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L 17 RA 111/04

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin als selbständig tätige Hebamme der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.

Die 1961 geborene Klägerin besitzt seit 1983 die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Hebamme. Bis April 1992 war sie als angestellte Hebamme beschäftigt und ist seit dem 1. August 1992 im gleichen Beruf selbständig tätig.

Bereits im Mai 1992 hatte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Beitragszahlung zur Angestelltenversicherung für eine Pflichtversicherung von selbständig Tätigen gestellt. Mit Bescheid vom 29. Dezember 1994 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie sei gemäß § 2 Nrn. 1 - 3 Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI - versicherungspflichtig. Ihrem Antrag entsprechend habe sie monatliche Beiträge in Höhe von 377,58 DM zu zahlen. Mit weiterem Bescheid vom 6. Januar 1995 stellte die Beklagte eine Versicherungspflicht der Klägerin Kraft Gesetzes mit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Hebamme am 1. August 1992 fest und gab die für den Zeitraum bis 30. September 1994 zu zahlenden Beiträge mit 8.831,19 DM an.

Gegen diese Bescheide wandte sich die Klägerin nicht. Erstmals 1997 legte sie gegen Beitragsbescheide und einen Bescheid über die Berechtigung zur Ratenzahlung von Beitragsrückständen Widersprüche mit der Begründung ein, die Versicherungspflicht verstoße gegen das Grundgesetz - GG -. Das nachfolgende sozialgerichtliche Verfahren endete vor dem Bundessozialgericht - BSG - am 22. Mai 2003 mit einem Vergleich, durch den die Beklagte sich verpflichtete, die Bescheide über die Versicherungspflicht zu überprüfen.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2003 und Widerspruchsbescheid vom 9. März 2004 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Eine Überprüfung des Bescheides vom 6. Januar 1995 habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 5. April 2004 Klage erhoben und zu deren Begründung geltend gemacht, die gesetzlich angeordnete Versicherungspflicht verstoße gegen Artikel 2 Abs. 1, Artikel 3 Abs. 1 und 2 sowie gegen Artikel 14 des GG. Aufgrund der mit der Versicherungspflicht einhergehenden Pflicht zur Zahlung von Beiträgen werde ihre wirtschaftliche Situation derart eingeschränkt, dass sie als allein erziehende Mutter zweier minderjähriger Kinder bei Gesamteinkünften von etwa 60.000 DM 1998 finanziell nicht mehr die Möglichkeit habe, für ihr Alter privat vorzusorgen, um ihren Lebensstandard später halten zu können. Eine zusätzliche Altersversorgung sei erforderlich, weil ungewiss sei, ob die gesetzliche Rentenversicherung ihr bei Rentenbeginn noch einen über dem Sozialhilfesatz liegenden Betrag gewähren werde. Ihre Einnahmen könne sie nicht verbessern, weil sie der Gebührenordnung für Hebammen und Entbindungspfleger unterliege. Es liege auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor, weil der Gesetzgeber willkürlich einige selbständige Tätigkeiten der Versicherungspflicht unterworfen habe. Aufgrund der Höhe der Beiträge, die sie allein zu zahlen habe, seien auch schützenswerte Eigentumspositionen durch die Versicherungspflicht betroffen, denn ihre Vermögensverhältnisse würden grundlegend beeinträchtigt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Beklagte erklärt, sie habe mit dem Bescheid vom 23. Juli 2003 die Versicherungspflicht der Klägerin dem Grunde nach überprüft, weshalb nicht nur der Bescheid vom 6. Januar 1995, sondern auch der Bescheid vom 29. Dezember 1994 einer Überprüfung unterzogen worden sei. Der Bescheid vom 6. Januar 1995 stelle einen Zweitbescheid zum Bescheid vom 29. Dezember 1994 dar.

Mit Urteil vom 6. September 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung der Entscheidung im Wesentlichen dargelegt, die Voraussetzungen für eine Rücknahme der die Versicherungspflicht regelnden Bescheide lägen nicht vor, weil die Klägerin als selbständig tätige Hebamme nach § 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliege. Diese Norm sei nicht verfassungswidrig. Dies hätten bereits die im vorangegangenen Verfahren mit dem Rechtstreit befassten Gerichte zutreffend dargelegt (Hinweis auf den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 1998 - S 11 An 3310/97 - sowie Urteil das des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2000 - L 8 RA 136/98 -). Das BSG habe zudem die Anordnung der Versicherungspflicht für bestimmte arbeitnehmerähnliche Selbständige als geeignetes und verhältnismäßiges Mittel zu deren sozialen Absicherung angesehen. Die mit Arbeitnehmern vergleichbare Stellung selbständiger Hebammen (Erbringung einer persönlichen Dienstleistung und Erzielen von Einkünften aus der Verwertung eigener Arbeitskraft) rechtfertige die Anordnung der Versicherungspflicht für diese Berufsgruppe, so dass eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nicht ersichtlich sei. Die Klägerin könne auch nicht geltend machen, die Nachforderung von während des Verfahrens gestundeten Beiträgen stelle für sie nunmehr eine besondere Härte dar, weil sie zwischenzeitlich eine eigene Altersvorsorge durch Immobilienerwerb aufgebaut habe. Auf schützenswertes Vertrauen, keine Beiträge mehr zahlen zu müssen, könne sich die Klägerin wegen des laufenden Verfahrens nicht berufen. Zudem lägen auch die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 6 SGB VI nicht vor.

Gegen das ihr am 19. Oktober 2004 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 19. November 2004 eingelegten Berufung. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Versicherungspflicht für Hebammen sei verfassungswidrig. Dazu macht sie unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens insbesondere geltend, aufgrund der geforderten Beiträge sei es ihr faktisch unmöglich, privat Altersvorsorge zu betreiben. Sie rügt zudem eine Ungleichbehandlung (Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG) durch die ihrer Ansicht nach willkürliche Einbeziehung selbständig tätiger Hebammen in die Versicherungspflicht. Krankengymnasten, Logopäden oder Heilpraktiker seien ähnlich schutzbedürftig, jedoch nicht versicherungspflichtig. Auch sehe das Gesetz unter bestimmten - von Ihr nicht erfüllten - Voraussetzungen die Möglichkeit einer Befreiung von der Versicherungspflicht vor. Es liege zudem eine mittelbare Diskriminierung von Frauen vor. Zwar stehe der Beruf auch männlichen Bewerbern (Entbindungspflegern) offen, er werde aber praktisch nur von Frauen ausgeübt. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass sie durch die Aussetzung der Beitragszahlung seit Mai 1998 zwischenzeitlich eine private Altersvorsorge geschaffen habe (Immobilienerwerb sowie private Lebens- und Invaliditätsversicherung).

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 2004 sowie den Bescheid der Be- klagten vom 23. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2004 aufzuheben und diese zu verpflichten, 1. den Bescheid vom 29. Dezember 1994 in der Fassung des Bescheides vom 6. Januar 1995 zurückzunehmen sowie 2. festzustellen, dass sie in ihrer selbständigen Tätigkeit als Hebamme nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts zu den Aktenzeichen S 3 RA 2129/04 sowie S 10 An 3310/97 haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 29. Dezember 1994 in der Fassung des Bescheides vom 6. Januar 1995. Da sich diese Bescheide nicht als rechtswidrig erweisen und deshalb ihre Rücknahme weder mit Wirkung für die Vergangenheit noch für die Zukunft in Betracht kommt, kann offen bleiben, ob Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Rücknahmeanspruch § 44 Abs. 1 Satz 1 oder § 44 Abs. 2 SGB X (ggf. in Verbindung mit dem beim BSG geschlossenen Vergleich) ist. Beide Vorschriften setzen voraus, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Die Beklagte hat eine Versicherungspflicht der Klägerin aufgrund der Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, wonach selbständig tätige Hebammen und Entbindungspfleger versicherungspflichtig sind, zutreffend festgestellt. Die Klägerin gehört zu diesem Personenkreis.

Eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs.1 GG zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat nicht zu erfolgen, denn der Senat konnte sich nicht von der Verfassungswidrigkeit der die Versicherungspflicht begründenden Norm überzeugen. Das Bundessozialgericht hat bereits in mehreren Entscheidungen zur Versicherungspflicht bestimmter Berufsgruppen von selbständig Tätigen ausgeführt, dass deren Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Dem schließt sich der erkennende Senat an und macht sich die Ausführungen des Bundessozialgerichts zu eigen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin wird sie durch die Versicherungspflicht nicht in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Abs. 1 GG) verletzt. Zwar ist der Schutzbereich dieser Norm berührt, wenn der Gesetzgeber durch Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft und in deren Folge von Beitragspflichten zur Sozialversicherung die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen durch Einschränkung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht unerheblich einengt. Eine Verletzung des Grundrechts tritt aber schon aufgrund der in Artikel 2 Abs. 1 2. Halbsatz GG genannten Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht ein, wenn die Eingriffsnorm formell und materiell verfassungsgemäß ist, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht und die rechtsstaatlichen Anforderungen des Vertrauensschutzes beachtet (vgl. BSG B 12 RA 2/99 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Gesetzgeber im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung eine weite Gestaltungsfreiheit besitzt. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind hinzunehmen, soweit seine Erwägungen weder offensichtlich falsch noch mit der Werteordnung des GG unvereinbar sind. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Versicherungspflicht für Hebammen nicht zu beanstanden. Die Anordnung der Versicherungspflicht für bestimmte Berufsgruppen selbständig Tätiger erfolgte, weil sie ein mit Arbeitnehmern vergleichbares soziales Schutzbedürfnis haben. Bei einer typisierenden Betrachtung sind sie ebenso wie Arbeitnehmer zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes maßgeblich auf die Verwertung ihrer eigenen Arbeitskraft angewiesen und deshalb besonders betroffen, wenn beispielsweise altersbedingt ihnen die eigene Arbeitskraft nicht mehr wirtschaftlich nutzbar zur Verfügung steht. Die Versicherungspflicht, die den Erwerb von Rechten, Anwartschaften und Ansprüchen gegen die Solidargemeinschaft zum Ausgleich dieses Risikos zur Folge hat, ist ein geeignetes und auch verhältnismäßiges Mittel, die selbstverständliche Vorsorge für Alter, Erwerbs- und Berufsunfähigkeit in einer bestimmten Art und Weise sicher zu stellen.

Es liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG vor. Das BSG (a.a.O. sowie B 12 RA 5/03 B) hat die Anordnung einer Versicherungspflicht für selbständige Hebammen und Entbindungspfleger als sachlich gerechtfertigt angesehen, weil sie vergleichbar mit einem sozial ebenfalls schutzbedürftigen Arbeitnehmer ihre Einkünfte aus der Verwertung der eigenen Arbeitskraft durch persönliche Dienstleistung erzielen und sich damit von anderen Gruppen von Selbständigen, die beispielsweise andere - als Arbeitnehmer - beschäftigen, hinsichtlich Ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit vor den Risiken des Ausfalls der eigenen Arbeitskraft unterscheiden. Auch dem schließt sich der erkennende Senat an. Dem Argument der Klägerin, die Einbeziehung selbständig tätiger Hebammen sei willkürlich, weil andere selbständig tätige Personen, die ebenfalls sozial schutzbedürftig seien, nicht der Versicherungspflicht unterlägen, folgt das Gericht nicht. Der Gesetzgeber hat die vormals nur unter Benennung von bestimmten Berufsgruppen statuierte Versicherungspflicht Selbständiger zwischenzeitlich auf alle Personen erweitert, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI). Unter diesen Umständen sind keine sachlichen Gründe dafür ersichtlich, gerade bei den von jeher in die Rentenversicherung einbezogenen Selbständigen die Versicherungspflicht nunmehr zu beanstanden.

Es liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 2 GG vor. Die Anordnung der Versicherungspflicht für selbständig tätige Hebammen und Entbindungspfleger stellt keine mittelbare Diskriminierung von Frauen dar. Zwar werden durch diese Regelung weit überwiegend Frauen betroffen, weil der Beruf einer Hebamme traditionell fast ausschließlich von Frauen ausgeübt wird, der Gleichbehandlungsgrundsatz wird dadurch jedoch nicht verletzt, da damit nur die gleichmäßige Behandlung von Frauen und Männern angestrebt wird, nicht aber die rein zahlenmäßige Ausgewogenheit der Geschlechter bei der Betroffenheit durch eine bestimmte Regelung (vgl. BSG B 4 RA 48/90).

Die Höhe der von der Klägerin geschuldeten Beiträge ergibt sich aus § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI. Konkrete Einwendungen gegen die Beitragshöhe hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Der von Ihr gerügte Verstoß der Beitragserhebung gegen Artikel 14 GG ist nicht ersichtlich.

Unerheblich für das Verfahren ist, ob die Klägerin zwischenzeitlich durch eigene Vorsorge eine angemessene Altersvorsorge sich hat aufbauen können. Denn § 2 Satz 1 SGB VI enthält eine generalisierende und typisierende Betrachtung, bei der die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse des Selbständigen unberücksichtigt bleiben.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Voraussetzungen des § 231 Abs. 6 SGB VI liegen bereits deshalb nicht vor, weil die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1949 geboren ist und nach ihrem Vortrag auch vor dem 10. Dezember 1998 über keine anderweitige Vorsorge im Sinne des § 231 Abs. 5 SGB VI für das Alter oder die Invalidität verfügte. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Befreiungsmöglichkeit auf versicherungspflichtige Selbständige beschränkt ist, die vor Einführung der Versicherungspflicht für so genannte arbeitnehmerähnliche Selbständige in gutem Glauben auf ihre Versicherungsfreiheit bereits anderweitig Altersvorsorge betrieben haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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