestandskräftig bewilligt. Die Frage, ob die vorangegangene Aufforderung zur Rentenantragstellung rechtswidrig war, ist damit nicht mehr von Belang. Dementsprechend bestehen im Grundsatz keine Rechtsschutzmöglichkeiten, soweit ein Versicherter einen Rentenbewilligungsantrag stellt und der Versicherungsfall daraufhin antragsgemäß festgestellt wird, denn einer hiergegen gerichteten Klage würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil eine Beschwer nicht geben ist. Stellt der Antragsteller den Antrag - wie vorliegend - nur deshalb, weil er aufgrund einer Aufforderung des Leistungsträgers des SGB II hierzu verpflichtet wurde, kann und muss er sich gegen diese Aufforderung zur Wehr setzen. Der Rentenversicherungsträger ist in diesen Fällen verpflichtet, das Ergebnis des Verfahrens abzuwarten. Es besteht für ihn das Verbot eines vorzeitigen Verfahrensabschlusses (vgl. hierzu BSG, 4. Senat, SozR 3-1300 § 32 Nr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2014, L 2 R 430/14 B ER, juris).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch nicht die Aufforderung des Trägers der SGB II - Leistungen angegriffen, die Frage, ob die Aufforderung des Job-Centers gem. § 5 Abs. 3 SGB II rechtmäßig war, ist deshalb nicht mehr von Belang. Gleiches muss auch für den Fall der Geltendmachung der Rechtswidrigkeit eines Rentenbescheides im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gelten: auch hier kann die Rechtswidrigkeit der Aufforderung nicht mehr geltend gemacht werden, weshalb es auf die Frage, ob der Kläger tatsächlich erwerbsunfähig war, nicht mehr ankommt.

Soweit der Kläger mit seiner Klage hilfsweise teilweise Rücknahme der Rentenbewilligung und die Zahlung einer höheren Rente beziehungsweise einer Einmalzahlung begehrt, ist die Klage unbegründet. Insoweit wird gem. § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtbescheides verwiesen, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG.

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